Urteil des SozG Aachen vom 12.05.2009

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Sozialgericht Aachen, S 13 KR 164/08
Datum:
12.05.2009
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 13 KR 164/08
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht
zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für zwei Begleitpersonen
(Verdienstausfall: 62,1 Stunden x 15,00 EUR = 931,50 EUR) und Parkgebühren (24,50
EUR) zu ambulanten Behandlungen des Klägers, insgesamt 956,00 EUR.
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Der 1942 geborene Kläger ist dement und steht unter Betreuung. Er war 2008 wegen
eines Bronchialkarzinoms behandlungsbedürftig und musste sich einer Strahlentherapie
unterziehen. Erstmals am 20.06.2008 beantragte der Kläger die Übernahme der
Fahrkosten im Zusammenhang mit der Strahlentherapie. Er legte hierzu
Bescheinigungen der Klinik für Strahlentherapie des Universitätsklinkums Aachen vor,
in denen die medizinische Notwendigkeit für die jeweilige Hin- und Rückfahrt mit einem
Taxi oder einem PKW mit Begleitperson attestiert wurde. Durch bestandskräftigen
Bescheid vom 20.06.2008 erteilte die Beklagte eine Zusage für die Übernahme der
Fahrkosten mittels Taxi oder PKW, nicht jedoch für eine Begleitperson. Am 03.07.2008
beantragte der Kläger erneut die Übernahme der Fahrkosten mit Begleitperson. Auch
auf diesen Antrag hin erteilte die Beklagte durch bestandskräftigen Bescheid vom
08.07.2008 eine Zusage für die Übernahme der Fahrkosten mittels Taxi oder PKW, nicht
jedoch für die Kosten einer Begleitperson.
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In der Zeit vom 25.06. bis 07.08.2008 wurde der Kläger an 30 Tagen ambulant in der
Klinik für Strahlentherapie behandelt.
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Am 21.08.2008 beantragte er die Erstattung von in diesem Zusammenhang
entstandenen Kosten in Höhe von 1.163,00 EUR, und zwar für Begleitpersonen (62,1
Stunden x 15,00 EUR) 931,50 EUR Parkgebühren 24,50 EUR Kilometergeld (690 km x
0,30 EUR) 207,00 EUR insgesamt 1.163,00 EUR. Der Kläger hatte diese Kosten bereits
selbst bezahlt.
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Durch Bescheid vom 28.08.2008 bewilligte die Beklagte unter Berücksichtigung eines
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Eigenanteils von 10,00 EUR Fahrkosten in Höhe von 128,00 EUR. Die Erstattung der
Kosten der Betreuung durch Begleitpersonen und der Parkgebühren lehnte sie ab mit
der Begründung, dies seien keine Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung.
Dagegen legte der Kläger am 11.09.2008 Widerspruch ein. Er vertrat die Auffassung, für
schwerkranke Menschen wie ihn müssten andere kreative Möglichkeiten gefunden
werden, wie sie einer lebensnotwendigen Behandlung zugeführt werden könnten. Es
sei zunächst versucht worden, die Strahlentherapie stationär durchzuführen; das sei
aber von ihm vehement abgelehnt worden; die Klinik für Psychiatrie habe festgestellt,
dass er auf der Station nicht führbar sei; so sei die tägliche Begleitung zur (ambulanten)
Strahlentherapie die einzige praktikable Lösung gewesen. Der Kläger vertrat die
Auffassung, der einer Begleitperson entstehende Verdienstausfall gehöre zu den
Nebenleistungen der stationären Behandlung und sei in tatsächlichem Umfang zu
erstatten. Leistungspflichtig sei die Krankenkasse, die die Hauptleistung trage. Der
Anspruch ergebe sich aus § 11 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die
Krankenkasse habe nicht nur die ausdrücklich im SGB V genannten Leistungen zu
erbringen, sondern auch solche, die an die Stelle einer an sich geschuldeten Leistung
treten und diese Stellvertreterleistung entweder geeigneter oder wirtschaftlicher als die
originär geschuldete Leistung sei. Die ursprünglich geschuldete Leistung sei hier die
Übernahme der Kosten der Mitaufnahme einer Begleitperson bei einer stationären
Behandlung gewesen. Aufgrund der schweren Demenz wäre eine solche Mitaufnahme
unerlässlich gewesen. Da die Mitaufnahme einer Begleitperson bei einer stationären
Therapie erstattungsfähig gewesen wäre, seien es ebenfalls die Kosten einer
Begleitperson zur stellvertretenden ambulanten Therapie. In diesem Zusammenhang
sei auch § 2a SGB V zu beachten und der besonderen Lage des Klägers Rechnung zu
tragen.
