Urteil des OVG Saarland vom 28.03.2007

OVG Saarlouis: erwerbsfähigkeit, minderung, grobes verschulden, gesundheitszustand, entlassung, widerruf, versorgung, dienstzeit, besitzstandswahrung, beruf

OVG Saarlouis Urteil vom 28.3.2007, 1 R 41/06
Regelung zur Besitzstandswahrung bei dauernder Minderung der Erwerbsfähigkeit in Fällen
nach dem G 131
Leitsätze
1. Das G 131 gilt ungeachtet seiner Aufhebung zum 1.10.1994 für vor dem 1.10.1994
geltend gemachte und bisher noch nicht unanfechtbar verbeschiedene Ansprüche fort.
2. Zu den Anforderungen an eine dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens
zwei Drittel nach § 53 I G 131.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am ... geborene Kläger macht Versorgungsansprüche nach dem Gesetz zur Regelung
der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 GG fallenden Personen - G 131 - in der Fassung
der Bekanntmachung vom 13.10.1965 (BGBl. I 1685) geltend.
Er war als Major der Wehrmacht am 8.5.1945 Berufsoffizier mit einer Dienstzeit von
weniger als 10 Dienstjahren. Im Verlaufe des Krieges zog er sich während eines Einsatzes
in Tunesien eine Tropenkrankheit (Biskra-Leishmaniose) zu und erlitt unter anderem im
Herbst 1944 Granatsplitterverletzungen an beiden Beinen. Bei Kriegsende befand er sich
wegen der Beinverletzungen im Reservelazarett Blankenburg/Harz und geriet dort in
Gefangenschaft, aus der er Ende Juni 1945 entlassen wurde. Im Krankenblatt des
Reservelazaretts Blankenburg/Harz vom 16.5.1945 heißt es über den Kläger
zusammenfassend:
Subluxation des li. Fußes nach außen bei starker Belastung des
Sprunggelenks. Reizlose Narbe über der Tibia li. Frische Narbe mit
linsengroßem, gut granulierendem Narbenulcus über der li.
Kniescheibe. Beugesperre im li. Kniegelenk bei etwa 140 Grad. Große
Narbe Außenseite re. Oberschenkel.
Reduzierter Allgemeinzustand mit Mattigkeit und leichter
Ermüdbarkeit. Regelmäßig auftretende Fieberperioden mit papulösen
Hautausschlägen im Abstand von 3 Monaten infolge einer in Afrika
erworbenen Biskra-Leishmaniose.
Major R. wird nach U 59, U 80 wu. beurteilt. WDB liegt für alle
Schäden vor.
Im in englischer Sprache abgefassten Entlassungsschein vom 29.6.1945 wird eine breite
Narbe am rechten Oberschenkel, linken Knie und Bein sowie eine Gelenkversteifung im
linken Knie mit Bewegungseinschränkung erwähnt.
Von November 1945 bis März 1946 arbeitete der Kläger im Textilhaus seiner
Schwiegereltern als Verkäufer von Damenunterwäsche. Ab Mai 1946 studierte er
Rechtswissenschaften, bestand die erste und zweite juristische Staatsprüfung und
gründete nach kürzeren Tätigkeiten als Gerichtsassessor und Angestellter 1954 eine
Anwaltskanzlei, in der er bis heute tätig ist.
Mit Schreiben vom 12.7.1977 und Formularantrag vom 22.8.1977 hat der Kläger
Versorgungsansprüche aufgrund seiner Zugehörigkeit zur früheren Wehrmacht geltend
gemacht und vorgetragen, aufgrund seiner kriegsbedingten gesundheitlichen
Beeinträchtigungen sei er zu mehr als 67 v.H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Diesen
Antrag hat der Beklagte durch Bescheid vom 20.7.1979 abgelehnt und dies im
Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger sei am 8.5.1945 Berufsoffizier mit einer Dienstzeit von weniger als 10
Dienstjahren gewesen und daher nach § 53 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 G 131 als Beamter auf
Widerruf zu behandeln. Nach § 6 Abs. 1 des genannten Gesetzes gelte er als mit Ablauf
des 8.5.1945 durch Widerruf entlassen. Die Gewährung eines Ruhegehalts an ihn setze
nach § 53 Abs. 1 G 131 voraus, dass der Kläger am 8.5.1945 zu 66 2/3 v.H.
erwerbsgemindert und damit dauernd dienstunfähig im Sinne des G 131 gewesen sei.
