Urteil des SozG Aachen vom 21.04.2009

SozG Aachen: aufenthaltserlaubnis, besitz, ausländer, erwerbstätigkeit, erlass, verfassungskonform, drucksache, geburt, haushalt, gesetzgebungsverfahren

Sozialgericht Aachen
Urteil vom 21.04.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Aachen S 13 EG 33/08
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.07.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 27.10.2008 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 30.10.2005 bis 29.10.2006 Erziehungsgeld in Höhe des
Regelbetrages von monatlich 300,00 EUR, insgesamt 3.600,00 EUR zu zahlen. Die notwendigen außergerichtlichen
Kosten der Klägerin trägt der Beklagte.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erziehungsgeld (Regelbetrag) für das erste Lebensjahr des Kindes F.
vom 30.10.2005 bis 29.10.2006 in Höhe von monatlich 300,00 EUR, insgesamt 3.600,00 EUR.
Die am 00.00.1975 geborene Klägerin ist jugoslawische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste
am 03.08.1998 nach Deutschland ein. Am 07.08.1998 stellte sie einen Asylantrag, der am 23.10.1998 abgelehnt
wurde. Zugleich wurde jedoch festgestellt, dass Abschiebungshindernisse bestanden. Sie hatte in ihrer Heimat
schwere Misshandlung und eine Vergewaltigung erlitten, weshalb sich bei ihr Depressionen mit somatischen
Beschwerden sowie eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelte (psychotherapeutisches Attest vom
19.10.2000). Im November 2000 erhielt die Klägerin eine Aufenthaltsbefugnis gem. § 30 Abs. 3 des - damals
geltenden - Ausländergesetzes (AuslG); diese wurde im November 2001 bis Februar 2003 und im Februar 2003 weiter
bis Februar 2005 verlängert. Am 24.01.2005 erhielt die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 des
Aufenthaltsgesetzes (AufenthG); seit 12.06.2006 ist sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4
AufenthG.
Am 00.00.2005 gebar die Klägerin das Kind F ... Dieses erhielt zunächst eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5
AufenthG und ist seit 14.02.2007 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG. Das Kind lebt seit der
Geburt mit der Klägerin in einem Haushalt und wird von ihr betreut und erzogen. Von der Geburt des Kindes (und
jedenfalls bis zum Ende des ersten Lebensjahres des Kindes) übte die Klägerin keine Erwerbstätigkeit aus.
Am 21.11.2005 beantragte die Klägerin Erziehungsgeld in Höhe des Regelbetrages für das erste Lebensjahr des
Kindes.
Das Versorgungsamt B. lehnte den Antrag durch Bescheid vom 17.07.2006 ab mit der Begründung, die Klägerin sei
nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels, der nach § 1 Abs. 6 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) einen Anspruch
auf Erziehungsgeld begründe.
Dagegen legte die Klägerin am 17.08.2006 Widerspruch ein; sie verwies auf ihre Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs.
4 AufenthG. Der Beklagte stellte mit Einverständnis der Klägerin die Entscheidung über den Widerspruch bis zum
Erlass einer - vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geforderten - Neuregelung zurück. Nach Erlass des "Gesetz
zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss" vom
13.12.2006 (BGBl. I S. 2915) wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 27.10.2008
zurück. Er vertrat die Auffassung, die Klägerin erfülle für den geltend gemachten Erziehungsgeldanspruch nicht die
durch die Neuregelung geschaffenen Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 Nr. 3 b) BErzGG; sie sei weder berechtigt
erwerbstätig noch beziehe sie laufende Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) noch nehme
sie Elternzeit in Anspruch.
Dagegen hat die Klägerin am 01.12.2008 Klage erhoben. Sie hält § 1 Abs. 6 BErzGG auch in der seit 01.01.2006
geltenden Fassung für verfassungswidrig.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17.07.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
27.10.2008 zu verurteilen, ihr für das erste Lebens- jahr des am 30.10.2005 geborenen Kindes F. Er- ziehungsgeld in
Höhe des Regelbetrages von monatlich 300,00 EUR, insgesamt 3.600,00 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verbleibt bei seiner in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende
Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG), da sie rechtswidrig sind. Die Klägerin hat Anspruch auf Erziehungsgeld für ihr am 00.00.2005 geborenes Kind
in Höhe des Regelbetrages (monatlich 300,00 EUR) für den Zeitraum vom 30.10.2005 bis 29.10.2006, insgesamt
3.600,00 EUR.
