Urteil des SozG Aachen vom 25.09.2009

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Sozialgericht Aachen, S 6 R 32/09
Datum:
25.09.2009
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 6 R 32/09
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 18 R 248/09
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von Zwischenübergangsgeld.
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Der am 00.00.0000 geborene Kläger war als Pharmareferent im Innen- und Außendienst
eines pharmazeutischen Unternehmens beschäftigt und privat kranken- und
pflegeversichert. Nachdem er diese Tätigkeit wegen einer Epilepsieerkrankung nicht
mehr ausüben konnte, erhielt er von seiner privaten Krankenkasse zunächst
Krankentagegeld. Nachdem die Zahlung des Krankentagegeldes eingestellt worden
war, erhielt er bis zur Erschöpfung seines Anspruchs am 00.00.0000 Arbeitslosengeld.
Vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 nahm der Kläger zu Lasten der Beklagten Leistungen
zur stationären medizinischen Rehabilitation in Bad P. in Anspruch. Während dieser
Zeit erhielt er Übergangsgeld. Anschließend wurde ihm zunächst für die Zeit vom
00.00.0000 bis 00.00.0000 ein Reha-Assessment im Berufsbildungswerk C. und
anschließend ab 00.00.0000 als Umschulung ein Vollzeitstudium zum Heilpraktiker
bewilligt, an dem der Kläger bis heute teilnimmt. Nachdem der Kläger Weiterzahlung
seines Übergangsgeldes beantragt hatte, forderte die Beklagte ihn auf, eine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu übersenden. Daraufhin wies der Kläger
Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 00.00.2000 bis 00.00.0000 nach. Mit Bescheid vom
00.00.0000 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Weiterzahlung des
Übergangsgeldes ab. Der Kläger legte am 00.00.0000 Widerspruch ein. Mit
Bescheinigung vom 00.00.0000 teilte die Agentur für Arbeit der Beklagten mit, der
Kläger werde ab 00.00.0000 als arbeitslos geführt. Auf Nachfrage teilt die Agentur für
Arbeit der Beklagten mit, der Kläger habe sich nach dem 00.00.0000 nicht wieder
arbeitsfähig gemeldet (Telefonvermerk vom 00.00.0000, Bl. 102 der Verwaltungsakte).
Daraufhin bewilligte die Beklagte ihm ab dem 00.00.0000 wieder Übergangsgeld. Zur
Begründung führte sie aus, erst ab diesem Zeitpunkt sei der Agentur für Arbeit die
Arbeitsfähigkeit des Klägers wieder bekannt gewesen. Der Kläger legte am 00.00.0000
Widerspruch ein und führte aus, er habe sich bereits ab 00.00.0000 arbeitslos gemeldet.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 zurück.
Zur Begründung führte sie aus, nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX sei Voraussetzung, dass
zunächst ein Anspruch auf Krankengeld bestanden habe. Für Versicherte aber, die - wie
der Kläger - privat krankenversichert sind, bestehe kein Anspruch auf Übergangsgeld.
Auch ein Anspruch nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX scheide aus, da der Kläger bis
00.00.0000 arbeitsunfähig gewesen sei und anschließend bis zum 00.00.0000 eine
Arbeitsfähigkeit nicht gegenüber der Agentur für Arbeit mitgeteilt habe.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 beim SG E. erhobene Klage.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 wies die Beklagte den Widerspruch des
Klägers gegen den Bescheid vom 00.00.0000 unter Vertiefung ihrer bisherigen
Ausführungen zurück. Der Kläger hat daraufhin am 00.00.0000 seine Klage
entsprechend erweitert.
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Der Kläger ist der Auffassung, § 51 Abs. 1 Nr.1 SGB IX erfasse auch Fälle, in denen
wegen einer privaten Krankenversicherung kein Krankengeld gezahlt werde. Jedenfalls
müsse diese Vorschrift verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden.
Anderenfalls komme es zu einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden
Ungleichbehandlung von privat und gesetzlich Krankenversicherten. Ein Anspruch auf
Zwischenübergangsgeld bestehe aber auch nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX. Denn der
Kläger sei jedenfalls ab 00.00.0000 wieder arbeitsfähig und die Agentur für Arbeit hätte
ihn ab diesem Datum vermitteln können. Selbst wenn es für den Anspruch auf
Weiterzahlung des Übergangsgeldes auf eine Meldung bei der Agentur für Arbeit
ankomme, könne ihm dies nicht zum Nachteil gereichen, weil die Beklagte ihn hierauf
hätte hinweisen müssen. Da sie dies versäumt habe, sei er so zu stellen, als ob er sich
nach dem Ende seiner Arbeitsunfähigkeit wieder der Agentur für Arbeit gemeldet hätte.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.0000 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 sowie unter Abänderung des Bescheides
vom 00.00.0000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 zu
verpflichten, ihm für die Zeit vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 Übergangsgeld nach
Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten
der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen
Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
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beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Zahlung von
Zwischenübergangsgeld für die Zeit vom 00.00. bis 00.00.0000.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zwischenübergangsgeld nach § 51 Abs. 1 Nr. 1
Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe Behinderter Menschen
(SGB IX). Ein solcher Anspruch setzt nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift voraus,
dass die Leistungsempfänger arbeitsunfähig sind und keinen Anspruch auf Krankengeld
"mehr" haben. Voraussetzung ist damit also, dass zunächst ein Anspruch auf
Krankengeld bestanden hat, der später weggefallen ist. Diese Voraussetzung erfüllt der
Kläger, der gegen das Risiko "Krankheit" in der privaten und nicht in der gesetzlichen
Krankenversicherung versichert ist, nicht. Er hat zunächst eine Leistung der privaten
Krankenversicherung, nämlich Krankentagegeld, nicht aber Krankengeld bezogen.
