Urteil des OVG Schleswig-Holstein vom 14.03.2017

OVG Schleswig-Holstein: genehmigung, ablauf der frist, nichtigkeit, kommanditgesellschaft, handelsregister, brandschutz, grundstück, verwaltungsakt, gas, gesellschaftsvertrag

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
für das Land Schleswig-
Holstein 1. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 LA 39/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 35 BauGB, § 161 Abs 2
HGB, § 162 HGB, § 106 Abs
1 HGB, § 2 GmbHG
Nachbarrechte gegen Biogasanlage im Außenbereich;
Brandschutz durch Einhaltung der
Abstandsflächenvorschriften; Nichtigkeit einer
Genehmigung verletzt keine Nachbarrechte; Rechtsfolgen
aus der Bescheiderteilung an in Gründung befindliche
Gesellschaft
Tenor
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 12. Kammer – vom 10. April 2008
wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens; die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert beträgt
15.000,-- Euro.
Gründe
I.
der Beigeladenen am 24. November 2006 erteilte immissionsschutzrechtliche
Genehmigung einer Biogasanlage (Errichtung und Betrieb von drei
Verbrennungsmotoren zur Strom- und Wärmeerzeugung, Nebenanlagen, Gülle-
Endlager). Ihre nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das
Verwaltungsgericht mit Urteil vom 10. April 2008 abgewiesen, da die angefochtene
Genehmigung weder im Hinblick auf deren Adressaten noch auf das Erfordernis
einer Umweltverträglichkeitsprüfung noch auf Lärm- oder Geruchswirkungen der
Anlage drittschützende Normen verletze und auch nicht rücksichtslos wirke.
Gegen das ihnen am 21. April 2008 zugestellte Urteil erstreben die Kläger die
Zulassung der Berufung, da sie dessen Richtigkeit für ernstliche zweifelhaft halten
und Verfahrensmängel gegeben seien.
II.
Der gem. § 124a Abs. 4 VwGO fristgerecht gestellte und begründete Antrag auf
Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die zu dessen Begründung
angeführten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 VwGO liegen
nicht vor.
1) Die Kläger halten die Richtigkeit der erstinstanzlichen Klagabweisung für
ernstlich zweifelhaft, weil das Verwaltungsgericht
- aus der "zutreffend" erkannten Außenbereichslage der Biogasanlage "nicht
die zutreffenden Schlüsse ziehe" (unten b)
- die fehlende Standsicherheit der Anlage und die daraus resultierende Brand-
und Explosionssicherheit – bei fehlender Löschwassergrundversorgung – nicht
gewürdigt habe (unten c) und
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- sich mit der Nichtigkeit der Genehmigung nicht hinreichend
auseinandergesetzt habe (unten d).
Die angeführten Argumente rechtfertigen eine Berufungszulassung nach § 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht.
a) Die Frage, ob die an eine noch nicht im Handelsregister eingetragene
juristischen Person (GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin der KG)
ergangene Genehmigung nichtig ist, ist nachrangig gegenüber der Frage, ob die
Genehmigung gegenüber den Klägern (dritt-) belastende Wirkungen entfaltet. Ein
Anspruch der Kläger auf Feststellung der Nichtigkeit der Genehmigung vom 24.
November 2006 kommt nur in Betracht, wenn die Genehmigung – ihrem Inhalt
nach – in Rechte der Kläger eingreift. Dementsprechend sind die planungs- und
immissionsschutzrechtlichen Einwände der Kläger gegen das genehmigte
Vorhaben – vorrangig – auf ihren drittschützenden Gehalt zu überprüfen.
b) Die vom Verwaltungsgericht aus der – im Zulassungsantrag als "zutreffend"
(an-) erkannten - Außenbereichslage der Biogasanlage gezogenen "Schlüsse" (S.
11 – 12, 14 des Urt.-Abdr.) sind entgegen der Ansicht der Kläger nicht zu
beanstanden; sie entsprechen hinsichtlich der Grenzen zumutbarer Immissionen
der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. V. 13.03.2006, 1 LA 5/05, NordÖR
2006, 173).
Der Ansicht der Kläger, das Vorhaben der Beigeladenen sei weder nach § 35 Abs.
