Urteil des SozG Aachen vom 30.05.2008

SozG Aachen (kläger, höhe, eltern, bewilligung, sgg, altersgrenze, vorschrift, rücknahme, inhaber, leistung)

Sozialgericht Aachen, S 8 AS 36/08
Datum:
30.05.2008
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 AS 36/08
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 7 AS 63/08
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist die Höhe des dem Kläger zustehenden Sozialgeldes.
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Der am 00.00.2000 geborene Kläger lebt mit seinen Eltern und zwei Geschwistern in
Bedarfsgemeinschaft. Die Familie erhält seit Januar 2005 Arbeitslosengeld II. Das
Versorgungsamt B. hat beim Kläger einen GdB in Höhe von 80 sowie die
gesundheitlichen Merkmale "G" und "H" festgestellt. Der Beklagte bewilligte mit
Bescheiden vom 09.06.2006, 19.12.2006, 22.06.2007, 08.10.2007 und 16.11.2007 unter
anderem Sozialgeld für den Kläger. Auch für die Zeit vom 01.08.2006 bis zum
30.11.2007 bewilligte die Beklagte für den Kläger Sozialgeld in Höhe von 207,00 bzw. -
ab 01.07.2007 - 208,00 EUR. Einen Mehrbedarf für den Kläger erkannte der Beklagte
nicht an.
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Am 27.12.2007 beantragte der Kläger gestützt auf § 44 SGB X die Rücknahme der
genannten Bescheide, soweit ein Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung nach § 28
Abs. 1 Nr. 4 SGB II nicht bewilligt wurde.
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Mit Bescheid vom 30.01.2008 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Der Kläger habe keine
Rechtswidrigkeit der genannten Bescheide im Sinne des § 44 SGB X dargelegt. Den
ohne Begründung erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom
11.02.2008 zurück. Zwar komme ab dem 01.08.2008 gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4
SGB II die Zahlung eines Mehrbedarfes in Höhe von 17 % der nach § 20 maßgeblichen
Regelleistung in Betracht, wenn der betroffene Inhaber eines Ausweises nach § 69 Abs.
5 SGB IX mit dem Merkzeichen "G" ist. Diese Regelung setze jedoch voraus, dass der
Betroffene das 18. Lebensjahr vollendet hat.
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Gegen diese, vom Beklagten am 06.03.2008 zur Post gegebene und am 10.03.2008
beim Bevollmächtigten des Klägers eingegangene Entscheidung richtet sich die am
10.04.2008 erhobene Klage. Der Kläger meint, jedenfalls für die Zeit ab 01.08.2006
stehe ihm gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II der Mehrbedarf zu. Die von der
Beklagten vorgenommene Einschränkung dahingehend, dass der Mehrbedarf erst nach
Vollendung des 18. Lebensjahres geltend gemacht werden kann, sei dem Gesetz nicht
zu entnehmen.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 30.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
11.02.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter teilweiser Rücknahme
der Bescheide vom 09.06. 2006, 19.12.2006, 22.06.2006, 08.10.2007 und 16.11.2007
ab 01.08.2006 einen Mehrbedarf in Höhe von 17 % der maßgeblichen Regelleistung zu
zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er meint, die Beschränkung der Bewilligung des Mehrbedarfs auf Personen, die das 18.
Lebensjahr vollendet haben, resultiere daraus, dass der entsprechende Mehrbedarf
auch im Bereich des SGB XII lediglich an Personen gezahlt wird, die das 18.
Lebensjahr vollendet haben.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene
Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig. Bei dem Anspruch auf Sozialgeld handelt es sich um einen dem
Kläger selbst - gesetzlich vertreten durch die Eltern - zustehenden Anspruch, der nicht
von den Eltern im eigenen Namen geltend gemacht werden kann. Auf entsprechenden
gerichtlichen Hinweis haben die Eltern des Klägers das Rubrum mit Einverständnis der
Beklagten klarstellend entsprechend geändert. Deshalb kann bei interessengerechter
Auslegung des angefochtenen Bescheides (§§ 133, 157 BGB; hierzu BSG, Urteile vom
07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R und B 7b AS 10/06 R) auch davon ausgegangen werden,
dass die Ablehnungsentscheidung sich auch an den Kläger selbst richtet und die Klage
nicht wegen des Fehlens eines Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens unzulässig
ist.
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Die Klage ist indes nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig im
Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil die Bescheide hinsichtlich der Bewilligung des
Sozialgeldes für den Kläger nicht rechtswidrig im Sinne des § 44 SGB X sind und
deswegen nicht zurückgenommen werden müssen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
den Mehrbedarf nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II.
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Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten nicht erwerbsfähige Angehörige, die - wie der
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Kläger - mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, Sozialgeld,
soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII
(Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) haben. Nicht erwerbsfähige
Personen erhalten gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II einen Mehrbedarf von 17 %
der nach § 20 maßgebenden Regelleistung, wenn sie Inhaber eines Ausweises nach §
69 Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen "G" sind; dies gilt nicht, wenn bereits ein
Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen Behinderung nach § 21 Abs. 4 oder § 28 Abs. 1
Nr. 2 oder 3 besteht. Die Beklagte ist zu Recht der Meinung, dass diese Leistung nur
Personen zusteht, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Bereits zum Zeitpunkt der
Geltung des BSHG war erkannt, dass die Bewilligung des Mehrbedarfes ein
Mindestalter voraussetzt. Auch erwerbsunfähigen Jugendlichen konnte der
Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 BSHG zustehen, sobald für die Sie keine
Verpflichtung zum Besuch einer Schule mit Vollunterricht mehr bestand (vgl. OVG NRW,
Urteil vom 04.06.1975 - VIII A 823/74). Die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II
wurde erst durch Artikel 1 Nr. 26b des Gesetzes zur Fortentwicklung der
Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20.07.2006 (BGBl I, 1706) eingefügt. Nach
der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/1410 S. 25) sollte mit der Anfügung eine
im SGB XII bestehende Mehrbedarfsregelung für Behinderte im Hinblick auf den
Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) Aufnahme in das SGB II finden. Damit sind die
Voraussetzungen für den Erhalt des Mehrbedarfszuschlags gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3
Nr. 4 SGB II mit den Voraussetzungen für den Erhalt dieses Zuschlags nach § 30 Abs. 1
SGB XII identisch. Nach dieser Vorschrift, wird für Personen, die die Altersgrenze nach
§ 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben oder die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII
noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert nach dem SGB VI sind und bei
denen der entsprechende Ausweis nach dem SGB IX vorliegt, ein Mehrbedarf von 17 %
des maßgebenden Regelsatzes anerkannt. Gemäß § 41 Abs. 3 SGB XII ist
leistungsberechtigt wegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung nur, wer das 18.
Lebensjahr vollendet hat. Der Begriff der vollen Erwerbsminderung im Sinne des SGB
XII setzt daher voraus, dass der Betroffene das 18. Lebensjahr vollendet hat. Weil nach
der Gesetzesbegründung - die allerdings in den Wortlaut der Vorschrift unzureichend
Eingang gefunden hat - die Rechtslage nach dem SGB II und dem SGB XII aufgrund
des Gleichbehandlungsgrundsatzes identisch sein sollte, beschränkt der Beklagte die
Bewilligung des Mehrbedarfszuschlages zu Recht auf Personen, die das 18. Lebensjahr
vollendet haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG,
weshalb die Berufung im Falle ihrer Zulassungsbedürftigkeit gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1
SGG zuzulassen war.
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