Urteil des OVG Saarland vom 06.07.2009
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OVG Saarlouis Beschluß vom 6.7.2009, 2 B 365/09
Abschiebungshaft; Antrag auf Rücknahme des Haftantrags; Unzulässigkeit des
Verwaltungsrechtswegs
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des
Saarlandes vom 7. Mai 2009 – 10 L 328/09 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
des Saarlandes vom 7.5.2009 – 10 L 328/09 -, durch den sein Antrag, den Antragsgegner
im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, den Haftantrag
zurückzunehmen, zurückgewiesen wurde ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat das – letztlich auf Entlassung aus der Abschiebungshaft
gerichtete - Begehren des Antragstellers, der gemäß § 62 II Nrn. 2, 4 und 5 AufenthG zur
Sicherung der Abschiebung in Sicherunghaft genommen wurde, im Ergebnis zu Recht
abgelehnt. Der gestellte Antrag ist unzulässig, da der Antragsteller seine Entlassung aus
der Abschiebungshaft nicht im Verwaltungsrechtsweg verfolgen kann.
Das Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtet sich gemäß § 106 II 1 AufenthG nach dem
Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG) (FEVG in der
Gültigkeit bis 31.8.2009) . Die Freiheitsentziehung kann nur das Amtsgericht auf Antrag
der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen (§ 3 S.1 FEVG). Gegen die Anordnung der
(ggf. auch Verlängerung der) Abschiebungshaft findet gemäß § 7 I (i.V.m. § 12 FEVG) die
sofortige Beschwerde statt. Die Aufhebung der Freiheitsentziehung ist u.a. auf den Antrag
des Ausländers in jedem Fall zu prüfen und zu bescheiden (§ 10 II FEVG); die Entscheidung,
durch die eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, ist vor Ablauf der nach § 9 I FEVG
festgesetzten Frist von Amts wegen aufzuheben, wenn der Grund für die
Freiheitsentziehung weggefallen ist (§ 10 I FEVG). Der Haftantrag der Ausländerbehörde,
seine Rücknahme und die Beantragung der Aufhebung der Freiheitsentziehung sind somit
als Bestandteile eines einheitlichen Freiheitsentziehungsverfahrens durch das FEVG den
Amtsgerichten zugewiesen.
Der Haftrichter ist dabei für die Beurteilung der Haftgründe im engeren Sinne zuständig,
das Verwaltungsgericht hingegen für die Prüfung, ob die Ausländerbehörde die durch die
Haft zu sichernde Abschiebung zu Recht betreibt, ob also der Ausländer ausreisepflichtig ist
und die Abschiebungsvoraussetzungen gegeben sind. In diesem Sinne kann von einer
Zweigleisigkeit des Rechtswegs gesprochen werden (OVG des Saarlandes, Beschluss vom
11.1.2001 – 9 V 52/00, 9 W 1/01 -; HTK, § 62 AufenthG, Anm. 1) , wobei dem Ausländer
aber kein Wahlrecht eingeräumt ist, vor welchem Gericht er seine – im Ergebnis auch
vorliegend begehrte – Entlassung aus der Abschiebungshaft erstreiten will. Vielmehr kann
der Ausländer grundsätzlich nur die (materiellen) Voraussetzungen der Ausreisepflicht oder
der Abschiebung und damit der aufenthaltsrechtlichen Grundlagen der Abschiebungshaft
durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit klären lassen. Soweit sich das materielle (inhaltliche)
Prüfprogramm der ordentlichen Gerichte im Freiheitsentziehungsverfahren auf die
Durchführbarkeit der Abschiebung unter den Aspekten der Erforderlichkeit und der
Verhältnismäßigkeit - im engeren Sinne – der Freiheitsentziehung erstreckt, ist hingegen
kein Raum für verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz. Dies schließt jedenfalls in Fällen wie
dem vorliegenden an das Verwaltungsgericht gerichtete Anträge aus, der
Verwaltungsbehörde aufzugeben, ihren Haftantrag zurückzunehmen. (Anders OVG des
Saarlandes, Beschluss vom 11.1.2001– 9 V 52/00, 9 W 1/01 – für den Fall der Stellung
eines Asylantrags aus der Haft, und Beschluss vom 9.4.1986 – 3 W 794/86 -, InfAuslR
1986, 211 für einen Asylfolgeantragsteller; Renner, Ausländerrecht, 8.Aufl. 2005, § 62
Rdnr. 30;für generelle Zuständigkeit des Amtsgerichts: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss
vom 28.6.1988 – 11 B 346/87 -, InfAuslR 1989, 72; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 28.6.2006 – 18 B 1088/06 – InfAuslR 2007, 110;)
Der Antragsteller hält die verhängte Abschiebungshaft aus tatsächlichen und rechtlichen
Gründen für unzulässig, weil seine Abschiebung dauerhaft unmöglich sei. Nach seinen
Angaben verfügt er über keinen Pass mehr; die Ausstellung eines Passes oder auch nur
eines Passersatzpapiers hält er für ausgeschlossen. Hierzu weist er zunächst auf
eidesstattliche Versicherungen seines Vaters und einer Schwester hin, nach denen diese
am 8.4.2009 das algerische Generalkonsulat aufgesucht hätten, um den Pass der
Schwester verlängern zu lassen, und dabei auf Nachfrage von der Ehefrau des
Generalkonsuls erfahren hätten, dass das Generalkonsulat dem Antragsteller weder Pass
noch Laissez-Passer ausstellen werde, weil er bereits als Dreijähriger nach Deutschland
übergesiedelt sei, nur noch Familie in Deutschland habe, mit einer Deutschen verlobt sei
und diese heiraten wolle, hier seine Ausbildung gemacht habe und deshalb verpflichtet sei,
dies durch Arbeitsleistung in Deutschland zu „vergelten“. Zum anderen weist er auf die
erfolglose Vorführung durch die Behörde beim algerischen Generalkonsulat am 29.5.2009
hin. Im Übrigen wendet er ein, dass seiner Abschiebung auch rechtliche Hindernisse
entgegenstünden. Hierzu verweist er unter Hinweis auf Art. 6 I GG und Art. 8 EMRK im
Wesentlichen auf seinen langjährigen Aufenthalt in Deutschland und die damit verbundene
Integration („faktischer Inländer“), sein trotz Volljährigkeit bestehendes Bedürfnis nach
Beistand durch seine aufenthaltsberechtigte Großfamilie, seine Heiratabsichten sowie
fehlende Bindungen an sein Heimatland.
