Urteil des SozG Aachen vom 29.08.2006

SozG Aachen: sozialhilfe, rechtskräftiges urteil, arbeitslosenhilfe, unterhalt, notlage, nebenpflicht, unterlassen, gerichtsakte, uvg, informationspflicht

Sozialgericht Aachen, S 20 SO 24/06
Datum:
29.08.2006
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 20 SO 24/06
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht
zu erstatten.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Freistellung von einer Zahlungsverpflichtung der
Klägerin gegenüber der Beigeladenen in Höhe von 3.282,49 EUR, hilfsweise einen
Anspruch auf Zahlung von Sozialhilfe in Höhe dieses Betrages für die Zeit vom
01.02.1999 bis 03.04.2000.
2
Die 1963 geborene Klägerin lebt seit 1998 in Deutschland. Sie hat zwei Kinder, die
1989 und 1991 geboren sind. Die Klägerin ist geschieden; der geschiedene Ehemann
ist ihr und den gemeinsamen Kindern gegenüber unterhaltspflichtig. Nach der Trennung
(1994) und später nach der Scheidung zahlte der Ehemann folgenden Unterhalt: bis
März 1995 monatlich 1000,00 bzw. 1050,00 DM unmittelbar an die Klägerin (Grundlage:
Unterhaltsvergleich vom 02.12.1994 vor dem Amtsgericht Düren); April und Mai 1995 je
500,00 DM unmittelbar an die Klägerin; Juni, Juli und August 1995 per Gehaltspfändung
über den Bevollmächtigten der Klägerin 608,79 DM, 995,05 DM und 880,35 DM an die
Klägerin. Ab September 1995 zahlte der Bevollmächtigte der Klägerin die bei ihm
eingehenden gepfändeten Unterhaltsleistungen an den Beklagten; dieser zahlte der
Klägerin und deren Kindern Unterhaltsvorschüsse nach dem Unterhaltsvorschussgesetz
(UVG). Ab Juli 1998 erfolgten die Unterhaltszahlungen wieder unmittelbar an die
Klägerin, und zwar von Juli 1998 bis August 1999 monatlich 699,30 DM (455,00 DM für
die Klägerin, 122,15 DM jeweils für jedes der Kinder); Grundlage für diese Zahlungen
war ein Unterhaltsabänderungsurteil des Amtsgerichts Düren vom 29.07.1996. Im
September und Oktober 1999 erhielten die Klägerin und ihre Kinder per
Gehaltspfändung Unterhaltsleistungen in Höhe von 716,40 und 705,00 DM; ab
November 1999 betrugen die Unterhaltsleistungen laufend 1067,00 DM pro Monat.
3
Seit Juni 1990 bezog die Klägerin von der Beigeladenen Leistungen (Arbeitslosengeld,
Arbeitslosenhilfe, Unterhaltsgeld), vom 15.03.1995 bis 03.04.2000 laufend
Arbeitslosenhilfe (Alhi). In den Alhi-(Weiterbewilligungs-)Anträgen von März 1995, Mai
1996, Mai 1997, April 1998 und April 1999 verneinte die Klägerin eigene Annahmen,
4
konkret auch Unterhaltsleistungen und -ansprüche. Dementsprechend erhielt sie von
März 1995 bis April 2000 von der Beklagten Alhi ohne Anrechnung von
Unterhaltszahlungen.
Von Dezember 1994 bis Januar 1999 erhielt die Klägerin von dem Beklagten
ergänzende Sozialhilfe für sich und die beiden Kinder unter Anrechnung von
Einkommen. In den Sozialhilfebescheiden sind als anzurechnende Einkünfte bis März
1995 die Unterhaltszahlungen des Ehemannes und das Kindergeld, ab April 1995 die
Arbeitslosenhilfe, das Kindergeld, die Unterhaltszahlungen des Ehemannes und die
Unterhaltsvorschussleistungen nach dem UVG aufgelistet. Ab Februar 1999 stellte der
Beklagte die Sozialhilfeleistungen ein, da das Einkommen den Bedarf überstieg. Da die
Klägerin danach nicht mehr bei dem Beklagten vorsprach, wurde der Sozialhilfefall im
Juli 1999 abgeschlossen. Erst ab dem 16.05.2002 erhielt die Klägerin erneut Sozialhilfe,
weil ihr Ehemann ab April 2002 für sie, ab Juni 2002 auch für die Kinder keinen
Unterhalt zahlte.
