Urteil des SozG Aachen vom 16.03.2005
SozG Aachen: ordentliche kündigung, abfindung, firma, kündigungsfrist, beendigung, entschädigung, form, betrug, arbeitsentgelt, arbeitsförderung
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Aachen, S 11 AL 101/04
16.03.2005
Sozialgericht Aachen
11. Kammer
Urteil
S 11 AL 101/04
Arbeitslosenversicherung
rechtskräftig
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) in
der Zeit vom 16.01. bis 28.08.2004 aufgrund einer Entlassungsentschädigung geruht hat.
Der am 00.00.1942 geborene Kläger war zuletzt seit dem 01.04.2000 bei der Firma B E T
Deutschland GmbH als Verkaufsberater beschäftigt. Am 19.03.2003 schlossen er und die
Firma B einen Vertrag über Altersteilzeitarbeit (i.F.: Altersteilzeitvertrag), in dessen § 10
Abs. 3 es heißt: "Wird das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber vor dem 30.11.2007
gekündigt, erhält der Arbeitnehmer eine Abfindungszahlung. Diese Abfindungszahlung
errechnet sich aus der Differenz zwischen dem an den Arbeitnehmer gezahlten
Arbeitslosengeld und des (sic!) aktuellen Nettoentgeltes inklusive der Aufstockungsleistung
für die restliche Zeit bis zum 30.11.2007." Am 28.08.2003 kündigte die Firma B das
Arbeitsverhältnis zum 15.01.2004. Mit Abwicklungsvereinbarung vom September 2003
einigten sich der Kläger und die Firma B auf eine Abfindung i.H.v. 208.000.- Euro "als
Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes".
Am 14.11.2003 meldete sich die Kläger arbeitslos und beantragte Alg. Nach Einholung
einer Arbeitsbescheinigung der Firma B stellte die Beklagte mit Bescheid vom17.03.2004
ein Ruhen des Alg-Anspruchs für die Zeit vom 16.01.2004 bis zum 28.08.2004 fest, da der
Kläger anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten habe.
Da eine ordentliche Kündigung nur bei Zahlung einer Abfindung möglich gewesen sei,
gelte als der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Frist (während der der Alg-
Anspruch ruhe) die Frist von einem Jahr.
Seinen am 07.04.2004 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, es sei im
Altersteilzeitvertrag wie auch in der Abwicklungsvereinbarung fälschlich von einer
Abfindung die Rede, während es sich tatsächlich um einen Aufstockungsbetrag zu dem
von den Vertragsparteien in § 10 Abs. 3 des Altersteilzeitvertrages vorausgesetzten Alg
handele. Im Übrigen habe sich der Arbeitgeber im Altersteilzeitvertrag nur zur Zahlung
eines bestimmten Betrages im Falle einer ordentlichen Kündigung verpflichtet, diese
Kündigung selbst aber nicht von der Zahlung abhängig gemacht.
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Die Beklagte holte eine weitere Auskunft der Firma B ein und wies den Widerspruch mit
Bescheid vom 08.11.2004 (abgesandt am 11.10.2004) zurück. Sie wiederholte und vertiefte
ihre bisherigen Darlegungen und legte eine ausführliche Berechnung vor.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.03.2004 in der Fassung des
Widerspruchs- bescheides vom 08.10.2004 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld auch für
die Zeit vom 16.01.2004 bis zum 28.08.2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Beide Beteiligte wiederholen und vertiefen ihre bisherigen Darlegungen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtene Entscheidung
der Beklagten nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
beschwert, da sein Anspruch auf Alg während des streitgegenständlichen Zeitraums geruht
hat.
Die Beklagte erbringt nach Maßgabe der §§ 117 ff. Sozialgesetzbuch Drittes Buch
Arbeitsförderung (SGB III) Alg. Hat der Arbeitslose wegen der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung
(Entlassungsentschädigung) erhalten und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer
der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden,
so ruht der Anspruch auf Alg gemäß § 143 a Abs. 1 Satz 1 SGB III von dem Ende des
Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung
dieser Frist geendet hätte. Kann dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer
Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden, so gilt eine Kündigungsfrist von
einem Jahr.