Mit den vorgetragenen tatsächlichen Hindernissen für die Durchführung der Abschiebung
stellt der Antragsteller die Erforderlichkeit der Abschiebungshaft in Abrede, da Reisepapiere
jedenfalls nicht in absehbarer Zeit zu beschaffen seien und demzufolge seine Abschiebung
tatsächlich nicht durchführbar sei; gleichzeitig wird die insoweit fehlende
Verhältnismäßigkeit der angeordneten Haft gerügt. Diese Aspekte gehören offensichtlich
zum – eingeschränkten – Prüfprogramm des Haftrichters. (HiK-AuslR, § 62 Anm. 2;
Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 62 AufenthG, Rdnr. 11) Insoweit kann der
Antragsteller effektiven Rechtsschutz durch die ordentliche Gerichtsbarkeit erlangen. Er
kann nicht nur jederzeit die Aufhebung der Abschiebungshaft gemäß § 10 II FEVG
beantragen, sondern auch gegen eine Verlängerung die sofortige Beschwerde gemäß § 12
i.V.m. § 7 I FEVG erheben. Es ist dann Sache des Amtsgerichts bzw. des
Beschwerdegerichts zu beurteilen, ob insbesondere die für die Beschaffung eines
Reisepapiers erforderliche erneute Vorführung des Antragstellers beim Generalkonsulat
trotz des noch offenen Termins und üblicher Vorlaufzeiten sein Verbleiben in
Abschiebungshaft rechtfertigt oder ob eine Fortdauer der Haft sich unter Berücksichtigung
aller Umstände als unverhältnismäßig darstellt und seine Entlassung aus der Haft
anzuordnen ist. Das ist im Übrigen hier auch geschehen, da das Amtsgericht Bingen in
seinem in der Freiheitsentziehungssache ergangenen Beschluss vom 29.6.2009, mit dem
es die Verlängerung der Abschiebungshaft um drei Monate angeordnet hat, die Frage der
Verhältnismäßigkeit ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt des Vorbringens des
Antragstellers geprüft hat.
Das vorliegende auf Rücknahme des Haftantrags gerichtete verwaltungsgerichtliche
Verfahren kann seine Rechtfertigung auch nicht darin finden, dass es zusätzlich mit
Angriffen auf die materiellen Grundlagen der beabsichtigten Abschiebung begründet ist. Der
Antragsteller ist auch insofern auf andere Rechtsschutzmöglichkeiten zu verweisen, die
nicht unmittelbar in das Freiheitsentziehungsverfahren eingreifen und von denen er
teilweise auch Gebrauch gemacht hat; eine Rechtsschutzlücke besteht nicht.
So hat der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29.10.2008, durch
den die Ablehnung der beantragten Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und seine –
nicht für sofort vollziehbar erklärte - Ausweisung verfügt wurden, in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 18.3.2009 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden
ist. Sein Antrag, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Ablehnung der
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis anzuordnen, ist allerdings erfolglos geblieben, da der
erst zwei Monate nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellte Verlängerungsantrag keine
Fiktionswirkung gemäß § 81 IV AufenthG auslösen konnte und der Aussetzungsantrag
daher auch im Erfolgsfall nicht zu einem vorläufigen Aufenthaltsrecht des Antragstellers
hätte führen können und folglich unzulässig war. Demgegenüber wäre die Klärung der
Frage, ob der Antragsgegner in seinem Fall aufenthaltsbeendende Maßnahmen überhaupt
durchführen darf, angesichts des Umstands, dass der Antragsteller sich in
Abschiebungshaft befindet, sicherlich dringlich und auch in einem entsprechenden
Verfahren nach § 123 VwGO möglich, worauf bereits im Aussetzungsverfahren
hingewiesen wurde (OVG des Saarlandes, Beschluss vom 30.6.2009 – 2 B 366/09 -) .
Sofern in einem solchen Verfahren festgestellt würde, dass seine Abschiebung aus
tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich sei (§ 60a II AufenthG), könnte er auch
unter Berufung hierauf seine Entlassung aus der Haft gemäß § 10 II FEVG beantragen.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 154 II VwGO zurückzuweisen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 II, 47, 53 III, 52 II GKG, wobei die Halbierung des
Regelstreitwertes für das vorliegende Eilrechtsschutzverfahren der Senatsrechtsprechung
entspricht.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar.