Urteil des SozG Aachen vom 15.09.2005

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Sozialgericht Aachen, S 9 AL 44/05
Datum:
15.09.2005
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 9 AL 44/05
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die
Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
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Der 1951 geborene Kläger war zuletzt vom 03.01.2000 bis 31.10.2003 als Polsterer
beschäftigt. Auf seinen Antrag hin bewilligte die Beklagte ihm Arbeitslosengeld ab
01.11.2003 (Bescheid vom 13.10.2003) für 720 Tage. Veranlasst durch ab 01.01.2005
geltende neue Berechnungsvorschriften berechnete die Beklagte die Leistung ab
01.01.2005 neu (Änderungsbescheid vom 02.01.2005), wobei sich der tägliche
Leistungssatz des Klägers von 29,81 auf 29,76 EUR verringerte.
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Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, durch die Verringerung des täglichen
Leistungssatzes verliere er 18,25 EUR pro Jahr, durch die pauschale Berechnung aller
Leistungsmonate mit 30 Tagen gehen zusätzlich der Leistungsanspruch für 5 volle
Tage, also weitere 148,80 EUR verloren. Das Leistungsjahr dürfe nicht willkürlich
verkürzt werden.
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Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 09.03.2005).
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Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kläger vorträgt, sein wöchentliches
Bemessungsentgelt sei von 448,38 auf 448,35 EUR abgerundet worden, was
rechnerisch unzulässig sei. Durch die Leistungskürzung fehle ihm das Geld für 5 Tage.
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Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 02.01.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 09.03.2005 zu verurteilen, den täglichen Leistungssatz
des Arbeitslosengeldes bei 29,81 EUR zu belassen und für jeden Kalendertag des
Leistungszeitraumes zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie sei nach den aktuellen Berechnungsvorschriften vorgegangen. Soweit sich nach
dem Internet-Berechnungsprogramm der Bundesagentur ein höherer Leistungsanspruch
ergebe, sei dieses Berechnungsprogramm im Hinblick auf übergangsrechtliche
Vorschriften nicht anzuwenden.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
Die Beklagte hat das Arbeitslosengeld des Klägers zutreffend berechnet.
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Nach den ab dem 01.01.2005 geltenden Regelungen des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB III) beträgt das Arbeitslosengeld für Arbeitslose, bei denen –
wie beim Kläger – kein Kind zu berücksichtigen ist, 60 % des pauschalierten
Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, dass der
Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt, § 129 Nr. 2 SGB
III). Das Bemessungsentgelt ist nach § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III das durchschnittliche
auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, dass der Arbeitslose im
Bemessungszeitraum erzielt hat. Wenn aber – wie im Falle des Klägers – der
Arbeitslosengeldanspruch schon vor dem 01.01.2005 bestand, ist grundsätzlich weiter
das Bemessungsentgelt zugrunde zu legen, nach dem das Arbeitslosengeld bisher
berechnet wurde (§ 434j Abs. 5 SGB III).
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Der Kläger hatte Arbeitslosengeld bis zum 31.12.2004 nach einem Bemessungsentgelt
von 448,38 EUR wöchentlich erhalten. Dieses Bemessungsentgelt ist also weiter
maßgeblich. Ab dem 01.01.2005 ist es jedoch nicht mehr für die Woche, sondern für den
Tag zu ermitteln (§ 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III), so dass ein weiterer Berechnungsschritt
erforderlich ist.
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Wie das bisherige wöchentliche auf das künftige tägliche Bemessungsentgelt
umzurechnen ist, ist nur vordergründig eindeutig. Die Beklagte hat, wie es naheliegt,
den wöchentlichen Betrag von 448,38 EUR durch 7 geteilt und so – unter Rundung auf
zwei Stellen hinter dem Komma – ein tägliches Bemessungsentgelt von 64,05 EUR
ermittelt.
