Urteil des SozG Aachen vom 28.09.2007

SozG Aachen: leistung des arbeitgebers, arbeitsentgelt, materielles recht, ex nunc, deutsche bundespost, arbeitslohn, sozialversicherung, gegenleistung, arbeitskraft, krankenversicherung

Sozialgericht Aachen, S 6 R 53/06
Datum:
28.09.2007
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 6 R 53/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 11 R 11/07
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 20.12.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 25.04.2006 wird insoweit aufgehoben, als
die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge für die von der Klägerin
übernommenen Buß- und Verwarnungsgelder wegen Überschreitung
von Lenkzeiten erhoben hat. Die Beklagte trägt die Kosten des
Verfahrens.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob Verwarnungsgelder wegen Überschreitungen von
Lenkzeiten, die die Klägerin für bei ihr beschäftigte Fahrer gezahlt hat, als
sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt einzuordnen sind.
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Bei der Klägerin handelt es sich um ein in Düren ansässiges Speditionsunternehmen.
Im Januar und Februar 2000 sowie zwischen Januar und April 2003 führte das
Finanzamt Düren bei ihr Lohnsteueraußenprüfungen für den Zeitraum vom 01.01.1997
bis 31.12.1999 bzw. für den Zeitraum vom 01.01.2000 bis 31.12.2002 durch. Mit
Haftungs- und Nachforderungsbescheiden vom 24.03.2000 und 11.04.2000 sowie vom
22.05.2003 forderte das Finanzamt Düren von der Klägerin Lohnsteuer für die
Kalenderjahre 1997 bis 1999 sowie für die Kalenderjahre 2000 bis 2002 nach. Den
Bescheiden lag unter anderen die zutreffende Feststellung zugrunde, dass die Klägerin
in den entsprechenden Zeiträumen die Zahlung von Buß-, Ordnungs- und
Verwarnungsgeldern übernommen hatte, die gegen bei ihr beschäftigte Fahrer im
Zusammenhang mit der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit persönlich verhängt
worden waren. Zur Begründung führte das Finanzamt Düren aus, es handele sich
hierbei um steuerpflichtigen Arbeitslohn.
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In der Zeit von November 2003 bis Dezember 2004 führte die Beklagte bei der Klägerin
eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 01.01.1999 bis 31.12.2000 durch. Nach
Anhörung vom 30.11.2004 forderte sie mit Bescheid vom 20.12.2004 von der Klägerin
Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 12.578,72 EUR sowie Säumniszuschläge in
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Höhe von 6.858,34 EUR (insgesamt 19.437,06 EUR) nach. Zur Begründung führte sie
unter anderem aus, dass es sich bei den von der Klägerin übernommenen Buß-,
Ordnungs- und Verwarnungsgeldern um sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt
handele. Der insoweit für die Kalenderjahre 1999 und 2000 einschließlich
Säumniszuschlägen ermittelte Betrag belief sich auf 5.254,70 EUR des insgesamt
geltend gemachten Betrages von 19.437,06 EUR.
Die Klägerin legte am 21.01.2005 gegen die im Beitragsbescheid getroffene Einstufung
der Übernahme von Buß-, Ordnungs- und Verwarnungsgeldern Widerspruch ein. Zur
Begründung verwies sie auf ein Urteil des Bundesfinanzhofes vom 07.07.2004 (Az.: VI
R 29/00). Aus dieser Entscheidung gehe hervor, dass die vom Arbeitgeber aus
überwiegend eigenbetrieblichen Interessen übernommene Zahlung von
Verwarnungsgeldern, die gegen bei ihm angestellte Fahrer verhängt worden sind, nicht
als Arbeitsentgelt einzustufen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid
vom 25.04.2006 zurück.
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Hiergegen richtet sich die am 24.05.2006 erhobene Klage.
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Die Klägerin verweist darauf, dass sie ihren Fahrern gegenüber lediglich erklärt hat, im
Zusammenhang mit Überschreitung von Lenkzeiten verhängte Verwarnungs- und
Ordnungsgelder zu übernehmen, wenn diese aus Gründen des Wettbewerbsdrucks im
Speditionsgewerbe Lenkzeiten überschritten haben.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid vom 20.12.2004 in der Fassung des Widerspruchs- bescheides vom
25.04.2006 insoweit aufzuheben, als die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge für die
von der Klägerin übernommenen Buß- und Verwarnungsgelder wegen Überschreitung
von Lenkzeiten erhoben hat.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie führt aus, das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 07.07.2004 sei nicht auf den
vorliegenden Sachverhalt übertragbar. Klägerin in jenem Verfahren sei ein
Paketzustelldienst gewesen, der gegenüber der (ehemaligen) Deutschen Bundespost
Wettbewerbsnachteile hatte, weil für Letztere in der Straßenverkehrsordnung (§ 35 Abs.
