Urteil des SozG Aachen vom 30.11.2005

SozG Aachen: anfang, arbeitslosigkeit, rücknahme, unternehmen, obsiegen, beratung, rechtswidrigkeit, disposition, leistungsanspruch, ermessen

Sozialgericht Aachen, S 11 AL 124/04
Datum:
30.11.2005
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 11 AL 124/04
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme einer Bewilligung von Arbeitslosengeld
(Alg) für die Zeit vom 01.12.2003 bis zum 22.01.2004 nebst einer Erstattungsforderung
iHv insgesamt 2462,09 Euro.
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Der am 00.00.1965 geborene Kläger meldete sich am 14.10.2003 arbeitslos für die Zeit
ab dem 01.12.2003. Mit Schreiben vom selben Tag forderte die Beklagte ihn auf, bis
zum 12.01.2004 mindestens 6 Nachweise über Eigenbemühungen in Form von
schriftlichen Absagen, schriftlichen Bestätigungen über persönliche
Vorstellungsgespräche und SIS-Ausdrucken vorzulegen; eine Belehrung über die
Rechtsfolgen war beigefügt. Anschließend bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom
17.11.2003 Alg für die Zeit ab dem 01.12.2003.
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Mit Bescheid vom 04.02.2004 hob sie die Bewilligung für die Zeit ab dem 13.01.2004
mit der Begründung auf, der Kläger habe entgegen der Aufforderung vom 14.10.2003
keine Eigenbemühungen nachgewiesen.
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Am 16.02.2004 erhob der Kläger Widerspruch. Er führte aus, im Hinblick auf einen erst
am 22.01.2004 stattfindenden Termin im Verfahren gegen den früheren Arbeitgeber
habe ihm sein Anwalt geraten, sich vorerst nicht zu bewerben, da dies sonst zu
Nachteilen bei der Klage auf Wiedereinstellung geführt hätte. Mit Bescheid vom
24.05.2004 hob die Beklagte die Alg-Bewilligung sodann für die Zeit vom 01.12.2003
bis 22.01.2004 auf und erweiterte die Erstattungsforderung auf 2462,09 Euro. Sie führte
aus, der Kläger sei in diesem Zeitraum nicht beschäftigungssuchend und somit nicht
arbeitslos gewesen. Eine Aufhebung auch für die Vergangenheit sei geboten, da der
Kläger unzutreffende Angaben gemacht habe, denn er habe bei Antragstellung erklärt,
dass er alle Möglichkeiten nutzen wolle, um die Beschäftigungslosigkeit zu beenden.
Mit Bescheid vom 24.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
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Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.
6
Der Kläger führt aus, er habe in erster Linie die Weiterbeschäftigung beim alten
Arbeitgeber erreichen wollen. Angesichts dessen habe er die Aufforderung der
Beklagten vornehmlich so verstanden, dass er im arbeitsgerichtlichen Verfahren
obsiegen solle. Im Übrigen habe er sich jedoch auch bei anderen Arbeitgebern
beworben.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 04.02.2004 in der Fassung des Bescheides vom 24.05.2004 und des
Widerspruchsbescheides vom 24.11.2004 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bleibt bei ihrer Auffassung.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Nachfrage bei denjenigen Arbeitgebern, bei
denen sich der Kläger nach eigenen Angaben beworben haben will. Die Beklagte sieht
sich durch die Auskünfte bestätigt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten
sind nicht rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die
Beklagte durfte die Alg-Bewilligung für den zuletzt streitigen Zeitraum zurücknehmen
und die erbrachten Leistungen (einschließlich der Beiträge zu Kranken- und
Pflegeversicherung) erstattet verlangen.
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Rechtsgrundlage der Rücknahme der Alg-Bewilligung ist § 45 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) iVm §
330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III), deren
Voraussetzungen erfüllt sind.
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Die Alg-Bewilligung war - wie § 45 SGB X es verlangt - schon anfänglich rechtswidrig,
denn der Kläger war von Anfang an nicht arbeitslos iSd §§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1
Nr. 2 SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung (aF). Arbeitslosigkeit setzt
Beschäftigungssuche (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III aF) und somit Verfügbarkeit voraus (§
119 Abs. 1 SGB III aF). Dies beinhaltet, dass der Arbeitslose alle Möglichkeiten nutzt
und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Nach § 119 Abs. 5 Satz
2 SGB III aF hatte der Arbeitslose der Beklagten auf Verlangen seine
Eigenbemühungen nachzuweisen, wenn er rechtzeitig auf die Nachweispflicht
hingewiesen worden war. Folge eines Verstosses gegen diese Pflicht war - nach dem
hier anwendbaren Recht - keine gesonderte Sanktion, sondern ein Entfallen der
Arbeitslosigkeit als Leistungsvoraussetzung für Alg (LSG Baden-Württemberg, Urteil
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vom 15.01.2003, L 5 AL 1707/01). Der entsprechende Hinweis der Beklagte auf diese
drohende Rechtsfolge ist rechtzeitig und vollständig erfolgt.
