Urteil des SozG Aachen vom 24.10.2003

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Sozialgericht Aachen, S 8 AL 57/03
Datum:
24.10.2003
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 AL 57/03
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 12 AL 274/03
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist die Feststellung einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe.
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Der am 00.00.0000 geborene Kläger arbeitete von August 1995 bis zum 02.07.2002 als
Produktionshelfer der Firma C GmbH. Am 27.06.2002 meldete er sich arbeitslos und
beantragte Arbeitslosengeld. In der Arbeitsbescheinigung teilte die Arbeitgeberin mit,
das Arbeitsverhältnis sei am 01.07.2002 zum 02.07.2002 durch den Arbeitgeber wegen
vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers (unentschuldigtes Fernbleiben vom
Arbeitsplatz) beendet worden.
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Mit Bescheid vom 21.08.2002 stellte die Beklagte für die Zeit vom 03.07.2002 bis zum
24.09.2002 (12 Wochen) eine Sperrzeit fest. Sie stützte die Entscheidung auf "§ 144
SGB III", der Kläger sei unentschuldigt von der Arbeit ferngeblieben und habe damit
gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen.
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Der Kläger hatte gegen die Kündigung beim Arbeitsgericht Aachen geklagt
(Geschäftsnummer 000). Am 23.01.2003 schlossen die Parteien folgenden Vergleich:
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1. Die Parteien sind sich einig, dass das Beschäftigungsverhältnis aufgrund ordentlicher
betrieblich bedingter Kündigung seitens der beklagten Arbeitgeberin vom 01.07.2002
fristgerecht mit Ablauf des 31.07.2002 sein Ende gefunden hat.
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2. Die Parteien sind sich einig, dass der Kläger in der Zeit vom 24.06.2002 bis zum
31.07.2002 unter Fortzahlung seiner Vergütung und unter Anrechnung etwaiger
Urlaubs- und sonstiger Freizeitausgleichsansprüche von der Erbringung der
Arbeitsleistung freigestellt war.
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3. Die Beklagte verpflichtet sich, entsprechend der Vorgabe zu Ziffer 2 das
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Beschäftigungsverhältnis bis zum Beendigungszeitpunkt vollständig abzurechnen.
4. Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger zum Ausgleich für den Verlust des
Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 1.500,00 EUR (i. W. eintausendfünfhundert
Euro) brutto = netto nach §§ 9, 10 KSchG 3 Ziffer 9 EStG bis spätestens zum 31.03.2003
zu zahlen.
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5. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu
erteilen, das keine Hinweise auf die streitgegenständlichen Vorfälle enthält.
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6. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger auf Verlangen und nach Vorlage eines
entsprechenden Formulars eine Bescheinigung nach § 312 SGB III nach Maßgabe des
heute geschlossenen Vergleichs ausgefüllt zu übersenden.
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7. Damit ist der Rechtsstreit 000 erledigt.
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Auf Nachfrage durch die Beklagte teilte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 13.02.2003
mit, dass trotz dieses Vergleiches der Vorwurf des vertragswidrigen Verhaltens
aufrechterhalten bleibe. Sie habe sich lediglich aus wirtschaftlichen Erwägungen
entschlossen, den arbeitsgerichtlichen Vergleich zu schließen. Der Kläger habe noch
erhebliche Urlaubsansprüche gehabt, die durch die Zahlung des Abfindungsbetrages
abgegolten worden seien. Die Arbeitgeberin übersandte eine nur hinsichtlich des
Beendigungszeitpunkts geänderte Arbeitsbescheinigung. Sie hielt im Übrigen am
Vorwurf des vertragswidrigen Verhaltens des Klägers fest.
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Mit Schreiben vom 10.03.2003 übersandte die Beklagte dem Kläger den Bescheid vom
21.08.2002 in Fotokopie. Sie führte aus, dieser Bescheid behalte auch nach dem
Vergleich vor dem Arbeitsgericht seine Gültigkeit.
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Hiergegen legte der Kläger am 27.03.2003 Widerspruch ein. Er meinte, aus dem vor
dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich ergebe sich, dass am Vorwurf des
arbeitsvertragswidrigen Verhaltens nicht festgehalten werden dürfe.
