Urteil des SozG Aachen vom 26.03.2004

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Sozialgericht Aachen, S 8 RA 87/03
Datum:
26.03.2004
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 RA 87/03
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 07.07.2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 13.10.2003 wird aufgehoben. Die
Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob der Kläger der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung
unterliegt.
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Der am 00.00.1950 geborene Kläger ist Diplom-Ingenieur und Inhaber der Firma E, B.
Er entwickelt und vermarktet Büro-Software. Der Kläger ist seit 1994 selbständig. Er
entwickelte zunächst für die Firma X mit einem Auftragsvolumen von ca. 70.000,00 DM.
Im Jahre 1995 arbeitete der Kläger für die Firma N, ebenfalls mit einem Auftragsvolumen
von ca. 70.000,00 DM. In den Jahren 1995 und 1996 war der Kläger für die Firma U mit
einem Auftragsvolumen von ca. 40.000,00 DM tätig. 1996 und 1997 unterrichtete der
Kläger psychisch Behinderte im EDV Bereich im Auftrag der Firma U1. Hierbei erzielte
er etwa 3.000,00 DM monatlich. Von Ende 1997 bis zum 30.09.2001 entwickelte der
Kläger wieder Software für X. Anschließend arbeitete der Kläger für die Beklagte mit
einem Auftragsvolumen von 30.000,00 bis 40.000,00 EUR. Im Jahr 2003 war der Kläger
für das Landeskriminalamt T mit einem Volumen von 35.000,00 EUR tätig, im Winter
2002/2003 hat der Kläger für die Firma F mit einem Auftragsvolumen von 12.000,00
EUR gearbeitet. Seit April 2001 beschäftigt der Kläger seinen Sohn als Arbeitnehmer.
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Mit Bescheid vom 11.08.1999 hatte die Techniker Krankenkasse B festgestellt, dass der
Kläger selbständig tätig sei.
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Im Juni 2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung seines
sozialversicherungsrechtlichen Status. Er teilte mit, er sei lediglich für die Firma X
GmbH tätig. Er beschäftige einen Arbeitnehmer. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom
30.01.2002 die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens ab, weil die Techniker
Krankenkasse mit Bescheid vom 11.08.1999 hierüber entschieden habe.
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Mit (zwei) Bescheiden vom 24.04.2002 stellte die Beklagte fest, der Kläger sei als
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selbständiger Lehrer rentenversicherungspflichtig.
Im Widerspruchsverfahren wies der Kläger darauf hin, dass er nach seiner Meinung
nicht - auch nicht als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger - versicherungspflichtig sei.
Er habe für die Firma X GmbH lediglich eine projektbezogene Tätigkeit ausgeübt.
Zudem strebe er die Zusammenarbeit mit mehreren Auftraggebern an. Eine
Lehrertätigkeit übe er nicht aus.
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Mit Bescheiden vom 07.07.2003 hob die Beklagte die Bescheide vom 24.04.2002 auf,
weil der Kläger keine selbständige Lehrtätigkeit ausübe und sie stellte fest, dass der
Kläger seit dem 01.01.1999 nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig sei. Sie
forderte für die Zeit vom 01.01.1999 bis zum 31.03.2001 11.947,83 EUR.
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Der Kläger legte Dienstverträge mit der Firma X GmbH vor. Hieraus sei ersichtlich, dass
er lediglich projektbezogene Tätigkeiten verrichte. Die Bedienung mehrerer Kunden sei
dem Kläger faktisch nicht möglich gewesen, weil es sich um die mehrjährige Umstellung
eines komplexen Softwareproduktes auf ein neues Betriebssystem gehandelt habe.
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Mit Bescheid vom 15.10.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Aufgrund der
Tätigkeit für die X GmbH von mindestens 4 Jahren sei, auch wenn
braunchenspezifischen Besonderheiten als Softwareentwickler mit vorwiegend
projektbezogenen Tätigkeiten zu berücksichtigen seien, von einer Dauerhaftigkeit der
Bindung an diesen Auftraggeber auszugehen. Der Kläger sei vom Auftraggeber
wirtschaftlich abhängig gewesen, sein unternehmerischer Spielraum sei stark
eingeschränkt gewesen. Daher unterliege der Kläger der Versicherungspflicht nach § 2
Satz 1 Nr. 9 SGB VI.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 13.11.2003 erhobene Klage. Die
Beteiligten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen. Der Kläger meint,
aufgrund der Vielzahl seiner Auftraggeber sowie der Tatsache, dass er stets
projektbezogen arbeite, unterliege er nicht der Rentenversicherungspflicht. Er hat einen
Prospekt über von ihm entwickeltes Software vorgelegt.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 07.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
15.10.2003 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselten Schriftsätze und übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne
des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger unterliegt nicht der Rentenversicherungspflicht.