Nach dem Gutachten des leitenden Arztes beim Versorgungsamt A-Stadt vom
20.12.1977 treffe dies nicht zu. Auch die Gewährung eines Unterhaltsbeitrags nach § 29
G 131 i.V.m. den §§ 181 a, 142 BBG komme nicht in Betracht. Zwar attestiere das
erwähnte Gutachten eine Erwerbsminderung bei dem Kläger in Höhe von 50 v.H.; jedoch
sei der Antrag nach Ablauf der in den §§ 181 a Abs. 5, 150 BBG i.V.m. Art. II § 6 Abs. 2 G
131 in der Fassung der 4. Novelle zum G 131 vom 9.9.1965 (BGBl. I 1203) auf den
31.12.1968 festgesetzten Ausschlussfrist gestellt worden.
Hiergegen hat der Kläger am 21.8.1979 Widerspruch erhoben und vorgetragen, aus dem
Krankenblatt des Reservelazaretts Blankenburg/Harz vom 16.5.1945 ergebe sich eine
Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 66 2/3 v.H.. In diesem Lazarett habe er sich
bei Kriegsende befunden. Damals habe das linke Bein amputiert werden sollen; diese
Operation sei unterblieben, weil man ihn - den Kläger - irrtümlich für tot gehalten habe.
Sämtliche Ärzte, die sich damals um ihn gekümmert hätten, seien sich darin einig
gewesen, dass er nie wieder truppendienstverwendungsfähig werde. Im gegebenen
Zusammenhang sei die damalige Einschätzung ausschlaggebend, nicht dagegen die
Tatsache, dass sich sein gesundheitlicher Zustand wider alle Erwartung wesentlich besser
als vermutet entwickelt habe. Mit dem Widerspruch hat der Kläger mehrere schriftliche
Erklärungen über seinen Gesundheitszustand vorgelegt, die von Personen stammen, mit
denen er damals in Verbindung stand.
Der Widerspruch wurde am 3.12.1979 zurückgewiesen. Darin wird ausgeführt, auch unter
Berücksichtigung der vom Kläger ergänzend eingereichten Unterlagen und einer erneuten
versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 4.10.1979 sei davon auszugehen, dass bei
dem Kläger zum Zeitpunkt seiner Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft am 29.6.1945
unter Zugrundelegung der ihm laut Bescheinigung vom 13.12.1945 zugebilligten
Versehrtenstufe II eine schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit von nur etwa
50 v.H. vorgelegen und damit weder bei seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft
noch am 8.5.1945 eine dauernde Dienstunfähigkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 G 131
bestanden habe. Eine dauernde Dienstunfähigkeit läge nämlich nur dann vor, wenn keine
Aussicht auf Besserung innerhalb Jahresfrist bestanden hätte.
Die Klage ist am 14.12.1979 eingegangen.
Der Kläger hat vorgetragen, die Frage der dauernden Dienstunfähigkeit sei in tatsächlicher
Hinsicht aus dem Blickwinkel des 8.5.1945 zu beurteilen. Dabei sei bei der Feststellung des
Grades der Erwerbsfähigkeit eines früheren Berufssoldaten dessen besondere
Beeinträchtigung in einem vor der Kriegsbeschädigung ausgeübten Beruf zu
berücksichtigen. Ausweislich einer Stellungnahme des damaligen Truppenarztes der 6.