Die Klägerin erfüllt für den maßgeblichen Anspruchszeitraum die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BErzGG:
sie hat einen Wohnsitz in Deutschland, hat die Personensorge für das Kind, lebt mit ihm in einem Haushalt, betreut
und erzieht dieses Kind selbst und übt keine Erwerbstätigkeit aus. Des Weiteren erfüllt die Klägerin auch die
ausländer- und aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen nach § 1 Satz 6 BErzGG. Diese ergeben sich aller- dings
nicht aus § 1 Abs. 6 BErzGG in der seit 01.01.2006 geltenden Fassung durch Artikel 3 Nr. 1 des "Gesetz zur
Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss" vom 13.12.2006
(BGBl. S. 2915), sondern aus § 1 Abs. 6 BErzGG in der vom 01.01. bis 31.12.2005 geltenden Fassung durch Artikel
10 Nr. 4 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950). Dies folgt aus § 24 Abs. 3 Satz 1 BErzGG,
neu gefasst durch Artikel 3 Nr. 2b) des Gesetzes vom 13.12.2006. Danach ist die Neufassung des § 1 Abs. 6 in
Fällen, in denen eine Entscheidung über den Anspruch auf Erziehungsgeld für einen Bezugszeitraum zwischen dem
27.06.1993 und dem 18.12.2006 noch nicht bestandskräftig geworden ist, (nur) anzuwenden, wenn dies für die
erziehungsgeldbeantragende Person günstiger ist.
Hintergrund dieses Gesetzes ist (u.a.) der Beschluss des BVerfG vom 06.07.2004 - 1 BvR 2515/95 (BVerfGE 111,
176 = SozR 4-7833 § 1 Nr. 4 = NVwZ 2005, 319 = InfAuslR 2005, 116). Darin hat das BVerfG die für ausländische
Staatsangehörige geltenden besonderen Regelungen des § 1 Abs. 1a Satz 1 BErzGG in der Fassung des "Gesetz zur
Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms" - FKPG - vom 23.06.1993 (BGBl. I S. 944) für
verfassungswidrig erklärt, soweit dadurch Ausländer, die lediglich eine Aufenthaltsbefugnis besaßen, generell von der
Gewährung von Erziehungsgeld ausgeschlossen wurden. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber anheimgestellt, diese
Vorschriften bis spätestens 01.01. 2006 durch eine verfassungskonforme Neuregelung zu ersetzen. Um dieser
Vorgabe Rechnung zu tragen, hat die Bundesregierung - allerdings erst im Mai 2006 - einen entsprechenden
Gesetzentwurf (BT-Drucksache 16/1368) vorgelegt. Das "Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen
Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss" ist nach Durchlaufen des Gesetzgebungsverfahrens schließlich
(erst) am 13.12.2006 erlassen worden. Die Neufassung des § 1 Abs. 6 BErzGG ist rückwirkend am 01.01.2006 in
Kraft getreten (vgl. Art. 6 des Gesetzes vom 13.12.2006). Da diese Rückwirkung jedoch die vom BVerfG angeordnete
Frist für noch nicht bestandskräftige Fälle missachtet hätte, weil sie bei Erlass des Gesetzes bereits abgelaufen war,
hat der Gesetzgeber in § 24 Abs. 3 BErzGG eine Günstigkeitsregelung getroffen. Diese ist für die Klägerin
einschlägig, weil der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Erziehungsgeld "für einen Bezugszeitraum zwischen
dem 27. Juni 1993 und dem 18. Dezember 2006", nämlich die Zeit vom 30.10.2005 bis 29.10.2006 gilt und die
Entscheidung über diesen Anspruch, die vom 17.07.2006 datiert, am 19.12.2006 noch nicht bestandskräftig geworden
war.