5
Erstmals im September 2000 erfuhr die Beigeladene von dem
Unterhaltsabänderungsurteil des Amtsgerichts Düren vom 29.07.1996. Auf Anfrage der
Beigeladenen vom 26.09.2000 legte ihr die Klägerin Kontoauszüge über
Unterhaltszahlungseingänge von Juli 1998 bis August 2000 vor. Die Beigeladene hob
durch Bescheide vom 14.02. und 05.06.2003 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 12.06.2003 und eines Teilanerkenntnisses vom
16.04.2004 die Alhi-Bewilligungsentscheidungen für die Zeit vom 01.08.1998 bis
03.04.2000 teilweise auf und forderte die Erstattung der in diesem Zeitraum wegen
Nichtanrechnung der Unterhaltsleistungen zu viel gezahlter Alhi. Durch rechtskräftiges
Urteil vom 16.04.2004 hob das Sozialgericht Aachen (S 0 AL 00/00) die Bescheide
bezüglich des Aufhebungs- und Erstattungszeitraums bis Januar 1999 auf; im Übrigen
wies es die Anfechtungsklage ab. Die Beigeladene ermittelte daraufhin für die Zeit vom
01.02.1999 bis 03.04.2000 auf der Grundlage des in dieser Zeit monatlich an die
Klägerin gezahlten Unterhaltes von 455,00 DM eine Überzahlung von täglich 15,00 DM
(455,00 x 3: 13: 7 = 15,00 DM); für 428 Leistungstage ergibt dies eine Überzahlung von
6420,00 DM, das sind 3.282,49 EUR. Dementsprechend hob die Beigeladene durch
bestandskräftigen Bescheid vom 21.06.2005 die Entscheidungen über die Alhi-
Bewilligung vom 01.02.1999 bis 03.04.2000 teilweise auf und machte die Erstattung von
3.282,49 EUR geltend.
6
Am 27.06.2005 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten, sie von dem
Rückforderungsanspruch der Beigeladenen durch Zahlung von 3.282,49 EUR an die
Beigeladene freizustellen.
7
Durch Bescheid vom 11.08.2005 lehnte der Beklagte Zahlungen zur Freistellung von
Ansprüchen ab.
8
Dagegen legte die Klägerin am 19.08.2005 Widerspruch ein. Sie verwies auf die
Begründung im Urteil des SG Aachen vom 16.04.2004 und meinte, das Gericht habe in
den Urteilsgründen hervorgehoben, dass sie letztlich nicht ungerechtfertigt bereichert
sei. Ausdrücklich werde in dem Urteil ausgeführt: "Faktisch bereichert ist die
Beigeladene (d.h. das Sozialamt E). Der Bereicherungsausgleich hätte zwischen der
Beigeladenen und der Beklagten stattzufinden. Dass die Beigeladene hierzu nicht bereit
ist und gemäß § 75 Abs. 5 SGG auch vom Gericht hierzu nicht verurteilt werden kann,
geht nicht zu Lasten der Klägerin." Die Klägerin trug vor, dem Beklagten sei der Bezug
9
der Alhi bekannt gewesen; er habe es unterlassen, das Arbeitsamt über die
zufließenden Unterhaltsbeträge zu unterrichten. Die Klägerin meint, der Beklagte habe
in unzulässiger Weise Unterhalt auf die Ergänzung der Sozialhilfe angerechnet.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 02.02.2006
zurück, u.a. mit dem Hinweis, eine rückwirkende Gewährung von Sozialhilfe sei
grundsätzlich ausgeschlossen.
10
Dagegen hat die Klägerin am 24.02.2006 Klage erhoben. Sie meint, der Beklagte sei
dadurch, dass auf die Alhi die Unterhaltsleistungen nicht angerechnet worden seien,
bereichert, weil er ihr deshalb entsprechend niedrigere bzw. keine Sozialhilfe gezahlt
habe. Sie wirft dem Beklagten vor, stets zu seinen Gunsten falsch gerechnet zu haben;
aus Sozialhilfebescheiden vom 23.11. und 21.12.1998 ergebe sich, dass Unterhalt und
Arbeitslosenhilfe als anzurechnendes Einkommen berücksichtigt worden seien. Sie
selbst sei davon ausgegangen, dass die Maßnahmen der Behörden ordnungsgemäß
gewesen seien. Die Klägerin behauptet, keine falschen oder unzureichenden Auskünfte
erteilt und gegenüber der Beigeladenen in den Alhi-Fortzahlungsanträgen zutreffende
Angaben gemacht zu haben; wenn dort nach eigenen Einnahmen der Antragsteller
gefragt worden sei, habe diese Rubrik erkennbar alle Entgelte aus Arbeitstätigkeit
betroffen.
