Urteil des SozG Aachen vom 05.11.2010

SozG Aachen (innere medizin, onkologie, zeitpunkt, genehmigung, medizin, wirkung, verhandlung, umfang, anstellung, versorgung)

Sozialgericht Aachen, S 7 KA 3/09
Datum:
05.11.2010
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 7 KA 3/09
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Beschlusses vom 22.07.2009
verpflichtet, über den Widerspruch der Beigeladenen zu 7) gegen den
Beschluss des Zulassungsausschusses vom 04.02.2009 unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Der
Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 7), die diese selbst
trägt.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer der Beigeladenen zu 7) erteilten
Sonderbedarfszulassung.
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Die Beigeladene zu 7) ist seit Juni 0000 in der hämatologisch-onkologischen
Gemeinschaftspraxis Dr. N./H. in 0000 X., N. 72, tätig. Eine Anstellung dort erfolgte
zunächst als Weiterbildungsassistentin und seit April 2007 als Vertretungs- und
Studienärztin. Mit Bescheid vom 10.03.2008 wurde sie mit Wirkung zum 01.04.2008 im
Rahmen des Job-Sharings in dieser Praxis zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassen. Unter dem 22.08.2008 beantragte die Beigeladene zu 7) eine
Sonderbedarfszulassung als Fachärztin für Innere Medizin - Hämatologie und
Internistische Onkologie - für das Plangebiet B.-M ... Mit Beschluss vom 04.02.2009
lehnte der Zulassungsausschuss für Ärzte L. den Antrag ab. Zur Begründung führte er
aus, die Voraussetzung eines besonderen Versorgungsbedarfs sei im Plangebiet unter
anderem auch deshalb nicht gegeben, weil die Praxis Dr. N./H. in X. die Versorgung mit
den als Sonderbedarf geltend gemachten Leistungen sicherstelle. Überdies nähmen im
Planungsbereich insgesamt 27 Vertragsärzte an der sog. Onkologie-Vereinbarung teil,
wovon 7 Ärzte über die Genehmigung zur Erbringung und Abrechnung der
Chemotherapie nach Nr. 86505 verfügten. Die Beigeladene zu 7) legte am 17.03.0000
Widerspruch ein führte aus, zur Feststellung eines besonderen Versorgungsbedarfs
bedürfe es einer ausreichenden Tatsachenermittlung, was unterblieben sei. So seien
die in diesem Bereich niedergelassenen Ärzte weder nach dem konkreten
Leistungsangebot noch nach deren Aufnahmekapazität befragt worden. Überdies wies
sie auf die stetig wachsenden Patientenzahlen auch im Bereich der begehrten
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Sonderzulassung hin. Auf Basis der derzeit erteilen Zulassung sei eine Verbesserung
der Versorgungssituation nicht möglich, weil die Praxis Dr. N./H. aufgrund des Job-
Sharings einer Leistungsmengenbeschränkung unterliege. Nachdem die Klägerin
Frequenztabellen zu den bereits im Plangebiet zugelassenen Ärzten übermittelt hatte,
änderte der Beklagte mit Beschluss vom 22.07.0000 (der Klägerin zugegangen am
24.08.0000) den Beschluss des Zulassungsausschusses ab und ließ die Beigeladene
zu 7) als Fachärztin für Innere Medizin mit der Schwerpunktbezeichnung Hämatologie
und internistische Onkologie unter Beschränkungen der Leistungen aus diesen
Schwerpunkten für den Vertragsarztsitz 52146 X., N. , zur vertragsärztlichen Versorgung
zu. Zur Begründung führte er aus, angesichts der beigezogenen Frequenzübersichten
der im Plangebiet zugelassenen Ärzte sei ein dauerhafter Versorgungsbedarf
erweislich. Das Leistungsangebot der Praxis Dr. N./H. reiche nicht aus, die Versorgung
der Versicherten im Planungsbereich sicherzustellen.
Hiergegen richtet sich die am 23.09.0000 erhobene Klage.