Fallschirmjägerdivision, der bei dem Kläger eine linksseitige Oberschenkelamputation habe
vornehmen sollen, sei dessen Verletzung äußerst schwerwiegend gewesen. Dies werde
durch den ärztlichen Bericht des Reservelazaretts Blankenburg/Harz vom 16.5.1945
bestätigt. Damals habe im Grunde niemand angenommen, er - der Kläger - könne je
wieder richtig gehen. Eine Wiederverwendung als Fallschirmjäger sei ausgeschlossen
gewesen. Dies bedenkend habe sowohl bei Kriegsende als auch bei der Rückkehr aus der
Kriegsgefangenschaft die Minderung der Erwerbsfähigkeit über 66 2/3 v.H. gelegen. Die
Gleichsetzung der Versehrtenstufe II mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von lediglich
50 v.H. sei unhaltbar; vielmehr decke die Versehrtenstufe II eine Minderung zwischen 50
und 80 v.H. ab. Dass sich sein Gesundheitszustand nach 1945 wesentlich besser als
erwartet entwickelt habe, müsse im gegebenen Zusammenhang außer Betracht bleiben.
Der Kläger hat beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 20.7.1979 und des
Widerspruchsbescheides vom 3.12.1979 den Beklagten zu
verpflichten, dem Kläger Versorgungsbezüge aufgrund des G 131 zu
gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat sein bisheriges Vorbringen verteidigt und die Ansicht vertreten, es komme im
gegebenen Zusammenhang nicht allein auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit gerade am
8.5.1945 an. Das G 131 mache die Zubilligung von Ruhegehalt vom Vorliegen einer
dauernden Dienstunfähigkeit abhängig. Schon zum Zeitpunkt der Entlassung aus der
Kriegsgefangenschaft am 29.6.1945 sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit beim Kläger
aber nur noch mit 50 v.H. angenommen worden. Das schließe auch aus, dass die
Minderung am 8.5.1945 über 66 2/3 v.H. gelegen habe. Da der Kläger vor seiner
Verpflichtung zum Berufssoldaten noch keinen Zivilberuf ausgeübt habe, scheide ein
besonderes berufliches Betroffensein aus.
Das Verwaltungsgericht hat ein orthopädisches und ein internistisches Gutachten zu der
Frage eingeholt, ob der Kläger aus der Sicht des 8.5.1945 in seiner Erwerbsfähigkeit um
wenigstens 66 2/3 v.H. dauernd gemindert war, und sodann aufgrund mündlicher
Verhandlung vom 16.11.1982 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt
es:
Die Klage könne deswegen keinen Erfolg haben, weil bei dem Kläger am 8.5.1945 keine
dauernde Dienstunfähigkeit mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens zwei
Drittel vorgelegen habe. Für die Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei dabei
auf das allgemeine Erwerbsleben abzustellen, wobei es in tatsächlicher Hinsicht auf den
Zeitpunkt des 8.5.1945 ankomme. Sei aus dieser Sicht eine Minderung der
Erwerbsfähigkeit um wenigstens zwei Drittel auf unabsehbare Dauer zu bejahen, komme
einer später eintretenden Besserung des Gesundheitszustands keine Bedeutung zu.
Allerdings müsse die Beurteilung aus der Sicht des 8.5.1945 einen einigermaßen
überschaubaren Zeitraum in die Zukunft hinein abdecken. Dabei biete die Jahresgrenze
einen sinnvollen Anhalt.
Aufgrund der im Rahmen des Prozesses eingeholten beiden Gutachten sei die Kammer
davon überzeugt, dass aus der Sicht des 8.5.1945 der Kläger nicht dauernd dienstunfähig
gewesen sei. Der Gutachter Prof. Dr. R gehe davon aus, dass die Minderung der
Erwerbsfähigkeit des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet am 8.5.1945 mit ca. 30 v.H.
zu bewerten gewesen sei und diese Beeinträchtigung Ende 1945 mit 20 v.H.
