Urteil des SozG Aachen vom 15.04.2004

SozG Aachen: aufnahme einer erwerbstätigkeit, grobe fahrlässigkeit, lehrer, pflichtstundenzahl, teilzeitarbeit, mitteilungspflicht, aufnehmen, aufenthalt, verwaltungsakt, haushalt

Sozialgericht Aachen, S 15 EG 10/02
Datum:
15.04.2004
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 15 EG 10/02
Sachgebiet:
Kindergeld-/Erziehungsgeldrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid des beklagten Landes vom 23.05.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.03.2002 wird aufgehoben. Die
außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt das beklagte Land.
Tatbestand:
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Streitig ist die Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung von Erziehungsgeld
für die Zeit vom 24.05.2000 bis 23.10.2000 sowie die Erstattung eines Betrages von
3.000,00 DM.
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Die im Jahre 0000 geborene Klägerin beantragte im Dezember 1999 beim beklagten
Land die Gewährung von Erziehungsgeld für das erste Lebensjahr ihrer am 00.00.0000
geborenen Tochter N Q. Sie gab an, sie sei Lehramtsanwärterin und werde nach Ende
des Mutterschutzes in der Zeit vom 20.12.1999 bis 31.01.2000 (Ende Referendariat)
eine Erwerbstätigkeit von 14 Stunden wöchentlich aufnehmen. Ein neues
Arbeitsverhältnis habe sie nicht in Aussicht. Mit Bescheid vom 14.01.2000 bewilligte das
beklagte Land daraufhin Erziehungsgeld für das erste Lebenjahr der Tochter N.Q ab
deren 3. Lebensmonat in Höhe von 600,00 DM monatlich (bis 23.10.2000).
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Zum 08.05.2000 nahm die Klägerin eine Teilzeittätigkeit von 14 Wochenstunden an
einer Sonderschule für Lernbehinderte in K auf. Die entsprechende Bescheinigung ging
beim beklagten Land am 25. Oktober 2000 ein. Im Rahmen des Anhörungsverfahrens
zur Überzahlung von Erziehungsgeld ab dem 24.05.2000 gab die Klägerin an, eine
volle Erwerbstätigkeit liege erst bei mehr als 19 Stunden wöchentlich vor.
Sonderregelungen für bestimmte Berufsgruppen, wie die der Lehrer sehe das Gesetz
nicht vor. Ihr hätten keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass bereits die
Ausübung einer Tätigkeit von weniger als 19 Stunden wöchentlich den Anspruch auf
Erziehungsgeld entfallen lassen könnte. Insbesondere aus dem ihr von der Beklagten
ausgehändigten Informationsblatt ergebe sich, dass eine Tätigkeit bis zu 19
Wochenstunden erlaubt sei.
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Mit Bescheid vom 23.05.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
26.03.2002 hob das beklagte Land die Entscheidung über die Bewilligung von
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Erziehungsgeld mit Wirkung vom 24.05.2000 auf und forderte von der Klägerin die
Erstattung des in der Zeit vom 24.05.2000 bis 23.10.2000 gezahlten Erziehungsgeldes
in Höhe von 3.000,00 DM. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, durch die Aufnahme der
Teilzeittätigkeit als Lehrerin ab dem 08.05.2000 habe die Klägerin den Anspruch auf
Erziehungsgeld mit Ablauf des 23.05.2000 verloren. Sie habe eine Teilzeittätigkeit von
14 Wochenstunden bei einer wöchentlichen Pflichtstundenzahl von 26 Stunden
aufgenommen. Bei der Beurteilung, ob ein Lehrer bzw. eine Lehrerin eine
Vollerwerbstätigkeit im Sinne der §§ 1 und 2 des Bundeserziehungsgeldgesetzes
(BErzGG) ausübe, sei nicht die tatsächlich vereinbarte Wochenstundenzahl
maßgebend. Es komme vielmehr für den Umfang der zulässigen Teilzeitarbeit von
Lehrern auf das Verhältnis von zu leistenden Wochenstunden zu der maßgeblichen
Pflichtstundenzahl an. Lehrer dürften Teilzeitarbeit bis zu der Stundenzahl verrichten,
die dem Verhältnis von 19 Stunden Arbeitszeit zu einer Vollbeschäftigung entspreche.