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Die Klägerin ist der Auffassung, maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach-
und Rechtslage sei der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Zum Zeitpunkt
der (erstinstanzlichen) mündlichen Verhandlung aber sei zu berücksichtigen, dass dem
Medizinischen Versorgungszentrum T. GbR mit Beschluss des Zulassungsausschusses
vom 24.06.2009 die Genehmigung zur Beschäftigung der Fachärztin für Innere Medizin -
Hämatologie und internistische Onkologie - Frau Dr. Q. mit Wirkung zum 01.07.2009 im
Umfang von 20 Wochenstunden erteilt worden sei. Mit Beschluss vom 23.09.2009 sei
mit Wirkung ab 01.10.2009 der Umfang auf 31 Wochenstunden erhöht worden. Auf
Anfrage habe das MVZ T. GbR mitgeteilt, Frau Dr. Q. verfüge über freie Kapazitäten zur
Erbringung von Leistungen nach den Ziffern 13490 - 13502 EBM sowie den
Symbolnummern 86502, 86503, 86504, 86505 der Onkologie-Vereinbarung und es
bestünden dort keine Wartezeiten für Patienten. Mit Beschluss des
Zulassungsausschusses vom 22.09.2010 sei mit Wirkung zum 01.10.2010 die
Genehmigung zur Anstellung von Frau Dr. Q. im MVZ T. von 31 Stunden auf 20 Stunden
pro Woche reduziert und gleichzeitig dem MVZ T. die Genehmigung zur Anstellung der
Fachärztin für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und internistische
Onkologie Frau Dr. N.-B.im Umfang von 20 Wochenstunden erteilt worden. Überdies sei
die Entscheidung des Beklagten auf die Gesamtfallzahlen gestützt worden, die auch
Leistungen umfasse, die nicht dem Gebiet der Hämatologie und internistische
Onkologie unterfielen.
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Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Aufhebung seines Beschlusses vom
22.07.2009 zu verpflichten, über den Widerspruch der Beigeladenen zu 7) gegen den
Beschluss des Zulassungsausschusses vom 04.02.2009 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Er hält an der angefochtenen Entscheidung fest und führt weiter aus, zum Zeitpunkt der
Entscheidung am 22.07.2009 sei ihm die Entscheidung des Zulassungsausschusses
betreffend das MVZ T. GbR nicht bekannt gewesen und habe ihm auch nicht bekannt
sein müssen.
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Die Beigeladenen zu 1) bis 7) stellen keinen eigenen Antrag.
9
Die Beigeladene zu 7) führt neben einer Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens aus,
aus Gründen des Vertrauensschutzes sei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage
auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten abzustellen. Spätere Veränderungen
könnten keine Berücksichtigung finden.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten
des Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer konnte trotz Abwesenheit von Vertretern der Beigeladenen zu 1) bis 6)
aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, weil die Beigeladenen zu 1) bis 6) in
der schriftlichen Terminsladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind, §§ 110
Abs. 1 Satz 2, 124 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), zumal diese ausdrücklich erklärt
haben, den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht wahrnehmen zu wollen.
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Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin klagebefugt. Denn aufgrund ihrer
Aufgabe zur Sicherstellung der Versorgung ist sie zur Anfechtung von Entscheidungen
der Zulassungsgremien befugt (siehe zuletzt etwa BSG, Urteil vom 17.06.2009, B 6 KA
14/08 R = juris; BSG, Urteil vom 02.09.2009, B 6 KA 21/08 R = juris).
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Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Beschluss
des Beklagten im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da dieser rechtswidrig
ist. Zwar kann vom Gericht nicht selbst festgestellt werden, ob sämtliche
Voraussetzungen für die Sonderbedarfszulassung der Beigeladenen zu 7) vorliegen,
weil den Zulassungsgremien ein Beurteilungsspielraum zusteht (dazu sogleich). Jedoch
liegt der Entscheidung des Beklagten ein unvollständig ermittelter Sachverhalt zu
Grunde (dazu sodann).
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Grundlage für die Sonderbedarfszulassung der Beigeladenen zu 7) ist § 101 Abs. 1 Satz
1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V)
i.V.m. § 24 Satz 1 lit b) der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die
Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und
Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie) in
der Neufassung vom 15.02.2007, zuletzt geändert am 19.02.2009 (im Folgenden:
ÄBedarfsplRL; abgedruckt im Bundesanzeiger 2009, S. 1655).
