Urteil des SozG Aachen vom 25.01.2011

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Sozialgericht Aachen
Urteil vom 25.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Aachen S 20 AY 4/10
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger begehren von der Beklagten die Zustimmung zur Anmietung einer größeren Wohnung und die Übernahme
der dadurch entstehenden Kosten.
Die Klägerin zu 1) wurde am 00.00.0000 in Nigeria geboren und lebt seit 02.11.1992 in Deutschland. Sie ist die Mutter
der am 00.00.0000 geborenen Klägerin zu 2) und deren Halbbruder, des am 00.00.0000 geborenen Klägers zu 3), die
beide in Deutschland geboren sind und seitdem hier leben. Alle drei Kläger sind nigerianische Staatsangehörige. Der
Vater der Klägerin zu 2) ist britischer Staatsangehöriger und nach Angaben der Kläger zurzeit verschollen; bereits im
August 2000 haben er und die Klägerin zu 1) sich getrennt. Die britische Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 2) ist
nicht festgestellt oder geklärt worden. Der Aufenthalt der Klägerin zu 1) ab 02.11.1992 und der Klägerin zu 2) ab deren
Geburt war bis 10.05.1999 gestattet bzw. geduldet; aus humanitären Gründen erhielten sie ab 11.05.1999 eine
Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 bzw. § 31 Ausländergesetz (AuslG), ab 29.09.1999 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß
§ 35 Abs. 2 bzw. § 21 AuslG; seit Januar 2005 sind sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5
Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Der Aufenthalt des Klägers zu 3) in Deutschland war seit seiner Geburt - abgeleitet
vom Recht der Mutter - erlaubt; seit 05.12.2007 ist auch er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5
AufenthG.
Die Kläger beziehen von der Beklagten laufende Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Sie
bewohnen mit zwei weiteren Kindern der Klägerin zu 1), die am 00.00.0000 und 00.00.0000 geboren sind, eine von der
Klägerin zu 1) selbst ab 01.01.2005 angemieteten Wohnung. Von der Geburt des jüngsten Kindes im Jahre 2008 bis
Sommer 2010 wohnte in dieser Wohnung auch noch der Lebensgefährte der Klägerin zu 1) und Vater der beiden
jüngsten Kinder. Die Wohnung ist 84,45 qm groß und besteht aus drei Zimmern, Küche, Diele, Bad mit Toilette und
Balkon. Die dafür anfallenden Kosten der Unterkunft für Miete (518,00 EUR) und Heizung (72,30 EUR) trägt die
Beklagte.
Ende November/Anfang Dezember 2009 beantragte die Klägerin zu 1) für sich und ihre Kinder anlässlich einer
persönlichen Vorsprache bei der Beklagten die Zustimmung zur Anmietung einer größeren Wohnung. Sie legte hierzu
ein Angebot für eine 120 qm große Wohnung (Nettokaltmiete: 630,00 EUR; Nebenkostenvorauszahlung: 200,00 EUR
inclusive Heizkosten) vor. Die Kläger sind im Besitz eines Wohnberechtigungsscheins (WBS) für eine Wohnung bis
120 qm.
Die Beklagte lehnte den Antrag im Rahmen der Vorsprache mündlich ab.
