Urteil des SozG Aachen vom 15.09.2005

SozG Aachen: leistungskürzung, bemessungszeitraum, eingriff, umrechnung, internet, arbeitslosenversicherung, berechnungsgrundlage, auszahlung, unterliegen, anpassung

Sozialgericht Aachen, S 9 AL 52/05
Datum:
15.09.2005
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 9 AL 52/05
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 9 AL 198/05
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Der 1944 geborene Kläger beantragte Arbeitslosengeld ab 01.10.2004 aufgrund einer
Beschäftigung als technischer Angestellter von April 1958 bis 30.09.2004. Sein
Einkommen in den letzten 12 Monaten der Tätigkeit betrug 60.050,68 Euro. Die
Beklagte bewilligte Arbeitslosengeld ab 01.10.2004 für 960 Tage nach einem
wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1146,01 Euro, entsprechend einem täglichen
Leistungssatz von 68,13 Euro (Bescheid vom 06.10.2004).
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Mit Bescheid vom 02.01.2005 stellte die Beklagte die Leistung auf die ab 2005
geltenden Berechnungsvorschriften um, nunmehr ausgehend von einem täglichen
Bemessungsentgelt von 163,72 Euro und einem täglichen Zahlbetrag von 67,10 Euro.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, durch die Verringerung des Zahlbetrages
und die Umstellung der Zahlung für ganze Monate auf pauschal 30 Tage erleide er
einen Verlust von jährlich 711,45 Euro, was entgegen der Darstellung der Beklagten
nicht mehr als geringfügig angesehen werden könne. Die Beklagte wies den
Widerspruch zurück (Bescheid vom 04.04.2005).
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Hiergegen richtet sich die Klage. Der Leistungssatz sei von täglich 68,13 Euro auf 67,10
Euro gekürzt worden, hieraus resultiere eine jährliche Leistungskürzung von 24.867,45
auf 24.156,00 Euro. Die Leistungskürzung greife in geschützte Eigentumsrechte ein und
sei damit unzulässig.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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den Bescheid vom 02.01.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
04.04.2005 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie habe das neue Recht anzuwenden, da Übergangsvorschriften nicht bestünden.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
Die Beklagte hat das Arbeitslosengeld des Klägers zutreffend berechnet.
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Nach den ab dem 01.01.2005 geltenden Regelungen des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB III) beträgt das Arbeitslosengeld für Arbeitslose, bei denen –
wie beim Kläger – ein Kind zu berücksichtigen ist, 67 % des pauschalierten
Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, dass der
Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt, § 129 Nr. 2 SGB
III). Das Bemessungsentgelt ist nach § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III das durchschnittliche
auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, dass der Arbeitslose im
Bemessungszeitraum erzielt hat. Wenn aber – wie im Falle des Klägers – der
Arbeitslosengeldanspruch schon vor dem 01.01.2005 bestand, ist grundsätzlich weiter
das Bemessungsentgelt zugrunde zu legen, nach dem das Arbeitslosengeld bisher
berechnet wurde (§ 434j Abs. 5 SGB III).
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Der Kläger hatte Arbeitslosengeld bis zum 31.12.2004 nach einem Bemessungsentgelt
von 1146,01 EUR wöchentlich erhalten. Dieses Bemessungsentgelt ist also weiter
maßgeblich. Ab dem 01.01.2005 ist es jedoch nicht mehr für die Woche, sondern für den
Tag zu ermitteln (§ 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III), so dass ein weiterer Berechnungsschritt
erforderlich ist.
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Wie das bisherige wöchentliche auf das künftige tägliche Bemessungsentgelt
umzurechnen ist, ist nur vordergründig eindeutig. Die Beklagte hat, wie es naheliegt,
den wöchentlichen Betrag von 1146,01 EUR durch 7 geteilt und so – unter Rundung auf
zwei Stellen hinter dem Komma – ein tägliches Bemessungsentgelt von 163,72 EUR
ermittelt.
