Urteil des OVG Schleswig-Holstein vom 14.03.2017

OVG Schleswig-Holstein: grundstück, eigentümer, breite, käufer, begriff, satzung, ausdehnung, anwohner, veranlagung, vollstreckbarkeit

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
für das Land Schleswig-
Holstein 2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 LB 97/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 45 Abs 3 S 2 Nr 3 StrWG
SH, § 8 Abs 1 KAG SH
Straßenreinigungsgebühr; Hinterlieger an einem Privatweg
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen einen Straßenreinigungsgebührenbescheid für das
Jahr 2004.
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks ... im Gebiet der Beklagten. Das mit
einem Wohnhaus bebaute Grundstück befindet sich an einer privaten Stichstraße,
die von der öffentlichen Straße ... rechtwinklig abzweigt. Das Flurstück, auf dem
sich dieser Stichweg befindet, hat eine Länge von 122 m und eine Breite von 4 m.
Der Stichweg ist auf einer Länge von 93 m bis auf die Höhe etwa der Hälfte des
klägerischen Grundstücks gepflastert.
Dieser Stichweg war auf Grund eines Vertrages zwischen der Beklagten und den
(damaligen) Grundstückskäufern vom 02. Februar 1967 angelegt worden. In
diesem Vertrag heißt es unter § 2 lit. e): "Sie (die Grundstückskäufer) verpflichten
sich, entlang der Nordgrenze des Kaufgrundstückes einen 4 m breiten Weg
anzulegen, der bis zu dem obersten Grundstück führen muss und einspurig mit
auszubauen ist. Der Weg ist als provisorischer Privatweg anzulegen. Die Pflege und
laufende Unterhaltung ist Sache der Käufer. Am ... kann dieser Weg durch ein
Einfahrtstor mit Gehtür abgeschlossen werden. Er ist hier mit einer Hinweistafel
"Privatweg" zu versehen. Bei Errichtung eines Tores und der Einfriedungen ist die
bauaufsichtsbehördliche Genehmigung einzuholen. Das Benutzungsrecht dieses
Weges ist für alle Käufer im Grundbuch sicherzustellen."
Mit Bescheid vom 12. Januar 2004 wurden die Kläger u.a. zu einer
Straßenreinigungsgebühr in Höhe von 27, 54 Euro herangezogen. Die Beklagte
qualifizierte das Grundstück der Kläger dabei als Hinterliegergrundstück. Gegen
diesen Bescheid legten die Kläger am 23. Januar 2004 Widerspruch ein und führten
aus, dass sie als Anwohner der Privatstraße an einer eigenständigen
Erschließungsanlage wohnten. Dieser Widerspruch wurde mit
Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2004 zurückgewiesen.
Die Kläger haben am 03. Juni 2004 Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben und
beantragt,
den Grundabgabenbescheid der Beklagten vom 12. Januar 2004, soweit
dieser eine Veranlagung zu Straßenreinigungsgebühren beinhaltet, in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2005 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 10. November 2004
stattgegeben. Die Privatstraße, an der sich das Grundstück der Kläger befinde, sei
bereits als eigenständiger Teil des Straßen- und Wegenetzes von gewissem
Gewicht und damit als selbständige Erschließungsanlage anzusehen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 03. Dezember 2004 die vom
Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt.
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Die Beklagte trägt vor, dass der Privatweg als unselbständige Erschließungsanlage
einzustufen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 26.
November 2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Verwaltungsgericht habe zutreffend ausgeführt, dass das Grundstück der
Kläger durch den öffentlich gereinigten ... nicht erschlossen werde. Die
Privatstraße, an der das klägerische Grundstück anliege, stelle eine selbständige
Erschließungsanlage dar.
Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Gerichtsakte – 4 A 583/02 –
haben dem Gericht bei Beratung und Entscheidung vorgelegen und sind zum
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden; wegen weiterer
Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf
den Akteninhalt sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst
Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die Kläger sind zur Zahlung von
Straßenreinigungsgebühren verpflichtet. Daher ist das Urteil des
Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen.
Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 des StrWG kann eine Gemeinde durch Satzung die
Eigentümer oder die zur Nutzung dinglich Berechtigten der anliegenden
Grundstücke sowie der durch die Straße erschlossenen Grundstücke zu den
entstehenden Kosten heranziehen. Von dieser Rechtssetzungsbefugnis hat die
Beklagte durch ihre Gebührensatzung für die Straßen- und Stadtreinigung der
Stadt Preetz vom 23.11.1998 und den Nachtragssatzungen hierzu Gebrauch
gemacht. Gemäß § 2 dieser Satzung ist Gebührenpflichtiger der, der im Zeitpunkt
der Fälligkeit Eigentümer oder zur Nutzung dinglich Berechtigter des an der
gereinigten Straße anliegenden oder hierdurch erschlossenen Grundstückes ist.
Unstreitig liegt das Grundstück der Kläger nicht an der öffentlichen Straße ...,
sondern grenzt allein an den privaten Stichweg. Das Grundstück der Kläger wird
jedoch durch den ... erschlossen. Als erschlossene, aber nicht anliegende
Grundstücke i. S. v. § 45 Abs. 3 Nr. 3 StrWG kommen sog. Hinterliegergrundstücke
in Betracht. Ein Hinterliegergrundstück (im engeren Sinne) ist ein Grundstück, das
von der Straße durch ein Anliegergrundstück getrennt ist. Im
Erschließungsbeitragsrecht, in dem eine Abgrenzung der durch die Anlage
erschlossenen Grundstücke vorzunehmen ist (vgl. § 131 Abs. 1 Satz 1 und § 133
Abs. 1 Satz 2 BauGB), zählen zu den Hinterliegergrundstücken (im weiteren Sinne)
auch die Grundstücke, die mit einer Anbaustraße ausschließlich verbunden sind,
entweder durch einen von ihr abzweigenden, unselbständigen, aber tatsächlich wie
rechtliche befahrbaren Privatweg oder durch eine von ihr abzweigende öffentliche
Zufahrt, die ihrerseits Bestandteil der Anbaustraße ist (vgl. Driehaus,
Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 17 Rn 85).
Wenn der Landesgesetzgeber bei der Neuformulierung des § 45 Abs. 3 Nr. 3
StrWG sich des aus dem damaligen Bundesbaugesetz bekannten Begriffs der
"erschlossenen Grundstücke" bediente, so steht, insbesondere weil sich aus den
Gesetzesmaterialien nichts Abweichendes ergibt, zu vermuten, dass er sich an
diesen Begriff anlehnen wollte. Die Eigentümlichkeiten des Rechts der
Straßenreinigung und des entsprechenden Gebührenrechts fordern allerdings
entsprechende Anpassungen. Dies folgt schon daraus, dass die
Straßenreinigungsgebühr auch für Grundstücke erhoben wird, die nicht baulich
oder in vergleichbarer Weise nutzbar sind. Daraus folgt, dass bei der Auslegung
des hier verwandten Begriffs des "Erschlossenseins" dasjenige zu unterlegen ist,
was im Ausbaubeitragsrecht von der Rechtsprechung unter dem Begriff der
"vorteilsrelevanten Inanspruchnahmemöglichkeit" entwickelt worden ist.
