Urteil des SozG Aachen vom 30.03.2007

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Sozialgericht Aachen, S 8 R 99/06
Datum:
30.03.2007
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 R 99/06
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Beklagte hat 7/8 der Kosten der
Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Klägerin erstrebt die Zahlung höherer Altersrente.
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Die am 00.00.1941 geborene Klägerin stammt aus Polen und lebt seit 1991 in der
Bundesrepublik. Sie ist anerkannte Vertriebene. Mit Bescheid vom 23.08.2001
bewilligte die Beklagte Altersrente für Frauen ab 01.04.2001. Die Klägerin erhält zudem
eine polnische Rente, die am 06.02.2001 begann und für deren Zahlung Zeiten
berücksichtigt werden, die auch in der deutschen Rente berücksichtigt sind. Mit
Bescheid vom 21.06.2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, gemäß Art. 19 Abs. 4 des
deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens vom 08.12.1990 i. V. m. § 31 FRG
ruhe die deutsche Rente in Höhe des in Euro umgerechneten Betrages, der als Leistung
des ausländischen Trägers ausgezahlt wird. Die aus dem Bescheid des polnischen
Versicherungsträgers zustehenden polnischen Leistungen sollten entsprechend der
zwischen den deutschen und polnischen Versicherungsträgern getroffenen
Vereinbarungen ausschließlich über die zuständigen deutschen Versicherungsträger
den Berechtigten zur Verfügung gestellt werden. Aus verwaltungstechnischen Gründen
seien die beteiligten Versicherungsträger übereingekommen, die polnische Rente
einzubehalten und die deutsche Rente in voller Höhe weiterzuzahlen. Dieser Bescheid
wurde bestandskräftig.
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Mit Bescheiden vom 27.05.2006 und 29.05.2006 teilte die Beklagte der Klägerin gestützt
auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die Zeit ab 01.07.2006 mit, dass der Zahlbetrag der
deutschen Rente um den Bruttobetrag der polnischen Rente reduziert werde, weil die
mit Bescheid vom 21.06.2002 geregelte Verfahrensweise nicht mehr praktiziert werde.
Aufgrund des am 01.01.2005 in Kraft getretenen deutsch-polnischen
Doppelbesteuerungsabkommens ziehe der polnische Rentenversicherungsträger seit
dem 01.04.2005 vor der Überweisung der Rente nach Deutschland einen Steueranteil
von der polnischen Rente ab. Der Ruhensberechnung nach § 31 FRG liege der
polnische Bruttorentenbetrag zugrunde. Daher reichten die polnischen
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Nettorentenbeträge zur Befriedigung der Ansprüche nach § 31 FRG regelmäßig nicht
mehr aus. Außerdem seien die deutschen Rentenversicherungsträger seit dem Jahr
2006 zur Abgabe einer Rentenbezugsmitteilung verpflichtet. Diese Mitteilung müsse
den deutschen Rentenbetrag ausweisen, auf den rechtlich ein Anspruch besteht, d. h.
abzüglich des Ruhensbetrages nach § 31 FRG. Das bisherige Zahlungsverfahren habe
die Meldung eines zu hohen deutschen Rentenzahlungsbetrages zur Folge. Die
Beklagte zahlte unter Anrechnung von 309,42 EUR noch 444,84 EUR aus.
Im Widerspruchsverfahren wies die Klägerin darauf hin, dass die Beklagte von einem
falschen deutschen Bruttorentenbetrag ausgehe. Außerdem meinte sie, aus § 31 FRG
ergebe sich, dass lediglich der Netto-Auszahlungsbetrag der polnischen Rente
angerechnet werden dürfe. Allein der dem Betroffenen tatsächlich aus Polen zur
Verfügung gestellte Rentenzahlbetrag sei für die Anrechnung maßgeblich.
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Mit Bescheid vom 21.09.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte im
Wesentlichen aus, eine Anrechnung lediglich des Netto-Auszahlungsbetrages führe zu
einer Umlegung der polnischen Steuern auf die deutsche Versichertengemeinschaft.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 11.10.2006 erhobene Klage. Mit
Bescheid vom 13.12.2006 hat die Beklagte den Monatsrentenbetrag korrigiert und die
Auszahlung eines Netto-Rentenbetrages i. H. v. 805,90 EUR unter Anrechnung des
polnischen Brutto-Rentenbetrages i. H. v. 304,22 EUR geregelt.
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Die Klägerin meint weiterhin, aus dem Wort "ausgezahlt" in § 31 Abs. 1 Satz 1 FRG
ergebe sich, dass lediglich der polnische Netto-Rentenbetrag angerechnet werden
dürfe. Sie sieht sich durch die Entscheidung des BSG vom 14.09.1976 - 11 RA 128/75 -
bestätigt.
