Urteil des SozG Aachen vom 19.09.2003

SozG Aachen: arbeitslosenhilfe, dingliches recht, erbengemeinschaft, haus, anteil, grundstück, witwe, wohnrecht, verwertung, freibetrag

Sozialgericht Aachen, S 8 AL 36/03
Datum:
19.09.2003
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 AL 36/03
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 12 AL 245/03
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 12.11.2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16.04.2003 wird aufgehoben. Die
Beklagte wird verurteilt, Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe der
gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des
Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
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Der am 00.00.0000 geborene Kläger bezog bis zum 22.10.2002 Arbeitslosengeld. Für
die Zeit danach beantragte er Arbeitslosenhilfe. Der Kläger ist mit seinem Bruder in
Erbengemeinschaft Eigentümer einer Wohn- und Gebäudefläche in der Lstraße 00
(City-Gebiet) in B. Das Grundstück ist mit einem bedingten Nießbrauchrecht für die
Witwe des Erblassers I1, I2 belastet. Der Erblasser hat der Witwe im Wege des
Vermächtnisses den lebenslänglichen Nießbrauch an dem gesamten
Nachlassvermögen mit der Maßgabe eingeräumt, dass dieses Nießbrauchsrecht
vorzeitig bei einer Wiederverheiratung der Witwe endet. In der Eintragungsbewilligung
ist der Verkehrswert des Grundbesitzes mit 500.000,00 DM angegeben. Neben diesem
Vermögen hat der Kläger ein Barvermögen von 700,00 EUR, einen Anspruch aus
Girokonto in Höhe von 1.828,10 EUR, aus einem Sparbuch in Höhe von 1.168,48 EUR
und aus einer Lebensversicherung in Höhe von 3.614,73 EUR. Zudem besteht ein
Lebensversicherungsvertrag bei der Concordia Versicherungsgruppe, die bei einer
Einzahlung bis zum 01.12.2002 in Höhe von 13.860,00 DM eine Rückvergütung in
Höhe von 7.069,80 DM vorsieht.
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Mit Bescheid vom 12.11.2002 lehnte die Beklagte den Antrag auf Arbeitslosenhilfe ab.
Der Kläger verfüge über ein Vermögen in Höhe von 135.134,28 EUR, das verwertbar
und dessen Verwertung zumutbar sei. Unter Berücksichtigung eines Freibetrages in
Höhe von 23.920,00 EUR verblieben 111.214,28 EUR.
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Im Widerspruchsverfahren meinte der Kläger, das Haus gehöre einer
Erbengemeinschaft und sei allein deshalb nicht verwertbar. Aufgrund der Belastung mit
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dem Nießbrauch sei es außerdem nicht möglich, das Haus zu verkaufen.
Aufgrund einer Nachfrage durch die Beklagte teilte die Stadt B mit, dass der
Verkehrswert nach einer durchgeführten Wertermittlung abzüglich des
Nießbrauchrechts ca. 240.000,00 EUR betrage.
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Mit Bescheid vom 16.04.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Anteil
des Klägers an dem Haus- und Grundbesitz sei durch Verkauf bzw. durch Beleihung
verwertbar, dies sei jedenfalls im Rahmen einer Erbauseinandersetzung möglich. Dass
die Mutter des Klägers lebenslangen Nießbrauch an dem Objekt habe, mindere zwar
den Wert des Objektes, diese Belastung als Bestandteil des Vermögens stelle jedoch
kein Hinderungsgrund dar, das Vermögen zu veräußern oder zu beleihen und den
entsprechenden Markt- bzw. Beleihungswert zu erzielen.
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Hiergegen richtet sich die am 22.04.2003 erhobene Klage. Der Kläger hat ergänzend
erläutert, dass sich in dem Haus Lstraße 00 ein Geschäftslokal sowie vier Wohnungen
befinden. In dem Geschäftslokal hat der Bruder ein kleines Jagd- und Waffengeschäft.
Drei Wohnungen sind vermietet, in einer Wohnung wohnt die Mutter. Die Mieten werden
an die Mutter gezahlt. Bei dem Nießbrauchrecht handelt es sich nicht nur um ein
dingliches Wohnrecht sondern um einen umfänglichen Nießbrauch, der sich auf die
gesamten Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung bezieht. Die Mutter hat auch
für den Unterhalt des Hauses zu sorgen.
