Urteil des SozG Aachen vom 10.02.2006

SozG Aachen: eltern, unterkunftskosten, familie, meinung, gestaltungsspielraum, beschränkung, drucksache, verordnung, ausnahme, mietwohnung

Sozialgericht Aachen, S 8 KG 13/05
Datum:
10.02.2006
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 KG 13/05
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 12 AL 56/06
Sachgebiet:
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist ein Anspruch auf Kinderzuschlag für Juni und Juli 2005.
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Der am 00.00.1973 geborene Kläger ist verheiratet und Vater von 2 Kindern (W, geb.
00.00.2001 und K, geb. 00.00.2003). Die Familie lebt in Haushaltsgemeinschaft. Der
Kläger stand vom 01.06.2004 bis zum 31.05.2005 in einem Beschäftigungsverhältnis,
vom 01.06.2005 bis zum 03.08.2005 war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld, ab
04.08.2005 bis zum 15.11.2005 stand der Kläger wieder in einem
Beschäftigungsverhältnis, seither ist er wieder arbeitslos. Die Familie bewohnt eine
Mietwohnung, für die eine Nettomiete in Höhe von 510,00 EUR gezahlt wird. Es fallen
Kosten für eine Zentralheizung in Höhe von 42,00 EUR an.
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Der Kläger beantragte im Juni 2005 Kinderzuschlag. Mit Bescheid vom 30.06.2005
lehnte die Beklagte den Antrag ab. Für die Zeit ab Juni 2005 werde die
Mindesteinkommensgrenze nicht erreicht, der Kläger habe einen Anspruch auf
Arbeitslosengeld II, nicht aber auf Kinderzuschlag.
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Im Widerspruchsverfahren meinte der Kläger, die Ablehnung der Zahlung des
Kinderzuschlags wegen des Nichterreichens der Mindesteinkommensgrenze sei
verfassungswidrig. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, gerade sozial schwache Familien
zu unterstützen.
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Mit Bescheid vom 05.09.2005 bewilligte die Beklagte Kinderzuschlag von Januar bis
Mai 2005.
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Für die Zeit ab Juni 2005 wies sie den Widerspruch wegen Nichterreichens der
Mindesteinkommensgrenze mit Bescheid vom 04.10.2005 zurück. Für die Zeit ab
August 2005 bewilligte die Beklagte wieder den Kinderzuschlag.
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Mit der am 09.10.2005 erhobenen Klage erstrebt der Kläger Kinderzuschlag für Juni und
Juli 2005. Er meint, die Nichtgewährung des Kinderzuschlages wegen des
Nichterreichens der Mindesteinkommensgrenze widerspräche dem Sozialstaatsgebot
des Grundgesetzes. Jedenfalls sei der Abzug von weiteren 30,00 EUR von seinem
erzielten Einkommen rechtswidrig.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 30.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
04.10.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kinderzuschlag nach Maßgabe
der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen, hilfsweise das Verfahren gemäß Art. 100
Grundgesetz auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung
vorlegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf die Regelung des § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG. In der mündlichen
Verhandlung hat sie eine Neuberechnung der Unterkunftskosten des Klägers
vorgenommen. Hinsichtlich der Berechnung wird auf die Sitzungsniederschrift
verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht
rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Kinderzuschlag.
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Der Kinderzuschlag wird gemäß § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG nur gezahlt an Personen, die
mit Ausnahme des Wohngeldes über Einkommen oder Vermögen im Sinne der §§ 11,
12 SGB II mindestens in Höhe des nach Absatz 4 Satz 1 für sie maßgebenden Betrages
verfügen. Gemäß § 6a Abs. 4 Satz 1 BKGG wird der Kinderzuschlag in voller Höhe
gezahlt, wenn das nach den §§ 11 und 12 SGB II zu berücksichtigende elterliche
Einkommen oder Vermögen einem Betrag in Höhe des ohne Berücksichtigung von
Kindern jeweils maßgebenden Arbeitslosengeldes II nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II
entspricht. Dazu sind gemäß § 6a Abs. 4 Satz 2 BKGG die Kosten für Unterkunft und
Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der
Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern
festgestellten entsprechenden Kosten für Alleinstehende, Ehepaare und Kinder ergibt.
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Die Beklagte hat diese Vorschrift auch für Juni und Juli 2005 zutreffend angewandt. Der
Kläger bezog in dieser Zeit Einkommen (Arbeitslosengeld) in Höhe von 985,50 EUR
(Bewilligungsbescheid der Agentur für Arbeit Aachen vom 07.06.2005). Von diesem
Einkommen sind gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 der ALG-II-Verordnung 30.- EUR als
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Pauschbetrag für angemessene Versicherungen abzuziehen. Die Beklagte ist im
Gegensatz zur Meinung des Klägers nicht verpflichtet, diesen Abzug nicht
vorzunehmen. Allerdings ist dem Kläger dahingehend Recht zu geben, dass es
zunächst unstimmig erscheint, das eine Vorschrift, die als Privilegierung der Bezieher
von Grundsicherungsleistungen gedacht ist, sich im Bereich des Kinderzuschlags für
den Betroffenen negativ auswirken kann. Dem Gesetzgeber steht jedoch bei der
Ausgestaltung sozialer Rechte ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Deswegen ist er
nicht wegen des allgemeinen Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG gehindert, für
das Grundsicherungsrecht und das Kinderzuschlagsrecht von einem identischen
Einkommensbegriff auszugehen. Abgesehen davon würde auch der Nichtabzug der
30,00 EUR vom Einkommen des Klägers nicht dazu führen, dass die
Mindesteinkommensgrenze erreicht wird. Denn die Beklagte hat in der mündlichen
Verhandlung zutreffend errechnet, dass das Mindesteinkommen bei 1013,92 EUR liegt.
Die Berechnung entspricht der Vorschrift des § 6a Abs. 4 BKGG, insbesondere die
Berechnung der Unterkunftskosten der Eltern entspricht dem Existenzminimumsbericht
2005 der Bundesregierung. Der Wohnanteil für Elternpaare beträgt bei zwei Kindern
hiernach 71 % der Gesamtkosten.
Die Beschränkung des Kinderzuschlags auf Personen, die über das Mindesteinkommen
im Sinne des § 6a Abs. 1 Nr. 2 BKGG verfügen, ist nicht verfassungswidrig. Der
Gesetzgeber hat damit weder gegen das Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG) noch
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen. § 6a BKGG soll
verhindern, dass Familien allein wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder auf
Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Gleichzeitig sollte eine Regelung getroffen
werden, die einen Arbeitsanreiz durch gezielte Förderung einkommensschwacher
Familien schafft (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Fraktionen SPD und
Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucksache 15/1516, S. 1 ff.). Diese Zielsetzung setzt
zwingend voraus, die Gewährung von Kinderzuschlag von einem Mindesteinkommen
abhängig zu machen. Denn nur wenn die Eltern im Stande sind, sich selbst zu
unterhalten, kann durch die Gewährung des Kinderzuschlages Hilfebedürftigkeit im
Sinne des § 9 SGB II vermieden werden. Die Differenzierung zwischen Eltern, die außer
Stande sind, sich selbst zu unterhalten und Eltern, die immerhin ihren eigenen Bedarf
gesichert haben, ist damit weder sozialstaatswidrig noch willkürlich. Ein
Verfassungsverstoß ist zu verneinen, weshalb eine Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausscheidet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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