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Diese auf den ersten Blick plausibel erscheinende Berechnung ist nicht zwingend. Nach
§ 134 SGB III in der ab 01.01.2005 geltenden Fassung wird das Arbeitslosengeld für
Kalendertage berechnet und geleistet. Ist es für einen vollen Kalendermonat zu zahlen,
ist dieser mit 30 Tagen anzusetzen. Die Gesetzesbegründung zu § 134 SGB III
(Gesetzentwurf der Bundesregierung, BRatDr 557/03 vom 15.08.2003) nennt lediglich
verwaltungspraktische Gründe für die Umstellung: Werde das Arbeitslosengeld in
monatlich stets gleich bleibender Höhe gezahlt, erspare dies verwaltungsaufwendige
monatlich wiederkehrende Bearbeitungsvorgänge z. B. bei der Berücksichtigung von
Abzweigungen und Pfändungen. Dass eine Leistungskürzung beabsichtigt gewesen
wäre, lässt sich der Begründung nicht entnehmen. Man könnte deshalb auf den
Gedanken kommen, aus dem wöchentlichen Bemessungsentgelt zunächst den
Jahresbetrag zu ermitteln und diesen durch 360 zu teilen. Verteilt man im vorliegenden
Fall das der Berechnung des Bemessungsentgelts zugrunde gelegte Jahreseinkommen
von 60.050,68 Euro auf die (nur) 360 Leistungstage, so ergäbe sich ein tägliches
Bemessungsentgelt von 166,81 EUR, mit der Folge, dass dem Kläger, wie beantragt,
höhere Leistungen zu bewilligen gewesen wären. Genau dieses Ergebnis erzielte man
auch mit dem Internet-Berechnungsprogramm der Beklagten noch im Juni 2005, wenn
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man aus dem Jahreseinkommen des Klägers den Arbeitslosengeld-Anspruch errechnen
ließ. Das Programm ist allerdings mittlerweile dahingehend geändert worden, dass es
bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts nun nicht mehr mit 360, sondern mit 365
Tagen rechnet.
Diese Vorgehensweise, die im Ergebnis mit den Berechnungen der Beklagten in den
angefochtenen Bescheiden übereinstimmt, hält die Kammer auch für zutreffend, so dass
dem Kläger kein Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld zusteht. Denn für die
Umrechnung des bisher maßgeblichen Wochenentgelts in Tage gibt es in § 339 SGB III
einen gesetzlichen Maßstab: Danach wird für die Berechnung von Leistungen ein Monat
mit 30 Tagen und eine Woche mit 7 Tagen berechnet. Ist demnach – wie hier – ein
wöchentlicher Betrag auf einen täglichen umzurechnen, so ist der Wochenbetrag auf 7
Tage zu verteilen, wie es hier die Beklagte auch getan hat. Da die Gesetzesänderung
insgesamt der Verwaltungsvereinfachung dienen sollte (insbesondere auch die
Übergangsvorschrift des § 434j Abs. 5 SGB III, vgl. BRatDr 557/03, Begründung zu Nr.
249 Abs. 5 - § 434j – Seite 318) und alle der Umrechnung zugrunde zu legenden
Bemessungsentgelte bei der Beklagten als für die Woche berechnete Beträge vorliegen,
entspricht die Berechnung, wie sie die Beklagte durchgeführt hat, dem
gesetzgeberischen Willen. Anderenfalls wären durchaus auch kompliziertere
Neuberechnungen notwendig geworden, die angesichts der Tatsache, dass der
Leistungsanspruch aller aktuellen Leistungsempfänger am 31.12.2004 umzustellen war
und des damit verbundenen verwaltungstechnischen Aufwandes vom Gesetzgeber
sicher nicht gewollt war.
