Urteil des OVG Saarland vom 20.12.2005

OVG Saarlouis: einstellung der bauarbeiten, grundstück, aufschiebende wirkung, teilung, offene bauweise, bebauungsplan, belichtung, ausführung, eigentümer, beschränkung

OVG Saarlouis Beschluß vom 20.12.2005, 2 W 33/05
Nachbarklage gegen Wohnbaugenehmigung
Leitsätze
Lassen sich die Erfolgsaussichten eines Nachbarrechtsbehelfs gegen eine Baugenehmigung
im Aussetzungsverfahren aufgrund der verfahrensformbedingt eingeschränkten
Erkenntnismöglichkeiten nicht abschließend positiv beurteilen, so ist für eine Anordnung der
kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212a Abs. 1
BauGB) ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung nur Raum, wenn die überschlägige
Rechtskontrolle zumindest gewichtige Zweifel an der nachbarrechtlichen Unbedenklichkeit
der angefochtenen Genehmigung ergibt.
Die Interpretation, dass eine so genannte "Familienheimklausel" in einem Bebauungsplan
nur die Errichtung eines (einzigen) entsprechenden Gebäudes je Grundstück zulässt, ist im
Hinblick auf die sich aus der insoweit überwiegend als abschließende Konkretisierung der
Festsetzungsmöglichkeit für "Familienheime" in § 9 Abs. 1 Nr. 1g) BBauG beziehungsweise
- seit der Novelle 1976 entsprechend - in § 9 Abs. 1 Nr. 6 BBauG angesehene Befugnis der
Gemeinden zur Beschränkung der Zahl der Wohnungen je Wohngebäude in § 3 Abs. 4
BauNVO 1962/68, die weitergehende planerische Anordnungen bezogen also auf die
Errichtung auf nur einem Grundstück jedenfalls nicht zuließ, zumindest bedenklich (hier mit
Blick auf eine beabsichtigte und im Beschwerdeverfahren eingeleitete Teilung des
Grundstücks durch den Bauherrn letztlich offen gelassen).
Alleiniger Beurteilungsgegenstand des Nachbarrechtsbehelfs ist das in der
Baugenehmigung beziehungsweise in den diese inhaltlich konkretisierenden genehmigten
Bauvorlagen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung darin enthaltender Grüneintragungen
der Bauaufsichtsbehörde, dargestellte Bauvorhaben. Das gilt auch für die sich aus dem
Lageplan ergebenden Grenzverläufe (§§ 3 Abs. 3 Nr. 3 BauVorlVO 1996/2004). Eine
inhaltliche Änderung der Genehmigungsentscheidung durch so genannte
Tekturgenehmigungen im Verlaufe des Nachbarrechtsbehelfsverfahrens ist in diesem und
daher auch im Beschwerdeverfahren gegen stattgebende Aussetzungsentscheidungen des
Verwaltungsgerichts zu berücksichtigen.
Betrifft eine Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) nicht nachbarschützende Festsetzungen eines
Bebauungsplans, hier über das Maß der baulichen Nutzung und die überbaubaren
Grundstücksflächen (Baugrenzen), so kann sich ein nachbarlicher Abwehranspruch allenfalls
über das Gebot nachbarlicher Rücksichtnahme in entsprechender Anwendung des § 15
Abs. 1 BauNVO unter Berücksichtigung der Interessenbewertung des § 31 Abs. 2 BauGB
ergeben. Eine rechtliche "Aufwertung" der Nachbarposition lässt sich daher über diesen
"Umweg" nicht über die objektiven Dispensvoraussetzungen begründen.
