Urteil des SozG Aachen vom 09.01.2007

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Sozialgericht Aachen, S 11 AS 68/06
Datum:
09.01.2007
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 11 AS 68/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 9 AS 13/07
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt die Zahlung von Arbeitslosengeld II (Alg II) ohne Anrechnung von
Einkommen und Vermögen von Frau E. Qu ...
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Der am 00.00.1960 geborene Kläger bewohnt zusammen mit Frau E. Qu., ihrem
gemeinsamen Sohn sowie einem weiteren Sohn der Frau Qu. ein Einfamilienhaus, das
beide im September 2001 je zur Hälfte erworben haben. Die Finanzierung des Hauses
wird über ein gemeinsames Konto abgewickelt. Strom-, Wasser- und Heizkosten laufen
auf Frau Qu.
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Der Kläger bezog bis Ende 2005 Alg II. Seinen Weiterzahlungsantrag von Januar 2006
lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.03.2006 mit der Begründung ab, er lebe mit
Frau Qu. in eheähnlicher Lebensgemeinschaft. Da der Kläger über deren Einkommen
und Vermögen keine Angaben gemacht habe, müsse davon ausgegangen werden,
dass es ausreiche, um auch den Lebensunterhalt des Klägers abzudecken. Den am
23.03.2006 hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom
10.05.2006 zurück.
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Hiergegen richtet sich die am 14.06.2006 erhobene Klage.
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Der Kläger führt aus, Frau Qu. und er lebten in einer reinen Zweckgemeinschaft. Sie
hätten keinerlei Ansprüche gegeneinander, jeder sorge für sich selbst und es bestünden
getrennte Kassen; das Konto zur Finanzierung des Hauses sei das einzige
gemeinsame Konto. Bislang habe ihn seine Mutter mit monatlichen Darlehen unterstützt.
Soweit Frau Qu. einen Teil seiner Kosten für das Haus übernommen habe, habe er
diese durch Ausgleichszahlungen erstattet. Er bewohne außerdem nur einen Teil des
Hauses, der abschließbar sei.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 15.03.2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheids vom 10.05.2006 zu verurteilen, ihm Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit ab 01.01.2006 ohne Berücksichtigung
von Einkommen und Vermögen der Frau Dagmar Peters zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie führt aus, dass sie Anfang 2006 mehrfach versucht habe, sich von der tatsächlichen
Wohnsituation im Einfamilienhaus ein eigenes Bild zu machen. Bei einem
unangemeldeten Wohnungsbesuch habe der Kläger den Mitarbeitern der Beklagten den
Zutritt verweigert und eine vorherige Mitteilung des Besuchstermins gefordert. Die ihm
anschließend schriftlich mitgeteilten Termine habe er abgelehnt und sich - wenn
überhaupt - nur im Beisein eines Rechtsbeistands mit einem Wohnungsbesuch
einverstanden erklärt. Ein solcher Termin sei bislang nicht zustandegekommen.
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Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind nicht rechtswidrig im Sinne des
§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat weder nach dem bis zum
31.07.2006 geltenden Recht (a.F.) noch nach dem ab dem 01.08.2006 geltenden Recht
Anspruch auf Alg II, da er nicht hilfebedürftig ist.
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Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für
Arbeitsuchende - (SGB II) setzen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende
Hilfebedürftigkeit voraus. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen
Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft
lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln oder aus den zu
berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe
nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer
Sozialleistungen erhält. Die Hilfebedürftigkeit ist nicht hinreichend dargetan, da der
Kläger sich weigert, Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der
Frau Qu., mit der er in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, zu machen.
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§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II bestimmt, dass bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft
leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen sind. Der
Kläger und Frau Qu. sind nach altem und nach neuem Recht als Partner einer
Bedarfsgemeinschaft anzusehen.
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Zur Bedarfsgemeinschaft gehörte nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II a.F. als Partner des
erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen auch die Person, die mit ihm in eheähnlicher
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Gemeinschaft lebt. Eheähnliche Gemeinschaft ist die Lebensgemeinschaft eines
Mannes und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere
Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet,
die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die
Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (vgl.
BVerfGE 87, 234, 264; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.12.2006, L 12 B
90/06 AS ER). Indizwirkung kommt dem Wirtschaften - aus einem Topf -, der
gemeinsamen Betreuung und Versorgung von Kindern im Haushalt sowie der Befugnis,
über Einkommens- und Vermögensgegenstände des Anderen zu verfügen, zu (vgl.
Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7, Rn. 27). Besondere Anforderungen an die
Dauer des Zusammenlebens sind nicht zu stellen (BSG SozR 3-4300 § 144 Nr. 10), sie
kann jedoch eine Indizwirkung für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft
entfalten. Liegen nach einer erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung hinreichende
Indizien in diesem Sinne vor, so ist es Sache des Klägers, plausible Gründe darzulegen,
die das Zusammenleben als reine Zweckgemeinschaft erscheinen lassen (LSG Bayern,
Urteil vom 11.07.2006, L 11 AS 5/06).
Das seit 01.08.2006 geltende Recht stellt auf das Vorliegen einer Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaft (nachfolgend kurz: Einstandsgemeinschaft) ab. Gemäß § 7 Abs.
3 Nr. 3 c SGB II n.F. gehört eine Person zur Bedarfsgemeinschaft, die mit dem
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammen lebt,
dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist,
Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Gemäß § 7 Abs 3a
SGB II wird ein solcher Wille vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr
zusammenleben, mit einem gemeinsamen Kind zusammen leben, Kinder oder
Angehörige im Haushalt versorgen oder befugt sind, über Einkommen oder Vermögen
des anderen zu verfügen.
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Der Kläger bildet sowohl nach altem als auch nach neuem Recht eine
Bedarfsgemeinschaft mit Frau Qu. Der Kläger erfüllt jedenfalls zwei der vier seit dem
01.08.2006 geltenden Vermutungstatbestände (§ 7 Abs. 3a Nr. 1 und 2 SGB II), da er
seit über 5 Jahren mit Frau Qu. und dem gemeinsamen Sohn zusammen lebt. Diese
Umstände waren auch bereits nach altem Recht erhebliche Indizien für das Vorliegen
einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft; dies gilt insbesondere für das
Zusammenleben mit dem gemeinsamen Sohn. Hinzu kommt, dass der Kläger
zusammen mit Frau Qu. ein Einfamilienhaus erworben hat. Der gemeinsame Erwerb
einer gemeinsam bewohnten Immobilie manifestiert den Willen, auf Dauer zusammen
zu leben. Eine Zweckgemeinschaft zur Anschaffung einer Immobilien wäre etwa
dadurch gekennzeichnet, dass sich in der Immobilie verschiedene Wohnungen
befinden; der Verweis des Antragstellers auf abschließbare Zimmer genügt nicht, denn
dies ist in so gut wie allen Wohnhäusern der Fall. Soweit sich der Kläger darauf beruft,
es gäbe außer dem zur Hausfinanzierung bestehenden Konto keine weiteren
gemeinsamen Konten und jeder sorge für sich, ist dem entgegen zu halten, dass
"getrennte Kassen" auch unter Eheleuten nicht unüblich sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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