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Dass die Beklagte Leistungen künftig nur noch in der Weise bewilligt, dass volle Monate
unabhängig von ihrer tatsächlichen Dauer jeweils mit 30 Tagen berücksichtigt werden –
mit der Folge, dass durchschnittlich 5 Leistungstage pro Jahr entfallen – entspricht der
ab 01.01.2005 geltenden gesetzlichen Regelung. § 134 SGB III sieht nämlich vor, dass
das Arbeitslosengeld für Kalendertage berechnet und geleistet wird; ist es für einen
vollen Kalendermonat zu zahlen, ist dieser mit 30 Tagen anzusetzen. Dem Kläger
gehen hierdurch Leistungsansprüche verloren, denn sein Bemessungsentgelt wurde
errechnet auf der Basis eines Jahres mit 366 Tagen, wie dies jedenfalls 2004 zutreffend
war. Für die Berechnungsgrundlage der Leistungen wird demnach das Jahr durch 366
geteilt, für die Zahlung aber nur wieder mit 360 multipliziert, wodurch eine Differenz zu
Lasten des Klägers entsteht. Der Kläger erhält demnach nicht das volle Äquivalent
seines durch Beitragszahlungen erworbenen und deshalb eigentumsgeschützten (Art.
14 GG) Anspruchs. Die Kammer ist dennoch nicht von der Verfassungswidrigkeit des
Übergangsrechtes überzeugt. Ein Anspruch auf eine unveränderte weitere Anwendung
des alten Rechtes besteht nicht, ein rückwirkender Eingriff liegt nicht vor. Rechte und
Pflichten, die im Rahmen einer Solidargemeinschaft wie der Arbeitslosenversicherung
entstehen, sind einem steten Wandel unterlegen, durch den sich für den einzelnen
Versicherten im Laufe der Zeit auch Nachteile ergeben können, die dieser bei einem
gerechtfertigten Eingriff wegen des Solidar- und Ausgleichscharakters der Versicherung
zu tragen hat. Die Neuregelung ist sachlich gerechtfertigt durch das mit ihr verbundene
Ziel der Vereinfachung der Berechnung des Arbeitslosengeldes und den damit
verbundenen deutlich verminderten Arbeits- und Kostenaufwand bei der Beklagten, der
letztlich den Versicherten wieder zugute kommt.
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Ob dies bei Neubewilligungen nach dem 31.12.2004 genau so zu sehen wäre (so
Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 05.08.2005, S 7 AL 132/05), kann hier aufgrund des
rein übergangsrechtlichen Sachverhaltes offen bleiben. Offen bleiben kann
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insbesondere auch, ob nach neuem Recht (§§ 131 Abs. 1 S. 1, 134 S. 2 SGB III) das
Bemessungsentgelt auf der Basis der tatsächlichen Kalendertage (also regelmäßig 365
pro Jahr) zu ermitteln ist, während die Auszahlung nur für 360 Tage zu erfolgen hat, oder
ob sich nicht doch aus § 339 Abs. 1 S. 1 SGB III ergibt, dass auch für die zur
Berechnung des Bemessungsentgeltes notwendige volle Monate nur mit 30 Tagen
zählen (a.A. SG Düsseldorf, a.a.O.), wie es das Berechnungsprogramm der Beklagten
im Internet bis zu seiner Änderung vor wenigen Wochen vorsah.
Im Übrigen wird der Leistungssatz des Klägers durch weitere Faktoren beeinflusst, die
sich ebenfalls zum 01.01.2005 verändert haben. Schon in der Vergangenheit war
jeweils zum Jahreswechsel eine Anpassung der Leistungssätze geboten im Hinblick
darauf, dass die bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes zu berücksichtigenden
Abzüge vom Bruttolohn, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen
(Sozialversicherungsbeiträge, Steuern, etc., § 136 Abs 1 SGB III in der Fassung vom
23.12.2002) Veränderungen unterliegen. Diese Anpassungen hat der Gesetzgeber ab
dem 01.01.2005 pauschaliert (§ 133 SGB III). Durchgreifende Bedenken hiergegen sind
nicht vorgetragen und sieht die Kammer auch nicht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
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