Auch wenn mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon auszugehen ist,
dass eine Verletzung des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots grundsätzlich unter
den Gesichtspunkten des "Einmauerns" beziehungsweise der "erdrückenden Wirkung" mit
Blick auf den Umfang eines Bauvorhabens selbst dann rechtlich nicht generell
ausgeschlossen ist, wenn die landesrechtlichen Vorschriften über die Grenzabstände, die
eine ausreichende Belichtung von Nachbargrundstücken sicherstellen und der Wahrung des
Nachbarfriedens dienen sollen, eingehalten sind, so kann dies jedoch nur in Ausnahmefällen
in Betracht kommen.
Die Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen für die Wahrung der ausreichenden
Belichtung eines Grundstücks fällt grundsätzlich in den Risiko- und Verantwortungsbereich
des Eigentümers. Dem Eigentümer eines Grundstücks in der Ortslage steht auch unter
dem Aspekt des Rücksichtnahmegebots kein Anspruch auf eine "unverbaute" Aussicht oder
auf eine generelle Vermeidung der Schaffung von Einsichtsmöglichkeiten auf sein
Grundstück zu. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz des Inhalts, dass der Einzelne einen
Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung seines Grundstückes als Folge der
Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung bewahrt zu werden.
Es gehört nicht zu den Aufgaben eines privaten Nachbarn, allgemein über die Einhaltung
des öffentlichen Baurechts zu "wachen" und jegliche Realisierung rechtswidriger
Bauvorhaben in der Nachbarschaft zu verhindern.
Tenor
Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts des
Saarlandes vom 30. September 2005 - 5 F 24/05 – abgeändert und die Anträge des
Antragstellers werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller. Außergerichtliche Kosten der
Beigeladenen im erstinstanzlichen Verfahren werden nicht erstattet.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks
Parzelle Nr. 95/1 in Flur 4 der Gemarkung B-Stadt. Er wendet sich gegen die Neubebauung
des früher mit einem bis auf die gemeinsame Grenze reichenden Gebäude bestandenen
rechtsseitigen Nachbargrundstücks (bisher Parzelle Nr. 97/8). Beide Grundstücke liegen im
Geltungsbereich des Bebauungsplans „G/Teilplan 1“ der Antragsgegnerin aus dem Jahre
1968, der unter anderem ein reines Wohngebiet und offene Bauweise festsetzt. Die
überbaubaren Grundstücksflächen werden durch vordere und hintere Baugrenzen
ausgewiesen. Im textlichen Teil der Festsetzungen wird unter Nr. 12 hinsichtlich
„überwiegend für die Bebauung mit Familienheimen vorgesehener Flächen“ auf den
„gesamten Geltungsbereich“ verwiesen.
Mit Bauschein vom 27.1.2004 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die
Baugenehmigung für den „Neubau von 2 Zweifamilienhäusern mit je 1 PKW-Garage“ auf
der Parzelle Nr. 97/8 im vereinfachten Genehmigungsverfahren (§ 67 LBO 1996). Durch
gesonderten Bescheid wurde eine Befreiung von den Festsetzungen der überbaubaren
Grundstücksflächen in dem Bebauungsplan wegen Überschreitung der vorderen und
hinteren Baugrenzen mit Balkonen gewährt. Nach den mit Genehmigungsvermerken
versehenen Bauvorlagen sollen die beiden Gebäude getrennt durch die aneinander
gebauten Garagen hintereinander dergestalt ausgeführt werden, dass die
Eingangsbereiche und die Zufahrten auf der dem Grundstück des Antragstellers
abgewandten Seite liegen. Beide Gebäude verfügen über ein Erd- und zwei Obergeschosse.
Das zur Wohnung im ersten Obergeschoss gehörende zweite Obergeschoss soll jeweils
zum Antragsteller hin zurückversetzt und mit einer vorgelagerten Terrasse ausgeführt
werden. Der Grenzabstand zum Grundstück des Antragstellers soll mindestens 3 m
betragen.