Die einschlägigen Richtlinien des Bundesministeriums für Famlie, Senioren, Frauen
und Jugend zur Durchführung des BErzGG seien rechtmäßig. Sie berücksichtigten nicht
nur die tatsächlich zu leistenden Schulstunden, sondern auch die üblicherweise
erforderliche Vor- und Nacharbeitungszeit. Im Falle der Klägerin bedeute dies, dass
lediglich eine Wochenstundenzahl von weniger als 13,08 Stunden für den Bezug von
Erziehungsgeld unschädlich gewesen wäre. Da die Klägerin tatsächlich jedoch 14
Wochenstunden leiste, sei ihr Anspruch auf Erziehungsgeld ab dem 24.05.2000 gemäß
§ 4 Abs. 3 Satz 1 BErzGG entfallen. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2
Nr. 2 SGB X für eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides lägen vor.
Die Klägerin habe die ihr obliegende Mitteilungspflicht dadurch verletzt, dass sie die
Kreisverwaltung Rhein-Lahn nicht zeitnah über die Aufnahme der Teilzeittätigkeit vom
08.05.2000 unterrichtet habe. Unzweifelhaft sei die Arbeitsaufnahme ein
mitteilungspflichtiger Tatbestand im Sinne des § 60 SGB I, da Erziehungsgeld in
Abhängigkeit von einer Erwerbstätigkeit und dem erzielten Einkommen gewährt werde.
Die Klägerin habe die ihr obliegende Mitteilungspflicht auch grob fahrlässig verletzt. Sie
sei ausdrücklich aufgefordert worden, jede Aufnahme einer Tätigkeit, auch einer
geringfügigen, der Kreisverwaltung Rhein-Lahn anzuzeigen. Dieser Hinweis sei im
Bewilligungsbescheid vom 14.01.2000 enthalten. Dieser Verpflichtung sei sie nicht
rechtzeitig nachgekommen. Ermächtigungsgrundlage für die Erstattung des überzahlten
Erziehungsgeldes sei § 50 SGB X.
Mit der hiergegen erhobenen Klage wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen aus dem
Anhörungsverfahren. Sie weist darauf hin, dass sie zumindest nicht grob fahrlässig
gegen ihre Informationspflicht verstoßen habe. Der ihr von der Beklagten vermittelte
Wissensstand ergebe sich aus dem ihr ausgehändigten Informationsblatt, worin
ausgeführt sei, dass eine Teilzeittätigkeit bis zu 19 Wochenstunden erlaubt sei. Sie
habe daher davon ausgehen dürfen, dass nur solche Änderungen für den Anspruch auf
Erziehungsgeld von Bedeutung seien, die nach diesem Informationsblatt nicht erlaubt
waren. Nachdem sie erfahren habe, dass sie eine Vertretungstätigkeit an der
Grundschule in M aufnehmen konnte, habe sie mit der Kreisverwaltung Rhein-Lahn
telefoniert und dies mitgeteilt. Dabei sei mit keinem Wort erwähnt worden, dass für
Lehrer nur eine 13 stündige Tätigkeit ohne Anrechnung auf das Erziehungsgeld bleiben
würde.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt. Schriftsätzlich hat die Klägerin dem Sinne nach
beantragt,
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den Bescheid des beklagten Landes vom 23.05.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.03.2002 aufzuheben.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es weist darauf hin, dass der Klägerin bekannt gewesen sei, dass jede Änderung der
Verhältnisse, insbesondere die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unverzüglich
mitzuteilen war. Hierauf sei sie im Bewilligungsbescheid vom 14.01.2000 ausdrücklich
hingewiesen worden. Hätte sich die Klägerin vor Aufnahme der Teilzeittätigkeit mit dem
Jugendamt in Verbindung gesetzt, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, wäre sie über die
zulässige Arbeitszeit für Lehrer informiert worden.
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Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakten des beklagten Landes
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht konnte vorliegend eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche
Verhandlung treffen, weil die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise
erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetztes -SGG).
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Die zulässige Klage ist auch sachlich begründet.
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Der angefochtene Bescheid des beklagten Landes vom 23.05.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.03.2002 entspricht nicht der Sach- und Rechtslage
und ist daher rechtswidrig. Durch ihn wird die Klägerin beschwert im Sinne des § 54
Abs. 2 SGG, weil die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der
Entscheidung über die Bewilligung von Erziehungsgeld für die Zeit vom 24.05.2000 bis
23.10.2000 nicht vorliegen und die Klägerin daher auch nicht zur Erstattung eines
Betrages in Höhe von 3.000,00 DM verpflichtet ist.
