Urteil des SozG Aachen vom 31.05.2002

SozG Aachen: bildende kunst, gestaltung, berufliche ausbildung, anerkennung, versicherungspflicht, künstler, mitgliedschaft, firma, informatik, kunsthandwerk

Sozialgericht Aachen, S 8 RA 30/02
Datum:
31.05.2002
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 RA 30/02
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt die Feststellung der Versicherungspflicht als selbstständige
Künstlerin nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG). Die am 00.00.1972
geborene Klägerin hat nach der mittleren Reife zunächst eine Ausbildung im
Einzelhandel absolviert. Von 1993 bis 1995 wurde sie zur Bürokauffrau umgeschult.
Danach arbeitete sie bis Dezember 1999 als kaufmännische Angestellte bei der Firma
J, L. Von Juni 2000 bis August 2001 bildete sie sich bei der Firma N GmbH B zur
"Medienentwicklerin im Print- und Online-Publishing" weiter, In einem begleitenden
Praktikum erlernte sie schwerpunktmäßig die inhaltliche und grafische Konzeption,
Fertigstellung sowie Veröffentlichung von Webseiten. Seit September 2001 ist die
Klägerin als "Medienentwicklerin im Print- und Onlinepublishing" selbstständig. Am
10.10.2001 beantragte die Klägerin die Feststellung der Versicherungspflicht nach dem
KSVG. Sie gab an, sie sei im Bereich Bildende Künste/Design als Grafikerin,
Zeichnerin, Grafik-Designerin und Webdesignerin tätig. Sie beschäftige in diesem
Zusammenhang keinen Arbeitnehmer. Ihr (hochgerechnetes) Jahresarbeitskommen
liege bei ca. 15.000,00 DM. Mit Bescheid vom 01.11.2001 stellte die Beklagte fest, die
Klägerin unterliege nicht der Versicherungspflicht nach dem KSVG. Künstler oder
Publizist im Sinne des KSVG sei, wer selbstständig erwerbstätig Musik, darstellende
oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt oder als Schriftsteller, Journalist oder in
anderer Weise publizistisch tätig ist oder Publizistik lehrt. Die Tätigkeit der Klägerin
könne nicht als künstlerisch/publizistisch angesehen werden. Ihre Angaben über ihre
berufliche Ausbildung ließen erkennen, dass sich die fachliche Qualifikation der
Klägerin vor allem auf den EDV-technischen Bereich beziehe. Ihre Ausbildung sei unter
dem künstlerisch-gestalterischen Aspekt mit derjenigen eines Designers nicht
vergleichbar. Es werde nicht verkannt, dass in der Tätigkeit der Klägerin auch eine
gestalterische Komponente enthalten sei (zum Beispiel Aufbau der Web-Seite,
Erstellung von Grafiken etc.). Dies gebe der Gesamttätigkeit jedoch nicht das Gepräge.
Insgesamt sei die Tätigkeit der Klägerin daher nicht dem Bereich der Bildenden Kunst
bzw. des Designs zuzuordnen, sondern eher dem Bereich der angewandten Informatik.
Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin am 13.11.2001 Widerspruch ein. Sie trug
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vor, sie sei im Grafik- und Webdesign tätig. Die Haupteinnahmen aus ihrer Tätigkeit
würden durch die Gestaltung von CD-Covern, Broschüren, Visitenkarten, Logos usw.
erzielt. Aus ihrem beruflichen Werdegang könne nicht geschlossen werden, dass sie
keine Künstlerin sei, weil sie die Kenntnisse im Design autodidaktisch erworben habe.
Die Klägerin legte Tätigkeitsbeispiele sowie Nachweise über die erwerbsmäßige
Ausübung ihrer Tätigkeit vor. Mit Bescheid vom 05.02.2002 wies die Beklagte den
Widerspruch zurück. Sie wiederholte ihre Auffassung dahingehend, dass der
Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin dem Bereich der angewandten Informatik
zuzurechnen sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 04,03.2002 erhobene
Klage. Die Klägerin meint, Schwerpunkt ihrer Tätigkeit sei das Design. Diese Tätigkeit
sei geprägt durch eine kreative Gestaltung von individuellen Entwürfen, mithin durch
eine freie schöpferische Gestaltung. Außerhalb des Internetbereiches sei sie als
Grafikdesignerin und Illustratorin sowie Layouterin tätig. Die Klägerin hat eine
Bescheinigung der Allianz Deutscher Designer über ihre Mitgliedschaft in dieser
Vereinigung sowie verschiedene Unterlagen über die Berufsausübung selbstständiger
Designer vorgelegt. Sie hat erklärt, dass sie am "Reddod Award" -einem
Gestaltungswettbewerb - teilnehme, was den künstlerischen Anspruch ihrer Tätigkeit
ebenfalls belege, Sie hat eine Beurteilung der Firma N über die
Weiterbildungsmaßnahme Print- und Onlinepublishing vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid vom 01.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.02.2002 aufzuheben und festzustellen, dass sie der Versicherungspflicht nach dem
KSVG unterliegt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält an ihrer bisherigen Rechtsauffassung fest.