Dagegen erhoben die Kläger am 03.12.2009 Widerspruch. Sie vertraten die Auffassung, selbst wenn bei
Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG der notwendige Unterkunftsbedarf nach § 3 AsylbLG grundsätzlich geringer
zu bemessen wäre als der sozialhilferechtliche Bedarf auf eine angemessene Wohnung, könnten Hilfeempfänger wie
sie, bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen auf unabsehbare Zeit nicht vollzogen werden könnten, nicht auf
unbestimmte Zeit auf eine behelfsmäßige Unterbringung verwiesen werden. Aufgrund des Familienzuwachses sei die
bisherige Wohnung zu klein geworden. Sie hätten Anspruch auf Leistungen entsprechend dem Zwölften Buch
Sozialgesetzbuch (SGB XII) und damit auch Anspruch auf angemessenen Wohnraum.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 08.01.2010 zurück. Sie meinte, die Kläger
hätten (nur) Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG. Dazu gehöre die Deckung des notwendigen Bedarfs an
Unterkunft. Grundsätzlich werde dieser Bedarf durch Zurverfügungstellung von Wohnraum in einem städtischen
Übergangsheim gedeckt. Nur infolge von Leistungsänderungen, die mit Gesetzesänderungen im Aufenthaltsrecht
verbunden seien, werde die bisherige selbst gemietete Wohnung anerkannt und deren Kosten übernommen. Jedoch
lägen keine besonderen Umstände vor, die nun einen Anspruch auf Zustimmung zum Umzug in eine größere -
sozialhilferechtlich angemessene - Wohnung und die Übernahme der damit verbundenen Kosten begründeten.
Dagegen haben die Kläger am 05.02.2010 Klage erhoben. Sie verweisen darauf, bei der Anmietung der aktuellen
Wohnung habe die Familie nur aus drei Personen bestanden; durch Geburt von zwei Kindern und den - zeitweiligen -
Zuzug des Kindesvaters sei die Wohnung zu klein geworden. Sie sind der Auffassung, Anspruch auf Leistungen nach
§ 2 AsylbLG analog dem SGB XII und damit auf eine angemessene Wohnung zu haben; sie verweisen insoweit auf
den Antrag und die Klagebegründung im Verfahren S 20 AY 11/09. Sie seien zudem im Besitz eines Aufenthaltstitels,
der einen Anspruch auf Ausstellung eines WBS vermittele, den sie auch besäßen; auch aus diesem Grund bestehe
ein Anspruch auf eine größere Privatwohnung. Zumindest bestehe ein auf Null reduziertes Ermessen, die Kosten für
eine Privatwohnung zu übernehmen. Das Vorenthalten privaten Wohnraums stelle sich in ihrem Fall als eine an die
Staatsangehörigkeit anknüpfende Diskriminierung dar, die gegen Art. 8 und Art. 14 der europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) verstosse und sachlich nicht gerechtfertigt sei. Die Kläger nehmen insoweit
Bezug auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EuGHMR) vom 18.02.1999 in der
Rechtssache Larkos gegen Zypern.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung der Ende November/Anfang Dezember 2009 ergangenen mündlichen
Ablehnungsentscheidung in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.01.2010 zu verurteilen, die
Zustimmung zur Anmietung einer größeren Privatwohnung zu erteilen und die Kosten einer größeren angemessenen
Privatmietwohnung zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist darauf, dass in der gegenwärtigen Wohnung jedem Familienmitglied bei der Belegung mit sechs
Personen im Durchschnitt 14 qm zur Verfügung stünden. Die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur
Angemessenheit einer Wohnung im Rahmen der Leistungen nach dem SGB XII seien auf Leistungen nach dem
AsylbLG nicht übertragbar. Aus dem erteilen WBS ergebe sich kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine
Wohnung mit 120 qm; die Ausstellung des WBS beruhe auf einer Richtlinie des Ministeriums für Bauen und Verkehr
des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21.09.2006, wonach die Wohngeldstellen gehalten seien, Ausländern mit (u.a.)
auf ein Jahr befristeten Aufenthaltserlaubnissen - wie den Klägern nach § 25 Abs. 5 AufenthG - einen WBS zu
erteilen. Der Leistungsanspruch der Kläger bemesse sich aber allein nach dem AsylbLG; da die Kläger noch keine 48
Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen hätten, sei der Unterkunftsbedarf auf den notwendigen Bedarf
begrenzt; dem genüge die bisherige Wohnung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der
Beklagten sowie die Gerichtsakte S 20 AY 11/09 und die darin befindlichen weiteren Verwaltungsakten der Beklagten,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Kläger haben derzeit keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB
XII und damit auch keinen Anspruch auf Zustimmung zur Anmietung einer angemessen großen Wohnung und
Übernahme der damit verbundenen Kosten in angemessenem Umfang gem. § 29 SGB XII. Zur weiteren Begründung
wird auf die Entscheidung der Kammer vom heutigen Tag im Verfahren S 20 AY 11/09 Bezug genommen.
