Urteil des OVG Saarland vom 03.01.2008
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OVG Saarlouis Beschluß vom 3.1.2008, 2 O 44/06
Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren; Nachbarklage; Prüfungsprogramm
Leitsätze
Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren kann sich eine Rechtsverletzung des
klagenden Nachbarn nur aus der Nichtbeachtung einer zum Prüfungs- und
Entscheidungsprogramm der Behörde gehörenden, seinem Schutz dienenden öffentlich-
rechtlichen Vorschrift, also im Wesentlichen des Bauplanungsrechts, ergeben, während er
hinsichtlich sonstiger bei der Ausführung des Vorhabens zu beachtender
nachbarschützender Bestimmungen (§ 60 II LBO 2004) nach dieser gesetzlichen
Grundkonzeption zwingend auf die Geltendmachung eines Einschreitensanspruchs gegen
die Bauaufsichtsbehörde zu verweisen ist.
Ein Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Verfahrensvorschriften löst keine
nachbarrechtlichen Abwehransprüche aus.
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Saarlandes vom 12. September 2006 – 5 K 99/05 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 7.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der fristgerecht gestellte und auch ansonsten zulässige Antrag des Klägers auf Zulassung
der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen
Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung (§ 124 II Nr. 1 VwGO), der grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache (§ 124 II Nr. 3 VwGO) und der besonderen rechtlichen oder
tatsächlichen Schwierigkeiten (§ 124 II Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.
Zur Begründung seines Zulassungsantrags führt der Kläger im Wesentlichen aus, die
Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, denn der Entscheidung liege ein falsches
Verständnis des Umfanges und der Bedeutung der in Bezug genommenen Entscheidung
des Oberverwaltungsgerichts vom 26.1.2006 – 2 R 9/05 – zugrunde. Hieraus und aus
dem fehlerhaften Verständnis des tatsächlichen Regelungsgehalts der angefochtenen
Baugenehmigung ergäben sich auch die ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der
Entscheidung und beide Aspekte belegten die besonderen rechtlichen Schwierigkeiten. Das
Verwaltungsgericht habe die Anwendbarkeit des in Bezug genommenen Urteils vom
26.1.2006 – 2 R 9/05 – dahinstehen lassen, weil vorliegend – anders als in dem
entschiedenen Fall - nicht schon in der Baugenehmigung geregelt sei, dass das klägerische
Grundstück durch die Feuerwehr in Anspruch genommen werden könne/ dürfe/ müsse. In
dem dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts zugrunde liegenden Fall habe die
Baugenehmigung diesbezüglich konkrete Auflagen enthalten. Dieser Unterschied zur
Baugenehmigung der Beigeladenen führe zur grundsätzlichen Bedeutung. Die Auffassung
des Verwaltungsgerichts, dass die Baugenehmigung insgesamt nicht die zwangsläufige
Inanspruchnahme des Grundstücks des Klägers legitimiere, sei unzutreffend. Insoweit sei
dessen Ansicht, dass aufgrund der Höhe des Nachbargebäudes keine Durchfahrt, sondern
nur ein Durchgang erforderlich sei, unrichtig. Das geplante Gebäude solle 9,80 m hoch
werden; es sei nicht nachvollziehbar, dass zum Anleitern bestimmte Stellen sämtlich unter
8 m lägen. Das Dachgeschoss sei von der Vorderseite überhaupt nicht anzuleitern. An der
Rückseite müsse oberhalb eines Balkones ein Fenster erreicht werden, an welches eine
schräge Leiter wegen des im 1. OG vorspringenden Balkones überhaupt nicht gestellt
werden könne. Die Dachgeschoss-Fenster seien außerdem feststehend. Dem
Umkehrschluss des Verwaltungsgerichts, dass keine „zwangsläufige“ Inanspruchnahme
des Grundstücks ermöglicht sei, weil in der Baugenehmigung nicht geregelt sei, dass das
Tor immer unverschlossen sein müsse, könne nicht zugestimmt werden. Diese
Inanspruchnahme werde vielmehr gerade nicht ausgeschlossen, weil im Bauantrag schon
nicht enthalten sei, dass das Tor immer unverschlossen bleiben werde. Nur wenn
Schutzvorkehrungen getroffen würden, dass das Tor offen bleibe, sei die Inanspruchnahme