7 StVO) Sonderrechte festgeschrieben waren. Allein um den hieraus für die Deutsche
Bundespost gegenüber anderen Paketzustelldiensten resultierenden
Wettbewerbsvorteil auszugleichen, hätte dieser Paketzustelldienst seine Fahrer
angewiesen, Parkverstöße zu begehen. Ein solcher Wettbewerbsvorsprung sei hier
jedoch nicht geltend gemacht. Überdies könne die 2004 ergangene Entscheidung des
BFH nicht gleichsam rückwirkend auf die hier in den Jahren 1999 und 2000 erfolgte
Übernahme von Verwarnungsgeldern angewendet werden.
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Die Beigeladenen zu 1) bis 22) stellen keinen eigenen Antrag.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die beigezogene
Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der
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mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
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Das Gericht konnte in Abwesenheit der Beigeladenen zu 1) bis 11) und 22) sowie in
Abwesenheit von Vertretern der Beigeladenen zu 13) bis 20) aufgrund mündlicher
Verhandlung entscheiden, weil die Beigeladenen auf diese Möglichkeit in der
schriftlichen Terminsladung hingewiesen worden sind, §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 124 Abs. 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Die in der mündlichen Verhandlung auf die Übernahme von Verwarnungsgeldern
wegen Überschreitung von Lenkzeiten beschränkte Klage ist in vollem Umfang
begründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54
Abs. 2 Satz 1 SGG insoweit beschwert, als die Beklagte die Übernahme von Buß- und
Verwarnungsgeldern wegen Überschreitung von Lenkzeiten als
sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt qualifiziert hat.
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Rechtsgrundlage für die angefochtenen Beitragsbescheide ist § 28p Abs. 1 Satz 5
Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften der Sozialversicherung
(SGB IV). Die formell-rechtlichen Anforderungen sind gewahrt, insbesondere ist die
Klägerin mit Schreiben vom 30.11.2004 in einer § 24 SGB X genügenden Weise
angehört worden. Die angefochtenen Bescheide verstoßen jedoch insoweit gegen
materielles Recht, als die Übernahme von Verwarnungsgeldern wegen
Überschreitungen von Lenkzeiten durch die Klägerin als beitragspflichtiges
Arbeitsentgelt eingestuft worden ist.
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Der Umfang der Beitragspflicht bemisst sich für alle Zweige der Sozialversicherung
nach dem Arbeitsentgelt (für die gesetzliche Krankenversicherung § 226 Abs. 1 Nr.1
Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), für die
gesetzliche Rentenversicherung § 162 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch -
Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI), für die gesetzliche Pflegeversicherung § 57
Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) und für
die Arbeitslosenversicherung § 342 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung,
SGB III).
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Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen
aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen
besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob
sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.
Gemäß der in § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB IV vorgesehenen Verordnungsermächtigung
kann bestimmt werden, dass einmalige Einnahmen oder laufende Zulagen, Zuschläge,
Zuschüsse oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt
werden, ganz oder teilweise nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind. Dabei ist nach
§ 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den
Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen. Auf der Grundlage dieser Ermächtigung
ist die Verordnung über die Bestimmung des Arbeitsentgelts in der Sozialversicherung
(Arbeitsentgelt-verordnung - ArEV) ergangen.
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Die von der Klägerin an bei ihr beschäftigte Fahrer geleisteten Zahlungen für
Verwarnungsgelder, die gegen diese Fahrer wegen Überschreitung von Lenkzeiten
verhängt worden waren, erfüllen den Tatbestand des § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Ob
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diese Zahlungen dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind, beurteilt sich nach § 1 ArEV
danach, ob sie steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellen. Der Begriff des Arbeitslohns im
Sinne der Regelungen des Steuerrechts wiederum wird definiert als jeder geldwerte
Vorteil, der durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist (vgl. BFH, Urteil vom
07.07.2004, VI R 29/00 m.w.N.). Eine solche Veranlassung liegt vor, wenn der Vorteil
nur mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis eingeräumt wird und wenn sich die Leistung
des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der
individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist. Dagegen sind solche Vorteile nicht
als Arbeitslohn anzusehen, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als
Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler
Zielsetzungen erweisen. Vorteile besitzen danach keinen Arbeitslohncharakter, wenn
sie im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt
werden. Das ist der Fall, wenn sich aus den Begleitumständen wie Anlass, Art und
Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit,
Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seiner besonderen
Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck ergibt, dass diese
Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein damit einhergehendes eigenes Interesse
des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden kann.
