Urteil des OVG Schleswig-Holstein vom 15.03.2017

OVG Schleswig-Holstein: rücknahme der klage, gemeinde, vorkaufsrecht, grundbuchamt, zusicherung, grundstück, dringlichkeit, erlass, käufer, anweisung

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
für das Land Schleswig-
Holstein 1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 MB 30/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 28 Abs 2 S 6 BauGB, §
464 Abs 2 BGB, § 123 Abs
1 VwGO, § 51 VwVfG
Ausübung des Vorkaufsrechts und Löschung einer
Auflassungsvormerkung
Leitsatz
1. Eine besondere Dringlichkeit (Anordnungsgrund) für eine gerichtliche Entscheidung,
die Löschung einer Auflassungsvormerkung zu Gunsten des ursprünglichen
Grundstückserwerbers im Grundbuch zu untersagen, ist nicht dargelegt, wenn die
Gemeinde nach Ausübung des Vorkaufsrechts bereits als Eigentümerin in das
Grundbuch eingetragen worden ist.
2. Nach Bestandskraft des Bescheides über die Ausübung des Vorkaufsrechts und der
damit verbundenen schuldrechtlichen Wirkung (§ 464 Abs. 2 BGB) kann die Gemeinde
gem. § 28 Abs. 2 S. 6 BauGB eine im Grundbuch eingetragene Auflassungsvormerkung
zu Gunsten des ursprünglichen Grundstückserwerbers löschen lassen.
3. Die Löschung der für den ursprünglichen Grundstückserwerber eingetragenen
Auflassungsvormerkung ist nicht davon abhängig, ob die Voraussetzungen der
Vorkaufsrechtsausübung im Zeitpunkt der Löschung (unverändert) gegeben sind bzw.
gegeben wären, wenn die Gemeinde das Vorkaufsrecht zu diesem Zeitpunkt ausüben
würde.
4. Im Wege des § 123 VwGO besteht keine Möglichkeit zur Rückgängigmachung einer
Vorkaufsrechtsausübung und ihres sachenrechtlichen Vollzuges. Etwaige
Wiederaufgreifensansprüche sind im Hauptsacheverfahren zu klären.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsstellerin gegen den Beschluss des Schleswig-
Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 12.
September 2006 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert beträgt 7.500,-- Euro.
Gründe
I. Die Antragstellerin (Ast.) schloss als Käuferin am 08.06.2001 einen
Grundstückskaufvertrag mit Herrn ... als Verkäufer. Gem. § 5 des Vertrages wurde
zu Gunsten der Ast. eine Auflassungsvormerkung in Abt. II Nr. 2 in das Grundbuch
eingetragen.
Mit Bescheid vom 02.08.2001 erklärte die Antragsgegnerin die Ausübung des
Vorkaufsrechts gem. § 24 Abs. 1 Nr. 5 BauGB, „da für das Grundstück ... im F-Plan
... eine Nutzung als Wohnbaufläche ausgewiesen“ sei. Die nach erfolglosem
Widerspruch dagegen erhobene Klage nahm die Ast. am 11.07.2003 zurück.
Zuvor, am 17.06.2003 hatte die Gemeindevertretung der Agg. beschlossen, das
Vorkaufsrecht aufzugeben, wenn die Klage zurückgenommen werden und wenn
Zug um Zug eine Fläche von 200 qm für einen Zuweg zum gemeindlichen
Heizkraftwerk an die Agg. verkauft werden würde. In der Folgezeit kam es zu keiner
Einigung; die Gemeindevertretung hob ihren Beschluss am 09.12.2003 wieder auf.
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Einen Antrag, der Gemeinde die Eigentumsübertrag auf sich zu untersagen (5 B
34/04), nahm die Ast. am 6.5.2004 zurück. Daraufhin wurde die Auflassung erklärt
und am 11.05.2004 der Umschreibungsantrag beim Grundbuchamt gestellt. Am
26.10.2004 wurde die Gemeinde als Eigentümerin ins Grundbuch eingetragen.
Zwischenzeitlich ist auch der Bebauungsplan Nr. 18a der Gemeinde in Kraft
getreten.
Die Ast. hat bereits zuvor - am 02.03.2004 Klage auf Feststellung erhoben, dass
„...die Beklagte nicht berechtigt ist, das Eigentum ... aufgrund der Ausübung des
Vorkaufsrechts ... zu übertragen oder aus der Ausübung dieses Vorkaufsrechts
noch Rechte herzuleiten.“ (8 A 2/05); die Klage ist erstinstanzlich noch anhängig.
Vorliegend begehrt die Ast. im Wege des § 123 VwGO, der Agg. zu untersagen, die
Eigentumsübertragungsvormerkung im Grundbuch löschen zu lassen oder einen
Löschungsantrag zu stellen, und das Grundbuchamt anzuweisen, keinen
Löschungsantrag entgegenzunehmen, so lange keine Entscheidung im
Klageverfahren 8 A 2/05 ergangen ist
Das VG hat diesen Antrag mit Beschluss vom 12.09.2006 abgelehnt; mit der
Beschwerde verfolgt die Ast. ihr Begehren weiter.