angenommen werden könne. Selbst bei einer Tätigkeit als aktiver Offizier einer
Fallschirmjägereinheit sei die Erwerbsfähigkeit um lediglich 40 v.H. gemindert gewesen, für
eine Tätigkeit als Stabsoffizier sogar um nur 20 v.H., wobei in letzterer Hinsicht absehbar
gewesen sei, dass der Kläger innerhalb weiterer sechs Monate wieder voll dienstfähig
werden würde. Mit Blick auf die Tropenkrankheit des Klägers hätten die Sachverständigen
Prof. Dr. S und Prof. Dr. M den Standpunkt eingenommen, diese Krankheit habe am
8.5.1945 als abgeheilt angesehen werden können. Vorgelegen habe damals allerdings eine
so genannte vegetative Dystonie, die indes bei weitem nicht dafür ausgereicht habe, eine
Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens zwei Drittel zu bejahen. Gegen die
Richtigkeit beider Gutachten habe der Kläger keine Einwände vorgebracht. Angesichts
dessen habe es einer weitergehenden Beweisaufnahme nicht bedurft. Insbesondere habe
keine Veranlassung bestanden, der Forderung des Klägers nachzukommen und Zeugen
dazu zu vernehmen, ob nach ärztlicher Einschätzung Anfang 1945 davon auszugehen
gewesen sei, dass der Kläger nie wieder militärischen Dienst werde leisten können. Solche
Zeugenaussagen könnten den Wert der eingeholten Sachverständigengutachten nicht
erschüttern.
Das Urteil ist dem Kläger am 16.12.1982 zugestellt worden; am 17.1.1983 - einem
Montag - ist die Berufung eingegangen.
In der Folge galt die Sache gerichtsintern als erledigt, da sie vom Kläger nicht betrieben
wurde. Am 28.12.2006 hat der Kläger das Verfahren wieder aufgenommen.
Er verweist erneut auf den Auszug aus dem Krankenblatt vom 16.5.1945 und auf einen
ihm am 10.7.1945 ausgestellten Heilfürsorgeausweis, in dem er als
„Schwerkriegsbeschädigter“ bezeichnet und - soweit lesbar - eine „Verwundung des li.
Kniegelenks (mit noch offenem Narbengeschwür)“ erwähnt wird und die zuständige Stelle
aufgefordert wird, „für den genannten Körperschaden Heilfürsorge ... nach den
Vorschriften des Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetzes ... - zunächst befristet bis
zum 30. September 1945 - zu gewähren“. Außerdem legt er einen Brief des
Oberleutnants Heinrich vom 18.3.1945 vor, in dem es heißt, dass der Kläger „gemäß
Mitteilung des Res. Lazaretts ab 01.03 als wehruntauglich anzusehen“ sei.
Im Weiteren greift er insbesondere das Gutachten von Prof. Dr. R an und fordert die
Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens.
Der Kläger beantragt,
1. unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des
Saarlandes aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16.11.1982 -
3 K 1059/79 - und unter Aufhebung des Bescheids vom 20.7.1979
in der Form des Widerspruchsbescheids vom 3.12.1979 den
Beklagten zu verpflichten, ihm Versorgungsbezüge aufgrund des G
131 zu gewähren,
2. die Beiziehung des Unterzeichners im Widerspruchsverfahren für
notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Verwaltungsentscheidungen und das erstinstanzliche Urteil für richtig.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den in der mündlichen Verhandlung
erörterten Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenunterlagen (1 Heft)
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Dem Kläger steht, wie der Beklagte und das
Verwaltungsgericht zutreffend erkannt haben, der geltend gemachte Versorgungsanspruch
nicht zu.
Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 53 in Verbindung mit den §§ 29 ff. G 131 sowie
den dort in Bezug genommenen Bestimmungen des Bundesbeamtengesetzes in Betracht.
Zwar ist das G 131 durch Art. 3 § 1 Nr. 1 und Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung
des Beamtenversorgungsgesetzes, des Soldatenversorgungsgesetzes sowie sonstiger
versorgungsrechtlicher Vorschriften vom 20.9.1994 (BGBl. I 2442, 2452 und 2454) mit
Wirkung vom 1.10.1994 insgesamt ersatzlos aufgehoben worden. Das Gesetz vom
20.9.1994 enthält aber in Art. 3 § 2 eine „Regelung zur Besitzstandswahrung“. Nach Nr. 5
des 2. Halbsatzes der genannten Bestimmung regeln sich „im Übrigen ... sonstige
Ansprüche ... nach dem bisherigen Recht“. Das muss im Zusammenhang mit dem 1.