Die vom SG Detmold im Urteil vom 05.03.2008 (S 15 EG 9/07) vertretene Auffassung zu § 24 Abs. 3 BErzGG, dass
nach dieser Bestimmung die Neufassung des § 1 Abs. 6 "anwendbar ist, wenn sie für den Antragsteller günstiger ist
als die bei Bescheiderteilung bzw. die bis zum 26.06.1993 geltende Fassung, soweit sich der Anspruch nach der für
unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärten Fassung vom 23.06.1993 gerichtet hatte" in Verbindung mit deren
Auffassung, dass die Entscheidung des BVerfG vom 06.07.2004 so zu verstehen ist, "dass die Sanktion der Geltung
des bis zum 26.06.1993 geltenden Rechts nur für die Fälle gilt, in denen die für verfassungswidrig erklärte Regelung
des § 1 Abs. 1a S. 1 BErzGG vom 23.06.1993 m Hinblick auf das Geburtsdatum des Kindes einschlägig ist" (so: SG
Detmold, Urteil vom 05.03.2008, Seite 5 und 6), lässt sich schon denklogisch mit dem Wortlaut des § 24 Abs. 3
BErzGG nicht in Einklang bringen. Diese Vorschrift bezieht alle Erziehungsgeldansprüche "für einen Bezugszeitraum
zwischen dem 27.06.1993 und dem 18.12.2006" ein, über die noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist.
Wäre die Auffassung des SG Detmold zutreffend, so wären nur Ansprüche auf Erziehungsgeld für Bezugszeiträume
bis 30.06.2002 von § 24 Abs. 3 BErzGG erfasst; denn die vom BVerfG für verfassungswidrig erklärte Vorschrift des §
1 Abs. 1a S. 1 BErzGG in der Fassung des FKPG vom 23.06.1993 galt nur bis 31.12.2000. Sie wurde durch die
Nachfolgeregelung des § 1 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 BErzGG in der Fassung des 3. BErzGG-Änderungsgesetz vom
12.10.2000 (BGBl. I S. 1426) mit Wirkung ab 01.01.2001 und diese wiederum durch die Nachfolgeregelung des § 1
Abs. 6 Satz 2 BErzGG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes mit Wirkung ab 01.01.2005 ersetzt. Die
verfassungswidrige Vorschrift des § 1 Abs. 1 Abs. 1a S. 1 BErzGG galt also nur für Geburten bis 31.12.2000 (vgl. §
24 Abs. 1 Satz 1 BErzGG). Für Kinder, die noch an diesem Tag geboren wurden, konnte Erziehungsgeld für längstens
18 Monate, also bis 30.06.2002 bezogen werden. Wäre die Auffassung des SG Detmold zum Anwendungsbereich des
§ 24 Abs. 3 BErzGG richtig, könnten Bezugszeiträume ab 01.07.2002 nicht mehr betroffen sein. Der Gesetzgeber hat
aber darüberhinaus auch die Bezugszeiträume bis 18.12.2006, also auch solche aus Ansprüchen aus den
Nachfolgeregelungen zu der verfassungswidrigen Vorschrift des § 1 Abs. 1a S. 1 BErzGG in der Fassung des
Gesetzes vom 23.06.1993, einbezogen.
Der Erziehungsgeldanspruch der Klägerin bestimmt sich nach § 1 Abs. 6 BErzGG a.F., weil die Neuregelung der
Vorschrift durch das Gesetz vom 13.12.2006 für sie ungünstiger gewesen wäre. Die Klägerin erfüllt nämlich die
Voraussetzungen in der Neufassung nicht. Sie ist zwar seit 24.01.2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach §
23 Abs. 1 AufenthG und seit 12.06.2006 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG; auch hat
sie sich zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes am 30.10.2005 bereits mindestens 3 Jahre rechtmäßig, gestattet oder
geduldet im Bundesgebiet aufgehalten (§ 1 Abs. 6 Nr. 2.c) i.V.m. Nr. 3.a)). Jedoch war sie im streitbefangenen
Anspruchszeitraum weder erwerbstätig, noch bezog sie Leistungen nach dem SGB III, noch hat sie Elternzeit in
Anspruch genommen. Die Auffassung, § 1 Abs. 6 Nr. 3 b) müsse und könne verfassungskonform dahin ausgelegt
werden, dass die Voraussetzungen dieser Norm bereits erfüllt, wer - wie die Klägerin - zu einer Erwerbstätigkeit
berechtigt ist, ohne eine solche tatsächlich auszuüben oder SGB IIII-Leistungen zu beziehen oder Elternzeit in
Anspruch zu nehmen (so: SG Würzburg, Urteil vom 28.03.2008 - S 4 EG 49/06; SG Münster, Urteil vom 31.03.2008 -
S 2 EG 25/07) teilt die Kammer nicht (vgl. dazu ausführlich: Urteil der Kammer vom 14.10.2008 - S 13 EG 1/08).