1 BauGB privilegiert noch als "sonstiges Vorhaben" nach § 35 Abs. 2 BauGB
zulässig, ist keine Verletzung ihrer subjektiven (Nachbar-)Rechte zu entnehmen.
Die Kläger können die auf einem Außenbereichsgrundstück erfolgende Bebauung
nur abwehren, wenn und soweit sie über eine bestimmte rechtlich geschützte
Abwehrposition verfügen. Eine solche Position folgt nicht allein daraus, dass (was
hier unterstellt werden mag) auf dem Außenbereichsgrundstück eine
Genehmigung erteilt wird, die öffentliche Belange beeinträchtigt, die nicht dem
Schutz privater Dritter zu dienen bestimmt sind. Die Kläger können – mit anderen
Worten – Abwehrrechte gegen das Vorhaben der Beigeladenen nicht aus einer
(unterstellten) objektiven Rechtswidrigkeit der angefochtenen Genehmigung
ableiten, sondern nur daraus, dass sie eine der Rücksichtnahme auf ihre
(Grundstücks-) Situation bedürftige Rechtsposition aufzeigen (vgl. BverwG, Urt. v.
28.10.1993, 4 C 5.93, BRS 55 Nr. 168). Zum (allgemeinen) Gebot der
Rücksichtnahme hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil des Erforderliche
gesagt (S. 14/15 des Urt.-Abdr.) Es ist nicht "rechtsfehlerhaft", dass das
Verwaltungsgericht das Vorbringen der Kläger i. ü. auf die
immissionsschutzrechtlichen Aspekte von Lärm- und Geruchsbelästigungen durch
das genehmigte Vorhaben untersucht.
Die im angegriffenen Urteil enthaltenen Ausführungen zu den prognostizierten
Schall- und Geruchsimmissionen (S. 13 d. Urt.-Abdr.) werden im Zulassungsantrag
nicht substantiiert angegriffen. Sie sind – dies sei angemerkt – aus der Sicht des
Senats auch in keiner Weise zu beanstanden.
c) Das Vorbringen der Kläger zu "sonstigen Gefahren" i. S. d. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 BimSchG, wie die fehlende Standsicherheit der Anlage wegen nicht gegebener
Tragfähigkeit des Baugrundes, die "daraus resultierende Brand- und
Explosionsgefahr" und die nicht sichergestellte Löschwasserversorgung bzw.
Feuerwehrumfahrt (S. 4 f. der Antragsbegründung), begründet ebenfalls keine
ernstlichen Richtigkeitszweifel an der erstinstanzlichen Klagabweisung.
Festzustellen ist zunächst, dass das Vorbringen der Kläger zu diesen Aspekten im
Zulassungsverfahren ebenso, wie schon erstinstanzlich, "unsubstantiiert und
pauschal geblieben" (vgl. S. 14 o. des Urt.-Abdr.) ist. Unbeschadet der (sogleich zu
behandelnden) Frage, ob die Besorgnisse der Kläger überhaupt
nachbarschützende Fragen betreffen, werden darin die Einzelheiten des
genehmigten Vorhabens übergangen. Zur Löschwasserversorgung ist in der zur
Genehmigung vorgelegten Zeichnung in der Südwestecke des
Betriebsgründstücks ein 300 m² großer Löschwasserteich vorgesehen. Die im
Zulassungsantrag angesprochene Anlage K 9 (Auszug aus der Begründung eines
Bebauungsplanentwurfs [Bl. 75 d. A.]) mag zwar generell ein "Löschwasserdefizit"
belegen, doch erscheint dies angesichts des Umstandes, dass "hier immer Wasser
steht", nicht als unabänderlich. Die Feuerwehrumfahrt nach DIN 14090 ist nach der
Nebenbestimmung 3.12 ausdrücklich Baubeginn nachzuweisen; konkrete
Ansatzpunkte dafür, dass deren Herstellung unmöglich ist, sind nicht dargelegt.
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Ansatzpunkte dafür, dass deren Herstellung unmöglich ist, sind nicht dargelegt.
Der Baugrund muss vor Baubeginn geprüft werden (Ziff. 3.6 der
Nebenbestimmungen), erst danach erfolgt ggf. die Baufreigabe (s. Schreiben des
Kreises Ostholstein vom 07.02.2007, Bl. 161 der Beiakte B).