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Die Klägerin beantragt,
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die Bescheide vom 27.05.2006, 29.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 21.09.2006 und den Bescheid vom 13.12.2006 abzuändern und die Beklagte zu
verurteilen, höhere Rente unter Anrechnung lediglich des Netto-Auszahlungsbetrages
der polnischen Rente zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie wiederholt und vertieft die Begründung des angefochtenen Bescheides und meint
ergänzend, die Entstehungsgeschichte von § 31 FRG bestätige ihre Auffassung. Der
Begriff "ausgezahlt" in § 31 FRG solle lediglich eine rein fiktive Anrechnung verhindern,
wenn - wie in der Vergangenheit häufig geschehen - eine ausländische Rente zwar
bewilligt wurde, aber aus politischen Gründen nicht zur Auszahlung kam.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid in der Fassung des
gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens gewordenen Bescheides vom
13.12.2006 ist nicht rechtswidrig i. S. d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat keinen
höheren Zahlungsanspruch.
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Ermächtigungsgrundlage für die Entscheidung der Beklagten ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
SGB X. Hiernach soll ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der
Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des
Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder
zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Die Vorschrift findet nicht nur
Anwendung, wenn das erzielte Einkommen oder Vermögen zum Wegfall des Anspruchs
führt, sondern gilt auch für das Ruhen des Anspruchs (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22
Seite 53 f. und Nr. 26 Seite 70). Die Beklagte hat die Vorschrift des auch im
Anwendungsbereich des DPSVA vom 08.12.1990 gem. Art 19 Abs. 4 DPSVA 1990
anwendbaren§ 31 FRG richtig angewandt. Wird dem Berechtigten von einem der Träger
der Sozialversicherung oder eine andere Stelle außerhalb der Bundesrepublik
Deutschland für die nach Bundesrecht anzurechnenden Zeiten Rente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung oder anstelle einer solchen eine andere Leistung
gewährt, so ruht nach dieser Vorschrift die Rente in Höhe des in Euro umgerechneten
Betrages, der als Leistung des Trägers der Sozialversicherung oder der anderen Stelle
außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt wird. Unstreitig erhält die
Klägerin für auch nach Bundesrecht anzurechnende Zeiten eine Rente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe des von der Beklagten angerechneten Brutto-
Betrages. Die Beklagte hat das Wort "ausgezahlt" zutreffend dahingehend ausgelegt,
dass es auf den Brutto-Zahlbetrag ankommt. Im Gegensatz zur Meinung der Klägerin ist
hiermit nicht die tatsächliche Überweisung des Netto-Auszahlungsbetrages gemeint:
Die Auslegung eines Gesetzestextes hat mit dem möglichen Wortsinn zu beginnen.
Denn was jenseits des sprachlich möglichen Wortsinns liegt, durch ihn eindeutig
ausgeschlossen wird, kann nicht mehr im Wege der Auslegung als die maßgebliche
Bedeutung des Ausdrucks verstanden werden (Larenz, Methodenlehre der
Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, Seite 322). Zu unterscheiden ist der mögliche
Wortsinn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch von dem möglichen Wortsinn nach
einem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes. Mit Letzteren sind Ausdrücke
gemeint, die in der Rechtssprache eine besondere Bedeutung haben, wie z. B. Vertrag,
Forderung, Anfechtbarkeit, Rechtsgeschäft. Nur wenn ein Ausdruck dem besonderen
Sprachgebrauch des Gesetzes angehört, scheiden andere Bedeutungsvarianten des
allgemeinen Sprachgebrauchs aus, der Kreis der möglichen Bedeutungen verengt sich
dann auf die gesetzlich übliche Bedeutung (Larenz, a. a. O., Seite 320 f., 321). Der
Ausdruck "ausgezahlt" ist ein dem allgemeinen Sprachgebrauch zuzuordnender Begriff.
Denn das Wort ist kein ansonsten in der Rechtssprache eindeutig mit einem bestimmten
Bedeutungsgehalt versehenes Wort. Methodisch nicht zutreffend ist daher die Annahme,
der Wortsinn von § 31 Abs. 1 Satz 1 FRG stelle zwingend auf die tatsächliche
Überweisung des Netto-Zahlbetrages ab. Vielmehr ist es mit dem allgemeinen
Sprachgebrauch durchaus vereinbar anzunehmen, dass ein "Auszahlungsbetrag" den
brutto zustehenden Betrag meint. Hierfür spricht entscheidend die auch von der
Beklagten angeführte Argumentation dahingehend, dass ansonsten der deutsche
Beitragszahler die polnischen Steuern übernehmen würde. Zudem würde die Frage,
welcher Rentenbetrag den Betroffenen insgesamt (d. h. aus der deutschen und aus der
polnischen Rentenversicherung) zur Verfügung steht, von der Art und Weise der
Zahlung der polnischen Steuern abhängen. Würde den Betroffenen zunächst der Brutto-
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Rentenbetrag ausbezahlt und anschließend ein polnischer Steuerbescheid erteilt, hätte
er einen niedrigeren Rentenanspruch in Deutschland als im vorliegenden Fall der
Einbehaltung des Steuerbetrages bereits durch den polnischen
Sozialversicherungsträger.
Eine Ermächtigungsgrundlage für die Änderung der Art und Weise der Umsetzung von §
31 Abs. 1 Satz 1 FRG bedarf es - im Gegensatz zu den Ausführungen im angefochtenen
Bescheid - nicht, weil die Klägerin hierdurch nicht beschwert ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin
durch die Änderung des Brutto-Rentenbetrages im Klageverfahren im Wesentlichen
erfolgreich gewesen ist.
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