Urteil des SozG Aachen vom 12.07.2005
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Sozialgericht Aachen, S 4 (6) KR 28/05
Datum:
12.07.2005
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 4 (6) KR 28/05
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 5 KR 79/05
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 08.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 26.01.2005 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den
Kläger weitere 162,40 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz
seit dem 22.02.2005 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 50 %.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist die Höhe der zu erstattenden Kosten eines Vorverfahrens.
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Der am 00.00.0000 geborene Kläger beantragt bei der Beklagten die Übernahme der
Kosten für eine Sprachheilbehandlung. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom
20.08.2004 ab. Daraufhin erhob der Bevollmächtigte des Klägers am 23.09.2004
Widerspruch, den er auf einer Seite begründete. Die Beklagte ließ ein weiteres
Gutachten ihres medizinischen Dienstes erstellen und hob daraufhin den
angefochtenen Bescheid auf und gab dem Widerspruch in vollem Umfang statt, dem
Antrag wurde entsprochen. Mit seiner Kostenrechnung vom 17.11.2004 beansprucht der
Kläger-Bevollmächtigte:
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Geschäftsgebühr gem. Nr. 2500 VV RVG 240,00 Euro
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Einigungsgebühr gem. Nr. 1005 VV RVG 280,00 Euro
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Entgelt für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gem. Nr. 7002 VV (pauschal)
20,00 Euro
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Zwischensumme 540,00 Euro
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16,00 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV 86,40 Euro
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Endsumme 626,40 Euro
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Durch Bescheid vom 08.10.2004 erkannte die Bekannte lediglich Kosten in Höhe von
301,60 Euro an, die sie an den Kläger-Bevollmächtigten überwies. Die darüber hinaus
geltend gemachten Kosten lehnte sie mit der Begründung ab, es sei keine zusätzliche
Erledigungsgebühr angefallen. Es könne allenfalls im Rahmen des § 63 SGB X eine
Geschäftsgebühr nach der Nr. 2500 VV RVG abgerechnet werden. Hiergegen erhob der
Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 17.12.2004 Widerspruch, den die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2005 zurückwies.
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Mit der am 22.02.2005 erhobenen Klage beansprucht der Kläger weitere 324,80 Euro
nebst 5 % Zinsen. Er meint, die Erledigungsgebühr nach Nr 1002 VV RVG enstehe
auch dann, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher
abgelehnten Verwaltungsaktes erledige. Die Erledigungsgebühr sei eine Erfolgsgebühr.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 08.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2005
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr weitere 324,80 Euro nebst 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit dem 22.02.2005 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, die bloße Vornahme von Verfahrenshandlungen reiche nicht
aus, um die Erledigungsgebühr auszulösen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung weiterer
162,40 Euro, da diese Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X notwendig waren. Soweit die Beklagte nur Kosten in
Höhe von 301,60 Euro anerkennt und die Zahlung weiterer Kosten abgelehnt hat,
verkennt sie, dass neben der unstreitigen Geschäftsgebühr nach Nr. 2500 des
Vergütungsverzeichnisses VV zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz und dem Entgelt
für die Post und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG nebst
Umsatzsteuer auch eine Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1005 in Verbindung mit 1002
VV RVG entstanden ist.
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Die Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG entsteht, wenn sich eine Rechtssache
ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf
angefochtenen Verwaltungsaktes durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das gleiche
gilt nach Satz 2 zur Nr. 1002 VV RVG, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise
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durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsaktes erledigt. Die
Erledigungsgebühr entsteht damit nach dem Wortlaut der Vorschrift bereits dann, wenn
der Rechtsanwalt wie hier gegen einen Ablehnungsbescheid Widerspruch einlegt, die
Behörde daraufhin ihren Standpunkt aufgibt und den begehrten Bewilligungsbescheid
erlässt. Die Erledigungsgebühr dient dazu, das anwaltliche Bestreben, Streitigkeiten
möglichst außergerichtlich beizulegen, zu fördern und zu belohnen (vergleiche
Bundestagsdrucksache 15/1971, Seite 254).
Bei der Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV RVG handelt es sich um eine
Rahmengebühr. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt bei
Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor
allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der
Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers,
nach billigem Ermessen. Die vom Kläger-Bevollmächtigten bestimmte Mittelgebühr von
280,00 Euro ist unbillig, weil sie die angemessene Gebühr erheblich übersteigt. Unter
den zu berücksichtigenden Umständen nimmt das Gesetz an erster Stelle den Umfang
und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit
war hier besonders gering. Es genügte lediglich ein einmaliges Widerspruchsschreiben
im Umfang einer Seite, um den Erfolg zu erzielen. Die Verwaltungsakte der Beklagten
war bis dahin sehr dünn. Weitere Schriftsätze oder auch Rücksprachen mit dem
Mandanten benötigte der Bevollmächtigte des Klägers nicht. Die Beklagte hat aufgrund
dieses kurzen Schreibens nach weiterer Ermittlung selber abgeholfen. Insofern ist auch
die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit aufgrund der zügigen Abhilfe der Beklagten
als unterdurchschnittlich einzustufen. Der Streit um die Kostenübernahme für die
Sprachheilbehandlung hat durchschnittliche Bedeutung. Die Mittelgebühr ist aber auch
wegen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des noch minderjährigen Klägers,
welche als weitere Umstände nach dem Gesetz bei der Bemessung der Rahmengebühr
zu berücksichtigen sind, nicht gerechtfertigt.
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Unter Abwägung aller Umstände erscheint deshalb nur eine halbe Mittelgebühr, also
140,00 Euro, angemessen.
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Die festzusetzenden Gebühren setzen sich danach wie folgt zusammen:
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Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2500 VV RVG 240,00 Euro
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Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1005 VV RVG 140,00 Euro
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Pauschale für Entgelt für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gem. Nr. 7002
VV RVG 20,00 Euro
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16 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG 64,00 Euro
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insgesamt 464,00 Euro
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Da die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide bereits 301,60 Euro anerkannt hat,
war sie noch zur Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von 162,40 Euro zu verurteilen.
Die darüberhinausgehende Klage war abzuweisen.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzugs. Die Beklagte ist
spätestens durch Erhebung der Klage am 22.02.2005 in Verzug nach §§ 286 Abs. 1
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Satz 2 BGB geraten. Von diesem Zeitpunkt an macht der Kläger auch erst Zinsen
geltend. Die Höhe des Zinsanspruches ergibt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB,
wonach eine Geldschuld während des Verzuges für das Jahr mit 5 % Punkten über dem
Basiszinssatz zu verzinsen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Die Kammer hat gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Berufung zugelassen, weil die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Zu den Vergütungsvorschriften des RVG
gibt es bislang noch keine Oberstrich oder höher höchstgerichtlichen Entscheidungen.
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