des klägerischen Grundstücks nicht zwangsläufig. Außerdem werde nicht berücksichtigt,
dass ein Zugang zur rückwärtigen Seite des Gebäudes nur durch dieses hindurch möglich
wäre. Da Gebäude der Klasse 2 zwei Rettungswege benötigten (§ 33 II LBO), nämlich
Treppe und Leiter, und gemäß § 1 II TVO ein geradliniger Durchgang von den öffentlichen
Flächen gefordert werde, sei diese Voraussetzung schon nicht im Hinblick auf den Eingang
des rückwärtigen Gebäudes erfüllt, da dieser nicht geradlinig zum Tor des Vorderhauses
liege. Ferner müsse man dann noch geradlinig durch das Wohnzimmer des EG auf die
rückwärtige Seite zum Anleitern gelangen, was je nach Türen und Möblierung völlig
unmöglich sei. Diese besonderen Umstände hätten trotz des eingeschränkten
Prüfungsmaßstabs zur Ablehnung der Baugenehmigung führen müssen, weil eine ernstliche
Gefährdung des klägerischen Anwesens durch das genehmigte Bauvorhaben im Brandfall
handgreiflich wäre. Aus den genannten Gründen und weil die Hinterhausbebauung mangels
eigener Zuwegung nicht erschlossen sei, lägen die Voraussetzungen für ein vereinfachtes
Genehmigungsverfahren nicht vor.
Die Zulassungsbegründung rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung gemäß § 124 II
Nr. 1 VwGO, denn an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen keine
ernstlichen Zweifel. Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung
ausführlich und zutreffend dargelegt, dass die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung
nicht gegen dem Schutz des Klägers dienende Vorschriften des öffentlichen Rechts
verstößt; auf diese Ausführungen kann vorab Bezug genommen werden.
II.
Der Kläger kann mit seinem Zulassungsantrag nicht mit Erfolg geltend machen, die der
Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sei bauordnungsrechtlich und zwar insbesondere
wegen Nichteinhaltung von Brandschutzvorschriften rechtswidrig. Denn im vereinfachten
Baugenehmigungsverfahren gemäß § 64 II 1 LBO 2004 sind – anders als im
Baugenehmigungsverfahren bei baugenehmigungsbedürftigen Anlagen nach § 65 I LBO
2004 - nur die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs und
den sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften außerhalb des Bauordnungsrechts –
ausgenommen die Anforderungen nach der Arbeitsstättenverordnung – sowie beantragte
Abweichungen zu prüfen. Auch wenn insofern die Einhaltung der Anforderungen an u.a. den
Brandschutz gemäß § 64 II 2 i.V.m. § 67 LBO 2004 vom Bauherrn nachzuweisen ist
(bautechnische Nachweise), gehört dieser im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren
nicht zum eingeschränkten materiellen behördlichen Prüfungsprogramm. Da
Streitgegenstand der vorliegenden Anfechtungsklage aber die Frage einer Rechtsverletzung
des Klägers durch die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist, kommt es insofern
maßgeblich nur auf den materiellen Regelungsinhalt dieses Verwaltungsaktes an. Das
bedeutet, dass sich eine Rechtsverletzung des Klägers allgemein nur aus der
Nichtbeachtung einer zum Prüfungs- und Entscheidungsprogramm der Behörde
gehörenden, seinem Schutz dienenden öffentlich-rechtlichen Vorschrift, also im
Wesentlichen des Bauplanungsrechts ergeben kann, während er hinsichtlich sonstiger bei
der Ausführung des Vorhabens zu beachtender nachbarschützender Bestimmungen (§ 60 II
LBO 2004) nach dieser gesetzlichen Grundkonzeption zwingend auf die Geltendmachung
eines Einschreitensanspruchs gegen die Bauaufsichtsbehörde zu verweisen ist. (Vgl. zu den
Modalitäten der Abwicklung des baurechtlichen Nachbarstreits nach Einführung des
vereinfachten Genehmigungsverfahrens gemäß § 64 LBO 2004: Bitz/ Schwarz/ Seiler-Dürr/
Dürr, Baurecht Saarland, 2. Aufl. 2005, Kap. XI, RNrn. 34 ff., 54) Die angefochtene
Baugenehmigung kann also auch dann auf die Anfechtungsklage des Klägers hin nicht
aufgehoben werden, wenn das Vorhaben der Beigeladenen die Brandschutzvorschriften,
die der Beklagte zu Recht gemäß § 64 II LBO 2004 nicht geprüft hat, nicht einhielte.
