Urteil des SozG Aachen vom 19.05.2010

SozG Aachen (höhe, krankenversicherung, private krankenversicherung, kläger, ablauf der frist, zuschuss, auslegung, antrag, gesetzliche grundlage, vag)

Sozialgericht Aachen, S 5 AS 154/09
Datum:
19.05.2010
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 5 AS 154/09
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 6 AS 1117/10
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10.11.2009 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2009 und unter
Abänderung des Bescheides vom 10.09.2009 in der Gestalt der
Änderungsbescheide vom 23.10.2009 und vom 21.01.2010 verurteilt,
dem Kläger im Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 31.12.2009 einen
monatlichen Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe
von 258,22 EUR unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen und
den anteiligen Selbstbehalt für 2009 in Höhe von 60,00 EUR sowie im
Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 28.02.2010 einen monatlichen
Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 308,42
EUR unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen und den anteiligen
Selbstbehalt für 2010 in Höhe von 6,86 EUR zu bewilligen und
auszuzahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des
Klägers dem Grunde nach.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten um die Höhe der von der Beklagten zu übernehmenden Kosten
für die private Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers im Zeitraum von
September 2009 bis Februar 2010.
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Der am 00.00.0000 geborene Kläger war bis 2008 selbstständig tätig. Er ist bei der
Barmenia Krankenversicherung a.G. privat kranken- und pflegeversichert. Dabei handelt
es sich um einen Normaltarif, für den im Jahr 2009 ein Beitrag in Höhe von 236,90 EUR
für die Krankenversicherung und in Höhe von 21,32 EUR für die Pflegeversicherung zu
zahlen war. Der Beitrag im Jahr 2010 beträgt 287,20 EUR für die Krankenversicherung
und 21,22 EUR für die Pflegeversicherung. Vertraglich ist eine Selbstbeteiligung in
Höhe von (maximal) 180,00 EUR vorgesehen.
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Auf Antrag des Klägers vom 31.08.2009 bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom
10.09.2009 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für
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Arbeitssuchende - (SGB II) für den Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 28.02.2010. Dabei
gewährte sie dem Kläger einen monatlichen Zuschuss in Höhe von 124,32 EUR zur
Krankenversicherung und einen monatlichen Zuschuss in Höhe von 17,79 EUR zur
Pflegeversicherung. Am 23.10.2009 erließ die Beklagte einen Änderungsbescheid,
ohne dass der Zuschuss zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung geändert wurde.
Mit Änderungsbescheid vom 21.01.2010 erhöhte die Beklagte ab 01.01.2009 den
monatlichen Zuschuss zur Krankenversicherung auf 126,05 EUR und zur
Pflegeversicherung auf 18,04 EUR.
Bereits am 28.10.2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Berufung auf
einen Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen die Übernahme der Beiträge für
seine Kranken- und Pflegeversicherung in voller Höhe. Mit Bescheid vom 10.11.2009
lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf vollumfängliche Übernahme der Kosten
für die Kranken- und Pflegeversicherung ab. Es sei nur der Betrag zu übernehmen, der
auch für Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu
tragen ist. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 03.12.2009 unter Berufung auf
Beschlüsse des Landessozialgerichts Baden-Württemberg und des Sozialgerichts
Stuttgart sowie ein Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe Widerspruch ein, den die
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2009 zurückwies. Eine gesetzliche
Grundlage für den Ausgleich der beim Kläger vorhandenen Deckungslücke sei nicht
vorhanden. Den vom Kläger zitierten gerichtlichen Entscheidungen könne aufgrund der
Gesetzesbindung der vollziehenden Gewalt nicht gefolgt werden.
