Urteil des SozG Aachen vom 11.11.2005

SozG Aachen: beginn des leistungsanspruchs, anpassung, höchstbetrag, vertrauensschutz, gerichtsakte, dienstleistung, zukunft, drucksache, arbeitsmarkt, heizung

Sozialgericht Aachen, S 8 AS 60/05
Datum:
11.11.2005
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 AS 60/05
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist die Höhe des befristeten Zuschlags zum Arbeitslosengeld II.
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Der am 00.00.1949 geborene Kläger bezog bis zum 06.10.2004 Arbeitslosengeld,
anschließend bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe. Wohngeld nach dem
Wohngeldgesetz erhielt der Kläger nicht. Das Arbeitslosengeld betrug zuletzt monatlich
998,88 EUR. Ab 01.01.2005 bewilligte die Beklagte die Regelleistung zur Sicherung
des Lebensunterhaltes in Höhe von 345,00 EUR, Kosten der Unterkunft in Höhe von
457,34 EUR und einen befristeten Zuschlag gemäß § 24 SGB II in Höhe von 131,00
EUR. Ab 01.03.2005 verringerte sich durch den Umzug des Klägers in eine kleinere
Wohnung die Höhe der Kosten der Unterkunft auf 232,68 EUR. Dieser Betrag wurde
von der Beklagten direkt an den Vermieter gezahlt.
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Auf den Weiterzahlungsantrag vom 24.05.2005, mit dem der Kläger mitgeteilt hatte, dass
keine Änderung in den Verhältnissen eingetreten war, bewilligte die Beklagte mit (nicht
aktenkundigem) Bescheid vom 16.06.2005 Arbeitslosengeld II ab 01.07.2005 bis zum
31.12.2005. Sie bewilligte weiterhin einen Zuschlag in Höhe von 131,00 EUR bis zum
30.09.2005.
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Im Widerspruchsverfahren monierte der Kläger, der Zuschlag sei zu niedrig. Er erreiche
nicht 2/3 der Differenz zwischen dem zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld und dem
Arbeitslosengeld II. Vielmehr stehe dem Kläger der Höchstbetrag in Höhe von 160,00
EUR gemäß § 24 Abs. 3 Nr. 1 SGB II zu.
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Mit Bescheid vom 24.08.2005 und Widerspruchsbescheid vom 25.08.2005 berechnete
die Beklagte den Zuschlag neu. Im Oktober 2005 stehe dem Kläger ein Zuschlag in
Höhe von 76,80 EUR und ab 01.11.2005 ein Zuschlag in Höhe von 64,00 EUR zu.
Soweit dem Kläger bis zum 30.09.2005 ein Zuschlag, der über 128,00 EUR hinaus geht,
bewilligt wurde, erfolge keine Rückforderung, denn der Kläger könne sich auf
Vertrauensschutz berufen. Maßgebend für die Berechnung des Zuschlages sei der
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Bedarf der gesamten Bedarfsgemeinschaft zu Beginn des Leistungsanspruchs. Spätere
Änderungen führten nicht zu einer Neuberechnung des Zuschlags.
Gegen diese Entscheidung richtete sich die am 00.00.0000 erhobene Klage. Der Kläger
meint, der Zuschlag sei nach der Differenz zwischen dem zuletzt bezogenen
Arbeitslosengeld und dem aktuellen Zahlbetrag des Arbeitslosengeldes II zu berechnen.
2/3 der so berechneten Differenz überstiegen den Höchstbetrag des § 24 Abs. 3 Nr. 1
SGB II, weshalb dieser zu bewilligen sei. Nach Ablauf eines Jahres nach dem Bezug
des Arbeitslosengeldes II stehe dem Kläger gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB II der
gemäß § 24 Abs. 2 SGB II berechnete, jedoch um 50 % verminderte Betrag zu.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 16.06.2005 und 24.08.2005 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2005 zu verurteilen, den befristeten
Zuschlag vom 01.07.2005 bis zum 31.010.2005 in Höhe von 160,00 EUR, anschließend
in Höhe von 136,00 EUR monatlich zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie meint, die Berechnung des Zuschlages richte sich nach den Verhältnissen zu
Beginn des Bezugs des Arbeitslosengeldes II. Spätere Änderungen im Bedarf berührten
die Höhe des Zuschlags nicht.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht
rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Dem Kläger steht kein höherer
befristeter Zuschlag zum Arbeitslosengeld II zu. Die Beklagte hat den Zuschlag zu
Recht ab Oktober 2004 auf 128,00 EUR bzw. 64,00 EUR (50 % von 128,00 EUR)
begrenzt.
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Soweit der erwerbsfähige Hilfebedürftige Arbeitslosengeld II innerhalb von zwei Jahren
nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld bezieht, erhält er in diesem Zeitraum
gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II einen monatlichen Zuschlag. Nach Ablauf des ersten
Jahres wird der Zuschlag gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB II um 50 vom Hundert
vermindert. Der Zuschlag beträgt gemäß § 24 Abs. 2 SGB II nach näherer Maßgabe
dieser Bestimmung 2/3 des Unterschiedsbetrages zwischen dem Arbeitslosengeld und
dem nach dem Wohngeldgesetz erhaltenen Wohngeld einerseits und dem
Arbeitslosengeld II andererseits.