Halbsatz gelesen werden, wonach „nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ... Ansprüche
nach den in § 1 aufgeführten Rechtsvorschriften
dazu zählen Ansprüche nach dem G 131
nicht mehr geltend gemacht werden können“. Aus einer Gesamtschau beider Vorschriften
folgt, dass für vor dem 1.10.1994 geltend gemachte und bisher noch nicht unanfechtbar
verbeschiedene Ansprüche das G 131 fortgilt
vgl. auch die Gesetzesmaterialien, speziell BR-Drucks. 511/93, S. 59,
wonach die ersatzlose Aufhebung des G 131 mit Besitzstandsklausel
deswegen angezeigt sei, weil davon ausgegangen werden könne,
dass „Neuzugänge bei der beamtenrechtlichen Versorgung ... nicht
mehr zu erwarten sind ... und alle Berechtigten ... ihre Ansprüche ...
bereits geltend gemacht haben“.
Damit kommt im vorliegenden Fall das G 131 weiterhin zur Anwendung, da der Kläger sein
mit der Klage weiter verfolgtes Begehren bereits vor dem 1.10.1994 beim Beklagten
geltend gemacht hat, ohne dass hierüber seither eine unanfechtbare Regelung getroffen
worden wäre.
Der Versorgungsanspruch des Klägers scheitert indes daran, dass er als Berufsoffizier mit
einer Dienstzeit von weniger als 10 Jahren am 8.5.1945 nicht infolge Krankheit,
Verwundung oder sonstiger Beschädigung, die er sich ohne grobes Verschulden bei
Ausübung seines Dienstes als Berufssoldat zugezogen hat, dienstunfähig war und deshalb
nicht mit der Folge einer Versorgungsberechtigung als mit Ablauf des 8.5.1945 in den
Ruhestand getreten gilt; vielmehr gilt er als mit Ablauf des 8.5.1945 durch Widerruf
entlassen (vgl. §§ 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 G 131).
Dienstunfähigkeit im Sinne des G 131 ist nach § 53 Abs. 1 zweitletzter Satz dieses
Gesetzes bei einer dauernden Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens zwei Drittel
anzunehmen. Dabei kommt es auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit im allgemeinen
Erwerbsleben, nicht dagegen auf die Einsatzmöglichkeit zur Ausübung des Soldatenberufs
an. Das folgt aus der Erwägung, dass nach dem 8.5.1945 wegen des Fortfalls der
Wehrmacht eine weitere Verwendung als Berufsoffizier von vornherein ausschied. Ein
Berufssoldatentum war damals in Deutschland lange Zeit sogar verboten, weshalb sich
nach dem Krieg alle Berufssoldaten der ehemaligen Wehrmacht um eine Verwendung auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt bemühen mussten. Dieser besonderen Lage trug der
Gesetzgeber des G 131 dadurch Rechnung, dass er für ehemalige Berufssoldaten nicht
deren Fähigkeit zur Ausübung des Soldatenberufs, sondern ihre Erwerbsfähigkeit im
allgemeinen Erwerbsleben zur Beurteilung ihrer Dienstunfähigkeit und
Versorgungsbedürftigkeit heranzog
so BVerwG, Urteile vom 9.3.1960 - VI C 156.57 -, vom 28.6.1962 -
II C 123.61 -, Buchholz 234 § 53 G 131 Nr. 22 und Nr. 29, vom
17.9.1964 - II C 211.61 -, Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 4, und vom
11.7.1968 - II C 21.65 -, ZBR 1968, 352.
Anderes gilt nur dann, wenn der Berufssoldat zuvor einen anderen Beruf bereits
aufgenommen hatte
so BVerwG, Urteil vom 11.7.1968, a.a.O..
Das bedarf hier keiner Vertiefung, denn der Kläger wurde unmittelbar im Anschluss an
seine Schulzeit Soldat.
