Urteil des SozG Aachen vom 01.02.2011

SozG Aachen: versorgung, missbildung, krankenkasse, behinderung, unfall, zahnprothese, sachleistung, eng, stiftung, gleichstellung

Sozialgericht Aachen
Urteil vom 01.02.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Aachen S 13 KR 235/10
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 95/11
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Übernahme der den bewilligten Festzuschuss von 579,15 EUR
übersteigenden Kosten (4.029,12 EUR) einer im Jahre 2010 durchgeführten Zahnimplantatversorgung.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger gehört zum Personenkreis der Contergangeschädigten. Es bestehen bei ihm u.a.
Missbildungen der beiden oberen Extremitäten. Aufgrund einer später erlittenen Kopfverletzung ist er in der
Grobmototik der (missgebildeten) Hände stark beeinträchtigt. Er ist als Schwerbehinderter anerkannt nach einem Grad
der Behinderung von 100 (Merkzeichen B, G, aG) und erheblich pflegebedürftig (Pflegestufe I).
Am 18.03.2010 beantragte er bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Zahnimplantatversorgung. Er legte
hierzu einen vertragsärztlichen Heil- und Kostenplan (HKP) des Zahnarztes Dr. S. vom 11.01.2010 vor, des weiteren
einen privatärztlichen HKP "Implantologie" für die Implantatversorgung von zwei Zähnen, in dem die dafür anfallenden
Kosten auf ca. 4.500,00 EUR veranschlagt wurden.
Am 25.03.2010 setzte die Beklagte auf dem vertragsärztlichen HKP einen doppelten Festzuschuss nach der
Härtefallregelung in Höhe von 579,14 EUR fest und teilte dem Kläger die Bewilligung dieses Betrages in einem
Schreiben vom 25.03.2010 mit. Der Festzuschuss ist dem Kläger bisher nicht ausgezahlt worden.
Durch Bescheid vom 25.03.2010 lehnte die Beklagte die Übernahme der den bewilligten Festzuschuss übersteigenden
Kosten einer Implantatbehandlung und eines implantatgeschützten Zahnersatzes ab mit der Begründung, es liege
keine Ausnahmeindikation vor, die nach den gesetzlichen Bestimmungen eine Beteiligung der Krankenkasse an
diesen Kosten zulasse.
Dagegen legte der Kläger am 07.04.2010 Widerspruch ein: Die Beklagte habe bei ihrer Entscheidung seine beidseitige
Armbehinderung durch Contergan und die damit verbundene Notwendigkeit von Implantaten nicht berücksichtigt.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 01.09.2010 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 09.09.2010 Klage erhoben.
Vom 27.04. bis 04.06.2010, im November und zuletzt am 16.12.2010 hat die Zahnimplantatbehandlung durch den
Vertragszahnarzt Dr. T. (Zahnklinik N. Dr. S.) stattgefunden. Dafür sind dem Kläger durch Rechnungen vom 12.06.,
27.11. und 31.12.2010 insgesamt 4.608,26 EUR in Rechnung gestellt worden. Hierauf hat der Kläger nach eigenen
Angaben bereits mehr als 3.500,00 EUR gezahlt.
Der Kläger weist daraufhin, aufgrund seiner Conterganschädigung sei es - durch verstärkten Einsatz und Nutzung der
Zähne, z. B. durch regelmäßiges Öffnen von Flaschen mit dem Mund - schon im Kindesalter zu starkem Verschleiß
der Zähne gekommen. Er meint, zwischen dem zuständigen Bundesministerium und den Spitzenverbänden der
Krankenkassen sei es zu einer Verständigung dahin gekommen, gegenüber Thalidomidgeschädigten unbürokratisch
und unkompliziert zu verfahren. Der Kläger räumt ein, dass nach dem Wortlaut der einschlägigen Richtlinie des
Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) keine Ausnahmeindikation für eine Zahnimplantatversorgung zu Lasten
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestehe. Er ist aber der Auffassung, es liege ein Systemversagen vor.
