Urteil des SozG Aachen vom 26.10.2005

SozG Aachen: allgemeine lebenserfahrung, vergütung, bedürftigkeit, firma, gesellschafter, familie, kapital, arbeitslosenhilfe, freibetrag, grundstück

Sozialgericht Aachen, S 11 AL 79/04
Datum:
26.10.2005
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 11 AL 79/04
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 10.08.2003 bis zum
31.01.2004.
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Die am 00.00.1968 geborene Klägerin bezog bis 09.08.2003 Arbeitslosengeld (Alg) und
beantragte am 23.07.2003 Alhi. Zur Darlegung der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse gab sie ein Girokonto iHv 4013,15 Euro, ein Sparbuch iHv
1915,90 Euro, eine Kapitallebensversicherung iHv 7535.- Euro, Bausparverträge ohne
Guthaben und 2 Immobilien nebst Mieteinnahmen und Belastungen an. Zum
Einkommen ihres Ehemanns aus selbständiger Tätigkeit verwies die Klägerin auf den
Steuerbescheid für das Jahr 2001; auch sei monatlicher Unterhalt für ein nichteheliches
Kind iHv 293,48 Euro zu berücksichtigen.
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Nachdem die Klägerin noch der Auskünfte I W sowie ihres Steuerberaters vorgelegt
hatte, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom17.03.2004 wegen des
Einkommens des Ehemanns ab. Sie ging hierbei von einem bereinigten Einkommen
des Ehemanns iHv 6796,95 Euro aus und kam zu einem Gesamtanrechnungsbetrag iHv
1365,42 Euro.
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Mit ihrem am 07.04.2004 erhobenen Widerspruch rügte die Klägerin die Berechnung
seitens der Beklagten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom
03.09.2004 zurück: Der Gesamt-Freibetrag für das Vermögen der Klägerin und ihres
Ehemanns belaufe sich auf 14.800.- Euro. Der Ehemann sei an verschiedenen
Gesellschaften beteiligt und fungiere dort außerdem als Geschäftsführer, weswegen es
zumindest unglaubwürdig sei, dass er hierfür keine Vergütung erzielen solle. Gegen
Bedürftigkeit spreche auch, dass die Klägerin mit ihrem Ehemann am 01.02.2004 eine
neue Firma, die B GmbH & Co KG gegründet habe.
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Hiergegen richtet sich die am 01.10.2004 erhobene Klage, die die Klägerin zuletzt auf
die Zeit vor Gründung der b GmbH & Co KG beschränkt hat.
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Die Klägerin führt aus, sie und ihr Ehemann hätten ihren Lebensunterhalt ab Mitte 2003
bis November 2003 durch Privatentnahmen aus dem Vermögen der Gesellschaften
bestritten, da sich die Lage der Firmen ab dieser Zeit massiv verschlechtert habe. Die
Privatentnahmen hätten dem Lebensunterhalt der Familie auch nicht in vollem Umfang
zur Verfügung gestanden, da hieraus Sozialabgaben für Beschäftigte der
Gesellschaften gezahlt und weitere Verbindlichkeiten beglichen worden seien. Ab
November 2003 hätte die Familie sodann von Spareinlagen gelebt und ihren
Dispokredit in Anspruch genommen. Die Firmengründung am 01.02.2004 sei als der
beste Weg erschienen, die wirtschaftliche Situation zu verbessern; das erforderliche
Gründungskapital sei durch Darlehen beschafft worden.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.03.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 03.09.2004 zu verurteilen, ihr Arbeitslosenhilfe für die
Zeit vom 10.08.2003 bis zum 31.01.2004 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält den Alhi-Anspruch für nicht hinreichend dargetan und bezweifelt insbesondere,
dass der Ehemann der Klägerin für seine Geschäftsführertätigkeit bei mehreren
Gesellschaften keine Vergütung erhalten oder hierdurch sonstige Einnahmen erzielt
haben soll.
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Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten
sind nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die
Klägerin hatte während des zuletzt noch streitigen Zeitraums keinen Anspruch auf Alhi,
da sie nicht bedürftig war.
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Ein Anspruch auf Alhi setzte nach § 190 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch -
Arbeitsförderung - (SGB III) in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung (aF) voraus,
dass der Arbeitlose bedürftig war. Nicht bedürftig war ein Arbeitsloser, solange mit
Rücksicht auf das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten die
Erbringung von Alhi nicht gererechtfertigt war, § 193 Abs. 2 SGB III aF.
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Privatentnahmen aus dem Kapital einer Gesellschaft sind (im Gegensatz zum
Bilanzgewinn) nicht Einkommen, sondern Vermögen, da hier lediglich eine
Umschichtung vorhandener Vermögenswerte von der Gesellschaft auf den
Gesellschafter stattfindet (vgl. zum Wohngeldrecht OVG des Saarlandes, Urteil vom
14.01.2000, 3 R 4/99). In der Frage des Unterhaltsbeitrags im Recht der
Hinterbliebenenrenten hat die Rechtsprechung auch dieses Vermögen als Beitrag zum
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Lebensunterhalt des Gesellschafters und seiner Angehörigen angesehen (vgl. LSG
Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.02.2005, L 12 RA 23/02 mwN). Nichts anderes
durfte im Recht der Alhi gelten, das in § 193 Abs. 1 SGB III aF maßgeblich darauf
abstellte, ob der Arbeitslose seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch
Alhi bestreiten konnte.
