Urteil des SozG Aachen vom 29.10.2007

SozG Aachen: vollmacht, rücknahme, sachprüfung, verwaltungsverfahren, erlass, fristverlängerung, gerichtsverfahren, unrichtigkeit, bindungswirkung, beweismittel

Sozialgericht Aachen, S 9 U 68/07
Datum:
29.10.2007
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
S 9 U 68/07
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 17 U 252/07
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
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I.
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Streitig sind Hinterbliebenenleistungen an die Klägerin aufgrund des tödlichen Unfalls
ihres Ehemannes am 30.01.2000. Diese hatte die Beklagte mit Bescheid vom
27.06.2000 abgelehnt. Die Klage gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom
24.10.2002 blieb erfolglos. Das klageabweisende Urteil des Sozialgerichtes Aachen
vom 26.03.2002 wurde rechtskräftig.
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Die im November 2002 beantragte Rücknahme des Bescheides vom 27.06.2000 nach §
44 SGB X lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 26.11.2002, Widerspruchsbescheid
vom 20.01.2003), Klage, Berufung und Revision blieben erfolglos (Klageabweisung
durch Urteil des SG Aachen vom 12.02.2004, Berufungszurückweisung durch Urteil des
LSG NRW vom 22.03.2005, Zurückweisung der Revision durch Urteil des BSG vom
10.10.2006).
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Den am 15.11.2006 erneut nach § 44 SGB X gestellten Antrag auf Rücknahme des
Bescheides vom 27.06.2000 lehnte die Beklagte unter Berufung auf die Bestandskraft
der vorausgegangenen Entscheidungen ab (Bescheid vom 28.03.2007;
Widerspruchsbescheid vom 19.06.2007). Im Verwaltungsverfahren übersandten die
Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 16.01.2007 am 18.01.2007 eine
Prozessvollmacht der Klägerin vom 06.06.2007, betreffend "Überprüfungsantrag nach §
44 SGB X".
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Gegen die ablehnenden Bescheide der Beklagte richtet sich die Klage "Namens und in
Vollmacht (beigefügt/folgt) des/der Kläger(in)". Ohne neuen Vortrag in der Sache
wiederholen die Klägerbevollmächtigten im Wesentlichen ihre in den vorangegangenen
Verfahren vorgetragenen Argumente und beanstanden die Begründung der
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vorausgegangenen Urteile.
Die Klägerbevollmächtigten beantragen,
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die Beklagte unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide zu verurteilen, den
tödlichen Arbeitsunfall von Dr. T. H. vom 30.01.2000 als Betriebswegeunfall und Unfall
auf dem Rückweg von der Familienheimfahrt anzuerkennen und zu entschädigen, durch
die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen insbesondere, und zwar im Wege des
Zugunstenbescheides.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Gericht hat die Klägerbevollmächtigte am 18.07.2007 zur Vorlage einer
Prozessvollmacht binnen 4 Wochen aufgefordert und am 21.08.2007 erinnert. Es hat
unter dem 18.09.2007 seine Absicht angekündigt, die Klage durch Gerichtsbescheid
abweisen zu wollen, da diese mangels Vollmachtsvorlage unzulässig und angesichts
der höchstrichterlichen Bestätigung der Rechtsauffassung der Beklagten auch
unbegründet sei. Innerhalb der bis 20.10.2007 eingeräumten Stellungnahmefrist ging
keine Vollmacht ein. Vielmehr teilten die Klägerbevollmächtigten am 01.10.2007 mit, sie
hätten die Klägerin daran erinnert, ihnen Vollmacht zu erteilen.
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II.
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Die Klage ist unzulässig. Die Beteiligten können sich durch Bevollmächtigte vertreten
lassen. Die Vollmacht ist schriftlich zu erteilen und zu den Akten bis zur Verkündung der
Entscheidung einzureichen (§ 73 Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Wird
durch Gerichtsbescheid entschieden, muss die Vollmacht bis zum Erlass des
Gerichtsbescheides vorliegen (LSG BaWü, Urteil vom 22.07.1999, L 6 SB 512/99).
Daran fehlt es hier. Die Klägerbevollmächtigten haben im Klageverfahren trotz
Aufforderung des Gerichtes unter Fristsetzung am 18.07.2007 und am 21.08.2007 keine
Prozessvollmacht vorgelegt. Auch nachdem das Gericht unter dem 18.09.2007
angekündigt hat, die mangels Vollmachtsvorlage unzulässige Klage abzuweisen und
hierzu erneut Gelegenheit zur Stellungnahme bis 20.10.2007 gegeben hat, wurde eine
Vollmacht nicht vorgelegt.
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Die im Verwaltungsverfahren vorgelegte Vollmacht macht die Klage nicht zulässig. Das
Gericht muss sie nicht für das Gerichtsverfahren genügen lassen (BSG, Urteil vom
13.12.2000, B 6 KA 29/00 R; LSG BaWü, a.a.O.), jedenfalls dann nicht, wenn Umstände
dagegen sprechen, dass sie sich auch auf die Klageerhebung beziehen soll (BSG,
Urteil vom 15.08.1991, 12 RK 39/90). Dies ist hier der Fall, denn offenbar hatte die
Klägerin ihren Bevollmächtigten vordatierte Stapelvollmachten erteilt, wie sich daraus
ergibt, dass im Januar 2007 eine auf Juni 2007 datierte Vollmacht vorgelegt wurde. Das
Gericht hatte deshalb Anlass zu Zweifeln an der Gültigkeit der erteilten Vollmacht für
das vorliegende Verfahren. Diese verstärken sich durch das am 01.10.2007
eingegangene Schreiben der nach eigenen Angaben bevollmächtigten Rechtsanwälte,
in dem sie angeben, sich um die Erteilung einer Vollmacht bemühen zu wollen, woraus
zugleich ersichtlich ist, dass eine solche Vollmacht bisher nicht erteilt war. Eine
Fristverlängerung war nicht erbeten worden.
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Die demgemäß unzulässige Klage hätte aber auch in der Sache keinen Erfolg. Denn
die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 27.06.2000 nach § 44
SGB X liegen nicht vor (zu den Voraussetzungen im Einzelnen siehe LSG NRW, Urteil
vom 07.03.2007, L 17 U 49/06). Ergibt sich im Rahmen des Antrages auf Erlass eines
Zugunstenbescheides nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen
könnte, darf sich die Verwaltung ohne Sachprüfung auf die Bindungswirkung der
früheren Bescheide berufen. Denn sie soll nach allgemeiner Auffassung nicht durch
aussichtslose Anträge, die beliebig oft wiederholt werden können, immer wieder zu
einer neuen Sachprüfung gezwungen werden (BSG, SozR 3-1300 § 44 Nr. 1). Neue
Tatsachen, Erkenntnisse oder Beweismittel, die für die Entscheidung wesentlich sein
könnten, haben die Klägerbevollmächtigten nicht vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
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