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Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung der Beklagten ist § 48 Abs. 1 Satz 2
Nr. 2 SGB X. Nach dieser Vorschrift soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit
Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit in
den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen
haben, eine wesentliche Änderung eintritt und der Betroffene einer durch
Rechtsvorschrift vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung wesentlicher, für ihn nachteiliger
Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.
Fraglich ist bereits, ob die Aufnahme der Teilzeittätigkeit der Klägerin zum 08.05.2000
eine wesentlilche Änderung der Verhältnisse beinhaltet, die ihren Anspruch auf
Erziehungsgeld entfallen lässt.
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Anspruch auf Erziehungsgeld hat gemäß § 1 Abs. 1 BErzGG, wer einen Wohnsitz oder
seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (Nr. 1), mit einem Kind, für das ihm
die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt (Nr. 2), dieses Kind selbst betreut
und erzieht (Nr. 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr. 4). Gemäß § 2
Abs. 1 Nr. 1 BErzGG in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung, die vorliegend
weiterhin anwendbar ist (§ 24 Abs. 1 BErzGG), wird keine volle Erwerbstätigkeit
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ausgeübt, wenn die wöchentliche Arbeitszeit 19 Stunden nicht übersteigt. Hierbei
handelt es sich um eine absolute Grenze; eine Differenzierung nach bestimmten
Berufsgruppen sieht § 2 BErzGG ausdrücklich nicht vor. Lediglich für Beamte, Richter
und Berufssoldaten ermöglicht § 2 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG sogar eine Beschäftigung von
20 Wochenstunden, soweit die zugelassene gesetzliche Mindestarbeitszeit 20 Stunden
beträgt (vgl. BT-Drucksache 10/3792, Seite 15). Selbst wenn ein Lehrer mit einer
wöchentlichen Arbeitszeit von 19 Stunden naturgemäß Vor- und Nacharbeiten zu
erledigen hat, steht dies angesichts der Selbstbestimmbarkeit von Ort und Zeit der
weiteren Arbeit nicht der persönlichen Erziehung und Betreuung eines Kindes entgegen
(vgl. Irmen in: Hambüchen, Kindergeld, Erziehungsgeld, Elternzeit, § 2 Randziffer 14).
Die Handhabung des beklagten Landes, bei Lehrern lediglich die Hälfte der
wöchentlichen Pflichtstundenzahl als für den Bezug von Erziehungsgeld unschädlich zu
betrachten, widerspricht daher sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck des
Bundeserziehungsgeldgesetzes.
Aber selbst wenn die Aufnahme der Teilzeitbeschäftigung zum 08.05.2000 eine
wesentliche Änderung im Sinne des Gesetzes darstellt, hat die Klägerin jedenfalls nicht
vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihr obliegenden Mitteilungspflichten verletzt. Grobe
Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Zutreffend hat die
Klägerin darauf hingewiesen, dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, jedwede
Aufnahme einer Tätigkeit mitzuteilen, sondern lediglich solche Tätigkeiten, die für den
Erziehungsgeldanspruch von Bedeutung sein konnten. Dies ergibt sich sowohl aus der
Gesetzesformulierung in § 48 SGB X ("wesentlich") als auch aus der Formulierung in §
60 SGB I ("erheblich"). Eine weitergehende Verpflichtung resultiert auch nicht aus dem
Hinweis im Bewilligungsbescheid vom 14.01.2000. Da nach dem ihr ausgehändigten
Informationsblatt während des Erziehungsurlaubs eine Teilzeitarbeit von 19
Wochenstunden erlaubt war, mußte die Klägerin die Aufnahme der Teilzeittätigkeit von
ihrem Kenntnisstand her überhaupt nicht mitteilen. Dies gilt umsomehr, als sie auch bis
zum Ende der Refenrendarzeit (31.01.2000) Erziehungsgeld bezogen hat, obwohl sie
14 Stunden wöchentlich gearbeitet hat.
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Da somit ein Aufhebungstatbestand nicht vorliegt, ist die Klägerin auch nicht zur
Erstattung eines Betrages von 3.000,00 DM verpflichtet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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