Urteil des SozG Aachen vom 17.05.2005

SozG Aachen: medizinische rehabilitation, versorgung, krankenversicherung, training, behinderung, sportart, krankengymnastik, verordnung, gesundheit, verfügung

Sozialgericht Aachen, S 13 KR 34/04
Datum:
17.05.2005
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 13 KR 34/04
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrte von der Beklagten die Versorgung mit orthopädischen
Sportschuhen.
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Der 1972 geborene Kläger ist seit Oktober 1991 bei der Beklagten krankenversichert. Er
leidet unter chronischen Metatarsalgien (Fußsohlenschmerzen) und statischen
Fußbeschwerden bei Spreizfuß und Beinverkürzung. Er wurde deshalb seit 1995
mehrfach mit orthopädischen Maßschuhen bzw. orthopädischen Zurichtungen der
Schuhe versorgt. Zuletzt - 2003 - bezuschusste die Beklagte zwei Paar orthopädische
Maßschuhe mit jeweils 716,16 EUR. Seit 01.03.2004 ist der Kläger Mitglied eines
Fitness-Centers mit der Berechtigung zur Nutzung aller dort vorhandenen Anlagen.
Nach eigenen Angaben besucht er das Fitness-Center ca. 3-mal wöchentlich und nutzt
insbesondere die Geräte zur Stärkung der Kniemuskulatur.
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Bereits am 30.01.2004 verordneten die L/F ein Paar orthopädische Sportschuhe. Der
Kläger legte diese Hilfsmittel-Verordnung am 25.02.2004 der Beklagten vor, zusammen
mit einem Kostenvoranschlag eines Orthoädie-Schuhtechnikers vom 16.02.2004 für
orthopädische Sportschuhe nach Maß inklusive Zusatzleistungen in Höhe von 759,96
EUR. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der behandelnde Orthopäde mit, der Kläger
könne aufgrund seiner Erkrankung keinen Fußballsport mehr ausführen; statt dessen
werde Fitness-Training in einem Sportstudio durchgeführt; hierfür würden die
Sportschuhe gebraucht. In einer von der Beklagten eingeholten Stellungnahme des
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) stellte H am 23.04.2004 fest,
Fitnesstraining sei nicht als medizinisch notwendig anzusehen; Schuhe für diesen
Zweck gingen über das Maß des Notwendigen hinaus.
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Gestützt hierauf lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 18.05.2004 eine Versorgung
mit orthopädischen Sportschuhen ab.
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Dagegen legte der Kläger am 16.06.2004 Widerspruch ein. Er verwies auf einen
chronischen Knieschaden; da auch durch Verabreichung von Spritzen u.ä. keine
Besserung eingetreten sei, habe der behandelnde Arzt dringend angeraten, regelmäßig
unter Kontrolle Sport zu treiben, um die Muskulatur zu stärken. Er sei daraufhin auf
eigene Kosten Mitglied in einem Fitness-Studio geworden. Die regelmäßige
Verordnung von Krankengymnastik, Wassergymnastik o.ä. dürfte weitaus teurer sein als
die erstmalige Verordnung von orthopädischen Sportschuhen.
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Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 28.10.2004,
zugestellt am 02.12.2004, zurück.
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Dagegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Er behauptet, letztmals im Jahr
2003 "aufgrund eines chronischen Knieschadens" orthopädische Schuhe ausgeliefert
bekommen zu haben. Auch dann, wenn er nicht notwendig ein Fitness-Studio
aufsuchen müsse, um sich sportlich zu betätigen, sei es aus ärztlicher Sicht auf jeden
Fall erforderlich, dass er eine Sportart ausübe, bei der er verstärkt und schnell Muskeln
aufbaue. Krankengymnastik allein reiche nicht aus. Er benötige intensives Training, das
nur mit extra für diese Fälle vorgesehenen orthopädischen Sportschuhen ausgeführt
werden könne. Wenn er statt des Fitniss-Trainings Joggen betreiben würde, bräuchte er
auch Turnschuhe. Seine Ärzte hätten ihm gesagt, dass er aufgrund seines
Knieschadens wegen der Reibung der Kniegelenke keinen kniebelastenden Sport
treiben dürfe; wichtig sei das Training der Muskulatur. Das regelmäßige Training im
Fitness-Studio tue ihm gut. Bisher habe er sich aus Kostengründen die orthopädischen
Sportschuhe nicht selbst beschaffen können.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.05.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 28.10.2004 zu verurteilen, ihn mit orthopädischen
Sportschuhen zu versorgen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, dass sie die begehrten orthopädischen Sport- bzw. Turnschuhe
nicht zu leisten hat. Muskelaufbautraining im Fitness-Studio könne der Kläger mit seinen
von der Beklagten zur Verfügung gestellten Straßenschuhen und Hausschuhen oder
auch barfuß ausüben. Muskelaufbautraining erfolge an fast allen Sportgeräten in
sitzender oder liegender Position. Im Übrigen sei Fitness-Training im Fall des Klägers
nicht als medizinisch notwendig anzusehen. Orthopädische Turnschuhe könnten
allenfalls als Hilfsmittel gewertet werden, wenn der Versicherte regelmäßig am
Rehabilitationssport teilnehme und die orthopädischen Turnschuhe hierfür erforderlich
sind.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der
Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
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Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Der Kläger hat
keinen Anspruch auf die Versorgung mit orthopädischen Sportschuhen zu Lasten der
gesetzlichen Krankenversicherung.
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Nach § 27 Abs. 1 S. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte
Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, eine Krankheit zu erkennen,
zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.
Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung
mit Hilfsmitteln. Versicherte haben gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V Anspruch auf Ver-
sorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen
Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu
sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als
allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34
Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen
ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen
nicht über- schreiten (Satz 1). Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind,
können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken
und die Krankenkassen nicht bewilligen (Satz 2). Notwendigkeit bzw. Erforderlichkeit ist
gegeben, wenn das Hilfsmittel zur Sicherung der Krankenbehandlung bzw. des
Behinderungsaus- gleichs unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des
Betroffenen unentbehrlich oder unvermeidlich ist.
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Die vom Kläger begehrten orthopädischen Sportschuhe sind nicht zur Sicherung der
Krankenbehandlung erforderlich. Der Kläger betreibt keinen – ärztlich verordneten –
Rehabilitationssport, zu dessen Durchführung er die Sportschuhe benötigte. Auch ist die
Durchführung des Fitnesstrainings im Fitness-Studio des "U X of Fitness (X)", dessen
Mitglied der Kläger seit März 2004 ist, nicht ärztlich verordnet. Der Kläger hat aber auch
keinen Anspruch auf orthopädische Sportschuhe als Hilfsmittel, "um eine Behin- derung
auszugleichen". Dieser in § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V genannte Zweck eines von der
gesetzlichen Krankenversicherung zu leistende Hilfsmittels bedeutet nicht, dass nicht
nur die Behinderung selbst, sondern auch sämtliche direkten und indirekten Folgen
einer Behinderung auszugleichen wären. Aufgabe der gesetzlichen
Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst
weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich
der Sicherung des Behandlungs- erfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die
Anforderungen des Alltags meis- tern zu können. Bei einem unmittelbar auf den
Ausgleich der beeinträchtigten Organ- funktion selbst gerichteten Hilfsmittel,
insbesondere einem künstlichen Körperglied, ist ohne Weiteres anzunehmen, dass eine
medizinische Rehabilitation vorliegt. Hingegen werden nur mittelbar oder nur teilweise
die Organfunktion ersetzende Mittel lediglich dann als Hilfsmittel im Sinne der
Krankenversicherung angesehen, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht
nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/ Freizeit), sondern im
gesamten täglichen Leben ("allgemein") beseitigen oder mildern und damit ein
"Grundbedürfnis des täglichen Lebens" betreffen (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG,
Urteil vom 16.09.1999 – B 3 KR 9/98 R und 13/98 R m.w.N.).
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Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu derartigen Grundbedürfnissen die allge-
meinen Verrichtungen des täglichen Lebens wie Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören,
Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare Körperpflege, das selbstständige
Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums,
die auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit Anderen sowie das
Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfassen (vgl. zum
Ganzen: BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 29 m.w.N.).
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Durch die Versorgung des Klägers mit orthopädischen Maßschuhen (zuletzt 2 Paar im
Jahre 2003) und Hausschuhen sind die unmittelbaren Körperfunktionen Gehen und
Stehen, in denen der Kläger aufgrund seiner Erkrankungen behindert ist, ausgeglichen.
Die weitergehend geforderte Versorgung mit orthopädischen Sportschuhen zur Durch-
führung von Fitnesstraining ist dagegen nicht mehr erforderlich. Die Rechtsprechung hat
die Versorgung mit Hilfsmitteln stets nur im Sinne eines Basisausgleichs der
Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich
unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden verstanden. Die vom Kläger gewünschten
orthopädischen Sportschuhe dienen allein dem Zweck, Sport in einem Fitness-Center
oder eine andere – nicht ärztlich verordnete – Sportart zu betreiben. Damit beschränkt
sich der Zweck der Sportschuhe auf eine bloße Freizeitbetätigung, die nicht zu den
Grundbedürfnissen gehört (BSG, Urteile vom 16.09.1999 – B 3 KR 9/98 R und 13/98 R
m.w.N.). Selbst wenn das Betreiben von Sport für den Kläger – wie im Übrigen für
jedermann – sinnvoll ist, be- gründet dies keine Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung zur Versorgung mit orthopädischen Sportschuhen. Die Beklagte
hat dargelegt, dass Muskelaufbautraining im Fitness-Studio auch mit den von der
Beklagten zur Verfügung gestellten orthopädi- schen Straßenschuhen oder
Hausschuhen oder auch barfuss ausgeübt werden kann; Muskelaufbautraining erfolge
an fast allen Sportgeräten in sitzender oder liegender Position. Dem hat der Kläger nicht
widersprochen. Er besucht seit über einem Jahr ca. 3-mal wöchentlich das Fitness-
Studio ohne orthopädische Sportschuhe! Dem Kläger geht es seiner Argumentation
zufolge auch nicht allein um die Versorgung mit Sportschuhen zur Nutzung im Fitness-
Center, sondern ganz allgemein um die Versorgung mit Sport- schuhen, um irgendeinen
Sport, der im Gehen/Laufen betrieben wird, ausführen zu können. So hat er z.B. darauf
verwiesen, auch beim Jogging Sportschuhe zu benötigen. Jogging wäre aber eine
Sportart, die – weil kniebelastend – vom Kläger nicht ausgeführt werden sollte. Da nach
alledem der vom Kläger betriebene Sport dem Freizeitbereich zuzuordnen ist und er im
Übrigen zur Stärkung seiner Gesundheit und Training seiner Muskulatur andere
Maßnahmen als Fitnesstraining in einem Fitness-Center durchführen kann, für die er
keine orthopädischen Schuhe benötigt, z.B. Schwimmen, Fahrradfahren,
Krankengymnastik, hat er keinen Anspruch auf Versorgung mit orthopädischen Sport-
schuhen zu Lasten der Beklagten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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