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Am 18.12.2009 hat der Kläger Klage erhoben. Der Anspruch auf Übernahme der vollen
Beiträge zur privaten Krankenversicherung ergäbe sich aus einer analogen Anwendung
des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB II. Es läge eine planwidrige
Regelungslücke vor. Es sei nicht vorgesehen, dass der Kläger die nicht übernommenen
Kosten für seine Versicherung aus der Regelleistung finanziere. Der Kläger werde
durch die beschränkte Übernahme der Versicherungskosten in eine Schuldenfalle
getrieben, welches nicht mit der Menschenwürde zu vereinbaren sei.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.11.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 04.12.2009 zu verurteilen, ihm einen weiteren Zuschuss
zum Versicherungsbeitrag der privaten Kranken- und Pflegeversicherung in voller Höhe
dieser Beiträge, begrenzt auf die Höhe es hälftigen Basistarifs, zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen in den
Widerspruchsbescheiden und führt ergänzend aus, dass eine Auslegung der
entscheidenden Vorschriften dahingehend, dass der SGB II-Träger einen höheren
Beitrag zu übernehmen hat, nicht möglich sei. Der eindeutige Wortlaut einer
gesetzlichen Vorschrift sei die Grenze jeder Auslegung. Eine Auslegung gegen den
klaren Wortlaut einer gesetzlichen Bestimmung sei unzulässig. Zudem läge auch keine
planwidrige Regelungslücke vor. Dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens und der
nachfolgenden Debatte im Bundestag lasse sich entnehmen, dass die Lücke zwar
gesehen, eine Einigung über eine diesbezügliche Regelung aber nicht gefunden
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worden sei. Unter Berufung auf ein Urteil des Sozialgerichts Berlin führt die Beklagte
abschließend aus, dass in einer solchen Konstellation den Gerichten eine vom
Gesetzeswortlaut abweichende Entscheidung verwehrt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2
Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt. Er hat einen Anspruch auf einen
monatlichen Zuschuss zu seiner privaten Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von
258,22 EUR im Zeitraum vom 01.09.2009 bis zum 31.12.2009, auf Übernahme des
anteiligen Selbstbehalts für 2009 in Höhe von 60,00 EUR, auf einen monatlichen
Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 308,42 EUR im Zeitraum
vom 01.01.2010 bis zum 28.02.2010 sowie auf Übernahme des anteiligen Selbstbehalts
für 2010 in Höhe von 6,86 EUR, so dass der bestandskräftige Bescheid vom 10.09.2009
in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 23.10.2009 und vom 21.01.2010
entsprechend abzuändern ist.
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Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht
unrichtig angewandt worden ist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht
erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden
ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 des
Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und
Sozialdatenschutz - (SGB X). Dieses ist der Fall. Die Beklagte hätte dem Kläger im
streitgegenständlichen Zeitraum von September 2009 bis Februar 2010 mit den
genannten Bescheiden Zuschüsse zu der privaten Kranken- und Pflegeversicherung in
voller Höhe zuzüglich eines anteiligen Selbstbehalts in genannter Höhe bewilligen
müssen.
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Dieses ergibt sich aus einer teleologischen und verfassungskonformen Auslegung des
§ 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 des
Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) bzw. des § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB II (so wohl
auch Sozialgericht Stuttgart, Beschluss vom 13.08.2009, S 9 AS 5003/09 ER; vgl.
zudem Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.09.2009, L 3 AS
3934/09 ER-B). Das erkennende Gericht folgt damit im Ergebnis den Gerichten, von
denen in dieser Konstellation eine analoge Anwendung des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
SGB II (vgl. u.a. Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 10.08.2009, S 5 AS 2121/09;
Sozialgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 02.10.2009, S 31 AS 174/09 ER;
Sozialgericht Düsseldorf, Urteile vom 12.04.2010, S 29 AS 547/10 bzw. S 29 AS 412/10;
vgl. auch Sozialgericht Stuttgart, Urteil vom 14.01.2010, S 9 AS 5449/09 - anhängig
beim Bundessozialgericht, B 14 AS 36/10 R) oder eine Anwendung der
Härtefallregelung im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
09.02.2010 (1 BvL 1/09, 3/09, 4/09) (vgl. Sozialgericht Bremen, Urteil vom 20.04.2010, S
21 AS 1521/09) befürwortet wird (a.A. u.a. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 03.12.2009, L 15 AS 1048/09 B ER; Landessozialgericht
Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.02.2010, L 15 AS 26/10 B ER;
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.03.2010, L 13 AS 919/10
ER-B; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22.03.2010, L 9 AS 570/09 B
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ER; Sozialgericht Dresden, Beschluss vom 18.09.2009, S 29 AS 4051/09 ER;
Sozialgericht Berlin, Urteil vom 27.11.2009, S 37 AS 31127/09).