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Nach Beiziehung der Klageerwiderung des Bevollmächtigten der Beklagten im
arbeitsgerichtlichen Verfahren, in dem der Vorwurf des arbeitsvertragswidrigen
Verhaltens - unentschuldigtes Fehlen - näher präzisiert wird, wies die Beklagte den
Widerspruch mit Bescheid vom 22.05.2003 zurück. Der vor dem Arbeitsgericht
geschlossene Vergleich sei unmaßgeblich, weil der Arbeitgeber auf Anfrage bestätigt
habe, dass am Vorwurf des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens festgehalten werde.
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Hiergegen richtet sich die am 04.06.2003 erhobene Klage. Der Kläger meint, die
Arbeitgeberin sei nicht mehr berechtigt, den Vorwurf des arbeitsvertragswidrigen
Verhaltens zu erheben. Dies sei widersprüchlich zu dem Inhalt des arbeitsgerichtlichen
Vergleiches. Der Vorsitzende des arbeitsgerichtlichen Verfahrens habe darauf
hingewiesen, dass aufgrund des widersprechenden beiderseitigen Vortrages die
Berechtigung zur fristlosen Kündigung nicht nachweisbar sei. An den Inhalt des
Vergleiches seien die Beklagte und das Sozialgericht gebunden. Er hat insoweit
beantragt, die Akte des Arbeitsgerichtes beizuziehen und den damaligen
arbeitsgerichtlichen Vorsitzenden, Richter am Arbeitsgericht C1, als Zeugen zu
vernehmen.
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Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 10.03.2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.05.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten,
unter Rücknahme des Bescheides vom 21.08.2002 Arbeitslosengeld ohne Feststellung
einer Sperrzeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Betriebsleiters C2. Zum
Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom
24.10.2003 verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und
Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie
die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht
rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat die Sperrzeit zu
Recht festgestellt.
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Gegenstand des Widerspruchs- und Klageverfahrens ist der Bescheid vom 10.05.2003.
Dieses Schreiben ist nicht nur eine Wiederholung des Bescheides vom 21.08.2002,
sondern es enthält eine eigenständige Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X, weil
die Beklagte nach Abschluss des arbeitsgerichtlichen Verfahrens die Rechtmäßigkeit
zur Feststellung der Sperrzeit erneut geprüft hat (§ 44 SGB X).
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Gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III tritt eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe ein, wenn
der Arbeitslose durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des
Beschäftigungsverhältnisses gegeben und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig
die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem
Ereignis, das die Sperrzeit begründet und beträgt 12 Wochen (§ 144 Abs. 2, 3 SGB III).
Das sperrzeitbegründende Ereignis ist grundsätzlich das rechtliche Ende des
Beschäftigungsverhältnisses (Niesel, SGB III, 2. Aufl., Rdnr. 93 zu § 144 SGB III). Das
sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis mit der Firma C GmbH endete
am 02.07.2002. Die nachträgliche vergleichsweise Regelung ändert am Ende des
Beschäftigungsverhältnisses nichts.
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Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger sich arbeitsvertragswidrig verhalten
hat. Zu den arbeitsvertraglichen Hauptpflichten gehört die Verpflichtung des
Arbeitnehmers, die Arbeit in Person zu leisten (§ 613 BGB). Eine Verletzung dieser
Arbeitspflicht stellt arbeitsvertragswidriges Verhalten dar (Schaub, Arbeitsrechts-
Handbuch, § 51 Rdnr. 1 ff).