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Die Beklagte hat den Zuschlag zutreffend berechnet. Insbesondere hat sie zutreffend auf
die Verhältnisse im Januar 2005 abgestellt und die Reduzierung des Bedarfs im März
2005 nicht zuschlagserhöhend berücksichtigt. Allerdings enthält § 24 Abs. 2 Nr. 2 SGB II
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keine Regelung, auf welchen Zeitpunkt für die Berechnung abzustellen ist. Insofern ist
fraglich und in der Literatur umstritten, ob nur auf den ersten Monat des Bezugs von
Arbeitslosengeld II abzustellen ist, oder ob Einkommens- oder Bedarfsänderungen
während des Bewilligungszeitraums zu einer Neuberechnung des Zuschlags führen
müssen (zum Streitstand vgl. Müller in: Hauck/Noftz, SGB II, § 24 Rdnr. 12b). Das
Gericht folgt der Auffassung, die allein auf die Verhältnisse im ersten Monat des
Arbeitslosengeld II-Bezuges abstellt. Allerdings spricht für eine fortlaufende Anpassung,
dass im ersten Monat vorhandene zufällige Einkommensverhältnisse nicht
ausschlaggebend sein dürfen für den gesamten Bewilligungszeitraum (so Müller a. a.
O.). Gegen eine fortlaufende Anpassung spricht demgegenüber entscheidend, dass
gerade in Fällen der Bedarfsminderung durch einen Wohnungswechsel es Sinn und
Zweck des Arbeitslosengeldes II – Übernahme der angemessenen notwendigen Kosten
zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der Kosten für Unterkunft und
Heizung (§ 19 Satz 1 Nr. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) - widersprechen würde, wenn eine
pflichtgemäße Reduzierung des Bedarfs zu einer Erhöhung des befristeten Zuschlags
führen würde. Gegen eine fortlaufende Anpassung spricht zudem, dass spätere
Einkommensveränderungen mit dem zuschlagsauslösendem Ereignis "Abfederung des
Systemwechsels" nicht mehr unmittelbar zusammen hängen (ebenso Müller a. a. O.).
Auch der Gesetzeswortlaut deutet eher darauf hin, dass der Zuschlag statisch und nicht
dynamisch zu berechnen ist. Denn § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB II bestimmt, dass nach
Ablauf des ersten Jahres "der Zuschlag" um 50 % vermindert wird. Schließlich spricht
die Regierungsbegründung zum Entwurf des Vierten Gesetzes für moderne
Dienstleistung am Arbeitsmarkt vom 25.07.2003 (BT-Drs. 15/1516, S. 58) dafür, lediglich
auf die Verhältnisse zu Beginn des Bezuges von Arbeitslosengeld II abzustellen. Denn
hier wird ausgeführt, es sei "sinnvoll und zielführend", den Zuschlag aus 2/3 des
Differenzbetrages auf die variablen Transferleistungen zum Zeitpunkt des Endes des
Arbeitslosengeldbezuges auf der einen und zum Zeitpunkt des Bezugs von
Arbeitslosengeld II auf der anderen Seite zu beschränken (in diesem Sinne auch
Herold-Tews in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 24 Rdnr. 21). Der Gegenauffassung,
wonach der Zuschlag stets neu zu berechnen sein soll, wenn sich der
Unterschiedsbetrag zwischen dem Arbeitslosengeld und dem Arbeitslosengeld II
verändert (so ausdrücklich Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 24 Rdnr. 10) ist auch
entgegenzuhalten, dass eine derartige ständige Prüfpflicht sehr verwaltungsaufwändig
wäre. Auch dieser Gesichtspunkt ist ein zulässiger Auslegungsgesichtspunkt, denn der
Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber ein
verwaltungsaufwändiges Verfahren vermeiden wollte (BT-Drucksache 15/1516 a. a. O.).
Schließlich belastet die Berechnung des Zuschlags nach den Verhältnissen zu Beginn
des Leistungsanspruchs zwar möglicherweise den einzelnen Leistungsempfänger, nicht
aber zwingend die Leistungsempfänger in ihrer Gesamtheit. Denn ebensowenig, wie
der Zuschlag neu zu berechnen ist, wenn der Bedarf sinkt und sich die Differenz erhöht,
ist es zulässig, den Zuschlag zu vermindern, wenn der Bedarf steigt und sich die
Differenz damit vermindert.
Die Beklagte war gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB X berechtigt, den fehlerhaft mit
131,00 EUR berechneten Zuschlag ab 01.10.2005 auf den zutreffenden Betrag in Höhe
von 128,00 EUR zu reduzieren. Der Kläger kann sich insoweit nicht auf
Vertrauensschutz berufen, denn die Beklagte hat diese Reduzierung lediglich mit
Wirkung für die Zukunft vorgenommen und es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger im
Hinblick auf den um 3,00 EUR zu hoch berechneten Zuschlag eine
Vermögensdisposition im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X getroffen hat.
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Weil die Beklagte den Zuschlag mit 128,00 EUR zutreffend berechnet hat, ist es gemäß
§ 24 Abs. 1 Satz 2 SGB II zutreffend, diesen nach Ablauf des ersten Jahres um 50 % auf
64,00 EUR zu vermindern. Auf die Frage, ob bei Bewilligung des Zuschlages in Höhe
des gemäß § 24 Abs. 3 Nr. 1 SGB II berechneten Höchstbetrages von 160,00 EUR nach
Ablauf eines Jahres dieser gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB II um 50 % auf 80,00 EUR zu
vermindern ist, oder ob nach Ablauf des ersten Jahres 50 % des gemäß § 24 Abs. 2
SGB II berechneten Zuschlages zu bewilligen ist, kommt es daher vorliegend nicht an.
Die Kammer meint jedoch, dass sich aus dem Wortlaut des § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB II
ergibt, dass der um 50 % reduzierte Höchstbetrag, d. h. 80,00 EUR zu bewilligen sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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