Zur Begründung eines Versorgungsanspruchs muss die Minderung der Erwerbsfähigkeit um
mindestens zwei Drittel nach § 53 Abs. 1 zweitletzter Satz G 131 auf Dauer vorgelegen
haben. Was unter diesem Zeitmoment zu verstehen ist, hat das
Bundesverwaltungsgericht durch seine Urteile vom 23.2.1966 - VI C 18.63 - und vom
18.1.1967 - VI C 30.63 -
Buchholz 234 § 53 G 131 Nr. 49 und Nr. 54
geklärt. Danach ist die Frage der Dienstunfähigkeit und ihrer Dauerhaftigkeit in tatsächlicher
Hinsicht aus der Sicht des 8.5.1945 zu beantworten. Die an diesem Stichtag vorhandenen
Erkenntnishilfen, die allerdings auch aus späteren Vorgängen und Gutachten ermittelt
werden können, sind darauf auszuwerten, ob der Betreffende „auf nicht absehbare Zeit“
zu zwei Drittel erwerbsunfähig war. Dafür, was als „nicht absehbare Zeit“ anzusehen ist,
liefert ein ab dem 8.5.1945 zu messender Zeitraum von einem Jahr regelmäßig einen
Anhalt. Bei Verwundungen oder Erkrankungen, bei denen die Wiedererlangung der
Erwerbsfähigkeit am Ende eines bestimmten Heilungs- oder Genesungsprozesses nach den
Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft zwar in absehbarer Zeit, wenn auch nicht gerade
innerhalb eines Jahres, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, ist
auch ein etwas längerer Zeitraum als ein Jahr zu berücksichtigen. Eine - noch - spätere
Besserung des Gesundheitszustandes muss dagegen außer Betracht bleiben.
Von diesem Normverständnis ausgehend steht aufgrund der den Gesundheitszustand des
Klägers beschreibenden Dokumente aus der Zeit kurz vor und nach dem 8.5.1945 in
Verbindung mit den beiden vom Verwaltungsgericht eingeholten
Sachverständigengutachten zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger aus der
Sicht des 8.5.1945 im Verständnis des § 53 Abs. 1 G 131 nicht dauernd in seiner
Erwerbsfähigkeit um mindestens zwei Drittel gemindert war.
Der damalige Gesundheitszustand des Klägers erschließt sich insbesondere aus dem im
Tatbestand dieses Urteils zitierten Auszug aus dem Krankenblatt des Reservelazaretts
Blankenburg/Harz vom 16.5.1945. Danach litt der Kläger insbesondere an den Folgen der
Granatsplitterverletzungen an beiden Beinen, aber auch an Nachwirkungen der Biskra-
Leishmaniose, die er sich während des Afrikafeldzugs zugezogen hatte. Die einschlägigen
orthopädischen Befunde mit peripher neurologischen Auswirkungen, die im Krankenblatt
vom 16.5.1945 näher beschrieben und im Entlassungsschein vom 29.6.1945 nochmals
kurz zusammengefasst sind, hat Prof. Dr. R ausweislich S. 9 seines Gutachtens zum
Ausgangspunkt seiner Beurteilung gemacht und in diesem Zusammenhang auch die im
Krankenblatt enthaltenen Chiffren U 59 und U 80 „übersetzt“ (vgl. Gutachten S. 8).
Zusätzlich berücksichtigte er vor allem die Angaben des Klägers in seinem Antrag vom
12.10.1945 auf Gewährung von Versorgungsgebührnissen (Gutachten S. 7) und die
Eintragungen im Heilfürsorgeausweis vom 10.7.1945 (Gutachten S. 9), weiterhin die ihm
zugänglich gemachten Röntgenaufnahmen (Gutachten S. 3-6). Dass die Grundlage des
Gutachtens dennoch aus heutiger Sicht unzureichend wäre, wie der Kläger meint, vermag
der Senat nicht zu erkennen. Insbesondere hatte Prof. Dr. R keine Veranlassung, den
Kläger selbst zu untersuchen. Entscheidungserheblich ist nämlich dessen
Gesundheitszustand beziehungsweise sind die Auswirkungen der Verwundungen und
Krankheit auf die Erwerbsfähigkeit aus der Sicht des 8.5.1945, nicht aber die
gesundheitliche Situation des Klägers im Jahre 1982, als Prof. Dr. R sein Gutachten
erstellte, und erst recht nicht die heutigen Gegebenheiten. Dass im Jahre 1982 oder heute
erhobene medizinische Befunde über den Kläger - zusätzliche - Rückschlüsse auf dessen
Zustand am 8.5.1945 ermöglichen würden, ist aber weder geltend gemacht noch
ersichtlich.
