Urteil des OVG Schleswig-Holstein vom 29.03.2017

OVG Schleswig-Holstein: öffentliches recht, unterlassen, grundstück, vollzug, deckung, rechtsschutz, suspensiveffekt, folgekosten, entschädigung, vertragsschluss

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
für das Land Schleswig-
Holstein 2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 MB 10/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 16g Abs 3 S 4 GemO SH
Bürgerbegehren und Kostendeckungsvorschlag;
Unterlassung einer Maßnahme; Schleswig-Holstein
Leitsatz
Das Fehlen eines Kostendeckungsvorschlags führt zur Unzulässigkeit eines
Bürgerbegehrens. Das gilt auch, wenn mit dem Begehren das Unterlassen eines
Vorhabens angestrebt wird, sofern durch das Unterlassen Kosten ausgelöst werden.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Schleswig-
Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 6. Kammer - vom 07. März 2006 geändert
und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,--
Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Antragsgegnerin gegen einen Beschluss des
Verwaltungsgerichts, durch den ihr im Wege der einstweiligen Anordnung
untersagt wird, bis zur Bestandskraft des Bescheides der Kommunalaufsicht des
Kreises ... vom 18. Januar 2006 bzw. des Widerspruchsbescheides vom 06. März
2006 den Erbbaupachtvertrag bezüglich eines näher bezeichneten Grundstücks
abzuschließen.
Das fragliche Erbbaurecht soll an einem Grundstück bestellt werden, das zum
Betriebsvermögen der als Eigenbetrieb geführten Kurverwaltung der
Antragsgegnerin gehört und auf dem derzeit das Kurhaus steht. Nach der
zwischen der Antragsgegnerin und einem sogenannten Investor abgestimmten
Planung sollen die auf dem Grundstück vorhandenen Baulichkeiten abgerissen und
durch ein mehrgeschossiges Bauwerk ersetzt werden, in dem u.a. ein Hotel, Läden
und Gaststätten eingerichtet werden sollen. Der Antragsgegnerin sollen dort
Verwaltungsräume und ein Kursaal mit Nebenräumen im Wege eines
Dauernutzungsrechts überlassen werden. Einem dementsprechenden Entwurf
stimmte die Gemeindevertretung am 11. Mai 2005 in nicht öffentlicher Sitzung zu.
Der Beschluss wurde in öffentlicher Sitzung am 15. November 2005 bekannt
gemacht. Der Entwurf eines Bebauungsplanes mit der Ausweisung eines
Sondergebietes für dieses Grundstück wurde vom 05. September bis 05. Oktober
2005 ausgelegt. Am 12. Oktober 2005 legte die Antragstellerin beim Amt ...
Unterschriftenlisten über ein Bürgerbegehren gegen das Vorhaben der
Antragsgegnerin vor. Durch Bescheid vom 18. Januar 2006 erklärte der Landrat
des Kreises ... das Bürgerbegehren wegen mangelhafter Begründung für
unzulässig. Der u.a. von der Antragstellerin erhobene Widerspruch vom 09.
Februar 2006 wurde durch Widerspruchsbescheid vom 06. März 2006
zurückgewiesen.
Am 21. Februar 2006 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht den Erlass
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Am 21. Februar 2006 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht den Erlass
einer einstweiligen Anordnung beantragt und zur Begründung u.a. darauf
verwiesen, dass die Gemeindevertretung trotz des laufenden
Widerspruchsverfahrens beschlossen habe, den Vertrag mit dem Investor
abzuschließen. Mit dem Vertragsschluss würde das geplante Bürgerbegehren ins
Leere laufen.
Mit Beschluss vom 07. März 2006 hat das Verwaltungsgericht - wie ausgeführt -
eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erlassen. Die Antragstellerin
habe sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten und nach
summarischer Prüfung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens seien die
Antragsteller des Bürgerentscheides davor zu schützen, dass bezüglich ihres
Begehrens keine vollendeten Maßnahmen getroffen würden, bevor die Zulässigkeit
bzw. Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens bestandskräftig entschieden worden sei.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Die
Voraussetzungen für die begehrte einstweilige Anordnung i.S.d. § 123 Abs. 1 Satz
1 VwGO liegen nicht vor, weil es an einem Anordnungsanspruch fehlt. Daher ist der
angefochtene Beschluss zu ändern und der Antrag abzulehnen.
