Urteil des SozG Aachen vom 06.02.2007
SozG Aachen: verordnung, geburt, berechtigte person, vergleichbare leistung, erwerbstätigkeit, gehalt, staatsangehörigkeit, eugh, betrug, lebensgemeinschaft
Sozialgericht Aachen, S 13 EG 15/06
Datum:
06.02.2007
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 13 EG 15/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 13 EG 3/07
Sachgebiet:
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht
zu erstatten.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erziehungsgeld für das erste
Lebensjahr des am 00.00.2005 geborenen Kindes F.
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Die am 00.001966 geborene Klägerin ist geschieden. Sie hat den Beruf einer Lehrerin
erlernt und lebt seit 1985 in Deutschland. Sie besitzt seit Geburt die griechische, seit
2004 daneben auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie ist Beamtin des griechischen
Staates und in Griechenland im Rahmen eines Sondersystems für Beamte
sozialversichert. Speziell ihre Krankenversicherung erfolgt durch die "Einrichtung für
Gesundheitsversorgung der Versicherten des öffentlichen Dienstes" (OPAD). Vom
Kultusministerium der Republik Griechenland ist sie seit 2001 mehrfach zu einer
Tätigkeit in Deutschland abgeordnet worden, und zwar a) durch Ministerialbeschluss
vom 01.11.2001 für das Schuljahr 2001/2002 zur Unterrichtung im muttersprachlichen
Bereich in B. und I., b) durch Ministerialbeschluss vom 04.10.2002 für die Schuljahre
2002/2003, 2003/2004 und 2004/2005 zur Tätigkeit in der Erziehungsabteilung des
griechischen Generalkonsulats in E. (Sekretariatsarbeit), c) durch Ministerialbeschluss
vom 10.06.2005 für die Schuljahre 2005/2006 und 2006/2007 weiterhin zur Tätigkeit in
der Erziehungsabteilung des Generalkonsulats E. Sie erhielt und erhält vom
griechischen Staats Auslandsbezüge, die nach griechischem Recht versteuert werden.
Am 00.00.2005 gebar die Klägerin das Kind F. Der Vater des Kindes ist griechischer
Staatsangehöriger und lebt seit der Geburt des Kindes in Deutschland mit der Klägerin
in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Das Personensorgerecht steht der Klägerin
zu, die das mit ihr im Haushalt lebende Kind selbst betreut und erzieht.
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Am 05.07.2005 beantragte die Klägerin Erziehungsgeld (Regelbetrag) für das erste
Lebensjahr des Kindes F. mit dem Hinweis, sie übe seit der Geburt des Kindes bis zum
Ende des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit aus.
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Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 18.07.2005 - gestützt auf § 1 Abs.
9 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) - ab.
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Dagegen legte die Klägerin am 09.08.2005 Widerspruch ein. Sie vertrat die Auffassung,
uneingeschränkt Anspruch auf Erziehungsgeld zu haben, weil sie wie ihr Kind die
deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Im Übrigen habe sie auch als EU-Ausländerin
Anspruch auf diese Leistung nach Maßgabe des EG-Rechts.
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Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 15.08.2006 -
nach einem ersten vergeblichen Zustellversuch erneut abgeschickt am 10.10.2006 -
zurück.
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Für den Zeitraum des ersten Lebensjahres des Kindes, in dem die Klägerin keiner
Erwerbstätigkeit nachging, erhielt sie ihr Gehalt wegen der Geburt des Kindes
ungeschmälert weiter. Das Gehalt betrug monatlich 2.060,00 EUR brutto und 1.751,00
EUR netto. Nach Ablauf des ersten Lebensjahres nahm die Klägerin ihre
Erwerbstätigkeit als Beamtin des griechischen Staates beim Generalkonsulat in E.
wieder auf.