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Der Kläger meint, hieraus ergebe sich die Unverwertbarkeit des Vermögens. Er
beantragt,
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den Bescheid vom 12.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
16.04.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosenhilfe nach
Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im
Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe.
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Die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 190 Abs. 1 Nr. 1 - 4 SGB III liegen vor, denn der
arbeitslos gemeldete Kläger hat nach dem Bezug von Arbeitslosengeld keinen
Anspruch auf diese Leistung mehr. Der Kläger ist auch bedürftig im Sinne des § 190
Abs. 1 Nr. 5 SGB III. Bedürftig ist gemäß § 193 Abs. 1 SGB III ein Arbeitsloser, soweit er
seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet
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oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe
nicht erreicht. Nicht bedrüftig ist gemäß § 193 Abs. 2 SGB III ein Arbeitsloser, solange
mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt
lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder das Vermögen einer Person, die mit dem
Arbeitslosen im eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Arbeitslosenhilfe
nicht gerechtfertigt ist.
Der Kläger hat kein im Sinne dieser Vorschrift zu berücksichtigendes Vermögen.
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Die Bestimmung des Vermögens richtet sich nach der gemäß § 206 Nr. 1 SGB III
erlassenen Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV).
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Da der Kläger einen im Jahre 2002 entstandenen Anspruch erhebt gelten bis zum
31.12.2002 die Vorschriften der AlhiV 2002 weiter, ab dem 01.1.2003 gilt dies auch für
den Freibetrag gemäß § 1 Abs. 2 AlhiV (§ 4 Abs. 2 AlhiV 2002 i.d.F. ab 01.01.2003).
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Das Hausgrundstück gehört nicht zum berücksichtigenden Vermögen. Gemäß § 1 Abs.
1 AlhiV ist lediglich das verwertbare Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen.
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Das Hausgrundstück ist nicht verwertbar.
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Entgegen der Meinung des Klägers steht die Tatsache, dass er lediglich in
Erbengemeinschaft Inhaber des Grundstücks ist, der Verwertung allerdings nicht
entgegen. Denn gemäß § 2033 Abs. 1 S. 1 BGB kann jeder Miterbe über sein Anteil an
dem Nachlaß verfügen. Damit steht ein Nachlassanteil der wirtschaftlichen
Verwertbarkeit zur Verfügung.
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Auch die Tatsache, dass das Hausgrundstück mit einem Nießbrauch belastet ist, ist
rechtlich kein Verwertungshindernis. Gemäß § 1030 Abs. 1 BGB handelt es sich bei
dem Nießbrauch um ein dingliches Recht, dass zwar den wirtschaftlichen Wert des
Grundstückes mindert, einer Verfügung über das Grundstück jedoch nicht entgegen
steht.
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Indes ist trotz dieser rechtlichen Verwertbarkeit der Anteil des Klägers an der
Erbengemeinschaft aufgrund des Nießbrauchrechts der Mutter derzeit wirtschaftlich
wertlos. Bei dem der Mutter eingeräumten dinglichen Nießbrauchsrecht handelt es sich
nicht lediglich um ein Wohnrecht, sondern die Mutter ist berechtigt, die gesamten
Früchte aus dem Grundstück zu ziehen. Ihr stehen ein Wohnrecht und die Ansprüche
aus dem Mietverhältnissen zu. Es gäbe für einen Käufer keinerlei nachvollziehbares
Interesse, den Erbanteil des Klägers derzeit zu erwerben, weil er keinerlei
Gegenleistungen zu erwarten hätte. Der rechtliche Anteil des Klägers an der
Erbengemeinschaft erstarkt erst dann zu einem wirtschaftlichen Vorteil, wenn das
Nießbrauchsrecht der Mutter durch deren Tod oder deren Wiederverheiratung endet.
Allein die statistische Lebenserwartung der 76jährigen Mutter ist so hoch, dass nach
Überzeugung der Kammer kein Käufer bereit wäre, bereits jetzt ein Zahlung für den
Erbanteil des Klägers zu leisten.
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Die übrigen Vermögenswerte des Klägers erreichen den Freibetrag gemäß § 1 Abs. 2
AlhiV 2002 in Höhe von 23.920,00 EUR nicht, so dass der Kläger insgesamt kein
verwertbares Vermögen hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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