11
Die Klägerin beantragt,
12
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11.08.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 02.02.2006 zu verurteilen, sie durch Zahlung von
3.282,49 EUR an die Beigeladene von ihrer dieser gegenüber bestehenden
Zahlungsverpflichtung aus dem Kostenbescheid der Agentur für Arbeit E vom
21.06.2005 freizustellen, hilfsweise, ihr für die Zeit vom 01.02.1999 bis 03.04.2000
Sozialhilfe in Höhe von 3.282,49 EUR zu zahlen.
13
Der Beklagte beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15
Er vertritt die Auffassung, auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs habe die Klägerin keinen Anspruch auf Sozialhilfe für die Zeit
vom 01.02.1999 bis 03.04.2000 bzw. auf Freistellung von Erstattungsansprüchen der
Beigeladenen für diesen Zeitraum. Die Klägerin selbst sei gegenüber der Beigeladenen
verpflichtet gewesen, alle Änderungen ihrer Einkommensverhältnisse, zu denen auch
die ab August 1998 unmittelbar an die Klägerin gezahlten Unterhaltsleistungen des
Ehemannes gezählt hätten, anzuzeigen. Ein Beratungsfehler könne ihm nicht
vorgehalten werden. Unterhaltszahlungen seien - entgegen den Ausführungen der 8.
Kammer im Sozialgerichtstermin vom 21.11.2003 im Verfahren S 0 AL 00/00 sowie den
Entscheidungsgründen im Urteil vom 16.04.2004 - sowohl bedarfsmindernd auf die Alhi
als auch bedarfsmindernd auf die Sozialhilfe anzurechnen. Noch im April 1999 habe die
Klägerin gegenüber der Beigeladenen eigene Einnahmen verneint; erst im September
2000 seien der Beigeladenen durch die Klägerin erstmals die seit Jahren titulierten
Unterhaltsansprüche bekanntgegeben worden.
16
Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag. Sie meint, nicht der Beklagte, sondern
die Klägerin sei verpflichtet gewesen, ihr gegenüber alle Änderungen in den
17
Verhältnissen mitzuteilen und zutreffende Angaben in Anträgen zu machen; dies habe
die Klägerin unterlassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der
Beklagten, der die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beigeladenen (Stamm-Nr.
000000) und der Gerichtsakte S 0 AL 00/00, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
18
Entscheidungsgründe:
19
Die Klage ist zulässig. Der Geltendmachung eines Anspruchs auf Sozialhilfe für die Zeit
vom 01.02.1999 bis 03.04.2000 durch die Klägerin steht nicht entgegen, dass sie in der
Sitzung der 8. Kammer des Sozialgerichts Aachen am 00.00.0000 im Verfahren S 0 AL
00/00 erklärt hat: "Hiermit trete ich den Nachzahlungsanspruch gegen das Sozialamt für
die Zeit vom 01.07.1998 bis zum 03.04.2000 an die Beklagte ab." Diese Erklärung ist
unwirksam, da Sozialhilfeansprüche nicht übertragen werden können (§ 4 Abs. 1 Satz 2
Bundessozialhilfegesetz - BSHG - in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung; ab
01.01.2005: § 17 Abs. 1 Satz 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII).
20
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen
Bescheide des Beklagten nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG), da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat weder einen
Anspruch auf Freistellung von der Forderung der Beigeladenen ihr gegenüber gemäß
Bescheid vom 21.06.2005 noch auf Sozialhilfe für die Zeit vom 01.02.1999 bis
03.04.2000 in Höhe von 3.282,49 EUR.
21
Für den geltend gemachten Freistellungsanspruch ist eine gesetzliche Grundlage nicht
ersichtlich. Unabhängig davon wäre ein solcher Anspruch nur denkbar, wenn die
Klägerin einen Anspruch auf Sozialhilfe für die Zeit vom 01.02.1999 bis 03.04.2000 in
Höhe von 3.282,49 EUR hätte, den sie mit dem Hilfsantrag geltend macht. Dieser
Anspruch besteht jedoch nicht.