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Diese auf den ersten Blick plausibel erscheinende Berechnungsweise ist nicht
zwingend. Das von der Beklagten 2004 ermittelte wöchentliche Bemessungsentgelt von
448,38 EUR beruht auf dem vom Kläger erzielten Monatseinkommen, das im
Bemessungszeitraum konstant bei 1.943,- EUR lag. Nach § 134 SGB III in der ab
01.01.2005 geltenden Fassung wird das Arbeitslosengeld für Kalendertage berechnet
und geleistet. Ist es für einen vollen Kalendermonat zu zahlen, ist dieser mit 30 Tagen
anzusetzen. Die Gesetzesbegründung zu § 134 SGB III (Gesetzentwurf der
Bundesregierung, BRatDr 557/03 vom 15.08.2003) nennt lediglich
verwaltungspraktische Gründe für die Umstellung: Werde das Arbeitslosengeld in
monatlich stets gleich bleibender Höhe gezahlt, erspare dies verwaltungsaufwendige
monatlich wiederkehrende Bearbeitungsvorgänge z. B. bei der Berücksichtigung von
Abzweigungen und Pfändungen. Dass eine Leistungskürzung beabsichtigt gewesen
wäre, lässt sich der Begründung nicht entnehmen. Man könnte deshalb auf den
Gedanken kommen, aus dem wöchentlichen Bemessungsentgelt zunächst den
Jahresbetrag zu ermitteln und diesen durch 360 zu teilen. Multipliziert man im
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vorliegenden Fall das der Berechnung des Bemessungsentgelts zugrunde gelegte
Monatseinkommen von 1.943,- EUR mit 12 und verteilt es sodann auf die (nur) 360
Leistungstage, so ergäbe sich ein tägliches Bemessungsentgelt von 64,77 EUR, mit der
Folge, dass dem Kläger, wie beantragt, höhere Leistungen zu bewilligen gewesen
wären. Genau dieses Ergebnis erzielte man auch mit dem Internet-
Berechnungsprogramm der Beklagten noch im Juni 2005, wenn man das
Bemessungsentgelt des Klägers auf den Monat hochrechnete und daraus den
Arbeitslosengeld-Anspruch errechnen ließ. Das Programm ist allerdings mittlerweile
dahingehend geändert worden, dass es bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts nun
nicht mehr mit 360, sondern mit 365 Tagen rechnet.
Diese Vorgehensweise, die im Ergebnis mit den Berechnungen der Beklagten in den
angefochtenen Bescheiden übereinstimmt, hält die Kammer auch für zutreffend, so dass
dem Kläger kein Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld zusteht.Denn für die
Umrechnung des bisher maßgeblichen Wochenentgelts in Tage gibt es in § 339 SGB III
einen gesetzlichen Maßstab: Danach wird für die Berechnung von Leistungen ein Monat
mit 30 Tagen und eine Woche mit 7 Tagen berechnet. Ist demnach – wie hier – ein
wöchentlicher Betrag auf einen täglichen umzurechnen, so ist der Wochenbetrag auf 7
Tage zu verteilen, wie es hier die Beklagte auch getan hat ... Da die Gesetzesänderung
insgesamt der Verwaltungsvereinfachung dienen soll (insbesondere auch die
Übergangsvorschrift des § 434j Abs. 5 SGB III, vgl. BRatDr 557/03, Begründung zu Nr.
249 Abs. 5 - § 434j – Seite 318) und alle der Umrechnung zugrundezulegenden Werte
bei der Beklagten als für die Woche berechnete Beträge vorliegen, entspricht die
Berechnung, wie sie die Beklagte durchgeführt hat, dem gesetzgeberischen Willen.
Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nicht jeder Fall so einfach gelagert ist,
wie der des Klägers (mit jeweils konstant gleichbleibenden Monatsbeträgen) so dass
eine andere Sichtweise zu durchaus komplizierteren Neuberechnungen würde führen
müssen, die angesichts der Tatsache, dass der Leistungsanspruch aller aktuellen
Leistungsempfänger am 31.12.2004 umzustellen war und des damit verbundenen
verwaltungstechnischen Aufwandes vom Gesetzgeber sicher nicht gewollt war.