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Am 03.11.2006 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie meint, die von dem Beklagten
herangezogene Anspruchsauschlussnorm greife nicht, da sie nicht in einem
Beschäftigungs-, sondern in einem Beamtenverhältnis stehe; sie habe sich bereits in
Deutschland befunden und nicht erst - und schon gar nicht vorübergehend - hierher
entsandt werden müssen. Sie falle nicht unter die Regelung der Verordnung (EWG)
1408/71, da diese ausdrücklich nur für Arbeitnehmer und Selbstständige gelte, die
innerhalb der Gemeinschaft zu - und abwanderten. Von einem Zu- und Abwandern
könne bei ihr aber keine Rede sein. Da sie Deutsche sei, in Deutschland wohne und
hier arbeite, unterliege sie den deutschen Rechtsvorschriften.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.07.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbe- scheides vom 15.08.2006 zu verurteilen, ihr für das ersten Lebensjahr
des am 00.00.2005 geborenen Kindes F. Erziehungsgeld (Regelbetrag) nach Maßgabe
der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er beruft sich auf Artikel 13 Abs. 2 Buchstabe d) der Verordnung (EWG) 1408/71.
Beamte seien seit 1999 in den Anwendungsbereich dieser Verordnung einbezogen.
Aus der genannten Vorschrift ergebe sich, dass die Klägerin den Rechtsvorschriften
Griechenlands unterliege.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des
Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
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Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat
keinen Anspruch auf Erziehungsgeld anlässlich der Geburt ihres Kindes F.
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Die Klägerin erfüllt zwar die Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1
bis 4 BErzGG. Sie erhält jedoch kein Erziehungsgeld, weil sie im Rahmen ihres im
Ausland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses vorübergehend nach Deutschland
entsandt ist und auf Grund überstaatlichen Rechts nicht dem deutschen
Sozialversicherungsrecht unterliegt (§ 1 Abs. 9 Satz 1 BErzGG). Die Klägerin ist
vorübergehend nach Deutschland entsandt, weil ihre Tätigkeit in Deutschland jeweils
nur für einzelne Schuljahre befristet ist. Dies ergibt sich aus den Ministerialbeschlüssen
des griechischen Kultusministeriums vom 01.11.2001, 04.10.2002 und 10.06.2005.
Auch wenn sich die daraus ergebenden Abordnungen aneinander anschlossen, sind
sie jeweils nur für eine vorübergehende Zeit und von vorne herein befristet, nämlich für
bestimmte Schuljahre, erteilt worden. Nach überstaatlichem Recht unterliegt die
Klägerin nicht den deutschen, sondern den griechischen Rechtsvorschriften. Dies ergibt
sich aus Artikel 13 Abs. 2 Buchstabe d) der Verordnung (EWG) 1408/71. Danach
unterliegen Beamte und ihnen gleichgestellte Personen den Rechtsvorschriften des
Mitgliedstaats, in dessen Behörde sie beschäftigt sind. Die Klägerin unterliegt dem
persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EWG) 1408/71, weil sie Beamtin ist.
Durch die Verordnung (EG) 1606/98 vom 29.06.1998 sind Beamten und ihnen
gleichgestellte Personen in die Verordnung (EWG) 1408/71 und die Verordnung (EWG)
574/72 einbezogen. Betroffen ist auch der sachliche Geltungsbereich der Verordnung
(EWG) 1408/71, da es sich beim Erziehungsgeld nach dem BErzGG um eine
Familienleistung im Sinne des Artikel 4 Abs. 1 Buchstabe h) dieser Verordnung handelt
(EuGH, Urteil vom 10.10.1996 - Rs. C-245/94 und C-312/94 [Hoever/Zachow] = EuGHE
Slg. I 1996, 4926 = SozR 3-6050 Artikel 4 Nr. 8 = Breith. 1997, 266 = SozSich 1997,
196; Urteil vom 12.05.1998 - Rs C-85/96 [Skala] = EuGHE Slg. I 1998, 2708 = SozR 3-
7833 § 1 Nr. 22 = BB 1998, 1901). Auch Artikel 14e der Verordnung (EWG) 1408/71
bestimmt, dass Beamte und ihnen gleichgestellte Personen, die - wie die Klägerin - im
Rahmen eines Sondersystems für Beamte in einem Mitgliedstaat versichert sind und
gleichzeitig in einem anderen Mitgliedstaat eine abhängige Beschäftigung ausüben,
den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegen, in dem sie im Rahmen eines
Sondersystems für Beamte versichert sind.