Die Kläger haben Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG. Diese umfassen u.a. den notwendigen Bedarf an
Unterkunft.
Der Umstand, dass die Kläger im Besitz eines WBS sind, begründet den mit der Klage verfolgten Anspruch nicht. Der
WBS ist lediglich die allein nach wohnraumförderungsrechtlichen Maßstäben erteilte Bescheinigung, dass die
Wohnungssuchenden nach diesem Recht berechtigt sind, eine entsprechende Wohnung zu beziehen. Er erweitert
aber keine Ansprüche nach dem AsylbLG, insbesondere ersetzt er keine Zustimmung zur Anmietung oder begründet
er - bei Anmietung einer nach sozialhilferechtlichen Maßstäben angemessenen Wohnung - Anspruch auf Übernahme
der Kosten einer solchen Unterkunft.
Auch die lange Aufenthaltsdauer und die Art des Aufenthaltstitels - hier: die Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5
AufenthG - begründen keinen Anspruch auf die Anmietung einer größeren als die bisherige Wohnung. Der "notwendige
Bedarf" an Unterkunft nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG begrenzt den Leistungsanspruch auf die Unterbringung in einer
Gemeinschaftsunterkunft und die damit verbundenen Kosten, ersatzweise die Kosten für die Anmietung privaten
Wohnraums, der aber der Größe nicht sozialhilferechtlichen Maßstäben entsprechen muss. Dass die Kläger ab
01.01.2005 im Hinblick auf die damalige - offenbar nicht rechtmäßige - Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) eine private Wohnung anmieten konnten, deren Kosten nun auch die Beklagte als
Träger von Leistungen nach dem AsylbLG übernimmt, begründet keinen Anspruch auf eine noch größere Wohnung.
Dies gilt erst Recht im Hinblick darauf, dass die damalige Zustimmung nicht von der Beklagten, sondern für die für
SGB II-Leistungen zuständige ARGE erteilt worden ist.
Leistungen nach § 3 AsylbLG zur Befriedigung des notwendigen Bedarfs an Unterkunft sind nach pflichtgemäßem
Ermessen zu bewilligen. § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG definiert selbst nicht den "notwendigen Bedarf von Unterkunft",
der durch Sachleistungen gedeckt wird. Es ist jedoch anerkannt, dass dieser Bedarf geringer zu bemessen ist als der
nach den Maßstäben des SGB XII im Recht der Sozialhilfe anerkannte Bedarf an einer "angemessenen Wohnung"
(vgl. § 29 SGB XII), der wiederum sich an den Maßstäben des sozialen Wohnungsbaus orientiert (OVG
Niedersachsen, Beschluss vom 04.12.2003 - 4 ME 476/03). Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG haben kein
gesichertes Aufenthaltsrecht. Ihr Aufenthalt ist, auch wenn er in Einzelfällen Jahre lang dauern kann, nur auf eine
vorübergehende Zeit angelegt. Andererseits können Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, bei denen
aufenthaltsbeendende Maßnahmen aktuell nicht vollzogen werden dürfen, weil z.B. - wie bei den Klägern - einer
Abschiebung humanitäre Gründe entgegenstehen, nicht darauf verwiesen werden, sich auf unbestimmte Dauer mit
einer behelfsmäßigen Unterbringung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit zufrieden zu geben. Da sie aber Anspruch
auf eine Unterkunft als Sachleistung haben, sind sie gerade nicht obdachlos. Der "notwendige Bedarf von Unterkunft"
bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Zahl der Familienangehörigen, ihrem
Alter und ihren jeweiligen Grundbedürfnissen (OVG Niedersachsen a.a.O.). Diesen Grundbedürfnissen genügt die
derzeitige Wohnung der Kläger. Die Wohnung wird aktuell von einer Erwachsenen - der Klägerin zu 1) -, zwei
schulpflichtigen Kindern - den Klägern zu 2) und 3) - und zwei weiteren kleineren Kindern der Klägerin zu 1) bewohnt.