Soweit der Kläger ausführt, die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX sei dahingehend
zu interpretieren, dass der Begriff "Krankengeld" auch Krankentagegeld umfasse,
vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Denn das Gesetz knüpft mit der
Bezeichnung "Krankengeld" an einen in den §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch Fünftes Buch -
Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) verwandten Begriff an. Dies läßt nur den
Schluss zu, dass der gleiche Begriff in § 51 Abs. 1 Nr.1 SGB IX synonym verwendet
wird und nur das Krankengeld, nicht aber das Krankentagegeld erfasst. Dies folgt weiter
daraus, dass das Gesetz auch den Begriff der "Arbeitsunfähigkeit" verwendet, der
ebenfalls den §§ 44 ff. SGB V entnommen ist (vgl. hierzu auch Majerski-Pahlen, in:
Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Auflage 2005 § 51 Rdnr. 10 m.w.N.).
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Die Kammer vermag hierin entgegen den Ausführungen des Klägers auch keinen
Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zu
erkenne. Sie läßt offen, ob die Kategorien "Bezieher von Krankengeld" und Bezieher
von Krankentagegeld" überhaupt vergleichbar sind. Denn selbst wenn man eine
Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte darin erkennen wollte, dass
Versicherte, die zunächst Krankengeld bezogen haben, bei Vorliegen der weiteren
tatbestandlichen Voraussetzungen Zwischenübergangsgeld erhalten, während
Versicherte, die Krankentagegeld erhalten haben, hiervon ausgenommen sind, so liegt
keine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG vor. Ein Verstoß gegen den allgemeinen
Gleichheitsatz ist nämlich nur dann gegeben, wenn es für die Ungleichbehandlung
keinen sachlichen Grund gibt (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 28.04.1999, BvL 11/94 u.a.,
BVerfGE 100, 138, 174; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 9. Auflage 2007, Art. 3 Rdnr. 14).
Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung liegt jedoch in den völlig
unterschiedlich ausgestalteten Leistungssystemen gesetzliche und private
Krankenversicherung. Diese unterschiedliche Ausgestaltung rechtfertigt es auch, dass
für den Anspruch auf Zwischenübergangsgeld an den Bezug von Leistungen aus der
gesetzlichen Krankenversicherung (Krankengeld) angeknüpft wird. Hinzu kommt, dass
der Kläger sich freiwillig für das Leistungssystem der privaten Krankenversicherung
entschieden hat und damit nicht den Ausschluss von Leistungen
(Zwischenübergangsgeld), die an Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung
anknüpfen, mit Erfolg geltend machen kann.
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Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zwischenübergangsgeld nach § 51 Abs. 1
Nr.2 SGB IX, weil auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gegeben sind. § 51
Abs. 1 Nr.2 SGB IX verlangt nämlich, dass dem Versicherten eine zumutbare
Beschäftigung aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht vermittelt werden
kann. Die Vorschrift setzt damit zunächst eine Arbeitslosigkeit im Sinne des
Arbeitsförderungsrechts voraus, d.h. es wird auf die tatbestandlichen Voraussetzungen
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der §§ 118 ff. Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) Bezug
genommen (Jabben, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Ud-sching, Beck scher Online-
Kommentar Sozialrecht, Stand: 01.09.2009, § 51 SGB IX Rdnr. 15). Voraussetzung ist
damit u.a., dass Versicherte den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur
Verfügung stehen. Dies konnte der Kläger vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 aus Sicht der
Kammer allein deshalb nicht, weil er in diesem Zeitraum arbeitsunfähig war. Selbst
wenn er aber danach wieder hätte arbeiten können, so hat sich der Kläger nach dem
00.00.0000 nicht wieder bei der Agentur für Arbeit als arbeitsfähig gemeldet, sondern
frühestens zum 00.00.0000. Denn erst unter diesem Datum war der Agentur für Arbeit
bekannt, dass der Kläger den Vermittlungsbemühungen (wieder) zur Verfügung steht.
Soweit der Kläger ausführt, die Beklagte hätte ihn darauf hinweisen müssen, dass er
sich - um den Anspruch auf Zwischenübergangsgeld aufrechtzuerhalten - bei der
Agentur für Arbeit hätte (wieder) arbeitsfähig bzw. arbeitsuchend melden müssen und er
sei deshalb im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob
bei der Agentur für Arbeit eine entsprechende Meldung erfolgt wäre, so vermag die
Kammer dem nicht zu folgen. Unabhängig von der Frage nämlich, ob die Beklagte eine
aus dem Sozialrechtsverhältnis resultierende Nebenpflicht verletzt hat (zu den
Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs allgemein: BSG, Urteil
vom 05.04.2000, B 5 RJ 50/98 = juris m.w.N.; BSG, Urteil vom 14.11.2002, B 13 RJ
39/01 R = juris), kann eine Verfügbarkeit im Sinne des Arbeitsförderungsrechts nicht im
Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden (vgl. BSG, Urteil
vom 15.05.1985, 7 RAr 103/83 = BSGE 58, 104, 109; BSG, Urteil vom 17. Juli 1997, 7
RAr 12/96 = juris; BSG, Urteil vom 17.07.1997, 7 RAr 106/96 = juris).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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