Jedenfalls habe der Richtliniengeber die besondere Situation der Contergangeschädigten nicht bedacht. Seine
Situation wie auch die der übrigen Contergangeschädigten sei einem Unfall gleichzustellen. Der Kläger verweist auf
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahre 1976 (BVerfGE 42, 263); darin habe das
Gericht deutlich gemacht, der Gesetzgeber/Staat müsse dafür Sorge tragen, dass die Leistungen der
Conterganstiftung auch künftig den Anforderungen gerecht würden. Des weiteren weist der Kläger auf ein Schreiben
des Bundesministeriums für Gesundheit vom 15. Mai 2008 hin. Er meint, aus dem Sozialstaatsprinzip und wegen der
mit dem Conterganskandal verbundenen staatshaftungsrechtlichen Fürsorgeverpflichtung habe eine Gleichstellung mit
Unfällen als besonders schweren Fall im Sinne einer Ausnahmeindikation nach den Behandlungsrichtlinien des G-BA
zu erfolgen. Er selbst könne wegen seiner Behinderung herausnehmbare Zahnprothesen weder einsetzen noch aus
dem Mund herausnehmen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.03.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
01.09.2010 zu verurteilen, die Kosten seiner im Jahre 2010 durchgeführten Zahnimplantatversorgung auch über den
zugesagten Festzuschuss von 579,14 EUR hinaus zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung. Nach den einschlägigen
gesetzlichen Bestimmungen des Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien Implantate grundsätzlich vom
Leistungsumfang der GKV ausgeschlossen; dieser grundsätzliche Leistungsausschluss sei nach der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) auch verfassungskonform. Die Festlegung von Ausnahmeindikationen sei allein und
ausschließlich dem G-BA übertragen worden; der in § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V zum Ausdruck kommende Wille des
Gesetzgebers verbiete weite Ausnahmeregelungen.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Stellungnahmen eingeholt von den Zahnärzten Dr. S. und Dr. T ...
Diese haben übereinstimmend erklärt, dass allein aus zahnmedizinischer Sicht eine konventionelle Versorgung ohne
Implantation möglich gewesen wäre, und zwar durch herausnehmbaren Zahnersatz. Sie haben aber auf die schwere
Behinderung der Hände hingewiesen, die nach ihrer Einschätzung eine Handhabung eines herausnehmbaren
Zahnersatzes nicht möglich erscheinen lasse.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, sowie der beigezogenen den Kläger
betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat über den bewilligten Festzuschuss von 579,14 EUR hinaus keinen
Anspruch auf Übernahme weiterer Kosten der im Jahre 2010 durchgeführten Zahnimplantatversorgung, sei es durch
Erstattung der bereits selbst bezahlten Kosten, sei es durch Freistellung von der Restforderung der Zahnärzte.
Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind den Versicherten Kosten zu erstatten, die dadurch entstanden sind, dass die
Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alternative) oder eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt hat (2. Alternative) und sich die Versicherten deshalb die Leistung selbst beschafft haben, soweit
die Leistung notwendig war. Die 1. Alternative liegt ersichtlich nicht vor; insbesondere aus dem zeitlichen Verlauf der
Behandlung von der Erstellung des ersten HKP im Januar 2010 bis zur letzten Behandlung im Dezember 2010 lässt
sich ersehen, dass die Implantatversorgung nicht eine unaufschiebbare Leistung (Notfallbehandlung) gewesen ist.