Das OVG Niedersachsen (a.a.O.) hat für eine Familie mit vier Personen zur Befriedigung der jeweiligen
Grundbedürfnisse (Zubereiten von Mahlzeiten, Essen, Schlafen, Erledigen von Schularbeiten, Inanspruchnahme von
Informations- und Unterhaltungsmöglichkeiten, Wahrung der jeweiligen Intimsphäre) eine Unterkunft mit mindestens
zwei Wohnräumen oder einem größeren Raum und der gleichwertigen Möglichkeit der Schaffung zweier getrennter
Wohnbereiche als notwendig, aber auch ausreichend angesehen. Überträgt man dies auf die Wohnung der Kläger und
die darin lebenden fünf Personen, so ist der notwendige Bedarf der Kläger im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG
durch diese Wohnung mit drei Wohnräumen, Küche, Diele, Bad und WC sowie Balkon auch unter Berücksichtigung
der Wohnungsgröße von 84,45 qm (d. h. durchschnittlich knapp 17 qm pro Person) gedeckt. Im Hinblick darauf ist die
Entscheidung der Beklagten nicht ermessensfehlerhaft.
Eine Reduzierung des Ermessens auf Null und daraus folgend ein Anspruch auf Zustimmung einer größeren
(angemessenen) Wohnung und Übernahme der dadurch bedingten Mehrkosten könnte allenfalls dann in Erwägung
gezogen werden, wenn wichtige - z.B. gesundheitliche - Gründe keine andere Entscheidung zuließen. Solche Gründe
sind aber weder vorgetragen noch ersichtlich.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von den Klägern herangezogenen Vorschriften der Art. 8 und 14 EMRK
sowie der Entscheidung des EuGHMR vom 18.02.1999 in der Sache Larkos gegen Zypern. Art. 8 EMRK garantiert
das Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Art. 14
EMRK statuiert das allgemeine Diskriminierungsverbot; danach ist der Genuss der in dieser Konvention anerkannten
Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der
Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der
Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu
gewährleisten. Der Umstand, dass die Beklagte den notwendigen Bedarf der Kläger an Unterkunft durch
Zurverfügungstellung einer 84,45 qm großen Wohnung mit drei Zimmern, Küche, Diele, Bad mit Toilette und Balkon
deckt, indem sie die Kosten dieser Wohnung trägt, beinhaltet nach Auffassung der Kammer offensichtlich keinen
Verstoß gegen Art. 8 oder Art. 14 EMRK. Das von den Kläger herangezogene Urteil des EuGHMR vom 18. Februar
1999 ist noch nicht mal im Ansatz auf den Fall der Kläger übertragbar. Dort ging es um einen griechischen Beamten,
der von seinem Arbeitgeber, dem Finanzministerium, ein Haus gemietet hatte; dieser Mietvertrag war nach
Beendigung des Dienstverhältnisses gekündigt worden, und dem Beschwerdeführer drohte seitdem eine
Zwangsräumung in einer Art und Weise, wie sie in einem Verhältnis zwischen privaten Vermietern und Mietern nach
zypriotischem Recht nicht gedroht hätte. Dass der EuGHMR in dieser Situation einen Verstoß gegen das
Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 8 EMRK erkannt hat, ist nachvollziehbar und überzeugend.
Diese Situation ist aber mit der der Kläger in keiner Weise vergleichbar.
Nach alledem besteht nach Auffassung der Kammer kein auf Null reduziertes Ermessen der Beklagten, dem
Klagebegehren zu entsprechen. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.