Die Klägerin erfüllt aber die Voraussetzungen der zuvor geltenden Regelung des § 1 Abs. 6 BErzGG in der Fassung
durch Art. 10 Nr. 4 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 (BGBl. I. S. 1950). Satz 2 dieser Vorschrift lautete:
"Ein anderer Ausländer ist anspruchsberechtigt, wenn er im Besitz 1.einer Niederlassungserlaubnis, 2.einer
Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit, 3.einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 und 2, den §§
31, 37, 38 des Aufenthaltsgesetzes oder 4.einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu einem
Deutschen oder zu einer von Nr. 1 bis 3 erfassten Person ist."
Bei wörtlicher Anwendung dieser Vorschrift wäre allerdings auch hiernach der Erziehungsgeldanspruch der Klägerin zu
verneinen. Denn sie verfügte im streitbefangenen Zeitraum über keinen der aufgezählten Aufenthaltstitel; die ihr im
Januar 2005 bewilligte Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG und die im Juni 2006 bewilligte
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG, gehören ebensowenig dazu wie die zuvor seit November 2000
besessene Aufenthaltsbefugnis. Eine wörtliche Anwendung der Vorgängervorschrift stünde jedoch nicht im Einklang
mit der Verfassung, wie sich aus dem Beschluss des BVerfG vom 06.07.2004 (a.a.O.) ergibt.
Das BVerfG hat es im Beschluss vom 06.07.2004 grundsätzlich für legitim gehalten, dass der Gesetzgeber das
Erziehungsgeld nur denjenigen Ausländern zukommen lassen will, von denen erwartet werden kann, dass sie auf
Dauer in Deutschland bleiben. Es hat es aber für nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar angesehen, diesen
Personenkreis allein dadurch zu erfassen, dass formal an die Art eines Aufenthaltstitels angeknüpft wird. Es hat es
konkret für verfassungswidrig angesehen, Ausländer, die lediglich eine Aufenthaltsbefugnis besaßen, ohne nähere
Differenzierung von der Leistung des Erziehungsgeldes auszuschließen. Die Fassung des Gesetzes, über die das
BVerfG seinerzeit zu entscheiden hatte, galt ab 27.06.1993 und ging auf Art. 4 Nr. 1 FKPG zurück. Waren nach dem
bis 26.06.1993 geltenden Recht noch Ausländer, die (nur) eine Aufenthaltsbefugnis besaßen, grundsätzlich
erziehungsgeldberechtigt, so schloss der Gesetzgeber nunmehr die Inhaber von Aufenthaltsbefugnissen vom
Erziehungsgeldbezug aus. Dies hat das BVerfG für verfassungswidrig gehalten und dem Gesetzgeber aufgegeben,
bis 01.01.2006 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen, anderenfalls auf nicht abgeschlossene Verfahren
das bis 26.06.1993 geltende Recht anzuwenden sei. Daraus wird deutlich, dass das BVerfG das bis 26.06.1993
geltende Recht für verfassungsgemäß hält. Danach war für den Erziehungsgeldanspruch eines Ausländers
Voraussetzung, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis war.
Nach Auffassung des BVerfG durfte der Gesetzgeber also ohne Verfassungsverstoß als Voraussetzung für die
Gewährung von Erziehungsgeld an Ausländern fordern, dass diese zumindest im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis
waren. Die Aufenthaltsbefugnis nach § 30 des Ausländergesetzes (AuslG) vom 09.07.1990 (BGBl. I S. 1354) war für
Ausländer vorgesehen, denen aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen Aufenthalt gewährt wurde.
Für diesen Personenkreis sollte die Möglichkeit einer Aufenthaltsverfestigung vorgesehen werden. Die
Aufenthaltsbefugnis war deshalb bereits eine mögliche Vorstufe für einen Daueraufenthalt (vgl. die Begründung zum
Ausländergesetz, BT-Drucksache 11/6321, S. 45, 46).
