Urteil des SozG Aachen vom 14.10.2008

SozG Aachen: genfer flüchtlingskonvention, abkommen über soziale sicherheit, anerkannter flüchtling, bundesamt für migration, aufenthaltserlaubnis, besitz, dienstanweisung, anwendungsbereich

Sozialgericht Aachen, S 13 EG 16/08
Datum:
14.10.2008
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 13 EG 16/08
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 13 EG 68/08
Sachgebiet:
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Elterngeld (auch) für die Zeit vom
18.10.2007 bis 17.01.2008 und die Zahlung von 900,00 EUR.
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Die am 09.09.0000 geborene Klägerin ist verheiratet; sie ist myanmarische
(birmanische) Staatsangehörige. Sie reiste am 18.05.2007 nach Deutschland ein und
beantragte Asyl. Am 18.10.2007 gebar sie das Kind K. Das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge lehnte durch rechtskräftigen Bescheid vom 25.06.2007 die Anerkennung als
Asylberechtigte ab; durch weiteren rechtskräftigen Bescheid vom 31.10.2007 erkannte
es die Flüchtlingseigenschaft der Klägerin an und stellte ein Abschiebeverbot gemäß §
60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Bezug auf Myanmar (Birma) fest. Seit
01.12.2007 bezieht die Klägerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II); bis dahin hatte sie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
(AsylbLG) bezogen.
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Am 17.01.2008 erteilte ihr die Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25
Abs. 2 AufenthG und gestattete ihr eine Erwerbstätigkeit.
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Am 06.02.2008 beantragte die Klägerin Elterngeld für den ersten bis zwölften
Lebensmonat des Kindes K.
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Der Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 11.02.2008 Elterngeld für den vierten bis
zwölften Lebensmonat (vom 18.01. bis 17.10.2008) des Kindes K. in Höhe von
monatlich 300,00 EUR. Elterngeld für die davor liegenden drei Monate lehnte er ab mit
der Begründung, die Klägerin sei in dieser Zeit nicht im Besitz eines
anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels gewesen.
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Dagegen legte die Klägerin am 28.02.2008 Widerspruch ein, den die Bezirksregierung
N. durch Widerspruchsbescheid vom 10.07.2008 zurückwies.
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Dagegen hat die Klägerin am 07.08.2008 Klage erhoben. Sie verweist darauf,
anerkannter Flüchtling im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG zu sein; der Umstand, dass
ihr erst im Januar 2008 die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt
worden sei, habe sie nicht zu vertreten. Im Übrigen verweist die Klägerin auf die
Änderung der Ziff. 62.4.2 der Dienstanweisung zum Familienleistungsausgleich (DA-
FamEStG) des Bundesamtes für Finanzen vom 13.06.2007 und zitiert daraus wie folgt:
"Nach Art. 2 des Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit unter
Ausschluss des Systems für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten der
Hinterbliebenen vom 11.12.1953 ... in Verbindung mit Art. 2 des Zusatzprotokolls zu
diesem Abkommen haben anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge nach der Genfer
Flüchtlingskonvention zudem unabhängig davon, ob der Aufenthaltstitel bereits erteilt
wurde, einen Anspruch auf Leistungen des Vertragsstaates unter denselben
Bedingungen wie dessen Staatsangehörige, sofern sie seit mindestens sechs Monaten
im Vertragsstaat wohnen." Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass sich diese
Dienstanweisung und die dort erwähnten supranationalen Vorschriften auch auf
Erziehungsgeld beziehen und "selbstverständlich" auch für das Elterngeld gelten
würden. Dem stünden frühere Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entgegen,
wenn dort für das Erziehungsgeld entschieden worden sei, dass diese Leistung nicht
vom sachlichen Anwendungsbereich des "Vorläufigen Europäischen Abkommens"
erfasst werde.