Auf die Frage, ob das Verwaltungsgericht mit der getroffenen Anordnung über den
gestellten Antrag hinausgegangen oder ob der Antrag über seinen Wortlaut hinaus
entsprechend § 88 VwGO dahingehend zu verstehen ist, dass der geltend
gemachte Anspruch nicht nur bis zum Ergehen des Widerspruchsbescheides,
sondern bis zum Eintritt der Bestandskraft gesichert werden sollte, ist im
Beschwerdeverfahren nicht näher einzugehen. Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO
prüft das Oberverwaltungsgericht - von Ausnahmen abgesehen - nur die
dargelegten Gründe. Diese führen hier zum Erfolg der Beschwerde.
§ 16 g Abs. 3 Satz 1 GO, wonach über wichtige Selbstverwaltungsaufgaben die
Bürgerinnen und Bürger einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren)
können, begründet nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein
sicherungsfähiges öffentliches Recht, soweit das Bürgerbegehren zulässig ist.
Hierzu bestimmt § 16 g Abs. 5 Satz 2 GO, dass nach Feststellung der Zulässigkeit
des Bürgerbegehrens bis zur Durchführung des Bürgerentscheids eine dem
Begehren entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht getroffen
oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden
darf. Dieser gesetzliche „Suspensiveffekt“ macht einstweiligen Rechtsschutz ab
Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens bis zur Durchführung des
Bürgerentscheids überflüssig, weil regelmäßig ein Anordnungsgrund nicht gegeben
sein dürfte, es sei denn, die Gemeinde ist gewillt, den gesetzlichen
„Suspensiveffekt“ zu missachten. Das schließt aber einstweiligen Rechtsschutz im
Übrigen nicht aus (Senatsbeschl. v. 24.06.2006 - 2 MB 53/94 -), insbesondere
dann, wenn - wie hier - die Entscheidung der Kommunalaufsichtsbehörde, das
Bürgerbegehren sei unzulässig, mit Rechtsbehelfen angegriffen wird
(Senatsbeschl. v. 22.08.2005 - 2 MB 30/05 -, NVwZ 2006, 363). Dabei ist - wie das
Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - grundsätzlich eine Folgenabwägung
vorzunehmen, insbesondere dann, wenn der Ausgang des Rechtsstreits über die
Zulässigkeit des Bürgerbegehrens als offen anzusehen ist. Spricht jedoch weit
Überwiegendes für die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens, vermag der Umstand
allein, dass der Vollzug der mit dem Begehren angegriffenen Maßnahme das
weitere Verfahren hinfällig werden ließe, den Erlass einer Sicherungsanordnung
nicht zu rechtfertigen. So liegt es hier.
Es kann dahinstehen, ob das Bürgerbegehren sich - wie die Antragsgegnerin mit
ihrer Beschwerde geltend macht - tatsächlich inhaltlich auf einen Bürgerentscheid
gegen die Aufstellung eines Bebauungsplanes richtet und daher nach § 16 g Abs.
2 Nr. 6 GO unzulässig ist. Ebenso kann offen bleiben, ob das Bürgerbegehren - wie
die Antragsgegnerin ferner meint - gegen § 16 g Abs. 3 Satz 4 GO verstößt, weil
tragende Elemente seiner Begründung unrichtig sind. Jedenfalls verstößt es gegen
§ 16 g Abs. 3 Satz 4 2. HS. GO, weil es keinen nach den gesetzlichen
Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der
verlangten Maßnahme enthält.
Die in § 16 g Abs. 3 Satz 4 GO genannten Anforderungen sind
Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Bürgerbegehrens (std. Rsp. d. Senats, vgl.
