Urteil des SozG Aachen vom 12.12.2003
SozG Aachen: arbeitslosenhilfe, unechte rückwirkung, freibetrag, kaufmännischer angestellter, verwertung, kapital, bedürftigkeit, arbeitsmarkt, lebensversicherungsvertrag, arbeitsloser
Sozialgericht Aachen, S 8 AL 111/03
Datum:
12.12.2003
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 AL 111/03
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 9 AL 24/04
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 17.07.2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 02.09.2003 wird aufgehoben. Die
Beklagte wird verurteilt, Arbeitslosenhilfe ab 01.07.2003 nach Maßgabe
der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten
des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe ab Juli 2003.
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Der am 00.00.0000 geborene Kläger arbeitete von August 1969 bis zum 30.06.1993 als
kaufmännischer Angestellter bei der Firma N GmbH. Aufgrund des Wegfalls der
Grenzkontrollen wurde das Beschäftigungsverhältnis betriebsbedingt beendet. Seither
ist der Kläger arbeitslos, ab Juni 1994 bezog er Anschluss-Arbeitslosenhilfe. Die
Beklagte lehnte den Antrag auf Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 30.06. bis 28.12.1994
zunächst ab, weil der Kläger wegen verwertbaren Vermögens nicht bedürftig sei. Dabei
berücksichtigte sie den Rückkaufwert einer seit 1976 bestehenden Kapital-
Lebensversicherung und eines Sparguthabens. Das Sozialgericht Aachen und das
Landessozialgericht NRW haben diese Entscheidung aufgehoben und die Beklagte
verurteilt, dem Kläger auch für den genannten Zeitraum Arbeitslosenhilfe zu zahlen. Die
Verwertung der Lebensversicherung sei dem Kläger nicht zuzumuten, weil sie unter
Berücksichtigung seiner und der Lebenshaltung seiner Familie billigerweise nicht
erwartet werden könne. Diese Entscheidungen wurden vom Bundessozialgericht mit
Urteil vom 29.01.1997 - Az: 11 RAr 21/96 - bestätigt. Die Berücksichtigung der
Lebensversicherung bei der Bedürftigkeitsprüfung sei ausgeschlossen, weil die
Verwertung dem Kläger und seiner Ehefrau nicht zumutbar sei. Das BSG stützte die
Entscheidung auf § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV vom
07.08.1974), wonach nicht zumutbar die Verwertung von Vermögen ist, das zum Aufbau
oder zur Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage oder zur Aufrechterhaltung
einer angemessenen Alterssicherung bestimmt war. Aufgrund dieser Entscheidung
zahlte die Beklagte zunächst Arbeitslosenhilfe ohne Berücksichtigung der beim Kläger
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bestehenden Kapital-Lebensversicherung. Auch nach Inkrafttreten der AlhiV 2002
zahlte die Beklagte für den Bewilligungsabschnitt vom 01.07.2002 bis zum 30.06.2003
Arbeitslosenhilfe ohne Berücksichtigung des weiterhin bestehenden Anspruchs des
Klägers aus dem Lebensversicherungsvertrag.
Im Fortzahlungsantrag auf Arbeitslosenhilfe vom 06.06.2003 wies der Kläger den
Anspruch aus dem Kapital-Lebensversicherungsvertrag nach. Die Viktoria-
Versicherungen bescheinigten eine zum 01.01.2006 fällig werdende
Versicherungssumme von 24.236,00 EUR. Die Summe der eingezahlten Beiträge am
01.07.2003 betrug 19.805,14 EUR. Der Rückkaufwert am 01.07.2003 liege bei
43.928,42 EUR, eine Gebühr falle bei einem Rückkauf nicht an. Zudem verfügte der
Kläger über ein Sparbuch in Höhe von 2.268,19 EUR. Insgesamt ging die Beklagte von
einem Vermögen in Höhe von 46.196,60 EUR aus. Hiervon setzte sie Freibeträge für
den Kläger und seine am 00.00.0000 geborene Ehefrau in Höhe von jeweils 10.200,00
EUR ab, so dass ein nach Auffassung der Beklagten ein verwertbares Vermögen in
Höhe von 25.796,60 EUR verblieb.
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Mit Bescheid vom 17.07.2003 lehnte die Beklagte die Weiterzahlung der
Arbeitslosenhilfe mangels Bedürftigkeit ab.