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Das Gericht hat Beweis erhoben über Art und Inhalt der Tätigkeit der Klägerin sowie
darin enthaltener künstlerischer Elemente durch Vernehmung der Kunsthistorikerin X
als Sachverständige. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zur
Sitzungsniederschrift vom 31.05.2002 verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten
des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige
Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässige (hierzu: BSG SozR
2200 § 551 Nr. 35) Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht
rechtswidrig. Die Klägerin unterliegt nicht der Versicherungspflicht nach dem KSVG.
Gemäß § 1 KSVG werden selbstständige Künstler und Publizisten in der
Rentenversicherung der Angestellten, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in
der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie die künstlerische oder
publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und im
Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als
einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur
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Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 SGB IV. Künstler im Sinne
dieses Gesetzes ist gemäß § 2 KSVG, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst
schafft, ausübt oder lehrt. Die Klägerin ist keine Künstlerin im Sinne des § 2 KSVG. Eine
verbindliche Definition des Künstlerbegriffes gibt es weder im KSVG noch in anderen
Gesetzen. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist eine künstlerische
Betätigung die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und
Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu
unmittelbarer Anschauung gebracht werden (BVerwG, NJW 1971, 1645 ff.).
Dementsprechend verlangt auch der dem KSVG zugrunde liegende Kunstbegriff
jedenfalls eine eigenschöpferische Leistung, diese kann allerdings entsprechend dem
Schutzzweck der Künstlersozialversicherung auch ein relativ geringes Niveau
aufweisen (BSG, SozR 3-5425 § 1 Nr. 4 - Musikschule - und SozR 3-5425 § 24 Nr. 12 -
Unterhaltungsshow -). Der Klägerin ist zuzugestehen, dass die von ihr ausgeübte
Tätigkeit sowohl bei der Gestaltung von Webseiten als auch bei sonstigen grafischen
Gestaltungsarbeiten derartige eigenschöpferische Elemente aufweist. Die
Sachverständige, die aufgrund ihrer kunstgeschichtlichen Ausbildung und ihrer
Berufserfahrung im Bereich des Web-Design von der Kammer als zur Beurteilung der
streitigen Fragen kompetent angesehen wird, hat erklärt, dass es sich um qualitativ
hochwertige Arbeiten handelt und generell die Tätigkeit von Webdesignern auf die
Erzielung einer ansprechenden Optik und einer modischen Gestaltung abzielt. Indes ist
das Vorliegen gewisser - gegebenenfalls auch hochwertiger - eigenschöpferischer
Gestaltungselemente für die Bejahung des Kunstbegriffs im Sinne des KSVG noch nicht
ausreichend. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und - zum Steuerrecht -
des Bundesfinanzhofs hat den Kunstbegriff gegenüber dem Bereich des
Handwerklichen abgegrenzt. Letzterer ist nach der allgemeinen Verkehrsauffassung
nicht der Kunst zuzuordnen. Für die Zuordnung zur Kunst kann allein die Tatsache,
dass die Erzeugnisse eine gestalterische Leistung enthalten, nicht ausreichen.
Gestalterische Elemente sind bei zahlreichen Arbeiten unabdingbar, die unzweifelhaft
zum Bereich des Handwerks zählen. Gerade dem Kunsthandwerk ist ein gestalterischer
Freiraum immanent; es bleibt dennoch Handwerk. Selbst die Anfertigung individueller
Stücke nach eigenem Entwurf bedeutet nicht zwingend die Anerkennung als Kunstwerk.