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Nach diesen Vorschriften erfordert die Anerkennung eines Sonderbedarfs die Prüfung
und Feststellung einer besonderen Qualifikation des Arztes (§ 24 Satz 1 lit b) Satz 1
ÄBedarfsplRL) und eines dementsprechenden Versorgungsbedarfs (§ 24 Satz 1 lit b)
Satz 2 ÄbedarfsplRL).
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Das Erfordernis einer besonderen Qualifikation (Schwerpunkt, fakultative Weiterbildung,
besondere Fachkunde, § 24 Satz 1 lit b) Satz 1 ÄbedarfsplRL) ist in der Person der
Beigeladenen zu 7) erfüllt. Denn sie hat sich als Fachärztin für Innere Medizin -
Hämatologie und internistische Onkologie - qualifiziert.
18
Das Vorliegen des zweiten Tatbestandsmerkmals des Versorgungsbedarfs kann das
Gericht nicht selbst feststellen. Den paritätisch besetzten ortsnahen und fachkundigen
19
Zulassungsgremien ist hier ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer
Beurteilungsspielraum eröffnet, da sie eine Vielzahl von Faktoren (wie Anzahl und
Leistungsangebot der niedergelassenen und ermächtigten Ärzte, Bevölkerungs- und
Morbiditätsstruktur, Umfang und räumliche Verteilung der Nachfrage aufgrund der
vorhandenen Verkehrsverbindungen), die für sich und in ihrer Abhängigkeit
untereinander weitgehend unbestimmt sind, in ihre Entscheidung einbeziehen müssen
(siehe u.a. BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 6 KA 35/99 R = juris; BSG, Urteil vom
05.11.2008, B 6 KA 10/08 R = juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
20.05.2009, L 11 B 5/09 KA ER = juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.10.2008,
L 5 KA 3558/07 = juris). Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich im Rahmen des den
Zulassungsgremien zustehenden Beurteilungsspielraums darauf, ob der
Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zu Grunde
liegt, ob die Verwaltung die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs
gegebenen Grenzen eingehalten hat und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so
verdeutlicht hat, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der
Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (BSG, Urteil vom 19.03.1997,
6 Rka 43/96 = juris; BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 6 KA 35/99 R = juris; LSG Nordrhein-
Westfalen, Urteil vom 24.04.2007, L 10 KA 48/06 = juris; LSG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 20.05.2009, L 11 B 5/09 KA ER = juris).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war die vom Beklagten getroffene
Entscheidung aufzuheben, weil er seine Einschätzung, im Versorgungsbereich sei der
internistisch-onkologische Leistungsbedarf nicht ausreichend gedeckt, auf
unvollständige Ermittlungen gegründet hat. Die Unvollständigkeit der
Sachverhaltsermittlung folgt für die Kammer bereits aus dem Umstand, dass der
Beklagte die Entscheidung des Zulassungsausschusses für Ärzte M. vom 24.06.2009
betreffend die dem MVZ T. GbR erteilte Genehmigung zur Beschäftigung der Fachärztin
für Innere Medizin - Hämatologie und internistische Onkologie - Frau Dr. Q. mit Wirkung
zum 01.07.2009 im Umfang von 20 Wochenstunden nicht berücksichtigt hat. Soweit sich
der Beklagte demgegenüber darauf beruft, die Entscheidung des
Zulassungsausschusses vom 24.06.2009 habe ihm zum Zeitpunkt der hier
streitgegenständlichen Zulassungsentscheidung vom 22.07.2009 noch nicht
vorgelegen, so vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen.
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Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Sonderbedarfszulassung sind
grundsätzlich alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung im gerichtlichen Verfahren
eintretenden Tatsachen- und Rechtsänderungen zu berücksichtigen. Es sind damit im
Hinblick auf die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und
Rechtslage die bei einer Vornahmeklage maßgeblichen Grundsätze anzulegen und
zwar auch dann, wenn die Kassenärztliche Vereinigung die Zulassungserteilung an den
Arzt anficht (BSG, Urteil vom 02.09.2009, B 6 KA 34/08 R = juris; BSG, Urteil vom
02.09.2009, B 6 KA 21/08 R = juris). Lediglich in Ausnahmefällen kann die
Berücksichtigung nachteiliger Änderungen verwehrt sein, wenn ein Arzt auf eine
Entscheidung aufgrund einer früheren bestimmten Sach- und Rechtslage, die ihm
Zulassungschancen bot, vertrauen durfte (BSG, Urteil vom 02.09.2009, a.a.O.). Unter
Zugrundelegung dieser Maßgaben hätte der Beklagte jedenfalls die Entscheidung des
Zulassungsausschusses vom 24.06.2009 betreffend die Genehmigung zur Anstellung
der Fachärztin für Innere Medizin - Hämatologie und internistische Onkologie - Frau Dr.
Q. mit Wirkung zum 01.07.2009 im Umfang von 20 Wochenstunden mit in die Bewertung
einfließen lassen müssen, ob ein Sonderbedarf besteht.
Vertrauensschutzgesichtspunkte der Beigeladenen zu 7) stehen dem nicht entgegen.
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Die Beigeladene zu 7) konnte im Hinblick auf eine erteile Zulassung erstmals mit der
Bekanntgabe des Beschlusses des Beklagten vom 22.07.2009 überhaupt ein
schutzwürdiges Vertrauen bilden. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war ihr die
Sonderbedarfszulassung aufgrund der Entscheidung des Zulassungsausschusses vom
04.02.2009 verwehrt. Hinzu kommt, dass die Beigeladene zu 7) spätestens mit der
Bekanntgabe des Beiladungsbeschlusses am 02.11.2009 (Bl. 36 der Gerichtsakte)
damit rechnen musste, dass ihr die verliehene Rechtsposition aufgrund der
Drittanfechtung der Klägerin wieder entzogen wird. Insofern war das Vertrauen, was die
Beigeladene zu 7) ab Bekanntgabe der Entscheidung des Beklagten vom 22.07.2009
im Hinblick auf ihre Zulassung hat bilden können, nur von äußerst kurzer Dauer.
Demgegenüber haben die weiteren Entscheidungen des Zulassungsausschusses für
Ärzte betreffend das MVZ T. vom 23.09.2009 und 22.09.2010 für die Beantwortung der
Frage nach einem entsprechenden Sonderbedarf außer Betracht zu bleiben, weil
Vertrauensschutzgesichtspunkte der Beigeladenen zu 7) entgegen stehen. Die Kammer
gibt insoweit zu bedenken, dass die Rechtsprechung des BSG, nach der grundsätzlich
der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entscheidend ist, dazu führen kann,
dass (angesichts der möglichen Dauer zweier tatsacheninstanzlicher Gerichtsverfahren)
sich die Versorgungslage zu Ungunsten des um eine Sonderbedarfszulassung
nachsuchenden Arztes deutlich verändern kann. War demnach jedenfalls die
Entscheidung des Zulassungsausschusses für Ärzte Köln vom 24.06.2009 betreffend
die Genehmigung zur Beschäftigung der Fachärztin für Innere Medizin - Hämatologie
und internistische Onkologie - Frau Dr. Q. mit Wirkung zum 01.07.2009 im Umfang von
20 Wochenstunden grundsätzlich zu berücksichtigen, so kann der Beklagte auch nicht
mit dem Argument gehört werden, diese Entscheidung sei ihm zum Zeitpunkt seiner
Entscheidung (also am 22.07.2009) noch nicht bekannt gewesen. In Zeiten moderner
Kommunikationsmittel ist es dem Beklagten zuzumuten, sich vor einer
Änderungsentscheidung bei dem Zulassungsausschuss für Ärzte rückzuversichern,
dass in absehbarer Zeit keine Zulassung für den Bereich erteilt wird, den die
Änderungsentscheidung betrifft. Angesichts des obligatorischen Verwaltungsverfahrens
ist auch davon auszugehen, dass jedenfalls der Zeitpunkt entsprechender
Entscheidungen rechtzeitig vorab fest steht.
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Der Beklagte hat jedoch die dem MVZ T. erteilte Genehmigung zur Anstellung der
Fachärztin für Innere Medizin - Hämatologie und internistische Onkologie - Frau Dr. Q.
überhaupt nicht in seine Überlegungen hinsichtlich eines Sonderversorgungsbedarfs
miteinbezogen. Ob aus der dem MVZ T. erteilten Genehmigung zur Anstellung von Frau
Dr. Q. eine andere Versorgungssituation folgt, kann das Gericht wegen des
bestehenden Beurteilungsspielraums nicht selbst beantworten. Dies zu prüfen, wäre
indessen Sache des Beklagten gewesen, zumal die Klägerin im Rahmen des
gerichtlichen Verfahren erklärt hat, das MVZ T. habe auf Anfrage mitgeteilt, es verfüge in
diesem Bereich über freie Kapazitäten und es bestünden keine Wartezeiten für
Patienten.