Das Gericht verkennt nicht, dass bei wortgetreuer Anwendung der gesetzlichen
Regelung des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1c Satz 6 VAG die
Beiträge des Klägers zu seiner privaten Krankenversicherung von der Beklagten nur in
Höhe des Betrages zu übernehmen wären, der auch für einen Bezieher von
Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist. Den
Differenzbetrag hätte danach der Kläger selbst zu tragen. Zu beachten ist indes, dass
ein wortgetreue Anwendung dann nicht in Betracht kommt, wenn insbesondere Sinn
und Zweck der Vorschrift (aber auch Entstehungsgeschichte und
Gesamtzusammenhang der Vorschriften) eine andere Deutung zulassen und eine
wortgetreue Anwendung zu unerträglichen Ergebnissen führen würde. Dann kommt
eine verfassungskonforme Auslegung in Betracht, die ihre Grenzen erst dort findet, wo
sie zu dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch
treten würde (vgl. Bundesverfassungsgericht, Entscheidung vom 24.05.1995, BVerfGE
93, 37). Eine Auslegung gegen den Wortlaut ist somit ausnahmsweise zulässig (a.A.
Sozialgericht Berlin, Urteil vom 27.11.2009, S 37 AS 31127/09).
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Die Änderung des § 5 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche
Krankenversicherung - (SGB V) zum 01.01.2009, d.h. insbesondere die Einführung des
neuen Abs. 5a, nach dem ein Bezieher von Arbeitslosengeld II, der unmittelbar vor dem
Bezug dieser Leistungen privat krankenversichert war, nicht versicherungspflichtig ist,
und die parallele Einführung eines Basistarifs in der privaten Krankenversicherung im
vergleichbaren Umfang des Leistungsangebots der gesetzlichen Krankenversicherung,
ändert nichts an der gesetzlichen Konzeption des SGB II, dass für Leistungsempfänger
ein umfassender Krankenversicherungsschutz ohne Beitragsbelastung vorgesehen ist
(vgl. Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 10.08.2009, S 5 AS 2121/09; Sozialgericht
Gelsenkirchen, Beschluss vom 02.10.2009, S 31 AS 174/09 ER). Es ist nicht ersichtlich,
dass der Gesetzgeber durch den neugeregelten Verbleib des Hilfebedürftigen in der
privaten Krankenversicherung eine Bedarfsunterdeckung bezweckt hat. Vielmehr ist der
Entstehungsgeschichte der neuen Vorschriften zu entnehmen, dass der Gesetzgeber
zwar eine gesetzliche Diskrepanz in Kauf genommen hat, er sich jedoch zum einen
bewusst war, keine abschließende Lösung der Problematik gefunden zu haben (vgl.
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.06.2009, L 2 SO 2529/09
ER-B; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.12.2009, L 15
AS 1048/09 B ER), und er sich zum anderen gerade nicht bewusst mit den erheblichen
Folgen dieser neuen Gesetzeslage auseinandergesetzt hat. Im
Gesetzgebungsverfahren konnte kein Konsens erzielt werden, ob die Unternehmen der
privaten Krankenversicherungen oder die Allgemeinheit zusätzlich belastet werden
sollen; nicht bezweckt war hingegen, die Leistungsempfänger mit zusätzlichen
erheblichen Beiträgen zu belasten. Auch die weitere Entwicklung (vgl. BT-Drucksache
16/13965, Nr. 25 vom 28.08.2009) zeigt, dass die Gesetzgebungsorgane einen
entsprechenden Handlungsbedarf sahen bzw. sehen. Von einer Vereitelung einer
"Regelungsabsicht" des Gesetzgebers (so Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 03.12.2009, L 15 AS 1048/09 B ER) kann aber dann nicht gesprochen
werden, wenn im Rahmen einer teleologischen Auslegung die gesetzliche Konzeption
der Gewährleistung eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes ohne
Beitragsbelastung für die SGB II-Leistungsempfänger aufrecht erhalten bleibt.