In Grenzfällen ist eine wertende Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung aller den
jeweiligen Einzelfall prägenden Umstände vorzunehmen (vgl. BFH, a.a.O.). Unter
Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die von der Klägerin übernommenen Ordnungs-
und Verwarnungsgelder wegen Überschreitung von Lenkzeiten nicht als
lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn zu qualifizieren. Denn der geldwerte Vorteil der
Zahlung war bei wertender Gesamtbeurteilung nicht Gegenleistung für das
Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft der Fahrer, sondern erfolgte im ganz
überwiegend eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin.
Entscheidend hierfür ist zunächst, dass nach dem Vorbringen der Klägerin die
Zahlungen nicht erst durch das individuelle Fehlverhalten der betroffenen Fahrer
veranlasst worden sind. Vielmehr hatte die Klägerin eine betriebliche Entscheidung
dahingehend getroffen, terminliche Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden im Zweifel
auch auf Kosten von Bestimmungen über Lenkzeiten im Straßenverkehr einzuhalten.
Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass eine pünktliche Lieferung
der von ihr transportierten Waren nicht immer gewährleistet werden kann, wenn die
Fahrer im Einklang mit den einschlägigen Lenkzeitenbestimmungen längerer
Ruhepausen einlegen und den Warentransport erst anschließend fortsetzen. Die
individuelle Entscheidung der einzelnen Fahrer, Verstöße gegen derartige
Bestimmungen zu begehen sowie die Sanktionierung dieses Verhaltens durch
Verhängung von Verwarnungsgeldern stellt sich damit lediglich als Folge der
betrieblichen Entscheidung der Klägerin dar und die Übernahme von
Verwarnungsgeldern führt lediglich zum Ausgleich eines finanziellen Nachteils, den die
Fahrer allein im Interesse der Klägerin hingenommen haben.
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Für ein überwiegendes betriebliches Interesse an der Übernahme der
Verwarnungsgelder wegen Überschreitung von Lenkzeiten spricht aus Sicht der
Kammer weiter, dass die Zahlung der Verwarnungsgelder nicht als Gegenleistung für
das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft der Fahrer erfolgt. Denn die
Fahrer, die Lenkzeiten überschreiten und diejenigen, die dies nicht tun, erbringen
gegenüber der Klägerin die gleiche Arbeitsleistung. Auch hat die Klägerin im Rahmen
der mündlichen Verhandlung erklärt, dass diejenigen Fahrer, die Lenkzeiten
überschreiten, das gleiche vereinbarte Festgeld erhalten, wie die Fahrer, die keine
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Lenkzeiten überschreiten.
In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass die Klägerin ausgeführt hat, bei ihr
angestellte Fahrer nicht gleichsam zu einer Überschreitung von Lenkzeiten angestiftet
zu haben, sondern lediglich erklärt zu haben, dass - wenn aus terminlichen Gründen
Lenkzeiten überschritten und daraufhin Verwarnungsgelder gegen Fahrer verhängt
worden sind - der damit verbundene finanzielle Nachteil der betroffenen Fahrer durch
Zahlung an diese Fahrer ausgeglichen wird. Entscheidend ist, dass sie eine betriebliche
Entscheidung dahingehend getroffen hat, aus Verhängung von Verwarnungsgeldern
resultierende finanzielle Einbußen der bei ihr beschäftigten Fahrer auszugleichen und
dies ihren Fahrern auch mitgeteilt hat.
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Demgegenüber treten Umstände, die eine Übernahme solcher Gelder im individuellen
Interesse der Arbeitnehmer erscheinen lassen, in den Hintergrund. Dies gilt auch für die
Höhe der einzelnen Geldbußen. Zwar hat die Klägerin je Fahrer Beträge zwischen
monatlich 50,- DM und 1.847,76 DM übernommen (in einem Einzelfall sogar einen
monatlichen Betrag von 4.482,00 DM), so dass es sich um nicht unerhebliche
wirtschaftliche Einbußen der Arbeitnehmer handelt. Dennoch erwiesen sich die
Zahlungen dieser - teils nicht unbeträchtlichen Summen - als Folge der betrieblichen
Entscheidung der Klägerin, deren Interesse an der Übernahme der verhängten
Geldbußen das individuelle Interesse der einzelnen Fahrer überwiegt. Dem steht auch
nicht entgegen, dass der Beigeladene zu 12) in der mündlichen Verhandlung ausgeführt
hat, die Klägerin habe nicht gleichsam schlechthin Zahlungen für verhängte Bußgelder
geleistet, sondern dies von der Höhe der Verwarnungsgelder abhängig gemacht.
Maßgeblich ist allein, dass die Klägerin für die hier in Rede stehenden
Verwarnungsgelder Zahlungen an die individuell betroffenen Fahrer geleistet hat und
sich diese Zahlungen als Folge der zuvor im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit
getroffenen betrieblichen Entscheidung erweisen.