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Eine unvollständige Ermittlung des Sachverhalts liegt darüber hinaus auch deshalb vor,
weil sich der Beklagte für die Beurteilung des Sonderbedarfs allein auf die
beigezogenen Frequenzübersichten und die Angaben der Beigeladenen zu 7) im
Verwaltungsverfahren verlassen hat. Zwar haben die Zulassungsgremien diejenigen
Ärzte bzw. Praxen zu befragen, die die begehrten Leistungen bereits erbringen und
deren Angaben sind - weil diese interessenorientiert sein können - anhand zugänglicher
weiterer Unterlagen, insbesondere sog. Anzahlstatistiken, zu verifizieren (BSG, Urteil
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vom 02.09.2009, B 6 KA 21/08 R = juris; BSG, Urteil vom 02.09.2009, B 6 KA 34/08 R =
juris). Zunächst aber sind systematische Ermittlungen durch Einholung von Auskünften
bei den im Versorgungsgebiet zugelassenen Arztpraxen anzustellen und anschließend
sind diese Angaben anhand geeigneter Methoden, z.B. durch Anfragen bei den
zuständigen Krankenkassen betreffend Beschwerden über Wartezeiten, zu verifizieren
(BSG, Urteil vom 02.09.2009, B 6 KA 21/08 R = juris). Es ist bereits nicht ersichtlich,
dass der Beklagte systematische Erhebungen durch Befragung der im
Versorgungsgebiet zugelassenen Ärzte angestellt hat. So sind jedenfalls Kapazitäten
der Praxen und Wartezeiten der Patienten im Bereich Hämatologie und internistische
Onkologie bei den im Versorgungsgebiet zugelassenen Vertragsärzten überhaupt nicht
abgefragt worden (dazu, dass das Kriterium der Wartezeiten neben anderen Kriterien
eine zuverlässige Grundlage darstellt, um einen Versorgungsbedarf zu beurteilen, etwa
BSG, Urteil vom 02.09.2009, B 6 KA 21/08 R = juris). Überdies hätte - da die Angaben
der bereits zugelassenen Vertragsärzte interessenorientiert sind - eine kritische
Überprüfung erfolgen müssen. Hierzu hätten z.B. Anfragen bei den zuständigen
Krankenkassen über Beschwerden wegen Wartezeiten erfolgen können, was ebenfalls
unterblieben ist. Die vom BSG weitergehend angestellte Überlegung, ggf. müssten zur
Verifizierung der Angaben sogar Testanrufe bei den entsprechenden Arztpraxen mit der
Bitte um Terminsvergabe erfolgen (BSG, Urteil vom 02.09.2009, B 6 KA 21/08 R = juris,
Rdnr. 24) hält die Kammer indessen für zu weitgehend. Jedenfalls hat der Beklagte
weder systematische Ermittlungen im vom BSG geforderten Sinne durchgeführt, noch
die im Zuge der Ermittlungen erhaltenen Angaben anhand geeigneter Methoden
verifiziert.
Die unvollständige Sachverhaltsaufklärung führt grundsätzlich zur Aufhebung des
angefochtenen Beschlusses und - wegen des den Zulassungsgremien zustehenden
Beurteilungsspielraums, s.o. - der Verpflichtung des Beklagten, die Angelegenheit neu
zu entscheiden (vgl. allgemein LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.02.2009, L 11
KA 98/08 = juris).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beigeladene zu 7) trägt ihre
außergerichtlichen Kosten selbst, weil die Voraussetzungen des § 162 Abs. 3 VwGO
nicht erfüllt sind. Dem unterliegenden Beteiligten können die außergerichtlichen Kosten
eines Beigeladenen in der Regel nur dann auferlegt werden, wenn der Beigeladene
(erfolgreich) Anträge gestellt hat (dazu etwa Leitherer, in: Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 197a Rdnr. 29), was in der
vorliegenden Konstellation nicht der Fall ist.
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Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts bleibt einem gesonderten
Beschluss vorbehalten.
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