Sie meint, die Agg. habe den Vorkaufsrecht-Ausübungsbescheid
zurückgenommen, dies aber jedenfalls zugesichert. Das betroffene Grundstück
wolle die Agg. für öffentliche Zwecke nicht mehr nutzen, sondern plane eine
gewinnträchtige Veräußerung.
II. Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Es kann dahinstehen, ob eine gerichtliche Entscheidung, die - wie im
(erstinstanzlichen) Antrag zu 2. formuliert - eine Anweisung an das Grundbuchamt
enthalten soll, im vorliegenden Verfahren überhaupt ergehen kann. Nach den
dargelegten Beschwerdegründen (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO) kann die Ast. den
Erlass der begehrten einstweiligen Anordnungen nicht beanspruchen; das
Verwaltungsgericht hat ihren Antrag nach § 123 VwGO deshalb zu Recht
angelehnt.
Nachdem die Antragsgegnerin - seit dem 26.10.2004 - als Eigentümerin in das
Grundbuch eingetragen worden ist, ist ein Anordnungsgrund entfallen, m. a. W.:
Eine besondere Dringlichkeit einer einstweiligen Anordnung ist nicht festzustellen.
Es ist nichts dafür dargetan, aus welchem tatsächlichen oder rechtlichen Grund es
besonders dringlich sein soll, der Agg. die Löschung der zu Gunsten der Ast.
(noch) in Abt. II. Nr. 2 des Grundbuchs eingetragenen
Eigentumsübertragungsvormerkung zu untersagen.
Darüber hinaus fehlt auch ein Anordnungsanspruch.
Die Gemeinde hat gem. § 28 Abs. 2 S. 6 BauGB das Recht, die
Auflassungsvormerkung zu Gunsten der Ast. löschen zu lassen; die dafür
erforderliche Voraussetzung (Unanfechtbarkeit der Vorkaufsrechtsausübung für
den Käufer [Ast.]) liegt seit der Rücknahme der Klage 5 A 113/02 am 11.07.2003
vor.
Eine rechtsverbindliche Zusicherung der Gemeinde dahingehend, dass diese das
(durch Bescheid vom 02.08.2001 ausgeübte Vorkaufsrecht nicht nutzen
(umsetzen, vollziehen) wollte, liegt nicht vor. Dem Verwaltungsgericht ist darin zu
folgen, dass die Schreiben der Agg. vom 08.05., 19.06. und vom 04.08.2006 keine
solche Zusicherung enthalten; der Senat nimmt insoweit auf den erstinstanzlichen
Beschluss Bezug (§ 122 Abs. 2 S. 3 VwGO). Das Gleiche gilt für die Annahme, der
Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts vom 02.08.2001 sei von der Agg.
aufgehoben worden; dies ist weder aus dem Inhalt der Schreiben und des
Verwaltungsvorgangs der Agg. noch aus den Beschlüssen der
Gemeindevertretung vom 17.06. und vom 09.12.2003 noch aus dem
Sinnzusammenhang des Geschehens- und Verhandlungsablaufs zu entnehmen.
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Im vorliegenden Verfahren kommt es - auch - nicht auf die Klärung der Frage an,
ob die Voraussetzungen der Vorkaufsrechtsausübung nicht mehr gegeben
sind bzw. nicht gegeben wären, wenn die Gemeinde das Vorkaufsrecht
ausüben würde, weil sie das „vorgekaufte“ Land (nach dem Inhalt des
Bebauungsplans Nr. 18a) nicht für öffentliche Zwecke benötigt. Nachdem der
Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts vom 02.08.2001 bestandskräftig
geworden und dessen schuldrechtliche Wirkung (§ 464 Abs. 2 BGB) eingetreten ist
und - überdies - auch das sachenrechtliche Geschäft mit der Eintragung der Agg.
als Eigentümerin in das Grundbuch am 26.10.2004 komplett ist, ist kein rechtlicher
Ansatz dafür ersichtlich, der Gemeinde - nunmehr - noch die Löschung der zu
Gunsten der Ast. eingetragenen Auflassungsvormerkung zu untersagen.
Die Ast. kann evtl. gegebene Möglichkeiten zur „Rückgängigmachung“ der
Vorkaufsrechtsausübung und ihres sachenrechtlichen Vollzuges - wenn sie denn
gegeben sind - nicht im Wege des § 123 VwGO verwirklichen; sie ist insoweit auf
das Klageverfahren VG 8 A 2/04 zu verweisen, wo sie (ggf. nach Umstellung des
Klagantrags) ihr Recht suchen kann. Ob die Ast. einen Wiederaufgreifensanspruch
in Bezug auf den bestandskräftigen Vorkaufsrechts-Ausübungsbescheid vom
02.08.2001 hat (§ 118a Abs. 1 Nr. 1 LVwG), bedarf vorliegend auch mangels
Darlegung dazu keiner weiteren Vertiefung (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO).
Die Beschwerde ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO
zurückzuweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG (1/4 des Wertes der
Hauptsache; entsprechend des im Vertrag vom 08.06.2001 vereinbarten
Kaufpreises).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).