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Ausgehend von dieser teleologischen Auslegung der gesetzlichen Regelung des § 26
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Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist gerade auch aufgrund einer verfassungskonformen
Auslegung eine wortgetreue Anwendung des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 12
Abs. 1c Satz 6 VAG abzulehnen. Eine existenzgefährdende Bedarfsunterdeckung ist mit
dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus
Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20
Abs. 1 GG (vgl. dazu insbesondere Bundesverfassungsgericht, Entscheidung vom
09.02.2010, 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09) nicht zu vereinbaren. Die Differenz zwischen dem an
das Unternehmen der privaten Krankenversicherung zu zahlenden Beitrag und dem
gemäß des Wortlautes des § 12 Abs. 1c Satz 6 VAG von dem SGB II-Leistungsträger zu
gewährenden Zuschuss in Höhe des Betrages, der auch für einen Bezieher von
Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist, müsste der
Bedürftige faktisch aus seiner Regelleistung finanzieren. Dafür ist die Regelleistung
gemäß § 20 SGB II indes nicht vorgesehen; sie dient der Sicherung des
Lebensunterhaltes und nicht der Bestreitung der Kosten einer Absicherung im
Krankheitsfall (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom
16.09.2009, L 3 AS 3934/09 ER-B; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 03.12.2009, L 15 AS 1048/09 B ER). Solange demnach der
Gesetzgeber nicht eine Absenkung des reduzierten Beitrages zum Basistarif der
privaten Krankenversicherung auf die Höhe des Zuschusses für in der gesetzlichen
Krankenversicherung versicherte SGB II-Leistungsempfänger gesetzlich festlegt, ist zur
Vermeidung einer mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen
Existenzminimums nicht zu vereinbarenden existenzgefährdenden
Bedarfsunterdeckung eine Übernahme der Kosten zur privaten Krankenversicherung
maximal bis zur Höhe des halbierten Basistarifs angezeigt.
"Für dieses Ergebnis spricht zudem ein ansonsten auftretender Wertungswiderspruch in
der Behandlung der Gruppe von Hilfeempfängern, die bereits ohne Berücksichtigung
der Beiträge für die private Krankenversicherung hilfebedürftig sind, einerseits, und der
Gruppe der Hilfeempfänger, bei denen Hilfebedürftigkeit erst unter Berücksichtigung
entsprechender Beiträge gegeben ist, andererseits. Nur auf erstere Gruppe von
Hilfebedürftigen bezieht sich § 12 Abs. 1c Satz 6 VAG, was dazu führen würde, dass nur
für diese Gruppe ein Anspruch nur in Höhe der Beiträge in Höhe der für einen gesetzlich
Krankenversicherten aufzubringenden Beiträge bestünde. Eine entsprechende
Beschränkung wäre hingegen für die andere Gruppe der Hilfebedürftigen nicht
vorgesehen. Für diese gälte § 12 Abs. 1c Satz 5 VAG, wonach sich der zuständige
Träger nach dem SGB II oder SGB XII im erforderlichen Umfang beteiligt, soweit
dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird. Damit erfolgt hier keine Beschränkung auf
die für einen gesetzlich Krankenversicherten aufzuwendenden Beträge. Danach hätte
z.B. ein Hilfebedürftiger, der über ein geringes Einkommen verfügte, mit dem er seinen [
...] Bedarf ohne Berücksichtigung seiner Krankenversicherungsbeiträge gerade noch
abdecken könnte, der aber bereits bei Berücksichtigung minimaler
Krankenversicherungsbeiträge hilfebedürftig würde, gemäß § 12 Abs. 1c Satz 5 VAG
Anspruch auf die volle Übernahme der ihm entstehenden Beiträge im halbierten
Basistarif. Es ist aber kein Grund ersichtlich, warum ein Hilfebedürftiger, der
möglicherweise nur einen ganz geringen Teil seiner Krankenversicherungsbeiträge aus
eigenem Einkommen selbst abdecken kann, einen Anspruch gegenüber dem
Grundsicherungsträger in Höhe des halbierten Basistarifes haben soll, nicht hingegen
ein bereits auch ohne die Berücksichtigung der Krankenversicherungsbeiträge
Hilfebedürftiger" (so überzeugend Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 18.12.2009, L 9 B 49/09 SO ER; vgl. auch Landessozialgericht Baden-
Württemberg, Beschluss vom 30.06.2009, L 2 SO 2529/09 ER-B; Landessozialgericht
20
Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.09.2009, L 3 AS 3934/09 ER-B).