Der Kläger ist der Aufforderung vom 14.10.2003 - ausweislich der vom Gericht
eingeholten Auskünfte derjenigen Arbeitgeber, bei denen er sich beworben haben will -
nicht nachgekommen. Nur einer der vom Kläger benannten 6 Arbeitgeber konnte eine
(mündliche) Bewerbung vor dem 12.01.2004 bestätigen. Dies kann angesichts des
klaren und unmißverständlichen Wortlauts der Aufforderung nicht genügen,
Verfügbarkeit (und somit Arbeitslosigkeit) anzunehmen, denn der Kläger hat die
Aufforderung der Beklagten eindeutig untererfüllt. Ihr Wortlaut spricht auch klar gegen
den Vortrag des Klägers, er habe die Aufforderung so verstehen dürfen, dass hiermit
eigentlich ein Obsiegen vor dem ArbG gemeint war.
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Ein verständlicher und vom Arbeitsförderungsrecht gebilligter Grund, von der
Aufforderung abzuweichen (zu einer solchen Ausnahmemöglichkeit siehe Brand, in:
Niesel, SGB III, 2. Aufl., 2002, § 119, Rn 66), stand dem Kläger nicht zur Seite. Dass
Eigenbemühungen des Klägers seine Aussichten im Verfahren vor dem ArbG
wesentlich beeinträchtigt hätten, ist nicht dargetan. Ein schwebendes
arbeitsgerichtliches Verfahren berechtigt den Arbeitslosen nicht, Eigenbemühungen
solange einzustellen (vgl. BSG SozR 4-4300 § 123 Nr. 2, SozR 4100 § 117 Nr. 19).
Schließlich liegt ein verständlicher Grund auch nicht in der - vom Kläger behaupteten -
anwaltlichen Auskunft. Das Gericht braucht nicht zu ermitteln, ob der Vortrag des
Klägers im Widerspruch, sein Anwalt habe ihm im Hinblick auf das Verfahren vor dem
ArbG von Bewerbungen und anderen Eigenbemühungen abgeraten, zutrifft. Eine
entsprechende Beratung vermag unter Umständen Schadensersatzansprüche des
Klägers gegenüber seinem Anwalt wegen unzutreffender Beratung auszulösen, jedoch
stehen die arbeitsförderungsrechtlichen Anforderungen an Arbeitslose nicht zur
Disposition Dritter.
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Zweifel am Vorliegen bereits anfänglicher Rechtswidrigkeit (und somit an der
Anwendbarkeit von § 45 SGB X) ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass dem
Kläger eine Frist zur Vorlage der Nachweise gesetzt war. In der Rechtssprechung ist
zwar umstritten, ob fehlende Eigenbemühungen iSd § 119 Abs. 5 Satz 2 SGB III aF zur
Aufhebung der Alg-Bewilligung erst ab dem Zeitpunkt berechtigten, zu dem ihr Fehlen
feststand (so das Bayerische LSG, Urteil vom 17.12.2004, L 8 AL 310/04;
Revisionsaktenzeichen B 7a AL 18/05 R, das Urteil des BSG vom 20.10.2005 ist ohne
mündliche Verhandlung ergangen und liegt bislang noch nicht vor), oder ob in solchen
Fällen die Arbeitslosigkeit bereits mit der Aufforderung zum Nachweis von
Eigenbemühungen entfallen war (so LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.06.2005,
L 19 (1) AL 84/04; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.01.2003, L 5 AL 1707/01).
Das Gericht braucht in dieser Streitfrage jedoch keine Stellung zu beziehen, denn der
Kläger hat in seinem Widerspruch klar zu verstehen gegeben, dass er von Anfang an
beabsichtigte, zunächst die Entscheidung des ArbG abzuwarten. Hiermit steht fest, dass
der Kläger bereits bei Erlass des Bewilligungsbescheides nicht beschäftigungssuchend
und somit nicht arbeitslos war.
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Die Voraussetzungen einer Rücknahme für die Vergangenheit sind erfüllt. Es ist
jedenfalls § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X einschlägig, wenn der Betreffende weiß, was
er unternehmen muss, um beschäftigungssuchend zu bleiben, dies jedoch von Anfang
an nicht unternimmt (vgl. LSG NRW, Urteil vom 06.06.2005, L 19 (1) AL 84/04). Dies gilt
erst recht, wenn der Betreffende - wie hier - später deutlich zu verstehen gegeben hat,
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dass er die Bemühungen, mithilfe derer er seinen Leistungsanspruch hätte wahren
müssen, von Anfang an überhaupt nicht unternehmen wollte.
Ermessen war der Beklagte nicht eingeräumt, § 330 Abs. 2 SGB III; die Rücknahmefrist
(§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X) ist gewahrt.
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Die Ersattungsforderung beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X iVm § 335 Abs. 1 Satz 1
SGB III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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