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Dass die Beklagte Leistungen künftig nur noch in der Weise bewilligt, dass volle Monate
unabhängig von ihrer tatsächlichen Dauer jeweils mit 30 Tagen berücksichtigt werden –
mit der Folge, dass durchschnittlich 5 Leistungstage pro Jahr entfallen – entspricht der
ab 01.01.2005 geltenden gesetzlichen Regelung. § 134 SGB III sieht nämlich vor, dass
das Arbeitslosengeld für Kalendertage berechnet und geleistet wird; ist es für einen
vollen Kalendermonat zu zahlen, ist dieser mit 30 Tagen anzusetzen. Dem Kläger
gehen hierdurch Leistungsansprüche verloren, denn sein Bemessungsentgelt wurde
errechnet auf der Basis eines Jahres mit 366 Tagen, wie dies jedenfalls 2004 zutreffend
war. Für die Berechnungsgrundlagen der Leistungen wird demnach das Jahr durch 366
geteilt, für die Zahlung aber nur wieder mit 360 multipliziert, wodurch eine Differenz zu
Lasten des Klägers entsteht. Der Kläger erhält demnach nicht das volle Äquivalent
seines durch Beitragszahlungen erworbenen und deshalb eigentumsgeschützten (Art.
14 GG) Anspruchs. Die Kammer ist dennoch nicht von der Verfassungswidrigkeit des
Übergangsrechtes überzeugt. Ein Anspruch auf eine unveränderte weitere Anwendung
des alten Rechtes besteht nicht, ein rückwirkender Eingriff liegt nicht vor. Rechte und
Pflichten, die im Rahmen einer Solidargemeinschaft wie der Arbeitslosenversicherung
entstehen, sind einem steten Wandel unterlegen, durch den sich für den einzelnen
Versicherten im Laufe der Zeit auch Nachteile ergeben können, die dieser bei einem
gerechtfertigten Eingriff wegen des Solidar- und Ausgleichscharakters der Versicherung
zu tragen hat. Die Neuregelung ist sachlich gerechtfertigt durch das mit ihr verbundene
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Ziel der Vereinfachung der Berechnung des Arbeitslosengeldes und den damit
verbundenen deutlich verminderten Arbeits- und Kostenaufwand bei der Beklagten, der
letztlich den Versicherten wieder zugute kommt.
Ob dies bei Neubewilligungen nach dem 31.12.2004 genau so zu sehen wäre (so
Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 05.08.2005, S 7 AL 132/05), kann hier aufgrund des
rein übergangsrechtlichen Sachverhaltes offen bleiben. Offen bleiben kann
insbesondere auch, ob aus §§ 131 Abs. 1 S. 1, 134 S. 2 SGB III geschlossen werden
kann, dass nach neuem Recht das Bemessungsentgelt auf der Basis der tatsächlichen
Kalendertage (also regelmäßig 365 pro Jahr) zu ermitteln ist, während die Auszahlung
nur für 360 Tage zu erfolgen hat, oder ob sich nicht doch aus § 339 Abs. 1 S. 1 SGB III
ergibt, dass auch für die zur Berechnung des Bemessungsentgeltes notwendige
Aufteilung des Einkommens im Bemessungszeitraumvolle Monate nur mit 30 Tagen zu
berücksichtigen sind (a.A. SG Düsseldorf, a.a.O.), wie es das Berechnungsprogramm
der Beklagten im Internet bis zu seiner Änderung vor wenigen Wochen auch vorsah.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
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Da die Klage nur den Zeitraum vom 01.01. bis zum 23.10.2005 und einen
Leistungsanspruch unter 500,00 Euro betrifft, wäre eine Berufung gegen dieses Urteil
grundsätzlich nicht statthaft (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Kammer misst der
entschiedenen Rechtsfrage aber grundsätzliche Bedeutung bei und hat die Berufung
deshalb zugelassen.
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