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Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger eine Bescheinigung der W-Versicherungen
vor, wonach aus der Versicherung bei Vertragsablauf im Erlebensfall am 01.01.2006
neben der Versicherungssumme und garantierten Leistungen aus Gewinnanteilen auch
nicht garantierte Gewinnanteile für die künftigen Jahre und damit ein Auszahlungsbetrag
in Höhe von 54.855,34 EUR zu erwarten sei. Hieraus ergebe sich, dass die Verwertung
der Lebensversicherung zum jetzigen Zeitpunkt offensichtlich unwirtschaftlich sei.
Außerdem seien die Eheleute H angesichts der Tatsache, dass der Kläger seit einigen
Jahren arbeitslos sei und die Ehefrau nur auf Teilzeitbasis tätig sei, dringend auf eine
Aufstockung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung angewiesen. Auf
Nachfrage durch die Beklagte teilte der Kläger mit, dass es sich bei der
Lebensversicherung nicht um eine im Rahmen der "Riester-Rente" geförderte
Versicherung handele.
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Mit Bescheid vom 02.09.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte
aus, die Verwertbarkeit der Lebensversicherung sei nur dann als unzumutbar
anzusehen, wenn der Rückkaufwert der Versicherung 10 % unter den eingezahlten
Beiträgen liege. Ein Wertverlust bei einer vorzeitigen Ausschüttung sei demgegenüber
unbeachtlich.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 24.09.2003 erhobene Klage. Der Kläger
meint weiterhin, die Verwertung der Kapital-Lebensversicherung sei offensichtlich
unwirtschaftlich.
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Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 17.07.2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 02.09.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
Arbeitslosenhilfe ab 01.07.2003 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Sie hält an ihrer Rechtsauffassung fest.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne
des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe.
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Die Grundvoraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gemäß § 190 Abs.
1 Nr. 1 bis 4 SGB III liegen vor. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.
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Im Gegensatz zur Meinung der Beklagten ist der Kläger auch bedürftig im Sinne des §
190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III.
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Bedürftig ist gemäß § 193 Abs. 1 SGB III ein Arbeitsloser, soweit er seinen
Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder
bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht
erreicht. Nicht bedürftig ist gemäß § 193 Abs. 2 SGB III ein Arbeitsloser, solange mit
Rücksicht auf sein Vermögen oder das Vermögen seines nicht dauernd getrennt
lebenden Ehegatten die Erbringung von Arbeitslosenhilfe nicht gerechtfertigt ist.
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§ 193 Abs. 2 SGB III regelt generalklauselartig lediglich den Grundsatz der
Berücksichtigung von Vermögen. Welche Vermögenswerte im Einzelnen zu
berücksichtigen sind, bestimmt die aufgrund der Ermächtigung in § 206 Nr. 1 SGB III
erlassene AlhiV vom 13.12.2001, geändert durch Artikel 11 des Ersten Gesetzes für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 in der Fassung ab
01.01.2003.
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Gemäß § 1 Abs. 1 AlhiV ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen und
seines nicht dauernd getrenntlebenden Ehegatten zu berücksichtigen, soweit der Wert
des Vermögens den Freibetrag übersteigt. Freibetrag ist gemäß § 1 Abs. 2 AlhiV ein
Betrag von 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines
Partners, dieser darf für den Arbeitslosen und seinem Partner jeweils 13.000,00 EUR
nicht übersteigen. Diesen Freibetrag hat die Beklagte grundsätzlich zutreffend
berechnet.
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Zweifelhaft ist indes bereits, ob die Kapital-Lebensversicherungen im Hinblick auf § 1
Abs. 3 Nr. 6 AlhiV zu berücksichtigen ist. Hiernach sind Sachen und Rechte, soweit ihre
Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist, als Vermögen nicht zu berücksichtigen.