Urt. v. 17.12.1991 - 2 L 319/91 -, Die Gemeinde 1992, 292; Urt. v. 19.12.2005 - 2
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Urt. v. 17.12.1991 - 2 L 319/91 -, Die Gemeinde 1992, 292; Urt. v. 19.12.2005 - 2
LB 19/95 -, Die Gemeinde 2006, 74). „Verlangte Maßnahme“ im Sinne dieser
Vorschrift, für die ein Kostendeckungsvorschlag erforderlich ist, kann auch das
Unterlassen eines Vorhabens sein, sofern durch das Unterlassen Kosten ausgelöst
werden (vgl. zu einer vergleichbaren Regelung OVG NRW, Beschl. v. 19.03.2004 -
15 B 522/04 -, NVwZ-RR 2004, 519). Die Forderung eines
Finanzierungsvorschlages nach den gesetzlichen Bestimmungen soll den
Bürgerinnen und Bürgern die Selbstverantwortung für die finanzielle Deckung der
begehren Maßnahme deutlich machen (Begründung des Gesetzentwurfes der
Landesregierung vom 28.11.1989, LT-Drs. 12/592, S. 50). Das kann einen
Kostendeckungsvorschlag entbehrlich machen, wenn durch das Unterlassen einer
geplanten Maßnahme lediglich Kosten vermieden oder mit der Maßnahme, gegen
die das Bürgerbegehren sich richtet, nur Einnahmen erzielt werden würden. Ob bei
einer angestrebten Beschaffung dringend benötigter Mittel durch die Veräußerung
von Gemeindevermögen etwas anderes gilt (so VG Köln, Beschl. v. 26.02.2002 - 4
L 53/02 -, NWVBl. 2002, 319), braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn
unmittelbare Folge der von der Antragsgegnerin beabsichtigten Vereinbarung
eines Erbbaurechtes ist nicht allein die Erzielung von Einnahmen als einmalige
Entschädigung für die auf dem gemeindeeigenen Grundstück vorhandenen Bauten
sowie als Beteiligung an schon entstandenen Planungskosten, sondern die durch
das beabsichtigte Vertragswerk damit verbundene kostenneutrale Bereitstellung
von Räumen für die Gemeinde- und Kurverwaltung einschließlich eines Kursaales.
Damit erspart die Antragsgegnerin nach ihren Angaben allein für die dringend
erforderliche Sanierung des Kurhauses Kosten in Höhe von ca. 1 Mio. Euro. Da der
vorgesehene Erbbauzins der Höhe nach dem Nutzungsentgelt für die der
Antragsgegnerin überlassenen Räume entsprechen soll, wird die Antragsgegnerin
sich nach dem Dauernutzungsvertrag allein an den Betriebskosten zu beteiligen
haben.
Angesichts dieser Sachlage ist die Angabe in der Begründung des
Bürgerbegehrens, die Erstellung eines Kostendeckungsplanes sei für dieses
Begehren nicht erforderlich, da bei Unterlassung eines Vorhabens keine Kosten
entstünden, nicht zutreffend. Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des
Verwaltungsgerichts, dass der weitere Hinweis in der Begründung, es gebe einen
Architektenplan für den Neubau der Kurverwaltung und zur Finanzierung dieses
Neubaus könne ein Grundstück der Gemeindeverwaltung verkauft werden, für
einen ordnungsgemäßen Kostendeckungsvorschlag ausreichend sein. Es genügt
nicht, den Bürgern nur zu verdeutlichen, dass die Zustimmung zu der im
Bürgerbegehren gestellten Frage Kosten auslöst. Zu Recht hebt die
Antragsgegnerin hervor, dass nicht einmal geschätzte Summen genannt und auch
keine Angaben zu diesen Folgekosten gemacht werden. Gemäß § 7 Abs. 2 DVO-
GO muss der Kostendeckungsvorschlag jedoch auch die voraussichtlich zu
erwartende Kostenhöhe und die eventuellen Folgekosten der verlangten
Maßnahme enthalten. Sofern den Initiatoren eines Bürgerbegehrens die dafür
erforderlichen Kenntnisse fehlen, haben sie ggf. zuvor bei der Gemeinde
entsprechende Informationen darüber einzuholen (vgl. Schliesky, KVR SH/GO, § 16
g Rdnr. 120). Der von der Antragstellerin im Widerspruchsverfahren gegenüber der
Kommunalaufsichtsbehörde vorgelegte Alternativvorschlag zu einem Umbau der
Kurverwaltung und daraus sich ergebenden Kosten ist in diesem Zusammenhang
nicht zu berücksichtigen, weil ein nach der Stimmabgabe eingereichter
Kostendeckungsvorschlag die Voraussetzungen des § 16 g Abs. 3 Satz 4 GO nicht
erfüllt (Senatsurt. v. 17.12.1991, a.a.O.). Daher kommt es auch auf die
Ausführungen der Antragstellerin in ihrer Beschwerdeerwiderung zum sonstigen
Verfahrensablauf und zu Alternativmodellen nicht an.
Dass die Kommunalaufsichtsbehörde die Feststellung der Unzulässigkeit des
Bürgerbegehrens nicht auf das Fehlen eines Kostendeckungsvorschlages gestützt
hat, ist unerheblich, denn das ist Teil der Begründung einer gerichtlich voll
überprüfbaren Entscheidung. Da diese Entscheidung aller Voraussicht nach
Bestand haben wird, muss die Beschwerde der Antragsgegnerin Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung
auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. §
66 Abs. 3 Satz 3 GKG).