22
Da Beginn und Ende des geltend gemachten Anspruchs vor 2005 liegen, bestimmt sich
der Anspruch nach den Vorschriften des bis zum 31.12.2004 geltenden BSHG. Nach § 5
Abs. 1 Satz 1 setzt Sozialhilfe ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm
beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Gewährung
vorliegen. Zwar war dem Beklagten ein (ergänzender) Sozialhilfebedarf von Dezember
1994 bis Januar 1999 jeweils zeitnah bekannt, nicht jedoch für den hier
streitbefangenen Zeitraum vom Februar 1999 bis April 2000. Die Eigenart der
Sozialhilfe in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt, wie sie die Klägerin bis Januar 1999
bezogen hat, besteht darin, Hilfe zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage zu leisten;
sie ist keine rentengleiche Dauerleistung mit Versorgungscharakter. Dementsprechend
wird sie regelmäßig nicht durch einen Dauerverwaltungsakt bewilligt; ein Sozialhilfefall
ist gleichsam täglich neu regelungsbedürftig (vgl. Rothkegel, Sozialhilferecht, 1. Auflage
2005 Teil I, Kapitel 6 Rn. 1 unter Hinweis auf die ständige Rechtssprechung des
Bundesverwaltungsgerichts). Dementsprechend hat der Beklagte der Klägerin bis
Januar 1999 die Sozialhilfe regelmäßig nur für jeweils einen Monat bewilligt, da sich
ihre Verhältnisse, insbesondere wegen der Unterhaltsleistungen in wechselnder Höhe,
monatlich änderten. Als die Sozialhilfe zum 01.02.1999 eingestellt wurde, hat die
23
Klägerin danach - bis Mai 2002 - keinen soziallhilferechtlichen Bedarf mehr angemeldet.
Der Beklagte hatte auch keine Kenntnis von einem solchen Bedarf; er hätte davon auch
nicht wissen müssen, da ihm nicht bekannt war, dass auf die von der Beigeladenen der
Klägerin gewährten Alhi die Unterhaltsleistungen des Ehemannes nicht angerechnet
wurden. Das Sozialhilferecht wird vom Bedarfsdeckungsgrundsatz und vom
Gegenwärtigkeitsprinzip geprägt. Dadurch wird gewährleistet, dass der tatsächliche
gegenwärtige sozialhilferechtlich relevante Bedarf eines Leistungsberechtigten
vollständig gedeckt wird. Dementsprechend gilt der weitere Grundsatz, dass keine
Sozialhilfe für die Vergangenheit gewährt wird (vgl. hierzu ausführlich Rothkegel, a.a.O.,
Teil I, Kapitel 3 und Kapitel 5 m.w.N.) Da die Sozialhilfe an die Klägerin ab 01.02.1999
mangels sozialhilferechtlichem Bedarf eingestellt worden ist, die Klägerin danach erst
wieder im Mai 2002 Sozialhilfe beantragt und erhalten hat und dem Beklagten der von
der Klägerin behauptete Sozialhilfebedarf für die Zeit vom 01.02.1999 bis 03.04.2000
auch erst nach Ablauf dieses Zeitraums im Verlauf des zwischen der Klägerin und der
Beigeladenen geführten Rechtsstreits bekannt geworden ist, hat die Klägerin keinen
Anspruch auf Sozialhilfe für den hier streitbefangenen in der Vergangenheit liegenden
Zeitraum und dementsprechend auch kein Anspruch auf Freistellung von Alhi-
Rückforderungen der Beigeladenen ihr gegenüber aus diesem Zeitraum.
Die Klägerin kann solche Ansprüche auch nicht aus einem sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch herleiten. Es kann dahinstehen, ob dieses von der
sozialgerichtlichen Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut überhaupt im
Sozialhilferecht Anwendung finden kann (vgl. dazu Rothkegel, a.a.O. Teil IV, Kapitel 3).
