Urteil des SozG Aachen vom 09.06.2006

SozG Aachen: minderung, erfüllung, abgrenzung, sozialhilfe, auszahlung, inhaber, verbrauch, verbindlichkeit, unterkunftskosten, erlass

Sozialgericht Aachen, S 8 AS 18/06
Datum:
09.06.2006
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 AS 18/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 12 AS 28/06
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 06.10.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.02.2006 wird abgeändert. Die
Beklagte wird verurteilt, Arbeitslosengeld II in Höhe von 42,23 EUR auch
für Oktober und November 2005 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten
des Klägers zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
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Der Kläger wendet sich gegen die Anrechnung eines Guthabens bei einem
Energieversorgungsunternehmen auf seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II.
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Der am 00.00.1944 geborene Kläger beantragte im Juni 2005 Arbeitslosengeld II. Er
stand bis Juli 2004 in einem Beschäftigungsverhältnis, seit 01.08.2004 ist er arbeitslos.
Er hat im Jahr 2004 keine Sozialhilfe bezogen. Mit Bescheid vom 21.07.2005 bewilligte
die Beklagte für die Zeit vom 12.07.2005 bis zum 31.01.2006 Arbeitslosengeld II (unter
Anrechnung von Arbeitslosengeld) in Höhe von monatlich 55,83 EUR. Am 15.08.2005
teilten die T B AG (T) dem Kläger mit, er habe für den Abrechnungszeitraum 10.12.2004
bis 27.07.2005 hinsichtlich seines Gasverbrauches ein Guthaben in Höhe von 82,24
EUR. Das Guthaben floss dem Kläger am 22.08.2005 zu.
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Mit Bescheid vom 06.10.2005 rechnete die Beklagte im Oktober und November 2005
jeweils 41,12 EUR wegen des Guthabens bei der T auf das Arbeitslosengeld II des
Klägers an.
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Im Widerspruchsverfahren meinte der Kläger, bei dem Guthaben bei der T handele es
sich um geschütztes Vermögen, nicht um Einkommen. Es dürfe daher nicht angerechnet
werden.
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Mit Bescheid vom 22.02.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie stützte die
Entscheidung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Das T-Guthaben sei mit Zahlung an
den Kläger am 22.08.2005 als Einkommen anzusehen, welches zur Minderung des
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Anspruchs auf Arbeitslosengeld II führe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 06.03.2006 erhobene Klage. Die
Beteiligten verweisen auf ihr bisheriges Vorbringen.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 06.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
22.02.2006 aufzuheben, soweit das Guthaben bei der T auf das Arbeitslosengeld II
angerechnet wird.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne
des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
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Für die Entscheidung der Beklagten fehlt es an einer Ermächtigungsgrundlage.
Insbesondere kann die Beklagte sich nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X stützen.
Hiernach (i. V. m. §§ 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 3 SGB III) ist ein Verwaltungsakt
mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach
Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt
worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.
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Der Zufluss des T-Guthabens am 22.08.2005 ist nicht als Einkommen zu
berücksichtigen.
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Bereits im Bereich des Sozialhilferechts war anerkannt und höchstrichterlich geklärt,
dass Einkommen alles das ist, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazuerhält und
Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Dabei ist grundsätzlich vom
tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als
maßgeblich bestimmt - normativer Zufluss - (BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 35/97
= NJW 1999, 3649 = info also 2000, 37). Zur Abgrenzung von Einkommen und
Vermögen nach dem, was zufließt, und dem, was bereits vorhanden war, ist zu
berücksichtigen, dass Einnahmen grundsätzlich aus bereits bestehenden
Rechtspositionen erzielt werden. Da eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch
nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, gehört sie, wenn sie dem
Inhaber bereits zusteht, auch zu seinem Vermögen. Im Falle der Erfüllung einer
Geldforderung ist grundsätzlich nicht auf die Forderung, sondern deren Erfüllung
abzustellen. Grundsätzlich ist die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert
damit als Einkommen anzusehen. Das gilt allerdings nicht für Fälle, in denen mit bereits
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erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde (BVerwG a. a. O.). Dann kann es
normativ geboten sein, nicht auf den Zufluss, sondern auf die erfüllte Forderung
abzustellen.
Auch die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit zum Grundsicherungsrecht hat sich
diesem Ansatz angeschlossen (SG Leipzig, Urteil vom 16.08.2005 - S 9 AS 405/05 ER;
zum Schrifttum vgl. Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 11 Rdnr. 16 ff.
"Zuflusstheorie").
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist es geboten, das Guthaben des Klägers
bei der T und dessen Auszahlung nicht als Einkommen, sondern als Vermögen
anzusehen. Der Kläger hat das Guthaben dadurch erzielt, dass er den Gasverbrauch
reduziert hat. Der Abrechnungszeitraum fällt fast ausschließlich in einen Zeitraum, in
dem der Kläger keine Sozialhilfe und kein Arbeitslosengeld II bezogen hat. Lediglich für
wenige Tage im Juli 2005 reicht der Abrechnungszeitraum in den Zeitraum des Bezugs
von Arbeitslosengeld II hinein. Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass im Juli 2005
ohnehin kaum Heizkosten angefallen sein dürften und Einkommen auf die
Regelleistung und die Unterkunftskosten angerechnet wird, weshalb der Kläger den
Gasverbrauch auch im Juli 2005 teilweise selbst finanziert hat.
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Das Guthaben bei der T ist damit nicht anders zu bewerten, als bewusst und freiwillig
angespartes Geld, welches der Kläger beispielsweise auf ein Sparbuch eingezahlt
hätte.
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Hinzu kommt, dass eine Berücksichtigung des Guthabens als Einkommen unbillig wäre.
Hätte der Kläger hinsichtlich seines Energieverbrauches kein vernünftiges Verhalten
gewählt, sondern im Gegenteil der Verbrauch seine Abschlagszahlungen überschritten,
hätte er nunmehr gegenüber der T eine Verbindlichkeit, welche von der Beklagten - wie
diese im Erörterungstermin mitgeteilt hat - ausgeglichen worden wäre. Auch dieses
unbillige Ergebnis spricht dafür, im Rahmen der normativen Abgrenzung von
Einkommen und Vermögen das Guthaben bei der T trotz Zufluss des Betrages im
August 2005 als Vermögen anzusehen.
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Als Vermögen führt das Guthaben nicht zu einer Minderung des Arbeitslosengeldes II,
weil der Kläger kein weiteres Vermögen hat und die Freibeträge des § 12 Abs. 2 nicht
erreicht werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Das Gericht hat die Berufung zugelassen, weil die zugrunde liegenden Rechtsfrage
grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat.
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