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Die Klägerin beantragt dem Sinne ihres schriftlichen Vorbringens nach,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11.02.2008 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 10.07.2008 zu verurteilen, ihr Elterngeld auch für den
ersten bis dritten Lebens- monat des Kindes K. in Höhe von insgesamt 900,00 EUR zu
zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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Die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf seine in den angefochtenen Bescheiden vertretene
Rechtsauffassung&729;
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der
Beklagten sowie die Asylverfahrensakte des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Obwohl weder die Klägerin noch ihr Bevollmächtigter im Termin zur mündlichen
Verhandlung erschienen sind, konnte die Kammer verhandeln und entscheiden, weil
der Bevollmächtigte der Klägerin in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen
worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Der Bevollmächtigte der
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Klägerin hat im Übrigen zu Beginn des heutigen Termins telefonisch mitgeteilt, dass er
damit einverstanden sei, dass die Kammer auch in seiner Abwesenheit verhandele und
entscheide.
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
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Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2
SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf
Elterngeld bereits für die ersten drei Lebensmonate des Kindes K., da sie in dieser Zeit
noch nicht die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 7 Bundeselterngeldgesetz (BEEG) erfüllt
hatte.
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Der Klägerin wurde erst am 17.01.2008 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2
AufenthG erteilt die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Eine solche
Aufenthaltserlaubnis begründet - bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen
insbesondere nach Abs. 1 - den Anspruch einer nicht freizügigkeitsberechtigten
Ausländerin - wie der Klägerin - nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG. Auf die weiteren
Voraussetzungen nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 a) bis c) und Nr. 3 BEEG kommt es nicht an.
Deshalb hat die Klägerin zurecht ab 18.01.2008 Elterngeld erhalten.
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In den davor liegenden drei Monaten erfüllte die Klägerin allerdings noch nicht die
Voraussetzungen nach § 1 Abs. 7 BEEG; insbesondere war sie nicht im Besitz eines
anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels. Durch die Formulierung, dass eine
Ausländerin nur anspruchsberechtigt ist, wenn sie den maßgeblichen Aufenthaltstitel
"besitzt", ist klargestellt, dass das Elterngeld frühestens von diesem Zeitpunkt an
bezogen werden kann. Selbst wenn - was für die Klägerin nicht zutrifft - im
Aufenthaltstitel eine Rückwirkung angeordnet worden wäre, lässt die Erteilung des
Aufenthaltstitels den Anspruch auf Elterngeld nur für die Zukunft entstehen (BSG, Urteil
vom 09.02.1994 - 14/14b Rg 9/93 = SozR 3-7833 § 1 Nr. 12 zum Erziehungsgeld).
Entgeht einer Ausländerin Elterngeld wegen einer rechtswidrigen Verzögerung des
Aufenthaltserlaubnisverfahrens (die hier nicht ersichtlich ist), so kann sie einen
Ausgleich grundsätzlich nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
geltend machen. Für den durch das entgangene Elterngeld entstandenen Schaden
verbliebe nur ein etwaiger Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V. m. Artikel 34 GG
(vgl. dazu Irmen in: Hambüchen, BEEG/EStG/BKGG-Kommentar, Stand: Februar 2008,
§ 1 BEEG Rndrn. 109, 110 m.w.N.). Die Rechtsprechung des BSG zu der
Tatbestandsvoraussetzung "Besitz" eines anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels
zum Erziehungsgeld gilt auch für das Elterngeld. Der Gesetzgeber hat sich in Kenntnis
dieser ausführlichen und seit langem bekannten Rechtsprechung für die Formulierung
in § 1 Abs. 7 BEEG entschieden; die Vorschrift differenziert noch zwischen "erteilt" und
"besitzt", macht also deutlich, dass es für die Elterngeldanspruchsberechtigung gerade
auf den Besitz des Aufenthaltstitels ankommt.