Es kann dahin stehen, ob demnach eine analoge Anwendung des § 26 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 SGB II oder des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1c Satz 5 VAG in
Betracht kommt. Nach den Rechtsfolgen beider Tatbestände ist dem SGB II-
Leistungsempfänger der Beitrag zu bewilligen, der für eine Krankenversicherung zu
zahlen ist, die dem Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht.
Übertragen auf den Fall des Klägers, also eines Hilfeempfänger, der bereits ohne
Berücksichtigung der Beiträge für die private Krankenversicherung hilfebedürftig ist, sind
die Kosten zur privaten Krankenversicherung maximal bis zur Höhe des halbierten
Basistarifs zu übernehmen.
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Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger bislang nicht in den Basistarif
gewechselt ist. Der Krankenversicherungsbeitrag im Jahr 2009 in Höhe von monatlich
236,90 EUR zuzüglich eines anteiligen Selbstbehalts von 15,00 EUR (180,00 EUR / 12
Monate) liegt unter dem halbierten Basistarif in Höhe von 284,82 EUR (3.675,00 EUR x
15,5 % / 2). Die Überschreitung des halbierten Basistarifs in Höhe von 290,63 EUR
(3.750,00 EUR x 15,5 % / 2) für das Jahr 2010 aufgrund des
Krankenversicherungsbeitrages im Jahr 2010 in Höhe von monatlich 287,20 EUR
zuzüglich des genannten anteiligen Selbstbehalts führt nicht zur Begrenzung auf den
Betrag, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen
Krankenversicherung zu tragen ist, sondern nur zur Begrenzung auf die Höhe des
halbierten Basistarifs, also im vorliegenden Fall - neben der Zahlung des monatlichen
Krankenversicherungsbeitrages in Höhe von 287,20 EUR - zu einer zusätzlichen
Übernahme des Selbstbehalts in Höhe von monatlich 3,43 EUR.
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Entsprechendes gilt auch für die von der Beklagten zu übernehmenden Kosten für die
private Pflegeversicherung gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB II, also die Aufwendungen
für eine angemessene private Pflegeversicherung im notwendigen Umfang. Dabei ist
nicht nur der Beitrag zu zahlen, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in
der sozialen Pflegeversicherung zu zahlen ist (so Landessozialgericht Niedersachsen-
Bremen, Beschluss vom 03.12.2009, L 15 AS 1048/09 B ER), sondern der tatsächliche
Beitrag zur privaten Pflegeversicherung, maximal aber bis zur Hälfte des
Höchstbeitrages zur sozialen Pflegeversicherung, d.h. im Jahr 2009 35,83 EUR
(3.675,00 EUR x 1,95 % / 2) und im Jahr 2010 36,56 EUR (3.750,00 EUR x 1,95 % / 2).
Die Beiträge des Klägers sind sowohl im Jahr 2009 (21,32 EUR) als auch im Jahr 2010
(21,22 EUR) günstiger als diese Maximalbeträge, so dass sie komplett von der
Beklagten zu übernehmen sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulässig, da der
Beschwerdewert von 750,00 EUR überschritten wird.
25
Rechtsmittelbelehrung:
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Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
27
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim
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Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen,
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schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
einzulegen.
30
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem
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Sozialgericht Aachen, Adalbertsteinweg 92, 52070 Aachen,
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schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
eingelegt wird.
33
Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte
eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten
Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel
angeben.
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Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter
Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn
sie von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf
Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem
Sozialgericht Aachen schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag
beizufügen.
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Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so
beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem,
sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt
und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.
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Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf
die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.
37
Dr. Wille
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