Bei der Bewertung der Auswirkungen der bei Kriegsende gegebenen Beinverletzungen auf
die allgemeine Erwerbsfähigkeit kommt Prof. Dr. R zu einem Minderungsgrad von ca. 30
v.H. zum 8.5.1945 und von 20 v.H. zum Ende des Jahres 1945. Das überzeugt. Betroffen
war der Kläger bei Kriegsende insbesondere von einer Behinderung des linken Beines
infolge Versteifung im Kniegelenk bei 140 Grad, des Einsatzes einer Platte im
Unterschenkel sowie eines „Schlottergelenks“ im Fuß; in Kniehöhe war die Wunde noch
nicht endgültig verheilt, sondern teilweise offen und wies ein Geschwür auf, das allerdings
ausweislich des Krankenblattes vom 16.5.1945 gut granulierte. Am rechten Oberschenkel
hatte er eine große Narbe. Die Auswirkungen der angesprochenen Beeinträchtigungen
umschrieb der Kläger in seinem Antrag vom 12.10.1945 dahin, es bestehe links eine
„starke Gehbehinderung“; das „Schlottergelenk“ mache sich „bei längerem Stehen und
Gehen bemerkbar“. Der Heilungsprozess machte nach der Entlassung des Klägers aus
dem Lazarett offenbar gute Fortschritte. Belegt ist nämlich durch eigene Angaben des
Klägers, dass er ab November 1945 im Textilgeschäft seiner Schwiegereltern
Damenunterwäsche verkaufte, dass er im Januar 1946 in seinem Garten graben konnte
und dass er im Mai 1946 sein Studium aufnahm. Wenn bei diesen Gegebenheiten Prof. Dr.
R die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers aus orthopädischer Sicht einschließlich
neurologischer Auswirkungen im Mai 1945 mit 30 v.H. und Ende 1945 mit 20 v.H.
veranschlagt hat, ist das ohne Weiteres nachvollziehbar und leuchtet nicht zuletzt
deswegen ein, weil nach den Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG, die als allgemeine
Erfahrungswerte für das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei bestimmten
körperlichen Beeinträchtigungen im Rahmen des § 53 G 131 herangezogen werden
können
dazu BVerwG, Urteil vom 21.6.1963 - VI C 99.61 -, DVBl. 1963,
895,
der Verlust eines Beines im Hüftgelenk eine Minderung von 80 v.H., der Verlust eines
Beines im Bereich des Oberschenkels bis zur Kniehöhe eine Minderung von 70 v.H. und der
Verlust eines Beines im Bereich des Unterschenkels eine Minderung von 60 v.H. bewirkt.
Dass die Beeinträchtigungen des Klägers im Vergleich dazu bereits Mitte 1945 weitaus
geringere Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit hatten, liegt nach Auffassung des Senats
offen zutage.
Die gegen diese Beurteilung gerichteten Einwände des Klägers, er sei nach der
Granatsplitterverletzung vom Herbst 1944 von den Ärzten zeitweise aufgegeben worden,
dann habe sein Bein amputiert werden sollen und einen erneuten Einsatz als Offizier an der
Front hätten alle Ärzte damals ausgeschlossen, greifen nicht durch. In Übereinstimmung
mit den von dem Kläger eingereichten schriftlichen Aussagen inzwischen verstorbener
Personen kann davon ausgegangen werden, dass das Leben des Klägers direkt nach der
Verletzung akut gefährdet war, dass zeitweise erwogen wurde, sein linkes Bein
abzunehmen, und dass er eine Zeitlang auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen
war. Indes muss auch gesehen werden, dass er nach der Versorgung seiner Verletzungen
im Lazarett Blankenburg/Harz erstmals im Januar 1945 und nach einer erneuten
Behandlung nochmals im März 1945 an die Front zurückgeschickt wurde. Ohnehin kommt
es nicht darauf an, ob der Kläger aus der Sicht des 8.5.1945 als Berufsoffizier
wiederverwendbar war, was Prof. Dr. R übrigens ab Ende 1945 bejaht hat; vielmehr ist die
Minderung der allgemeinen Erwerbsfähigkeit entscheidend, und die war - wie aufgezeigt -
aus der prognostischen Sicht des 8.5.1945 aufgrund der Beinverletzungen jedenfalls nicht
auf Dauer erheblich, sondern - allenfalls - zu 30 v.H. gemindert.