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Schließlich kann die Klägerin ihren Anspruch auch nicht auf das Vorläufige
Europäische Abkommen über Soziale Sicherheit vom 11.12.1953 (BGBl. 1956 II S. 507)
stützen, das bis heute gültig ist und unmittelbare Rechtsansprüche begründet. Zwar wird
die Klägerin vom persönlichen Anwendungsbereich des Vorläufigen Europäischen
Abkommens erfasst, denn sie ist anerkannter Flüchtling im Sinne der Genfer
Flüchtlingskonvention. Nach Artikel 2 des Zusatzsprotokolls zu dem Vorläufigen
Europäischen Abkommen finden die Vorschriften des Hauptabkommens auf Flüchtlinge
unter den gleichen Voraussetzungen Anwendung wie auf die Staatsangehörigen der
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vertragsschließenden Staaten. Das Vorläufige Europäische Abkommen erstreckt sich
jedoch sachlich nicht auf das bundesdeutsche Elterngeld. Dies hat das
Bundessozialgericht mit ausführlicher Begründung und substanziierten
Quellennachweisen bereits durch Urteil vom 23.09.2004 - B 10 EG 3/04 R (BSGE
93,194 = SozR 4-7833 § 1 Nr. 6) für das Erziehungsgeld festgestellt. Die Ausführungen
des BSG gelten genauso für das Elterngeld. Nach Artikel 7 Abs. 1 des Abkommens
bestimmt jeder Vertragsschließende diejenigen Systeme der Sozialen Sicherheit, auf
die das Abkommen Anwendung findet. Die danach vorgesehenen Bestimmungen bzw.
Mitteilungen der Vertragsschließenden sind im Anhang I zu dem Abkommen enthalten.
In der bundesdeutschen Bekanntmachung der Neufassung der Anhänge I, II und III zu
den Vorläufigen Europäischen Abkommen vom 25.01.1985 (BGBl. 1985 II, S. 311, 313)
sind im Anhang I für die Bundesrepublik Deutschland unter Buchstabe d) für den hier
einschlägigen Bereich der Familienbeihilfen aufgeführt: "Kindergeld". Weder das
erstmals zum 01.01.1986 eingeführte Erziehungsgeld noch das zum 01.01.2007
eingeführte Elterngeld hat die Bundesrepublik Deutschland durch eine entsprechende
Meldung in den Anhang I des Vorläufigen Abkommens aufnehmen lassen. Die
Bekanntmachung der Neufassung der Anhänge I, II und III zu dem Vorläufigen
Europäischen Abkommen vom 25.01.1985 gibt die aktuelle Fassung des Anhang I für
Familienbeihilfeleistungen in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland wieder (vgl.
BGBl. 2008 II vom 15.02.2008 [Fundstellennachweis B], S. 391).
Das Elterngeld kann ebensowenig wie das Erziehungsgeld im Wege der Auslegung in
den sachlichen Anwendungsbereich dieses Abkommens einbezogen werden. Soweit
die Klägerin die Änderung der DA-FamEStG 62.4 vom 13.06.2007 zitiert, verkennt sie,
dass sich der zitierte Satz 2 des Absatz 1 der DA-FamEStG-Ziffer 62.4.2 ausschließlich
auf Kindergeld bezieht. Dies ergibt sich aus dem vorhergehenden Satz der Ziffer 62.4.2
(vollständig abgedruckt in: Hambüchen, BEEG/EStG/BKGG-Kommentar, III.
EStG/Verwaltungsvorschriften). Die Änderung der DA-FamEStG ist, wie sich der
Überschrift dieser Änderung vom 13.06.2007 im Bundessteuerblatt 2007 I S. 489
entnehmen lässt, auf das "Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen
Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss" vom 13.12.2006 (BGBl. 206 I S.
2915) zurückzuführen. Allein der Umstand, dass sich dieses Gesetz auch auf
Erziehungsgeld bezieht, heißt jedoch nicht, dass sich auch die geänderte Ziffer 62.4.2
der DA-FamESTG auf das Erziehungsgeld und auf das neue Elterngeld bezieht. Wie
oben ausgeführt erfasst der sachliche Geltungsbereich des Vorläufigen Europäischen
Abkommens, auf das in der geänderten Ziffer 62.4.2 der DA-FamEStG Bezug
genommen wird, allein auf das Kindergeld. Dementsprechend war und ist es
konsequent, auch die entsprechende Dienstanweisung für das Kindergeld daran
anzupassen. Weitere Schlussfolgerungen für das Erziehungsgeld und das Elterngeld
ergeben sich aus der Dienstanweisung jedoch nicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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