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Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 17.11.2008
zurück. Sie erläuterte, dass als Fahrtkosten lediglich 0,20 EUR pro Kilometer für 690
gefahrene Kilometer erstattungsfähig seien; abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung von
10,00 EUR ergebe sich ein Erstattungsbetrag von 128,00 EUR. Grundlage hierfür seien
die §§ 60, 61 SGB V in Verbindung mit den Bestimmungen des
Bundesreisekostengesetzes. Da die Strahlentherapie ambulant und nicht stationär
erfolgt und eine stationäre Behandlung auch nicht medizinisch indiziert gewesen sei,
komme eine Übernahme der Kosten einer Begleitperson gemäß § 11 SGB V nicht in
Betracht.
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Dagegen hat der Kläger am 19.12.2008 Klage erhoben. Er wiederholt im Wesentlichen
seine Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Er macht mit der Klage allein noch
die Kosten für Begleitpersonen in Höhe von 931,50 EUR (62,1 Stunden x 15,00 EUR)
und Park- gebühren in Höhe von 24,50 EUR geltend.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 28.08.2008 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2008 zu ver- urteilen, ihm weitere
956,00 EUR zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der
Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
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Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Über die ihm
erstatteten Fahrtkosten in Höhe von 138,00 EUR für 690 gefahrene Kilometer abzüglich
eines Eigenanteils von 10,00 EUR hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung
weiterer Kosten, die ihm im Zusammenhang mit 30 ambulanten strahlentherapeutischen
Behandlungen für die Inanspruchnahme von Begleitpersonen und durch Parkgebühren
entstanden sind. Es fehlt an einer entsprechenden Anspruchsgrundlage.
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Die Kosten für die Begleitpersonen (Verdienstausfall) können nicht nach § 11 Abs. 3
SGB V beansprucht werden. Danach umfassen die Leistungen zwar auch die aus
medizinischen Gründen notwendige Mitaufnahme einer Begleitperson des Versicherten;
jedoch gilt dies ausdrücklich nur bei stationärer Behandlung. Die strahlentherapeutische
Behandlung des Klägers fand aber ambulant statt.
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Die Erstattung der Kosten für die Begleitpersonen kann auch nicht als so genannte
"Stellvertreterleistung" beansprucht werden. Zwar hat das Bundessozialgericht (BSG)
durch Urteil vom 13.05.1982 - 8 RK 34/81 - (BSGE 53, 273 = SozR 2200 § 182 Nr. 82)
entschieden, dass eine Krankenkasse verpflichtet sein kann, nicht namentlich im Gesetz
genannte Leistungen zu erbringen, wenn diese an die Stelle einer an sich geschuldeten
Leistung treten und diese Ersatzleistung (Stellvertreterleistung) entweder geeigneter
oder wirtschaftlicher als die originär geschuldete Leistung ist. Diese Rechtssprechung
hat das BSG jedoch im Urteil vom 25.06.2002 - B 1 KR 22/01 R (SozR 3-2500 § 38 Nr.