Denn es sind vorliegend bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des
Herstellungsanspruchs nicht erfüllt. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf
Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des jeweiligen Zustandes gerichtet, der
bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger eine ihm aus dem
Sozialrechtsverhältnis erwachsene, aber unterlassene Nebenpflicht ordnungsgemäß
wahrgenommen hätte. Wesentlich ist daher das Ausbleiben von gesetzlich
vorgesehenen Vorteilen infolge eines rechtswidrigen Verhaltens des Leistungsträgers
ihm Rahmen eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses (vgl. für Viele: BSG, Urteil
vom 12.07.1998 - 7 RAr 62/88). Verletzt der Leistungsträger eine Nebenpflicht
(Beratungspflicht, Auskunftspflicht, Informationspflicht), begründet dies nur dann ein
Herstellungsrecht, wenn die Pflichtverletzung wesentliche, d.h. gleichwertige
Bedingungen für die Beeinträchtigung eines sozialen Rechts war. Dies ist nicht der Fall,
wenn der Anspruchsteller das Ausbleiben der Leistung wissentlich oder fahrlässig
gegen sich selbst (mit) verursacht hat (BSG, Urteil vom 06.03.2003 - B 4 RA 38/02 R =
SozR 4-2600 § 115 Nr. 1 = BSGE 91,1). Ein von der Klägerin angenommener
Beratungsfehler des Beklagten ist nicht ersichtlich. Anders lautende Hinweise des
Sozialgerichts vom 21.11.2003 im Verfahren S 8 AL 70/03 verkennen, dass
Unterhaltsleistungen des Ehemannes der Klägerin sowohl bedarfsmindernd auf die Alhi
als auch bedarfsmindernd auf die Sozialhilfe anzurechnen waren. Wenn der Beklagte
dementsprechend die Unterhaltsleistungen und auch die Alhi der Klägerin auf ihren
sozialhilferechtlichen Bedarf anrechnete, konnte und durfte er davon ausgehen, dass
die Beigeladene Kenntnis von den Unterhaltsleistungen hatte und die Alhi
dementsprechend richtig berechnet war. Der Beklagte hatte weder eine Verpflichtung
noch Veranlassung, die Beigeladene auf die Unterhaltsleistungen an die Klägerin
hinzuweisen. Ebenso wenig hatte sie die Pflicht oder auch nur Veranlassung, die
Klägerin auf ihre gegenüber der Beigeladenen bestehenden Mitteilungspflichten
hinzuweisen.
24
Der Klägerin ist zuzugeben, dass bei zeitnaher Berücksichtigung der
Unterhaltsleistungen im Rahmen der Alhi-Bewilligung am 01.02.1999 die daraus
resultierende niedrigere Alhi möglicherweise einen Anspruch auf ergänzende
Sozialhilfe begründet hätte. Die Höhe dieses Anspruchs hätte aber nicht zwingend mit
dem minderen Alhi-Betrag korrespondieren müssen. So hätten möglicherweise auch
andere Faktoren zu einer Minderung oder einem Wegfall des sozialrechtlichen Bedarfs
führen können. Allein die Klägerin hat durch ihre - zumindest grob fahrlässig -
unrichtigen Angaben gegenüber der Beigeladenen die Falschberechnung und
Überzahlung der Alhi in der Zeit vom 01.02.1999 bis 03.04.2000 verursacht. Entgegen
der Auffassung der 8. Kammer im Urteil vom 16.04.2004 ist die erkennende Kammer der
Auffassung, dass die Klägerin grob fahrlässig Mitteilungspflichten verletzt hat (vgl. § 48
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X). Denn sie hat aus
eindeutigen Hinweisen und dem jeweiligen "Merkblatt für Arbeitslose", die den Anträgen
auf Alhi jeweils beigefügt waren bzw. deren Erhalt und Kenntnisnahme sie jeweils durch
ihre Unterschrift bestätigt hat, gewusst oder hätte wissen müssen, dass sie der
Beigeladenen gegenüber die Unterhaltsleistungen ihres Ehemannes hätte anzeigen
müssen; dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Unterhaltsleistungen häufig in
der Höhe wechselten und dies wiederum Auswirkungen auf die Höhe der Alhi gehabt
hätte. Wenn die Klägerin trotz dieser Hinweise und Merkblätter in den Alhi-
(Weiterbewilligungs-)Anträgen von März 1995, Mai 1996, Mai 1997, April 1998 und April
1999 jeweils die Fragen nach eigenen Einnahmen, d.h. auch Unterhaltsleistungen und -
ansprüchen, mit "nein" beantwortet hat, hat sie zumindest grob fahrlässig ihre
Mitteilungspflichten verletzt. Dadurch fehlt es auch für die einen sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch begründende Kausalität zwischen einer (unterstellten)
Nebenpflichtverletzung des Beklagten und der entgangenen Sozialhilfe.
25
Zuletzt kann die Klägerin den Freistellungsanspruch auch nicht auf § 34 SGB XII (bis
31.12.2004: § 15a BSHG) stützen. Zwar können danach Schulden - hier: die
Erstattungsforderung der Beigeladenen gegenüber der Klägerin - zu Lasten der
Sozialhilfe übernommen werden, jedoch nur, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft
oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Diese
Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es ist nicht Aufgabe der Sozialhilfe, die Tilgung
von Schulden zu ermöglichen (vgl. Rothkegel, a.a.O. Teil III, Kapitel 17 unter Hinweis
auf die ständige Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts).
26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
27