Das knapp 4 Wochen nach dem BVerfG-Beschluss erlassene Zuwanderungsgesetz vom 30.07.2004 (BGBl. I S.
1950) enthielt in seinem Art. 10 Nr. 4 noch nicht eine den Vorgaben des BVerfG entsprechende Neuregelung. Der
Gesetzgeber konnte bei Erlass des Zuwandungsgesetzes zwar möglicherweise schon die Gründe des BVerfG-
Beschlusses kennen, jedoch seine Vorgaben nicht umsetzen, da das Gesetzgebungsverfahren zu diesem Zeitpunkt
bereits im Wesentlichen abgeschlossen war. Die vom BVerfG geforderte Neuregelung erfolgte erst durch das Gesetz
vom 13.12.2006, allerdings außerhalb der vom BVerfG gesetzten Frist. Das BVerfG hat im Beschluss vom
06.07.2004 (vgl. dort Abschnitt C. I. 2, letzter Satz) dem Gesetzgeber ausdrücklich aufgegeben, im Hinblick auf die
vorliegende Entscheidung auch die Nachfolgeregelungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Der
Gesetzgeber selbst hat erkannt, dass die Nachfolgeregelungen bzgl. der Erziehungsgeldanspruchsvoraussetzungen
für Ausländer nach 1993 nicht den Vorgaben des BVerfG entsprochen haben und die Rechtsgedanken des BVerfG
auch auf spätere Fassungen des BErzGG zutreffen (vgl. BT-Drucksache 16/1368, S. 1,8). Da - wie dargelegt - das
am 30.07.2004 erlassene Zuwanderungsgesetz mit der für die Klägerin einschlägigen Fassung des § 1 Abs. 6
BErzGG die Vorgaben des BVerfG noch nicht umsetzen konnte, ist die einschlägige Bestimmung
verfassungskonform im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 06.07.2004 auszulegen, ohne dass es insoweit
einer erneuten Vorlage an das BVerfG bedarf.
Zwar kennt das durch das Zuwanderungsgesetz vom 30.07.2004 neu geregelte Aufent- haltsrecht und ihm folgend die
für die Klägerin einschlägige Fassung des § 1 Abs. 6 Satz 2 BErzGG den Aufenthaltstitel einer "Aufenthaltsbefugnis"
nicht mehr, wohl aber andere Aufenthaltstitel, die dieser entsprechen. § 101 Abs. 2 AufenthG, auf den § 24 Abs. 3
Satz 2 BErzGG Bezug nimmt, bestimmt ausdrücklich die Fortgeltung der bis dahin geltenden
Aufenthaltsgenehmigungen als Aufenthaltserlaubnisse entsprechend dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden
Aufenthaltszweck und Sachverhalt. Die der Klägerin am 24.01.2005 erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1
AufenthG ist der früheren Aufenthaltsbefugnis nach § 32 AuslG, die ihr am 12.06.2006 erteilte Aufenthaltserlaubnis
nach § 25 Abs. 4 AufenthG ist der früheren Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 2 AuslG vergleichbar. Um dem
Rechtsgedanken des BVerfG und der Anwendungsregel im zweiten Entscheidungssatz des Beschlusses vom
06.07.2004 (a.a.O.) gerecht zu werden, ist daher der Personenkreis des § 1 Abs. 6 BErzGG in der hier maßgeblichen
Fassung des Art. 10 Nr. 4 des Zuwanderungsgesetzes verfassungskonform (jedenfalls) auch auf Ausländer
anzuwenden, die - wie die Klägerin - im Besitz einer (der früheren Aufenthaltsbefugnis vergleichbaren)
Aufenthaltserlaubnis gem. § 23 Abs. 1 oder § 25 Abs. 4 AufenthG sind (vgl. dazu auch Urteil der 13. Kammer vom
12.02.2008 - S 13 EG 16/07; ebenso, wenn auch mit anderer Begründung: SG Düsseldorf, Urteil vom 06.11.2007 - S
32 EG 6/05).
Da die Klägerin in der Zeit vom 30.10.2005 bis 29.10.2006 auch die übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf
Erziehungsgeld erfüllt hat, ist der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.