4) aufgegeben. Es hat in ausdrücklicher Abgrenzung zu der Entscheidung vom
13.05.1982 festgestellt, dass das SGB V den Umfang der zur Krankenbehandlung
gehörenden Leistungen abschließend regele; eine dort nicht vorgesehene Leistung
könne auch nicht als so genannte Stellvertreterleistung beansprucht werden. Das
Wirtschaftlichkeitsgebot begrenze den Anspruch auf Krankenbehandlung, vermöge aber
nicht seinerseits einen Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen zu begründen. Im
Übrigen stünde der Anwendung der (früher vom BSG vertretenen, inzwischen
aufgegebenen) Rechtssprechung zur so genannten Stellvertreterleistung entgegen,
dass an Stelle der ambulanten Strahlentherapie eine stationäre
Krankenhausbehandlung im Fall des Klägers offensichtlich nicht geschuldet war. Eine
stationäre Krankenhausbehandlung kann nur beansprucht werden, wenn sie notwendig
ist. Dies ist der Fall, wenn das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und
nachstationäre ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht
werden kann (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Die Strahlentherapie des Klägers konnte
ambulant durchgeführt werden und ist auch tatsächlich ambulant erfolgt. Dass dies, wie
der Kläger nachvollziehbar geschildert hat, nur in Begleitung und Anwesenheit einer
Betreuungsperson möglich war, steht nicht der Tatsache entgegen, dass eine
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ambulante strahlentherapeutische Behandlung ausreichend war. Entsprechend dem
Grundsatz "ambulant vor stationär" lässt eine Leistung, die - wie hier - ambulant erbracht
werden kann, die Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung entfallen
(ständige Rechtsprechung, zuletzt BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 5/05 R;
Beschluss vom 25.09.2007 - GS 1/06; Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 3/08 KR R).
Nichts anderes kann auch aus der vom Kläger herangezogenen Bestimmung des § 2a
SGB V abgeleitet werden. Soweit dort bestimmt ist, dass den besonderen Belangen
behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen ist, folgt daraus eine
Anweisung an die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, bei der Anwendung
und Auslegung der Bestimmungen auf die besonderen Belange behinderter und
chronisch kranker Menschen zu achten. § 2a SGB V vermag aber keine neue
Anspruchsgrundlage für im Gesetz nicht vorgesehene Leistungen zu eröffnen.
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Die Kosten für die Begleitpersonen können - ebenso wie die Kosten für Parkgebühren -
auch nicht als Fahrkosten übernommen werden. Aus § 60 SGB V in Verbindung mit den
dazu ergangenen "Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die
Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach
§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V" (Krankentransport-Richtlinien) und den
Bestimmungen des Bundesreisekostengesetzes ergibt sich, unter welchen
Voraussetzungen und in welcher Höhe Kosten für Fahrten im Zusammenhang mit einer
Leistung der Krankenkasse übernommen werden. Bei Fahrten mit einem Taxi oder
einem PKW zur ambulanten Behandlung gehören die Kosten für eine Begleitperson
während der Fahrt und der Behandlungszeit nicht zu den übernahmefähigen
Fahrkosten. § 7 Abs. 1 Satz 2 der Krankentransport-Richtlinien bestimmt in Abgrenzung
zu § 5 (Rettungsfahrt) und § 6 (Krankentransporte) ausdrücklich, dass bei Fahrten mit
privatem PKW oder Taxen eine medizinisch-fachliche Betreuung des Versicherten nicht
stattfindet. Auch Parkgebühren gehören nicht zu den Fahrkosten, die als Leistung der
gesetzlichen Krankenversicherung von den Krankenkassen übernommen werden
können. Die Beklagte hat daher zurecht für die von ihr genehmigten Krankenfahrten zur
ambulanten onkologischen Strahlentherapie (vgl. hierzu §§ 7, 8 i.V.m. Anlage 2 der
Krankentransport-Richtlinien) für jeden der tatsächlich gefahrenen 690 Kilometer 0,20
EUR, insgesamt 138,00 EUR, als erstattungsfähige Fahrkosten anerkannt; unter
Berücksichtigung des vom Kläger gemäß § 61 SGB V zu leistenden Eigenanteils von
10,00 EUR hat sie zutreffend 128,00 EUR erstattet. Ein weitergehender mit der Klage
verfolgter Erstattungsanspruch besteht nicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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