Zwar ist der Beklagten grundsätzlich dahingehend Recht zu geben, dass offensichtliche
Unwirtschaftlichkeit nur dann vorliegt, wenn der eingezahlte Betrag den
Auszahlungsbetrag wesentlich übersteigt, denn die Regelungen des
Sozialgesetzbuches dienen nicht dazu, renditestarke Anlageformen gegenüber weniger
renditestarken Anlageformen zu bevorzugen. Ob von diesem Grundsatz hingegen dann
eine Ausnahme zu machen ist, wenn der reguläre Fälligkeitstermin relativ zeitnah liegt
(hier: innerhalb von drei Jahren nach Beginn des geltend gemachten Anspruchs) und
die Gewinnerwartung den aktuellen Auszahlungsbetrag erheblich übersteigt sowie der
Auszahlungsbetrag zusammen mit der Gewinnerwartung sich immer noch im Rahmen
einer angemessenen Altersversorgung bewegt, braucht die Kammer nicht abschließend
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zu entscheiden:
Die Freibetragsregelung des § 1 Abs. 2 der aktuellen AlhiV ist in Verbindung mit dem
Wegfall von § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AlhiV 1974 mit höherrangigem Recht nicht zu
vereinbaren.
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Das LSG Berlin hat allerdings mit Urteil vom 02.09.2003 (L 6 AL 16/03) den
pauschalierten Freibetrag grundsätzlich für rechtmäßig erachtet. Dieses Urteil bezieht
sich ebenso wie die Ausgangsentscheidung des SG Berlin vom 12.02.2003 - S 58 AL
2208/03 - aber auf die AlhiV 2002 vor Änderung durch Artikel 11 des Ersten Gesetzes
für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002. D.h. dem Rechtsstreit
lag noch der bis zum 31.12.2002 geltende Freibetrag in Höhe von 520,00 EUR je
vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners zugrunde. Dieser höhere
Freibetrag hat im Fall des Kläger noch zur Annahme der Bedürftigkeit geführt, wie die
Bewilligung der Arbeitslosenhilfe ab 01.07.2002 auch zeigt.
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Der Freibetrag in Höhe von 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen
und seines Partners ist jedoch zu niedrig. Für diejenigen die ihr Vermögen in
erheblichem Umfang zur Alterssicherung eingesetzt haben, bedeutet die seit dem
01.01.2002 geltende Neuregelung gegenüber der zuvor bestehenden Rechtslage eine
Verschlechterung, die allenfalls noch mit dem bis zum 31.12.2002 geltenden Freibetrag,
nicht aber mit dem seither geltenden Freibetrag von 200.-EUR je vollendetem
Lebensjahr rechtmäßig ist.
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§ 206 Nr. 1 SGB III ermächtigt das Bundesministerium für Arbeit- und Sozialordnung, im
Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung zu
bestimmen, inwieweit Vermögen zu berücksichtigen ist. Diese - grundsätzlich
ausreichende (BSG Urteil vom 05.06.2003 - B 11 AL 55/02 R -) -
Ermächtigungsgrundlage hat das Normprogramm des § 193 Abs. 2 SGB III zur Geltung
zu bringen. Hiernach ist der Verordnungsgeber aufgerufen, Fallgestaltungen
festzulegen, nach denen mit Rücksicht auf vorhandenes Vermögen die Erbringung von
Arbeitslosenhilfe "nicht gerechtfertigt" ist. Mit dem Begriff der Rechtfertigung der
Gewährung von Arbeitslosenhilfe trotz vorhandenem Vermögen ist der
Verordnungsgeber vor die Aufgabe gestellt, ein mit den Strukturprinzipien des
Arbeitslosenhilferechts kompatibles Schonvermögenskonzept zu entwickeln (SG
Bremen, Beschluss vom 11.06.2003, info also 2003 Seite 219 ff.). Zwar ist dem
Verordnungsgeber nach § 206 Nr. 1 SGB III kein konkretes Modell vorgegeben, in
welcher Weise Vermögen zur Alterssicherung von der Verwertung auszunehmen ist.
Insbesondere ist es dem Verordnungsgeber bei der Ordnung von
Massenerscheinungen nicht verwehrt, anstelle einer Einzelfallprüfung generalisierende,
typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden. Hinsichtlich der Höhe
des Freibetrages hat der Verordnungsgeber allerdings zu beachten, dass grundsätzlich
eine schonende Behandlung von Vermögen, das für die Aufrechterhaltung einer
angemessenen Alterssicherung bestimmt ist, geboten ist, da der Lebensstandart im Alter
nicht ausschließlich durch die gesetzliche Rentenversicherung gesichert wird.