Die kriegsbedingten Beeinträchtigungen des Klägers auf internistisch-neurologisch-
psychiatrischem Gebiet haben die Professoren Dr. S und Dr. M in ihren Gutachten vom
13.8.1982 ebenfalls nicht als schwerwiegend eingestuft. Die Biskra-Leishmaniose sei am
8.5.1945 weitgehend abgeheilt gewesen; zwar habe sie noch Mattigkeit und leichte
Ermüdbarkeit und etwa vierteljährlich zu Fieber mit Ausschlag und leichtem Ziehen in der
Lebergegend geführt, die allgemeine Erwerbsfähigkeit indes praktisch nicht nennenswert
gemindert. Die Auswirkungen der vegetativen Dystonie auf die Erwerbsfähigkeit sei
ebenfalls nicht gravierend gewesen. Das überzeugt. Einwände gegen dieses Gutachten hat
der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nur insoweit vorgebracht, als er
rügte, keiner der beiden Ärzte habe ihn je gesehen. Dass diese Beanstandung nicht
stichhaltig ist, ergibt sich aus den Ausführungen des Senats zu dem gleich gerichteten
Vorwurf gegen das Gutachten von Prof. Dr. R.
Die Professoren Dr. S und Dr. M haben davon Abstand genommen, die Minderung der
Erwerbsfähigkeit des Klägers auf internistisch-neurologisch-psychiatrischem Gebiet
gesondert zu bewerten. Indes haben sie die von Prof. Dr. R aus orthopädischem
Fachgebiet bejahte Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v.H. in den Blick genommen (S.
15 des Gutachtens) und die Erwerbsfähigkeit des Klägers aus der Sicht des 8.5.1945
insgesamt als „eindeutig ... nicht um wenigstens zwei Drittel dauernd gemindert“
angesehen. Dies leuchtet nach den erhobenen Befunden ein und stimmt im Ergebnis, wie
insbesondere Prof. Dr. R auf den S. 10 bis 17 seines Gutachtens ausgeführt hat, überein
mit zahlreichen früheren Sachverständigengutachten und Gerichtsentscheidungen.
Angesichts dessen bestand für den Senat keine Veranlassung, entsprechend dem Antrag
des Klägers ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen. Den Umfang der
Beweiserhebung bestimmt das Gericht im Rahmen seiner Pflicht zur
Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich nach seinem Ermessen. Geboten ist die Einholung
eines weiteren Sachverständigengutachtens nur, wenn das Gericht das ihm vorliegende
Gutachten für ungenügend erachtet (§§ 98 VwGO, 412 Abs. 1 ZPO)
dazu allgemein Kopp-Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 108 Rdnr. 10.
dazu allgemein Kopp-Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 108 Rdnr. 10.
Davon kann mit Blick auf die beiden vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten keine
Rede sein. Sie stammen von ausgewiesenen Fachleuten, gehen nicht von einem
unzutreffenden oder lückenhaften Sachverhalt aus, weisen weder Mängel noch
Widersprüche auf und beantworten die Beweisfrage klar und überzeugend. Die vom Kläger
in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Einwände sind - wie aufgezeigt - nicht
stichhaltig.
Nach allem ist die Klage unbegründet und daher die Berufung gegen das klageabweisende
Urteil zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr.
10 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf das 26-fache der dem Kläger im Falle
der Stattgabe der Klage zustehenden monatlichen Versorgung (Stand: 1.7.1983), mithin
auf 24.960.- Euro festgesetzt.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.