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Soweit die Klägerin auf den Titel der Verordnung (EWG) 1408/71 ("Verordnung über die
Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige
sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern")
abstellt und meint, diese Verordnung sei deshalb auf die nicht anwendbar, weil sie nicht
zu- oder abwandere, ist darauf hinzuweisen, dass sich das Recht nicht nach der
Überschrift einer Rechtsnorm bestimmt, sondern nach deren Inhalt. "Zu- und
Abwandern" meint die Migrationsproblematik des Auseinanderfallens von
Beschäftigungsort, Beschäftigungsstaat und/ oder Wohnort und die dadurch bedingte
Betroffenheit mehrerer Rechtssysteme. Die Klägerin ist als Beamtin Arbeitnehmerin des
griechischen Staates, arbeitet und wohnt jedoch in Deutschland. Die
Staatsangehörigkeit ist insofern ohne Bedeutung. Aus der Vorschrift des Artikel 13 Abs.
2 Buchstabe d) der Verordnung (EWG) 1408/71 ergibt sich für den
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Erziehungsgeldanspruch der Klägerin, dass dieser ausgeschlossen ist, weil die
Klägerin den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates, das ist Griechenland,
unterliegt (vgl. zur Anwendung dieser Vorschrift auch: EuGH, Urteil vom 01.02.1996 - C-
308/94 = SozR 3-6050 Artikel 13 Nr. 10). Konsequenz der Bestimmung des Artikel 13
Abs. 2 Buchstabe d) der Verordnung (EWG) 1408/71 ist deshalb auch, dass die Klägerin
nach griechischem Recht sozialversichert ist.
Da die Klägerin wegen der Geburt des Kindes F. ihr Gehalt für den Zeitraum eines
Jahres nach der Geburt ungekürzt weiter erhalten hat, obwohl sie keiner
Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, kann sich ein Ausschluss des
Erziehungsgeldanspruchs auch aus den §§ 5 und 6 sowie aus § 8 Abs. 3 BErzGG
ergeben. Nach § 5 Abs. 3 BErzGG wird das Erziehungsgeld einkommensabhängig
gewährt. Ist die berechtigte Person - die Klägerin - während des Erziehungsgeldbezugs
nicht erwerbstätig, bleiben lediglich ihre Einkünfte aus einer vorherigen Erwerbstätigkeit,
also einer Tätigkeit vor der Geburt des Kindes, unberücksichtigt (§ 6 Abs. 6 Satz 1
BErzGG). Dagegen werden Entgeltersatzleistungen der berechtigten Person während
des (möglichen) Erziehungsgeldbezuges berücksichtigt. Für die anderen Einkünfte
gelten die übrigen Vorschriften des § 6 (§ 6 Abs. 6 Satz 4 und 5 BErzGG). Das Gehalt
der Klägerin, das sie während des ersten Lebensjahres des Kindes bezogen hat, betrug
monatlich 2.060,00 EUR brutto und 1.751,00 EUR netto. Unter Einbeziehung des
ebenfalls zu berücksichtigenden Einkommens des mit ihr in eheähnlicher
Lebensgemeinschaft lebenden Vaters des Kindes F. - vgl. §§ 5 Abs. 3 Satz 6, 6 Abs 3
Satz 2 BErzGG - kommt eine Überschreitung der Einkommensgrenzen nach § 5 Abs. 3
BErzGG in Betracht. Unabhängig davon schreibt § 8 Abs. 3 BErzGG vor, dass die den
Erziehungsgeld und dem Mutterschaftsgeld vergleichbaren Leistungen, die im Ausland
in Anspruch genommen werden können, anzurechnen sind und insoweit
Erziehungsgeld ausschließen. Da die Klägerin nach der Geburt des Kindes ein Jahr
lang mit der Erwerbstätigkeit aussetzen konnte, im Hinblick auf die Geburt des Kindes
jedoch ihre Gehaltsansprüche behielt, liegt es nahe, in dieser Leistungsfortzahlung eine
dem Erziehungsgeld vergleichbare Leistung des griechischen Staates zu sehen, die
nach § 8 Abs. 3 BErzGG einen Erziehungsgeldanspruch ausschließen würde. Letztlich
brauchte die Kammer hierüber jedoch nicht zu entscheiden, weil sich der
Anspruchsausschluss bereits aus der Vorschrift des § 1 Abs. 9 BErzGG ergibt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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