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Der Kläger hat seine Arbeitspflicht verletzt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass
der Kläger nach dem 21.06. 2002 nicht mehr gearbeitet hat. Das Vorbringen des Klägers
dahingehend, ihm sei gesagt worden, er habe entweder die Abmahnung zu
unterschreiben oder könne nach Hause gehen", hält die Kammer für widerlegt. Der
Zeuge C2 hat den Sachverhalt glaubhaft und nachvollziehbar geschildert. Hieraus
ergibt sich, dass er nach der Auseinandersetzung über die Berechtigung einer
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Abmahnung wegen mangelhafter Qualitätskontrolle den Kläger - ebenso wie die
anderen Kollegen - aufgefordert hat, die Arbeit um 14:00 Uhr aufzunehmen. Dies hat der
Kläger verweigert. Stattdessen hat er sich mit weiteren Kollegen getroffen, um ein
weiteres Vorgehen wegen der - nach Auffassung des Klägers unberechtigten -
Abmahnung zu besprechen. Die Kammer hat keinen Grund, an der Richtigkeit der
Zeugenaussage des Betriebsleiters C2 zu zweifeln. Nach Abschluss des
arbeitsgerichtlichen Vergleiches hat dieser keinerlei Eigeninteresse mehr an der
Bejahung des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens. Vielmehr hat der Zeuge in der
mündlichen Verhandlung sein Unverständnis bezüglich der Notwendigkeit einer
Zeugenaussage kundgetan. Die Ausführungen des Zeugen waren in sich
widerspruchsfrei. Der Kläger hat Einwendungen gegen die Richtigkeit der
entsprechenden Aussage nicht erhoben.
Aufgrund dieser Arbeitsverweigerung war die Arbeitgeberin berechtigt, das
Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen (§ 626 Abs. 1 BGB). Hiernach kann das
Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem
Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des
Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
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Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Kläger nicht nur aufgrund einer einmaligen
eventuell nachvollziehbaren Erregung, sondern beharrlich und gemeinsam mit Kollegen
die weitere Ausführung der Arbeit verweigert hat. Sein Verhalten stellt damit zugleich
eine empfindliche Störung des Betriebsfriedens und des betrieblichen Ablaufs dar. Der
Zeuge C2 hat glaubhaft und nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Produktion
nur aufrechterhalten werden konnte, weil andere Mitarbeiter Überstunden geleistet
hatten. In einem derartigen Fall ist eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich, denn
eine Abmahnung wegen Verstößen im Leistungsbereich ist dann entbehrlich, wenn
diese so schwerwiegend sind, dass der Arbeitnehmer damit rechnen muss, dass das
Vertrauen des Arbeitgebers endgültig zerstört ist (Schaub a.a.O., Rdnr. 51 zu § 125).
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Der Abschluss des arbeitsgerichtlichen Vergleiches und die Meinung des Vorsitzenden
des arbeitsgerichtlichen Verfahrens sind unerheblich, weshalb die beantragte
Beweisaufnahme entbehrlich ist. Im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes haben die
Beklagte bzw. das Sozialgericht den wirklichen Sachverhalt zu erforschen (§§ 20 SGB
X, 103 SGG). Die Parteien des arbeitsgerichtlichen Verfahrens sind zudem nicht befugt,
über öffentlich-rechtliche Leistungsansprüche zum Nachteil der Bundesanstalt für Arbeit
zu disponieren. Soweit sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine der Prozessparteien
dazu verpflichtet, entgegen ihrer Überzeugung eine Arbeitsbescheinigung nach § 312
SGB III zu erteilen (nur so ist Ziffer 6 des arbeitsgerichtlichen Vergleiches zu verstehen,
denn die Pflicht, überhaupt eine Arbeitsbescheinigung zu erstellen, ergibt sich aus der
öffentlich-rechtlichen Norm des § 312 SGB III und bedarf keiner vertraglichen bzw.
vergleichsweisen Begründung) , so ist dies rechtswidrig und möglicherweise
strafrechtlich relevant. Denn der Arbeitgeber hat sowohl im Verwaltungs- als auch im
Klageverfahren die Rechtsstellung eines Zeugen (§§ 21 Abs. 1 Nr. 2 SGB X, 118 Abs. 1
SGG, 373 ff ZPO). Als solcher ist der Arbeitgeber selbstverständlich verpflichtet,
wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Andernfalls macht er sich nicht nur eines
Aussagedeliktes schuldig, sondern beteiligt sich am Versuch eines Prozessbetruges.
Dies gilt auch, wenn die Falschaussage aufgrund einer arbeitsgerichtlichen
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Aufforderung erfolgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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