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Soweit die Beklagte ausführt, die Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 07.07.2004
sei nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar, so vermag sich die Kammer
dem nicht anzuschliessen. Sie verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass es sich
in der vom Bundesfinanzhof entschiedenen Konstellation um einen Paketzustelldienst
gehandelt hat, der sich erheblichen Wettberwerbsnachteilen dadurch ausgesetzt sah,
dass die damals geltende Straßenverkehrsordnung der (ehemaligen) Deutschen
Bundespost Sonderrechte eingeräumt hat. Indessen ändern das Ausmaß der
Wettberwerbsnachteile und die Gründe hierfür nichts an der Tatsache, dass in beiden
Fällen eine betriebliche Entscheidung vorliegt, individuelle finanzielle Einbußen, die
einzelne Fahrer im Interesse der Klägerin erlitten haben, aus betrieblichen Interessen
auszugleichen (a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.06.2007, L 11 (8) R 75/06).
Soweit dem entgegengehalten wird, diese Sichtweise führe dazu, dass durch die
Zusage von Arbeitgebern zur Übernahme von Bußgeldern zur Begehung von
Ordnungswidrigkeiten im Strassenverkehr angestiftet werde (so LSG Nordrhein-
Westfalen, a.a.O.), vermag sich die Kammer dieser Argumentation nicht anzuschliessen.
Aus ihrer Sicht ist der Gesetzgeber gefragt, ein derartiges Verhalten durch
entsprechende normative Vorgaben zu verhindern. Tut der dies nicht, kann dies nicht
dazu führen, dass ein solches Vorgehen mit Mitteln des Steuer- bzw.
Sozialversicherungsrechts bekämpft wird. Im Übrigen gibt die Kammer zu bedenken,
dass die Einstufung der Zahlung von Verwarnungsgeldern als
sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt zu ebenso unbefriedigenden
Konsequenzen führt. Für diesen Fall nämlich würde sich das Begehen von
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Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr im Interesse des Arbeitgebers für die
betroffenen Fahrer rentensteigernd auswirken und damit ebenso einen Anreiz schaffen,
so zu verfahren, wie die bei der Klägerin beschäftigten Fahrer dies getan haben. Dass -
wie die Beklagte betont - im vorliegenden Fall auch die mit der Prüfung befassten
Finanzbeamten davon ausgegangen sind, die Entscheidung des BFH sei nicht auf den
hier zu Grunde liegenden Sachverhalt übertragbar, entfaltet keinerlei präjudizielle
Wirkung und erst Recht keinerlei Bindungswirkung.
Schliesslich rechtfertigt auch das von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung
vorgebrachten Argument, die Entscheidung des BFH könne nicht gleichsam
rückwirkend angewendet werden, keine abweichende Betrachtung. Denn die damit der
Sache nach geltend gemachten Vertrauensschutzgesichtspunkte im Steuerrecht können
sich nach Auffassung der Kammer nicht zu Gunsten der Finanz- und Sozialverwaltung
auswirken. Überdies kann sich ein schutzwürdiges Vertrauen allenfalls in Fällen
gebildet haben, in denen steuerrechtliche Begriffe durch eine ständige und langjährige
obergerichtliche Rechtsprechung geprägt bzw. präzisiert worden sind. Ändert sich diese
obergerichtliche Rechtsprechung dann, mag man - in Einzelfällen und zu Gunsten der
Steuerpflichtigen - Vertrauensschutzgesichtspunkten dadurch Rechnung tragen, dass
die geänderte Rechtsprechung nicht auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte
Anwendung findet, sondern lediglich auf in der Zukunft liegende (ex nunc-Wirkung). Ein
solcher Fall indessen ist hier schon deshalb nicht gegeben, weil bislang zur Übernahme
von Verwarnungsgeldern keine obergerichtliche und erst Recht keine ständige
obergerichtliche Rechtsprechung vorgelegen hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass die
Klage erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf die Übernahme solcher Buß-
und Verwarnungsgelder beschränkt worden ist, die wegen Überschreitung von
Lenkzeiten verhängt worden sind. Was demgegenüber die Übernahme von
Verwarnungsgeldern wegen Verstöße gegen die Vignettenpflicht oder wegen des
Fehlens wegen gültiger Versicherungsnachweise angeht, so handelt es sich um
geringfügige Beträge, die gegenüber den überwiegend verhängten
Verwarnungsgeldern wegen Überschreitung von Lenkzeiten nicht ins Gewicht fallen.
Die Kammer hat aus diesem Grund davon abgesehen, eine Kostenquotelung
auszusprechen.
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