Auch die 2. Alternative des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V ist nicht erfüllt, denn die Beklagte hat die Leistung nicht zu
Unrecht abgelehnt. Die beim Kläger durchgeführte Zahnimplantatversorgung ist keine Leistung der GKV. Nach § 27
Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu
erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (Satz 1); die
Krankenbehandlung umfasst u.a. die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen
(Satz 2 Nr. 2a). Nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V gehören implantologische Leistungen nicht zur zahnärztlichen
Behandlung, es sei denn, es liegen seltene vom G-BA in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 festzulegenden
Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der
Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. In Abschnitt VII. der
vom G-BA gemäß § 92 Abs. 1 SGB V beschlossenen "Behandlungsrichtlinien" sind die Ausnahmeindikationen für
implantologische Leistungen aufgeführt. Abschnitt VII. Ziff. 2. der Behandlungsrichtlinien lautet:
Ausnahmeindikationen für Implantate und Suprakonstruktionen im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V liegen in den
in Satz 4 aufgeführten besonders schweren Fällen vor. Bei Vorliegen dieser Ausnahmeindikationen besteht Anspruch
auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann, wenn eine konventionelle prothetische
Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. In den Fällen von Satz 4 Buchstaben a) bis c) gilt dies nur dann, wenn
das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar ist. Besonders
schwere Fällen liegen vor a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache - in Tumoroperationen, - in
Entzündungen des Kiefers, - in Operationen infolge von großen Zysten (z.B. große follikuläre Zysten oder
Keratozysten), - in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung
vorliegt, - in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder -
in Unfällen haben, b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer
Tumorbehandlung, c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen, d) bei nicht willentlich beeinflussbaren
muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. Spastiken).
Nach dem Wortlaut der Ziffer 2. des Abschnitt VII. der Behandlungsrichtlinien sind die Voraussetzungen für eine
Zahnimplantatversorgung des Klägers zu Lasten der GKV nicht erfüllt. Dies wird von ihm auch nicht bestritten.
Entgegen seiner Auffassung ist die Ausnahmeregelung jedoch auch nicht einer erweiternden Auslegung in einer Weise
zugänglich, die einen Anspruch auf Versorgung mit Implantaten begründen könnte.
Die Kammer geht nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Vortrag des Klägers und den ihr aus Berichten über
Contergangeschädigte bekannten Umstände davon aus, dass die beim Kläger vor der streitigen Zahnbehandlung
bestehenden Zahn- und Kieferverhältnisse bzw. -schäden zumindest auch und nicht unwesentlich auf seine
Conterganschädigung zurückzuführen sind. Diese äußern sich bei ihm durch Missbildung der oberen Extremitäten
(Dysmelie/Phokomelie). Dadurch ist seine normale Greiffunktion der Arme und Hände erheblich beeinträchtigt. Es ist
allgemein bekannt, dass derart Contergangeschädigte ihre Behinderung u.a. dadurch auszugleichen versucht haben
bzw. versuchen, dass sie sich verstärkt der Zähne (z.B. beim Öffnen von Flaschen) bedient haben bzw. bedienen.
Dass diese Nutzung nicht der Art und Weise entspricht, wie Zähne normalerweise genutzt werden und von Natur aus
genutzt werden sollten, ist offensichtlich. Dementsprechend nachvollziehbar ist, dass die Beanspruchung der Zähne
zu einer das Maß des Normalen übersteigenden Abnutzung bis hin zu Schäden führt, die also - mittelbar - auf die
Conterganschädigung zurückzuführen sind.
Der notwendige gewordene Zahnersatz des Klägers ist jedoch - dies haben die behandelnden Zahnärzte
übereinstimmend festgestellt und dies wird vom Kläger auch nicht bestritten - nicht ausschließlich durch Implantate,
sondern auch durch eine konventionelle prothetische Versorgung möglich gewesen. Angesichts der konkreten
Zahnverhältnisse wäre allerdings keine festsitzende, sondern nur eine herausnehmbare Zahnprothese in Betracht
gekommen.
Weder der Umstand, dass die Zahn-/Kieferschäden mittelbar auf die Conterganschädigung zurückzuführen sind, noch
die Tatsache, dass dem Kläger aufgrund seiner conterganbedingten Missbildung die Handhabung einer
herausnehmbaren Zahnprothese nicht ohne Hilfe Dritter möglich wäre, begründen einen Anspruch auf
Zahnimplantatversorgung zu Lasten der GKV.