Die mit den vorstehenden Aspekten in Verbindung gebrachten Brand- und
Explosionsgefahren sowie evtl. mangelnde Löschwasserressourcen sind
nachbarrechtlich nur relevant, wenn sie eine unmittelbare Gefährdung der
Grundstückssituation der Kläger hervorrufen. Dies kann – bei Bränden – der Fall
sein, wenn die Gefahr besteht, dass sie auf das Grundstück der Kläger übergreifen
(vgl. OVG Münster, Beschl. V. 29.07.2002, 7 B 583/02, Juris [Ls. 2 a. E.]);
entsprechend ist bei Explosionen auf die mögliche Reichweite solcher Ereignisse zu
achten.
Angesichts des aus dem (bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen)
Kartenmaterial zu entnehmenden Abstands zwischen dem Wohngebäude der
Kläger und den einzelnen Bauten der Biogasanlage des Beigeladenen von ca. 150
m – 200 m sowie des Umstandes, dass die Anlage östlich des Grundstücks der
Kläger – also "gegen" die Hauptwindrichtung – liegt, ist eine (erhöhte)
Brandgefährdung des Grundstücks nicht ersichtlich. Dem Brandschutz
benachbarter Gebäude wird in aller Regel bereits dann entsprochen, wenn die
bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften eingehalten werden; das ist hier
eindeutig der Fall. Den Anforderungen nach § 19 LBO ist in der angefochtenen
Genehmigung Rechnung getragen worden (s. Ziff. 3.12 – 3.23 der
Nebenbestimmungen).
Der Explosionsgefahr ist in den Nebenbestimmungen zu Ziff. 3.20 und 3.21
Rechnung getragen worden. Ein diesbezügliches Risiko bei Biogasanlagen ist im
Zusammenhang mit zündfähigen Gas-/Luftgemischen im Bereich der Fermenter
und anderer Bereiche, in denen sich Gas ansammeln kann, generell gegeben (vgl.
z. B. dpa-Meldung v. 16.12.2007 über einen Schadensfall in Baden-Württemberg)
und arbeitssicherheitsrechtlich zu beachten (s. Ziff. 3.51 der
Nebenbestimmungen: Explosionsschutzdokument gem. § 6 BetrSichV). In der
angefochtenen Genehmigung (Ziff. 5.4) wird insoweit die Beachtung der
"Sicherheitsregeln für landwirtschaftliche Biogasanlagen" der Landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaft (Stand 05.09.2002; dort insbes. Ziff. 9:
"Explosionsgefährdete Bereiche"; veröffentlicht im Internet unter
"www.praevention.lsv.de/lbg/fachinfo/info_ges/ biogasanlagen/titel.htm")
angeordnet. Damit ist den diesbezüglichen Anforderungen (auch) im Hinblick auf
die Sicherheitsbedürfnisse der Kläger hinreichend entsprochen worden.
Dem klagabweisenden Urteil des Verwaltungsgerichts kann nach alledem keine
unterbliebene oder unzureichende Berücksichtigung bzw. Prüfung
nachbarschützender Belange entgegengehalten werden.
d) Zur Ansicht der Kläger, das Verwaltungsgericht habe sich mit der Nichtigkeit der
Genehmigung nicht hinreichend auseinandergesetzt, bleibt anzumerken, dass die
dazu im nachgereichten Schriftsatz vom 30. Juni 2008 angeführten Gründe nach
Ablauf der Frist gem. § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO vorgetragen worden sind.
Unabhängig davon kann dieses Argument schon deshalb keine ernstlichen
Richtigkeitszweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO begründen, weil die Klage aus
den oben zu b) – c) angeführten Gründen zu Recht abgewiesen worden ist, da die
angefochtene Genehmigung keine (Nachbar-)Rechte der Kläger verletzt (s. o. a).
Wäre die Genehmigung nichtig, weil ihre Adressatin – eine Handelsgesellschaft – z.
Z. der Bekanntgabe der Genehmigung rechtlich (noch) nicht existent war, könnten
allein deshalb Rechte der klagenden Nachbarn nicht verletzt sein.
