Urteil des SozG Aachen vom 14.03.2008

SozG Aachen: wohnung, alleinerziehende mutter, erlass, sozialhilfe, unterbringung, asylbewerber, kinderarzt, verfügung, hauptsache, notlage

Sozialgericht Aachen, S 20 SO 7/08 ER
Datum:
14.03.2008
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 20 SO 7/08 ER
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 20 SO B 49/08 SO ER
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe:
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I.
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Die Antragsteller (Ast.) begehren vom Antragsgegner (Ag.) die Zustimmung zur
Anmietung von Wohnraum sowie die Übernahme der dadurch anfallenden Kosten der
Unterkunft.
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Die am 00.00.1986 geborene Ast. zu 2) ist ghanaische Staatsangehörige und im Besitz
einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Sie bezieht
seit Dezember 2006 Leistungen nach § 3 Asylbewerber-Leistungsgesetz (AsylbLG). Ihr
Sohn, der Ast. zu 1) wurde am 00.00.2007 geboren; er ist deutscher Staatsangehöriger.
Er bezog bis August 2007 Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB
XII); die Leistungen wurden eingestellt, weil das anzurechnenden Einkommen den
Bedarf des Ast. zu 1) überstieg. Seit 01.09.2007 erhält die Ast. zu 2) für den Ast. 1) das
Kindergeld in Höhe von 154,- EUR sowie Unterhaltsvorschussleistungen in Höhe von
127,- EUR. Die Ast. wohnen zurzeit (noch) im Übergangswohnheim in B. Der Ast. zu 1)
leidet an wiederkehrender obstruktiver Bronchitis und war deswegen wiederholt in
stationärer Krankenhausbehandlung.
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Am 16.01.2008 beantragte die Ast. zu 2) für den Ast. zu 1) erneut Sozialhilfe. Sie bat um
Übernahme anteiliger Mietkosten für die Wohnung in B. Sie legte hierzu ein
Mietangebot des Vermieters vom 28.12.2007 vor. Danach beläuft sich die Gesamtmiete
einschließlich Nebenkosten (111,- EUR) und Heizkosten (60,- EUR) auf 406,09 EUR für
die 73,22 qm große Wohnung, die in einem Wohnhaus des Baujahres 1964 gelegen ist.
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Der Ag. lehnte den Antrag durch Bescheid vom 17.01.2008 ab mit der Begründung, die
Ast. zu 2) sei Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG; ihr notwendiger
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Unterkunftsbedarf würde durch Sachleistungen (Unterbringung in einem
Übergangswohnheim) erbracht. Für den Ast. zu 1) seien durch die Unterbringung in
einem Übergangswohnheim keinerlei Nachteile erkennbar; die Übernahme der Kosten
für eine eigene Privatunterkunft und die damit verbundenen
Wohnungsbeschaffungskosten seien nicht gerechtfertigt. Hierdurch würde eine nicht
vertretbare Besserstellung gegenüber anderen Leistungsberechtigten nach dem
AsylbLG eintreten.
Dagegen legten die Ast. am 23.01.2008 Widerspruch ein, über den noch nicht
entschieden ist.
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Ebenfalls am 23.01.2008 haben die Ast. um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Sie
sind der Auffassung, Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) verbiete es, den Ast. zu 1) auf
die als Sachleistung für die Ast. zu 2) bereitgestellte Asylunterkunft zu verweisen. Wenn
das OVG NRW (Beschluss vom 28.02.2003 - 16 B 2363/02) entschieden habe, dass die
GK-Flüchtlinge, die Ansprüche wie deutsche Staatsangehörige hätten, regelmäßig nicht
darauf verwiesen werden könnten, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, wenn
keine ausländerrechtliche Verpflichtung dazu bestehe, gelte dies erst recht für deutsche
Staatsangehörige wie den Ast. zu 1). Habe aber der Ast. zu 1) einen Anspruch auf eine
angemessene Unterkunft, so sei das Ermessen im Fall der Ast. zu 2) als
alleinerziehende Mutter auf Null reduziert. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich zum Einen
daraus, dass das Mietangebot nicht dauerhaft aufrechterhalten bleibe, zum Anderen aus
der gesundheitlichen Verfassung des Ast. zu 1). Die Ast. haben hierzu ärztliche
Bescheinigungen der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums B.
und des behandelnden Kinderarztes vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass die bisherigen
Wohnverhältnisse zu der erhöhten Infektanfälligkeit des Ast. zu 1) führen können.