Demzufolge hat das BSG den Freibetrag von 1.000,00 DM gemäß § 6 Abs. 4 Nr. 2 AlhiV
1974, zuletzt geändert durch Artikel 1 der 6. Verordnung zur Änderung der AlhiV vom
18.06.1999 (BGBl I Seite 1433) für rechtmäßig gehalten (BSG, Urteil vom 05.06.2003 - B
11 AL 55/02R-).
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Die jetzt geltende Freibetragsregelung ermöglicht dem gegenüber keine angemessene
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Altersversorgung des Klägers und seiner Ehefrau mehr. Aus einem freizustellenden
Vermögen von ca. 20.000,00 EUR für einen 60jährigen männlichen Arbeitslosen ergibt
sich bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 15,36 Jahren nach Vollendung
des 65. Lebensjahres durch Kapitalverbrauch ohne Berücksichtigung der Verzinsung
monatlich ein zusätzliches Alterseinkommen von ca. 111.- EUR für den Kläger und
seine Ehefrau (Berechnung in Anlehnung an BSG a.a.O.). Dieser Betrag stellt
angesichts der Tatsache, dass der Kläger seit 1993 arbeitslos ist und seine Ehefrau
lediglich eine Teilzeitbeschäftigung ausübt, keine "angemessene Zusatzversorgung"
mehr da.
Abgesehen davon hat der Verordnungsgeber mit der drastischen Absenkung der
Freibetragsregelung die Grenzen des Rechts- und Sozialstaatsprinzips (Artikel 20 Abs.
1, 28 Abs. 1 Grundgesetz) verletzt. Die Absenkung des Freibetrages ohne
Differenzierung nach der Art des Vermögens stellt eine tatbestandliche Rückanknüpfung
(sogenannte unechte Rückwirkung) dar. Eine solche liegt vor, wenn eine Norm auf
gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt und
damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (BVerfGE 43, 291, 391; 79,
29, 45 ff.). Die unechte Rückwirkung von Gesetzen ist unter Berücksichtigung der
Schranken des Rechts- und Sozialstaatsprinzips nur innerhalb sachlicher Grenzen
zulässig, die sich aus dem Gebot der Rechtssicherheit und dem daraus folgenden
Vertrauensschutz ergeben. Bei der Bestimmung dieser Grenzen sind das schutzwürdige
Interesse des betroffenen Personenkreises an einem Fortbestand der bisherigen
Rechtslage und die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der
Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen (vergleiche BVerfGE 43, 291, 391; BSG
SozR 3 - 4100 § 111 Nr. 12; i.d.S. auch SG Aachen, Urteil vom 18.09.2003 - S 15 AL
66/03 -). Eine tatbestandliche Rückanknüpfung muss insbesondere dem Gebot der
Verhältnismäßigkeit entsprechen, d.h. die getroffene Regelung muss erforderlich,
geeignet und angemessen (Verhältnismäßig im engeren Sinne) sein.
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Die drastische Absenkung des Freibetrages dürfte zur Erreichung des Ziels des
Verordnungsgebers - Entgegenwirken der defizitären Finanzlage des
Bundeshaushaltes bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit - bereits ungeeignet sein. Denn
es wäre dem Kläger unbenommen, im Hinblick auf die Entscheidung der Beklagten den
den Freibetrag übersteigenden Vermögensbestandteil in kurzer Zeit zu verbrauchen
(z.B. für Luxusaufwendungen) um sich anschließend wieder - diesmal erfolgreich - auf
Bedürftigkeit zu berufen. Der zu niedrige Freibetrag fördert damit die Verschleuderung
von Altersvorsorgevermögen, entlastet den Bundeshaushalt im Ergebnis nicht und steht
der gesellschaftlich und politisch gewünschten Bildung von privatem
Altersvorsorgevermögen entgegen.
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Die drastische Absenkung des Freibetrages ist auch unangemessen. Der Kläger zahlt
für die Kapital-Lebensversicherung seit 1976 Versicherungsprämien. Er hat dadurch -
höchstrichterlich bestätigt - jahrelang Konsumverzicht geleistet, um ein privates
Altersvorsorgevermögen aufzubauen. Dieser jahrelange Konsumverzicht wird jetzt - wie
die oben angeführte Berechnung zeigt - praktisch entwertet.
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Die Beklagte darf bei ihrer Entscheidung über die Bedürftigkeit daher die neue
Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 1 AlhiV durch Artikel 11 des 1. Gesetzes für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt nicht berücksichtigen. Sie wird sich am bis dahin
geltenden Freibetrag in Höhe von 520,00 EUR orientieren müssen. Hiermit ist der
Kläger bedürftig.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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