Die Voraussetzungen aus § 143 a Abs. 1 Satz 1 SGB III sind im vorliegenden Fall für den
Zeitraum vom 16.01. bis 28.08.2004 erfüllt.
Der Kläger hat wegen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zur Firma B eine
Entlassungsentschädigung erhalten. Es ist unstreitig, dass sich die Firma B anlässlich der
Kündigung zur Zahlung von 208.000.- Euro an den Kläger verpflichtet hat. Dass die
Vertragsparteien (ausweislich § 10 Abs. 3 des Altersteilzeitvertrages) offenbar davon
ausgegangen sind, dieser Betrag stehe dem Kläger zusätzlich zum Alg zu, ändert nichts
am Charakter der Leistung als Entlassungsentschädigung i.S.d. § 143 a Abs. 1 Satz 1 SGB
III, denn auch Aufstockungsbeträge, Übergangszuschüsse und ähnliche Leistungen sind
eine Form der Entlassungsentschädigung (Düe, in: Niesel, SGB III, 2. Aufl., § 143 a, Rn.
10). Ob die Vertragsparteien davon ausgegangen sind, es würde zusätzlich Alg erbracht, ist
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unerheblich, denn die Vertragsparteien haben es nicht in der Hand, dergestalt über
sozialversicherungsrechtliche Ansprüche zu disponieren. Die Folgen einer für ihn
unvorteilhaften Vertragsgestaltung kann der Kläger nicht auf die Versichertengemeinschaft
abwälzen.
Das Arbeitsverhältnis ist auch ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des
Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden. Die der ordentlichen Kündigungsfrist
des Arbeitgebers entsprechende Frist betrug ein Jahr ab Kündigung (28.08.2003), während
das Arbeitsverhältnis bereits zuvor (zum 15.01.2004) beendet worden ist.
Als Kündigungsfrist des Arbeitgebers gilt im vorliegenden Fall die fiktive Jahresfrist aus §
143 a Abs. 1 Satz 4 SGB III, denn der Arbeitgeber konnte das Arbeitsverhältnis nur bei
Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich kündigen. Die Vorschrift findet
Anwendung, wenn die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung für den Arbeitgeber
grundsätzlich ausgeschlossen und nur bei Zahlung der Entschädigung wieder eröffnet ist
(BSG, Urteil vom 29.01.2001, B 7 AL 62/99 R = SozR 3-4100 § 117 Nr. 22; Düe, a.a.O., Rn.
24). Dies ist dann der Fall, wenn die ordentliche Kündigung nur noch unter Umständen
möglich ist, die zwingend eine Abfindung vorsehen. Nicht erfasst sind lediglich Fälle, in
denen sich der Arbeitgeber ein nach den einschlägigen kündigungsschutzrechtlichen
Bestimmungen nicht bestehendes Recht zur Kündigung mit der Abfindung gleichsam
erkauft (BSG, a.a.O.).
Zwar hat § 10 Abs. 3 des Altersteilzeitvertrages nicht den Wortlaut, die ordentliche
Kündigung sei nur unter Voraussetzung einer Abfindung möglich, sondern begründet
"lediglich" einen Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers im Fall der ordentlichen
Kündigung. Hieran kann die Anwendung von § 143 a SGB III jedoch nicht scheitern.
Ausgehend vom Zweck der Vorschrift der Vermeidung eines Doppelbezugs von Alg und
Arbeitsentgelt (BSG a.a.O., m.w.N.) kann es nicht maßgeblich auf den Wortlaut solcher
Vereinbarungen ankommen. Es muss vielmehr genügen, dass wie hier eine vertragliche
Junktimklausel vorliegt, die die ordentliche Kündigung zwingend an den
Abfindungsanspruch koppelt. Ob diese Klausel die Abfindung auf Tatbestands- oder auf
Rechtsfolgenseite verortet, ist nicht ausschlaggebend. Noch weniger kann es für die
Anwendbarkeit von § 143 a SGB III darauf ankommen, ob die Abfindung vor, zeitgleich mit
oder nach der Kündigung angeboten wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.