Die von den Klägern angenommene Nichtigkeit liegt i. ü. nicht vor. Zwar wäre ein
Verwaltungsakt an eine noch nicht gegründete GmbH nichtig (§ 113 Abs. 2 Nr. 4
LVwG; vgl. BverwG, Beschl. V. 08.05.1995, 7 B 223.94, Buchholz 112 § 6 VermG
Nr. 12; bei Juris Tz. 2), doch richtete sich die angefochtene Genehmigung vom 24.
November 2006 an die Kommanditgesellschaft, nicht an die (Komplementär-
)GmbH. Die Kommanditgesellschaft war seinerzeit zwar (unstreitig) noch nicht in
das Handelsregister eingetragen (§§ 161 Abs. 2, 162, 106 Abs. 1 HGB), aber
bereits gegründet, wie der Gesellschaftsvertrag vom 04. Dezember 2005 (Bl. 177
der Beiakte B) belegt. Sollte, wie die Kläger annehmen (S. 4 der Klageschrift), die
Komplementär-GmbH (seinerzeit) noch nicht existiert haben, wäre von einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts unter den Kommanditisten (die im
Gesellschaftsvertrag [a.a.O.: natürliche Personen] namentlich genannt sind)
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Gesellschaftsvertrag [a.a.O.: natürliche Personen] namentlich genannt sind)
auszugehen. Dies ist – der Sache nach – mit der am 25. April 2004 erfolgten
"Berichtigung" des Adressaten (Beifügung des Zusatzes "i. G.") zum Ausdruck
gebracht worden. Erfolgt später keine Eintragung der GmbH und der KG in das
Handelsregister, bleibt die Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Kommanditisten
aus dem Bescheid berechtigt und verpflichtet. Werden die GmbH und die GmbH &
Co. KG, die schon den Genehmigungsantrag "firmiert" hatte, später in das
Handelsregister eingetragen, so wird – wie im Zivilrecht – die
Kommanditgesellschaft ohne weiteres Berechtigte und Verpflichtete des
Genehmigungsbescheides bzw. der dazu erteilten Nebenbestimmungen (vgl. BGH;
Urt. v. 13.06.1977, II ZR 232/75, BGHZ 69, 95 ff. m. w. N.). Die weitere Frage, ob
ein Verwaltungsakt, der zu Gunsten oder zu Lasten einer noch nicht gegründeten
Gesellschaft erlassen wird, dahin ausgelegt werden kann, dass er die künftig
entstehende Gesellschaft berechtigt oder verpflichtet (vom BverwG im Beschl.
Vom 08.05.1995, a.a.O., offen gelassen), bedarf angesichts der hier – jedenfalls –
erfolgten Gründung der Kommanditgesellschaft keiner Klärung.
2) Die Berufungszulassung kann auch unter dem Gesichtspunkt eines
Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nicht beansprucht werden.
Einen Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) zur Löschwasserversorgung und zur
Standsicherheit der geplanten Anlage (Tragfähigkeit des Baugrundes) können die
Kläger nicht rügen. Dem steht schon entgegen, dass die anwaltlich vertretenen
Kläger diesbezüglich erstinstanzlich weder durch einen Beweisantrag noch in
sonstiger Weise auf eine Aufklärung gedrängt haben.
Entgegen der Ansicht der Kläger hat das Verwaltungsgericht ihren Vortrag zur
Löschwasserversorgung und zur Tragfähigkeit des Baugrundes zur Kenntnis
genommen (s. S. 5, 6, 14 d. Urt.-Abdr.). Es ist nicht erforderlich, dass in den
Urteilsgründen auf dazu vorgetragenen Details eingegangen wird. Soweit die
beiden Aspekte im Zusammenhang mit der Brand- und Explosionssicherheit
(überhaupt) nachbarrechtliche Relevanz beanspruchen können, könnte die
erstinstanzliche Klagabweisung i. ü. auf einem insoweit unterstellten
Verfahrensfehler nicht beruhen, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass das
Grundstück der Kläger durch das Vorhaben der Beigeladenen gefährdet ist (s. o.
1).
3) Andere Zulassungsgründe sind nicht dargelegt.
Der Zulassungsantrag der Kläger ist nach alledem abzulehnen. Das Urteil des
Verwaltungsgerichts wird zugleich rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die außergerichtlichen
Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil sie sich im
Zulassungsverfahren nicht durch Stellung eines Antrages beteiligt hat (vgl. 154
Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs.
3 S. 3 GKG).