Auch aus der vom Verwaltungsgericht in seinem Urteil erwähnten Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts vom 26.1.2006 – 2 R 9/05 – ergibt sich für den Kläger nichts
Günstigeres. Denn diese Entscheidung bezog sich auf ein – normales –
Baugenehmigungsverfahren im Sinne des § 77 LBO 1996 (heute: § 65 LBO 2004), in dem
somit zutreffend auch die Einhaltung der Brandschutzvorschriften geprüft worden war und
diesbezüglich der erteilten Baugenehmigung konkrete Auflagen beigefügt worden waren.
Ernstliche Zweifel können sich schließlich auch nicht mit Blick auf den Vortrag des Klägers
ergeben, dass die Voraussetzungen für ein vereinfachtes Verfahren vorliegend nicht
gegeben seien, weil die Hinterhausbebauung mangels eigener Zuwegung nicht erschlossen
sei. Ein Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Verfahrensvorschriften wie die richtige
Einordnung des bekämpften Vorhabens nach den §§ 60 ff. LBO 2004, insbesondere ob die
Behörde im Einzelfall zu Recht die Voraussetzungen für die Durchführung des vereinfachten
Verfahrens angenommen hat oder nicht, löst keine nachbarrechtlichen Abwehransprüche
aus. (Vgl. Bitz/ Schwarz/ Seiler-Dürr/ Dürr, Baurecht Saarland, 2. Aufl. 2005, Kap. XI, RNrn.
94 ff.)
Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache gemäß § 124 II Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine für die
Berufungsentscheidung erhebliche, klärungsfähige und klärungsbedürftige, insbesondere
höchst- oder obergerichtlich nicht (hinreichend) geklärte Frage allgemeiner,
fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder ihrer Fortentwicklung der berufungsgerichtlichen Klärung bedarf.
Der Kläger hat indes keine aus seiner Sicht grundsätzlich klärungsbedürftige Frage
ausdrücklich bezeichnet. Soweit er die grundsätzliche Bedeutung darin sieht, dass der
angefochtenen Entscheidung „ein falsches Verständnis des Umfanges und der Bedeutung
der in Bezug genommenen Entscheidung des Senates vom 26.1.2006 (2 R 9/05)“
zugrunde liege, ist festzustellen, dass diese Beschreibung zu unbestimmt ist, um ihr eine
konkrete Fragestellung zu entnehmen. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern sich aus dem
Umstand, dass in jenem Fall die Baugenehmigung Auflagen für den Brandschutz vorsah
und die vorliegende in einem vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte
Baugenehmigung sich auf die Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit beschränkt,
eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ableiten lassen könnte.
Schließlich hat der Kläger auch nicht aufgezeigt, inwiefern die Rechtssache besondere
tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des § 124 II Nr. 2 VwGO aufwerfen
könnte. Diese Voraussetzungen lägen nur dann vor, wenn die Rechtssache voraussichtlich
in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale
Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursachte. Hierfür sind keinerlei
Anhaltspunkte ersichtlich.
Der Berufungszulassungsantrag ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 II VwGO, wobei der Ausspruch zugunsten
der Beigeladenen, die einen Antrag gestellt und damit Kostenrisiken übernommen hat (vgl.
§ 154 III VwGO), sich aus § 162 III VwGO ergibt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 II, 52 I, 47 GKG 2004.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.