Eine Einordnung der conterganschädigungsbedingten Zahn-/Kieferdefekte als einen der "besonders schweren Fälle"
im Sinne von Abschnitt VII. Ziffer 2. Satz 4 Buchstabe a) letzter Spiegelstrich lässt sich weder mit dem Wortlaut noch
mit dem Sinn und Zweck der Regelung vereinbaren. Nach der genannten Bestimmung läge ein besonders schwerer
Fall dann vor, wenn ein größerer Defekt des Kiefers oder des Gesichtes seine Ursache in einem Unfall gehabt hätte.
Zweifelhaft ist zum einen, ob die über das normale Maß hinaus erfolgte Abnutzung der Zähne bereits einen größeren
Defekt des Kiefers beinhaltet. Weit größere Bedenken bestünden sodann, die Conterganschädigung mit einem Unfall
gleichzusetzen. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem
Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (vgl. die Legaldefinition in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Darunter lässt sich
auch bei weitester Auslegung des Unfallbegriffs die Einnahme von Thalidomid (Contergan) während der
Schwangerschaft und eine daraus resultierende Missbildung des Embryos (Thalidomid-Embryopathie) nicht
subsumieren. Selbst wenn in diesem Zusammenhang aber ein größerer Kieferdefekt und ein Unfall bejaht würde,
müsste, um als besonders schwerer Fall eine Ausnahmeindikation begründen zu können, auch eine Kausalität
("Ursache") zwischen diesen beiden Tatbestandsmerkmalen bestehen. Nach dem Sinn von Ausnahmeregelungen sind
die darin verwendeten Tatbestandsmerkmale eng auszulegen. Dies bedeutet, dass mit der in Ziffer 2. Satz 4 a)
genannte "Ursache" nur eine unmittelbare Ursache gemeint ist. Die Zahn-/Kieferdefekte des Klägers sind aber
allenfalls mittelbar auf die Conterganschädigung zurückzuführen. Nach alledem würde eine Gleichstellung von
mittelbar conterganschädigungsbedingten Zahnschäden mit besonders schweren Fällen im Sinne des Abschnitt VII.
Ziffer 2. der Behandlungsrichtlinien, die eine Ausnahmeindikation für eine Implantation darstellen, die Grenzen
richterlicher Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung (weit) überschreiten.
Unabhängig von einer Ausnahmeindikation fehlte es beim Kläger aber auch an einer weiteren Voraussetzung für einen
Implantatversorgungsanspruch zu Lasten der GKV. Denn nach Abschnitt VII. Ziffer 2. Satz 2 der
Behandlungsrichtlinien des G-BA besteht bei Vorliegen einer Ausnahmeindikation Anspruch auf Implantate zur
Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann, wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne
Implantate nicht möglich ist. Eine solche konventionelle prothetische Versorgung in Form herausnehmbaren
Zahnersatzes wäre aber beim Kläger gerade möglich gewesen.
Der Tatsache, dass der Kläger eine solche Zahnprothese aufgrund seiner conterganschädigungsbedingten
Missbildung nicht selbst einsetzen und herausnehmen könnte, muss hierbei außer Betracht bleiben. Denn auch
insoweit gilt der für Ausnahmeregelungen geltende Grundsatz, dass die Voraussetzungen eng auszulegen sind. Nach
Auffassung der Kammer ist der erwähnte Satz 2 der Ziffer 2. so zu verstehen, dass ein
Implantatversorgungsanspruch bei Vorliegen einer Ausnahmeindikation nur dann besteht, wenn allein aus
zahnmedizinischen Gründen eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. Dies aber
war beim Kläger - wie die Zahnärzte mitgeteilt haben - nicht der Fall.