Denn individuelle Fertigung zeichnet auch das Handwerk aus und unterscheidet es
insoweit von der industriellen Produktion. Für die Bewertung als künstlerische Leistung
kommt es darauf an, ob eine über eine kunsthandwerkliche Gestaltung hinausgehende
schöpferische Leistung entfaltet wird (BSG vom 24.06.1998 - B 3 KR 13/97 R sowie B 3
KR 11/97 R; BFH NJW 1982, 672). Das Bundessozialgericht hat zur Feststellung einer
derartigen über eine kunsthandwerkliche Gestaltung hinausgehenden schöpferischen
Leistung darauf abgestellt, dass eine Zuordnung zum Bereich der Kunst nur dann
anzunehmen ist, wenn der Betroffene mit seinen Werken in einschlägigen fachkundigen
Kreisen als "Künstler" anerkannt und behandelt wird. Hierfür ist bei Vertretern der
bildenden Kunst vor allem maßgebend, ob der Betroffene an Kunstausstellungen
teilnimmt, Mitglied von Künstlervereinen ist, in Künstlerlexika aufgeführt wird,
Auszeichnungen als Künstler erhalten hat oder andere Indizien auf eine derartige
Anerkennung schließen lassen. Im vorliegenden Fall ist Kunst nicht von Handwerk,
sondern -wie die Beklagte zutreffend ausführt und auch die Ausführungen der
Sachverständigen belegen - von technischer EDV-Anwendung abzugrenzen. Dieses
aufgrund des Auftretens neuer Medien und Technologien entstandene neue Phänomen
ist nach Auffassung der Kammer indes nach den gleichen Grundsätzen zu beurteilen,
wie die dargestellte Abgrenzung zwischen Kunst und Kunsthandwerk. Aus den
Ausführungen der Sachverständigen ergibt sich, dass die Tätigkeit der Klägerin sowohl
als Webdesignerin als auch im Bereich der grafischen Gestaltung um einen rein
technischen Beruf mit kreativen Elementen ohne künstlerischen Aspekt handelt. Es fehlt
die - von der Klägerin auch nicht behauptete - Anerkennung in Fachkreisen als
Künstlerin. Die Mitgliedschaft der Klägerin in der Allianz Deutscher Designer ändert
hieran nichts, denn die Klägerin hat weder dargelegt noch ist sonst ersichtlich inwieweit
für diese Mitgliedschaft eine künstlerische Anerkennung Voraussetzung ist. Auch die
Teilnahme an Berufswettbewerben ist nicht mit einer Anerkennung in Fachkreisen
gleichzusetzen. Derartige Berufswettbewerbe gibt es in vielen Bereichen, insbesondere
auch des Handwerks, ohne dass die entsprechenden Berufe Kunst im Sinne des KSVG
zum Gegenstand haben. Bei der Nichtanerkennung der Tätigkeit des Webdesigns in
künstlerischen Fachkreisen handelt es sich nicht um einen formalen Aspekt, der
eventuell aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine Tätigkeit ohne längere Tradition
handelt, unbeachtlich bleiben könnte. Denn Frau X hat plausibel dargelegt, dass es sich
bei dieser Tätigkeit eher um eine Dienstleistung als um Kunst, der ein gewisser
innovativer und interaktiver Charakter innewohnt, handelt. Auch ist die Kammer -
gestützt auf die Ausführungen der Sachverständigen - davon überzeugt, dass es jedem
EDV-technisch Versierten möglich ist, mittels kommerziell erwerbbarer
Computerprogramme ansprechende Webdesign-Arbeiten herzustellen. Entsprechenden
Arbeiten fehlt es dann an Individualität, was - auch vor dem Hintergrund, dass qualitative
Aspekte bei der Prüfung des Kunstbegriffs grundsätzlich keine Rolle spielen sollen -
generell gegen eine Anerkennung entsprechender Tätigkeiten als Kunst spricht. Die
Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, als Grafikdesignerin künstlerisch im Sinne
des KSVG zu arbeiten. Denn auch bei diesen Arbeiten handelt es sich letztlich um
Produkte der Anwendung von EDV-Technik. Zudem stellt die Klägerin Endprodukte
nach eigenen Entwürfen her, während eine Zuordnung des Designs zum Bereich der
Kunst nur dann unproblematisch ist, wenn sich die Tätigkeit nicht auf die Herstellung
des Endproduktes erstreckt, sondern sich allein in der Anfertigung von Entwürfen
erschöpft (BSG vom 24.06.1998 - B 3 KR 13/97 R).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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