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Gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sind versicherungspflichtig selbständig tätige Personen,
die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen
rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus
diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 400,00 EUR im Monat übersteigt und die
auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Die
arbeitnehmerähnlichen Selbständigen sind durch Artikel 4 Nr. 3 des Gesetzes vom
19.12.1998 (BGBl. I 3843) mit Wirkung vom 01.01.1999 in den Kreis der
Versicherungspflichtigen aufgenommen worden. Die Vorschrift soll der zunehmenden
Erosion des versicherten Personenkreises durch die wachsende Überführung von
Beschäftigten in arbeitnehmerähnliche selbständige Tätigkeiten entgegenwirken. Das
Erfordernis, dass der selbständig Tätige auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen
Auftraggeber tätig ist, umfasst nicht nur den Fall, dass der Betreffende rechtlich im
Wesentlichen an einen Auftraggeber gebunden ist, sondern auch den Fall, dass er
tatsächlich (wirtschaftlich) im Wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber abhängig
ist. Tätigkeiten in unbedeutendem Umfang für weitere Auftraggeber stehen der
Versicherungspflicht nicht entgegen. Beim Merkmal der Tätigkeit nur für einen
Auftraggeber wird auf die Dauerhaftigkeit dieser Tätigkeit abgestellt, um
Existenzgründungen nicht zu erschweren. Bei der Beurteilung der Dauerhaftigkeit sind
neben den zeitlichen auch wirtschaftliche Kriterien zu beachten und
branchenspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. Dauerhafte Tätigkeiten für
mehrere Auftraggeber liegen auch dann vor, wenn der Auftragnehmer innerhalb eines
bestimmten Zeitraums nacheinander für verschiedene Auftraggeber tätig ist. Es kommt
darauf an, ob der Auftragnehmer nach seinem Unternehmenskonzept die
Zusammenarbeit mit mehreren Auftraggebern anstrebt und dies nach den tatsächlichen
und rechtlichen Gegebenheiten Erfolg verspricht (BT-Drucksache 1451 Seite 37 f;
14/1845 Seite 11; vgl. auch Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenorganisation der
Sozialversicherung zum Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999,
NZS 2000, 184; Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht-Gürtner-Rdnr. 39
zu § 2 SGB VI). Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist der Kläger nicht auf Dauer
und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig. Der Kläger hat in der mündlichen
Verhandlung glaubhaft und nachvollziehbar dargestellt, dass er seit Gründung seines
Unternehmens für viele verschiedene Auftraggeber - u. a. auch die Beklagte - tätig
geworden ist. Er hat hierbei unterschiedlichste Aufträge im Bereich der EDV-
Entwicklung und EDV-Schulung übernommen. Die Tatsache, dass der Kläger im
streitbefangenen Zeitraum lediglich für einen Auftraggeber - die X GmbH - tätig wurde,
resultiert daraus, dass diese Firma dem Kläger einen besonders großen und lukrativen
Auftrag erteilt hat. Nach seinem Unternehmenskonzept strebt der Kläger dennoch die
Zusammenarbeit mit mehreren Auftraggebern an. Dies verspricht nach den
tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten auch Erfolg, wie die Vielzahl der
unterschiedlichen Auftraggeber zeigt. Schließlich ist auch die branchenspezifische
Besonderheit zu berücksichtigen, dass der Kläger regelmäßig komplexe Aufträge
annimmt, die seine gesamte Arbeitskraft binden. Sinn und Zweck der Einführung von § 2
Abs. 1 Nr. 9 - Einbeziehung weiterer schutzbedürftiger Personen in die gesetzlichen
Rentenversicherung - würde auf den Kopf gestellt, wenn gerade dann, wenn der
Betroffene einen besonders lukrativen und umfangreichen Auftrag erhält, er der
gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt, während er in Zeiten, in denen er mehrere
kleine Aufträge, die sich nebeneinander erledigen lassen, bearbeitet, er dieser
Versicherungspflicht nicht unterliegt. Wenn die Spitzenorganisationen der
Sozialversicherung in dem genannten Gemeinsamen Rundschreiben ausführen, dass
bei einer im Voraus begrenzten, lediglich vorübergehenden Tätigkeit für einen
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Auftrageber nur dann keine Dauerhaftigkeit dieser Tätigkeit vorliegt, wenn die
Begrenzung innerhalb eines Jahres liegt, fehlt dem die gesetzliche Grundlage. Zudem
wird auch in dem genannten Rundschreiben darauf hingewiesen, dass im Einzelfall
auch bei längeren Projektzeiten keine dauerhafte Tätigkeit für nur einen Auftraggeber
vorliegen kann. Ein derartiger Fall liegt hier vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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