Nach Auffassung der Kammer liegt - bei allem Verständnis für die schwierige Situation des Klägers - auch kein
Systemversagen vor, das den geltend gemachten Anspruch auf (Übernahme der Kosten der) Implantatversorgung
gegen die beklagte Krankenkasse begründen könnte. Die vom BSG (vgl. z.B. Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06
R) und BVerfG (vgl. z. B. Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98) zur Problematik eines Systemversagens
entwickelten Grundsätze betreffen den Bereich der GKV. Dieses System versagt jedoch in Fällen wie dem des
Klägers nicht. Es ist geprägt durch den Anspruch auf Krankenbehandlung, der aber nicht unbegrenzt gilt, sondern vom
Gesetzgeber und dem von ihm beauftragten Richtliniengeber in zulässiger Weise beschränkt werden darf. Von dem
grundsätzlichen - von besonders aufgelisteten Ausnahmefällen angesehenen - Ausschluss der Implantatversorgung
aus dem Leistungskatalog der GKV sind nicht nur Contergangeschädigte, sondern eine Vielzahl auch anderer
Versicherter betroffen, die in gleicher Situation wie der Kläger herausnehmbaren Zahnersatz nicht selbst handhaben
können (z.B. Demenzkranke, Armamputierte oder sonst Schwer-/Schwerstpflegebedürftige). Würde man behinderten
Menschen wie dem Kläger allein wegen der Conterganschädigung den Implantatversorgungsanspruch einräumen,
wäre dies gegenüber den anderen Versicherten eine mit dem Gleichheitsgrundsatz kaum in Einklang zu bringende
Bevorzugung. Beim Kläger kommt noch hinzu, dass die Grobmotorik seiner Hände durch eine später
hinzugekommene (offenbar nicht conterganschädigungsbedingte) Kopfverletzung stark beeinträchtigt ist und ihm auch
deshalb die Handhabung eines herausnehmbaren Zahnersatzes unmöglich ist.
Die Kammer verkennt nicht, dass eine Conterganschädigung wie die des Klägers im Laufe der Jahre zu Zahn-
/Kieferproblemen geführt haben kann, die ohne die conterganbedingte Missbildung nicht oder nicht in dem Ausmaße
eingetreten wäre. Wenn der betroffene Personenkreis diese Schäden und dadurch bedingte Kosten nicht in
ausreichendem und angemessenem Umfang ersetzt bekommt, mag darin - insofern stimmt die Kammer dem Kläger
zu - ein Systemversagen liegen. Dieses wäre jedoch kein Systemversagen der GKV, sondern ein Systemversagen
auf staatlicher Ebene. Dazu hat das BVerfG in der Entscheidung vom 08.07.1976 (1 BvL 19 und 20/75, 1 BvR 178/75
= BVerfGE 42, 263) zur Verfassungsmäßigkeit des Contergan-Stiftungsgesetzes ausgeführt: "Darin zeigt sich, dass
die durch die Arzneimittelkastrophe Geschädigten einen "Schuldner" erhalten haben, der fähig und bereit ist,
Verpflichtungen nachzukommen, die sich aus der Überführung der verfassungsrechtlich geschützten Ansprüche auf
die Stiftung und auch aus dem Sozialstaatsprinzip ergeben. Wenn der Gesetzgeber diesen Schadensbereich aus dem
privatautonomem Regelungsbereich herausgenommen und die Lösung der sicherlich schwierigen Aufgaben zu einer
staatlichen Angelegenheit gemacht hat, obliegt es ihm, auch in Zukunft darüber zu wachen, dass die Leistungen der
Stiftung - sei es in Form von Rentenerhöhung oder in sonstiger Weise - der übernommenen Verantwortung gerecht
werden."
Wenn daher Personen wie der Kläger (auch) aufgrund ihrer conterganbedingten Missbildung Schäden erleiden, die
noch nicht ausreichend oder angemessenen ausgeglichen werden, kommt u. U. eine Ausweitung der Leistungen der
"Conterganstiftung für behinderte Menschen" oder andere staatliche Lösungen in Betracht, die von allen
Steuernzahlern zu finanzieren wären, nicht aber, wie es im Fall eines Obsiegens des Klägers gegenüber der beklagten
Krankenkasse unbilligerweise der Fall wäre, nur von den Mitgliedern und Beitragszahlern der GKV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.