Beitragspflichtig nach § 8 Abs. 1 KAG sind die Grundstückseigentümer, deren
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Beitragspflichtig nach § 8 Abs. 1 KAG sind die Grundstückseigentümer, deren
Grundstücke im Wirkungsbereich einer Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift
liegen. Entscheidend ist die enge räumliche Beziehung von Grundstück und Straße
(vgl. Senatsurteil v. 30.04.2003 – 2 LB 118/02 -). Dies gilt in gleicher Weise für die
Gebührenpflicht i. S. v. § 45 Abs. 3 Nr. 3 StrWG. Nur dann ist zu unterstellen, dass
den Grundstückseigentümern mit der Straßenreinigung eine entgeltpflichtige
Leistung erbracht wird, und nur dann kann gesetzlich das Bestehen eines
Benutzungsverhältnisses fingiert werden. Diese enge räumliche Beziehung von
Grundstück und (zu reinigender) Straße besteht auch bei Grundstücken, die an
einer - von der reinigenden Straße abzweigenden – Stichstraße liegen, wenn diese
Stichstraße den Charakter einer Zufahrt zu Hinterliegergrundstücken hat, d.h.
Grundstücke "erschließt", die unmittelbar an die Vorderliegergrundstücke
angrenzen, also gleichsam in "zweiter Baureihe" liegen (vgl. Senatsurteil v.
30.04.2003 – 2 LB 118/02 -). Anders verhält es sich hingegen, wenn die
Stichstraße bei natürlicher Betrachtungsweise über eine bloße Zufahrt zu
"Hinterliegern" hinausgeht und sich als eigenständige Verkehrsanlage darstellt.
Dies kann auch bei einer Privatstraße der Fall sein. Eine private Straße ist dann
eine solche selbständige Erschließungsanlage, wenn sie nach Breite, Länge und
Anzahl der erschlossenen Grundstücke eine eigenständige Erschließungsfunktion
hat (BVerwG, Urt. v. 30.01.1970 - IV C 151.68 -, DÖV 1970, 822 = DVBl. 1970, 839
= BRS Band 37 Nr. 2) und sie - ohne strikte Bindung an die satzungsmäßigen
Merkmale der endgültigen Herstellung - im Wesentlichen den Anforderungen an
vergleichbare öffentliche Erschließungsanlagen entspricht (BVerwG, Urt. v.
24.03.1976 - IV C 16. u. 17.74 -, DÖV 1976, 671 = BauR 1976, 428 = BRS Band 37
Nr. 100). Soweit es die räumliche Ausdehnung und den Verlauf der Privatstraße
betrifft, ist hinsichtlich der Beurteilung, ob es sich um eine eigenständige
Verkehrsanlage handelt, jedoch nicht der vom Bundesverwaltungsgericht (Urt. v.
26.09.2001 – 11 C 16.00 -, DVBl. 2002, 486) zum Erschließungsbeitragsrecht
entwickelte und sich an baulichen Gesichtspunkten orientierende Maßstab
anzulegen, sondern – wie ausgeführt – auf die Kriterien des Ausbaubeitragsrechts
abzustellen, das auch die nicht baulich genutzten bzw. benutzbaren Grundstücke
einbezieht.
Bei Anwendung dieses Maßstabes ist die Stichstraße nicht als selbständige private
Erschließungsanlage anzusehen. Dies ergibt sich aus seiner Länge, seinem
Ausbauzustand und der Anzahl der Grundstücke, die durch sie erschlossen
werden. Die Straßenlänge von ca. 93 m lang ist dabei allerdings noch nicht von
ausschlaggebender Bedeutung, da Erschließungsanlagen mit dieser Ausdehnung
durchaus üblich sein können und der Weg sich damit von anderen
Erschließungsstraßen nicht zwingend unterscheidet. Maßgeblich ist jedoch die
Ausbaubreite von lediglich 4 m, die einen ungefährdeten Begegnungsverkehr nicht
zulässt. Zudem erschließt der Weg neben die beiden Eckgrundstücke lediglich vier
weitere Grundstücke, was ihm den Charakter einer gemeinsamen Zufahrt verleiht.
Bezeichnend für letzteres ist auch, dass der Stichweg nach fast 40 Jahren keinen
eigenen Namen hat und seine Anlieger postalisch dem ... zugewandt sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidungen
zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (§ 132 Abs. 2 VwGO) nicht
ersichtlich sind.