Urteil des SozG Aachen vom 16.06.2008

SozG Aachen: untätigkeitsklage, gebühr, pauschal, verspätung, ermessen, zivilprozessordnung, meinung, erlass, steuer, rechtskraft

Sozialgericht Aachen, S 4 R 89/07
Datum:
16.06.2008
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 4 R 89/07
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Erinnerung der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss
der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Aachen vom
07.02.2008 abgeändert. Die der Klägerin zu erstattenden Kosten werden
auf 327,25 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 06.09.2007 festgesetzt.
Gründe:
1
I.
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Streitig ist die Höhe der erstattungsfähigen Kosten nach für erledigt erklärter
Untätigkeitsklage. Insbesondere geht es dabei um die Frage, ob eine fiktive
Terminsgebühr angefallen ist.
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Im zugrunde liegenden Verfahren hatte die Klägerin am 23.05.2007 Untätigkeitsklage
erhoben. Nachdem die Beklagte am 07.08.2007 den Widerspruchsbescheid erlassen
hatte, nahm die Klägerin die Klage zurück und beantragte am 06.09.2007 durch ihren
Prozessbevollmächtigten die Festsetzung folgender Kosten zuzüglich Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz:
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Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV 170,00 EUR Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1006
VV 150,00 EUR Post- bzw. Telek.-Geb. gem. Nr. 7001 bzw. 7002 VV 20,00 EUR 19%
MWSt. gemäß Nr. 7008 VV 64,60 EUR Gesamtbetrag 404,60 EUR
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Mit rechtskräftigem Beschluss vom 05.11.2007 wurden der Beklagten die
außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach auferlegt. Diese hielt jedoch
die geltend gemachte Verfahrensgebühr von 170,00 Euro in der Höhe für unbillig. Eine
Erledigungsgebühr sei darüber hinaus nicht angefallen, weil es an einem qualifizierten
Tätigwerden des Bevollmächtigen fehle.
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Die Klägerin beantragte daraufhin alternativ zur Erledigungsgebühr, eine
Terminsgebühr festzusetzen.
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Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.02.2008 setzte die Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle folgende Kosten fest:
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Gebühr gem. Nr. 3102 VV 145,00 EUR Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV 20,00
EUR 19% MW-Steuer 31,35 EUR 196,35 EUR
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Die Untätigkeitsklage sei mit einem im Vergleich zum Hauptsacheverfahren erheblich
niedrigerem Wert, nämlich 145,00 Euro anzusetzen. Die Erledigungsgebühr sei nicht
angefallen, da sich die Angelegenheit nicht durch anwaltliche Mitwirkung erledigt habe.
Die Terminsgebühr sei nicht entstanden, da das Verfahren nicht durch Anerkenntnis
beendet worden sei.
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Gegen die Nichtberücksichtigung der Terminsgebühr wandte sich die Klägerin mit ihrer
am 21.02.2008 eingelegten Erinnerung. Zur Begründung bezieht sie sich auf das Urteil
des Sozialgerichts Köln vom 02.11.2007 (S 6 AS 231/06). Sie ist der Meinung, dass in
der Bescheidung dann ein Anerkenntnis liege, wenn die Frist des § 88
Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgelaufen und Beklagte keinen zureichenden Grund für
ihre Untätigkeit gehabt habe.
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Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und dem Gericht die Sache
zur Entscheidung vorgelegt.
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II.
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Die gemäß § 197 Abs. 2 SGG statthafte Erinnerung ist begründet.
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Der Klägerin steht eine fiktive Terminsgebühr für die Untätigkeitsklage gemäß Ziffer
3106 Satz 2 Nr. 3 Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV
RVG) in Höhe von 110,00 Euro zu. Gemäß Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 3 VV RVG entsteht die
Terminsgebühr auch, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne
mündliche Verhandlung endet. Ein solcher Fall liegt hier vor.
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Wird auf eine Untätigkeitsklage der begehrte Bescheid erlassen und die Klage
daraufhin für erledigt erklärt, handelt es sich dann um ein angenommenes Anerkenntnis
im Rechtssinne, wenn die Frist des § 88 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGG abgelaufen ist und ein
zureichender Grund für die verspätete Entscheidung nicht vorliegt. Dabei steht das
Eingeständnis der Beklagten, dass kein zureichender Grund für die Verspätung vorliegt,
einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts über die Kosten gleich (insofern enger:
SG Köln, Urteil vom 02.11.2007, S 6 AS 231/06). Würde man das Entstehen der
Terminsgebühr nur annehmen, wenn die Beklagte von sich aus einräumt, dass kein
zureichender Grund für die verspätete Entscheidung vorlag, dann hätte sie es in der
Hand, das Entstehen der Terminsgebühr zu verhindern, indem sie die
Kostenübernahme dem Grunde nach stets pauschal ablehnt. Diese Auslegung wäre mit
Sinn und Zweck der Terminsgebühr allerdings nicht zu vereinbaren. Denn die Vorschrift
soll eine Erledigung des Rechtsstreits auch ohne mündliche Verhandlung ohne
nachteilige Kostenfolge für den Rechtsanwalt attraktiv machen (SG Berlin, Beschluss
vom 10.09.2007, S 48 SB 2223/05; SG Lüneburg, Beschluss vom 23.06.2006, S 4 SF
55/06). Der Erlass des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2007 in Verbindung mit der
Kostengrundentscheidung vom 05.11.2007 stellt daher ein Anerkenntnis im
Rechtssinne dar, das die Klägerin mit der Erledigterklärung des Verfahrens
angenommen hat.
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In der Höhe war die fiktive Terminsgebühr in Höhe von 110,00 Euro festzusetzen. Bei
Rahmengebühren, wie sie hier (§ 3 Abs. 1 RVG) entstehen, bestimmt der Rechtsanwalt
die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs
und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit
sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers nach billigem
Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG). Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu
ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung gemäß § 14 Abs. 1
Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Bei der Beurteilung, ob die
anwaltliche Kostenfestsetzung unbillig ist, sind die in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG
genannten Gesichtspunkte maßgeblich.
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Der Gebührenrahmen der hier angefallenen fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz
2 Nr. 3 VV RVG bewegt sich zwischen 20,00 und 380,00 Euro. Die sog. Mittelgebühr
beträgt damit 200,00 Euro. Die Beanspruchung der Mittelgebühr ist indes im
vorliegenden Verfahren unbillig, da es sich bei der Untätigkeitsklage insgesamt um ein
weit unterdurchschnittliches Verfahren gehandelt hat. Insofern wird auf die zutreffenden
Ausführungen der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle im Kostenfestsetzungsbeschluss
vom 07.02.2008 zur Verfahrensgebühr verwiesen. Die fiktive Terminsgebühr ist daher
nur in Höhe von 110,00 Euro und nicht - wie von der Klägerin beantragt - in Höhe von
150,00 Euro angefallen.
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Die der Klägerin zu erstattenden Kosten waren daher auf 327,25 Euro festzusetzen:
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Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG 145,00 Euro Terminsgebühr nach Nr. 3106
VV RVG 110,00 Euro Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro 19 %
Mehrwertsteuer 52,25 Euro 327,25 Euro
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Die Festsetzung der Zinsen beruht auf § 197 Abs. 1 Satz 3 SGG i.V.m. § 104 Abs. 1
Satz 2 Zivilprozessordnung.
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Diese Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz endgültig.
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