Den (für die beide ermittelten) Freibetrag von 14.800.- Euro hatten die Klägerin und ihr
Ehemann - ausgehend jedenfalls von Spar- und Girokonto (zusammen 5.929,05 Euro) -
spätestens mit der nachgewiesenen dritten Entnahme am 29.08.2003 überschritten.
Angesichts der Tatsache, dass bereits im Vormonat Entnahmen iHv insgesamt 7200.-
Euro möglich waren und zwischen dem 02.07.2003 und dem 11.12.2003 insgesamt
mindestens 21.600.- Euro aus dem Vermögen zweier Gesellschaften entnommen
worden sind, drängt sich für das Gericht der Eindruck auf, dass die Klägerin und ihr
Ehemann ihren Lebensunterhalt während des gesamten streitigen Zeitraums anders als
durch Alhi sicherstellen konnten.
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Dies gilt umso mehr, als die Klägerin vehement bestreitet, dass ihr Ehemann seine
Geschäftsführertätigkeiten bei einer der - damals insgesamt vier - Gesellschaften, an
denen er beteiligt war, vergütet bekommen habe. Nach Auffassung der Kammer spricht
die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass geschäftsführende Gesellschafter ohne
vereinbarte Vergütung ihren persönlichen Lebensunterhalt im Wege von
Privatentnahmen bestreiten.
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Die aus diesen Privatentnahmen angeblich finanzierten Sozialabgaben für Beschäftigte
der Gesellschaften sowie weiteren Schuldentilgungen sind nicht hinreichend dargetan.
Es erscheint dem Gericht bereits unglaubhaft, dass der Ehemann der Klägerin Kapital
aus dem Vermögen der Gesellschaften in sein Privatvermögen überführt haben will, um
damit Schulden der Gesellschaften zu begleichen. Im Übrigen hat die Klägerin zum
Beweis ihrer Darlegungen lediglich einen Überweisungsauftrag zugunsten einer
privaten Lebensversicherung iHv 1227,10 Euro vorgelegt. Das Gericht vermag noch
nicht einmal nachzuvollziehen, ob dieser Auftrag tatsächlich ausgeführt worden ist.
Weitere Ausgaben sind nur hinsichtlich der monatlichen Zahlungen an die IW dargetan,
die jedoch - ausweislich der vorgelegten Saldomitteilung - wirtschaftlich der Erhaltung
eines anderen Objektes als des selbst bewohnten Grundstück dienten. Die Kammer hält
es nicht für gerechtfertigt, den Erwerb oder die Nutzung nicht selbst bewohnter
Immobilien im Weg der Alhi zu subventionieren.
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Die Kammer hält angesichts all dessen die Anspruchsvoraussetzung der Bedürftigkeit
nicht für hinreichend dargetan. Sie verkennt hierbei nicht, dass die Darlegungs- und
materielle Beweislast für das Vorliegen der Bedürftigkeit bei nachvollziehbarem
Bestreiten der (von der Beklagten vorgebrachten) Einwendungen vom Arbeitslosen auf
die Beklagte überging (Brandts, in: Niesel, SGB III, 2. Aufl., 2002, § 193, Rn 32). Jedoch
muss die Kammer bei ihrer Entscheidungsfindung mit berücksichtigen, dass die
Klägerin während des gesamten Verfahrens stark widersprüchliche Angaben gemacht
hat. Sie hat die Privatentnahmen, mit denen bereits vor dem Alhi-Antrag begonnen
worden war, erst im Klageverfahren mit der gebotenen Deutlichkeit offengelegt. Ihr
Einwand, die Beklagte habe keine diebezüglichen Unterlagen angefordert, geht ins
Leere, denn die Klägerin hat zur Geltendmachung eines Alhi-Anspruchs ihre
Einkommens - und Vermögensverhältnisse offen zu legen und kann sich nicht darauf
berufen, die Beklagte habe gleichsam "nicht danach gefragt". Es ist auch nicht richtig,
dass Privatentnahmen nur bis November 2003 erfolgt seien; vielmehr datiert die letzte
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dem Gericht nachgewiesene Entnahme vom 11.12.2003. Weiterhin hat die Klägerin
hinsichtlich des zuletzt nicht mehr streitigen Zeitraums ab Februar 2004 im
Verwaltungsverfahren vorgetragen, sie arbeite nicht bei der damals von ihr und ihrem
Ehemann neu gegründeten B GmbH & Co KG, während ein durch Zufall zur Akte der
Beklagten gelangtes und an einen Beschäftigten dieser Firma gerichtetes
Kündigungsschreiben die Unterschrift der Klägerin trägt (und nicht etwa mit einem
Zusatz wie "in Auftrag" oder "in Vertretung" gekennzeichnet ist).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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