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Die Antragsteller beantragen schriftsätzlich,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die
Notwendigkeit für den Auszug aus dem Übergangswohnheim und die Notwendigkeit
des Umzuges anzuerkennen sowie die Zustimmung zur An- mietung des Wohnraums
zu erteilen und die Kosten für die Wohnung in B. zu übernehmen, hilfsweise, den
Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, angemessene
Kosten der Unterkunft zu übernehmen, dass die Wohnung im laufenden Verfahren nicht
mehr zur Verfügung steht.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
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Er hat den Ast. zu 1) amtsärztlich untersuchen lassen. Die Amtsärztin ist zum Ergebnis
gekommen, dass die aktuelle Wohnsituation der Ast. im Übergangswohnheim , wo die
Duschen sich als Gemeinschaftseinrichtung im Untergeschoss befinden,
möglicherweise problematisch seien; die Amtsärztin hat daher den Umzug der Ast. in
eine abgeschlossene Wohneinheit, die sowohl den eigentlichen Wohnbereich als auch
den Sanitärbereich umfasst, empfohlen. Sie hat darauf hingewiesen, dass eine derartige
Unterbringung auch in einem städtischen Übergangswohnheim erfolgen könne.
Daraufhin hat der Ag. den Ast. am 12.03.2008 eine renovierte Wohnung im
Übergangsheim in B. angeboten; es handelt sich hierbei um eine abgeschlossene
Wohneinheit mit eigenem Sanitärbereich.
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Die Ast. haben daraufhin am 13.03.2008 erklärt, dass diese Lösung nicht ihrem
Antragsbegehren entspreche, da es sich bei der Wohnung in der ebenfalls um ein
Übergangswohnheim für Asylbewerber handele.
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, jedoch nicht
begründet.
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Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige
Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheint. Der Antragsteller muss glaubhauft machen (§ 86b Abs. 2 Satz
4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die
geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten
einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit
unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige
Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer
gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.
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Es ist bereits zweifelhaft, ob die Ast. einen Anordnungsanspruch haben. Dagegen
spricht, dass die angemietete Wohnung mit 73,22 qm Wohnfläche für zwei Personen,
von denen eine ein Säugling ist, möglicherweise unangemessen ist. Zwar ist der
Mietpreis relativ gering, so dass u.U. in Anwendung der so genannten Produkttheorie
die Angemessenheit doch bejaht werden könnte. Jedoch bedarf es hierzu weiterer
Ermittlungen. Ungeklärt ist auch die Frage, ob ein minderjähriges Kind deutscher
Staatsangehörigkeit einen Anspruch auf eine privat angemietete Wohnung hat, wenn
seine Mutter Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG ist. Die von den Ast. für ihr
Begehren in Anspruch genommene Entscheidung des OVG Münster ist anders gelagert,
die dortigen Antragsteller gehörten sämtlich nicht (mehr) zum Kreis der
Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG. Dies trifft auf die Ast. zu 2) jedoch nicht zu.
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Nachdem der Ag. den Ast. eine frisch renovierte Wohnung mit abgeschlossenem
Sanitärbereich in einem anderen Übergangswohnheim zur Verfügung gestellt hat, fehlt
es an einem Anordnungsgrund. Denn den von den Ast. vorgetragenen gesundheitlichen
Bedenken wird durch die neue Wohnung ersichtlich Rechnung getragen. Ob die
Wohnverhältnisse in der bisherigen Wohnung überhaupt ursächlich für die
Infektanfälligkeit des Ast. zu 1) waren, ist nicht gesichert. Sowohl die Ärzte der
Kinderklinik als auch der Kinderarzt haben dies lediglich für möglich gehalten. Auch die
Amtsärztin hat die Kausalität zwischen der Krankheit und bisherigen Wohnverhältnissen
nicht als erwiesen angesehen, sondern auch nur für möglich gehalten. Sie hat aber -
offensichtlich vorsichtshalber und zum Schutz des Ast. zu 1) - eine Änderung der
Wohnverhältnisse befürwortet. Diese sind nun in der Wohnung im Übergangswohnheim
gegeben. Die Wohnung ist frisch renoviert und hat einen eigenen abgeschlossenen
Sanitärbereich. Die vom Kinderarzt kritisierten Bedingungen in der bisherigen Wohnung
(beengte Wohnsituation, Schimmelbefall) sind damit entfallen.
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Bei der gebotenen Güter- und Folgenabwägung im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes (vgl. dazu: BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05) ist zu
berücksichtigten, dass die von den Ast. begehrte gerichtliche Verpflichtung des Ag., die
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Zustimmung zur Anmietung einer privaten Wohnung zu erteilen und die dadurch
anfallenden Kosten der Unterkunft zu übernehmen, die Hauptsache nicht nur vorläufig
regeln, sondern vollständig und endgültig vorwegnehmen würde. Im Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes soll die Hauptsache aber grundsätzlich nicht
vorweggenommen werden, sondern allenfalls dann, wenn ohne den Erlass einer
einstweiligen Anordnung schwere und nicht wieder gutzumachende Nachteile dro-hen.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Angesichts der nunmehr bestehenden Möglichkeit, in eine
frisch renovierte abgeschlossene Wohneinheit mit abgeschlossenem Sanitär-bereich zu
ziehen, wird den gesundheitlichen Verhältnissen des Ast. zu 1) einerseits und den
Interessen des Ag. andererseits vorläufig in ausreichendem Maße genügt.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
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