Nachdem Anfang Mai 2005 mit der Ausführung des Vorhabens begonnen worden war,
erhob der Antragsteller, dem die Baugenehmigung nach Aktenlage nicht bekannt gegeben
worden war, mit Eingang am 8.9.2005 Widerspruch. Zur Begründung wurde ein Verstoß
gegen die Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans, konkret die Beschränkung auf
die Errichtung von „Familienheimen“ und die Festsetzung über das zulässige Maß der
baulichen Nutzung durch Grundflächenzahl, geltend gemacht. Zudem liege eine Verletzung
des Rücksichtnahmegebots wegen einer „erdrückenden Wirkung“ vor.
Auf die Anträge des Antragstellers hin hat das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom
30.9.2005 – 5 F 24/05 – die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die
Baugenehmigung angeordnet und den Antragsgegner verpflichtet, die weitere Ausführung
des im Rohbau weitgehend realisierten Bauvorhabens sofort bis zur abschließenden
Entscheidung über den Rechtsbehelf zu unterbinden. In den Gründen ist ausgeführt, das
Vorhaben verstoße gegen die im Bebauungsplan enthaltene „Familienheimklausel“. Ein
Familienheim sei ein Grundstück mit einem Wohngebäude, das nicht mehr als zwei
Wohnungen aufweise. Demgegenüber wolle die Beigeladene zwei Gebäude auf einem
Grundstück errichten. Es spreche vieles dafür, dass die Familienheimfestsetzung als
Ausdruck der Art der baulichen Nutzung nachbarschützende Wirkung entfalte. Vor dem
Hintergrund sei es auch geboten, den Antragsgegner zur Einstellung der Bauarbeiten zu
verpflichten, um eine Fertigstellung des bereits weitgehend fortgeschrittenen
Bauvorhabens zu verhindern.
Mit Eingang am 10.10.2005 hat die Beigeladene Beschwerde gegen den Beschluss
eingelegt und vorgetragen, das äußere Erscheinungsbild der von ihr geplanten Bebauung
des Grundstücks stimme „voll und ganz“ mit den im Bebauungsplan zum Ausdruck
kommenden städtebaulichen Zielvorstellungen der Antragsgegnerin überein. Die
Familienheimklausel verbiete nicht die Errichtung eines zweiten Eigenheims auf einem
ausreichend großen Grundstück. Mit der Klausel habe die Satzungsgeberin das
städtebauliche Erscheinungsbild prägen wollen. Ihr sei es indes ersichtlich nicht darauf
angekommen, eine besonders aufgelockerte Bebauung zu erreichen, wie das Fehlen einer
Festsetzung über Mindestgrößen von Baugrundstücken zeige. Jedenfalls komme einer
Abweichung von der Grundstücksbezogenheit der Familienheimklausel in dem Fall keine
drittschützende Wirkung zu. Seit Aufhebung des II. Wohnungsbaugesetzes zum 1.1.2002
existiere ohnehin keine Legaldefinition des Familienheims mehr. Nach den baulichen
Gegebenheiten habe die Plangeberin diese gesetzliche Definition offensichtlich nicht im Blick
beziehungsweise anders verstanden gehabt.
Im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens hat die Beigeladene geänderte Pläne eingereicht,
wonach das Grundstück im Bereich zwischen den beiden Gebäuden beziehungsweise den
beiden diese verbindenden Garagen geteilt werden soll. Daraufhin hat die Antragsgegnerin
der Beigeladenen auf für beide Häuser getrennt gestellte Anträge hin durch Bescheide vom
13.10.2005 Befreiungen wegen einer Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten
Geschossflächenzahl sowie Abweichungen wegen geringfügiger Überlappung der
Abstandsflächen im Bereich der einander zugekehrten Außenwände der Gebäude erteilt.
Am 7.11.2005 wurde ferner ein für die gesonderte Erschließung des rückseitigen
Gebäudes nach der Teilung notwendiges Geh- und Fahrrecht in das Baulastenverzeichnis
eingetragen. Die Beigeladene weist ergänzend darauf hin, dass die Teilung von ihr in
Auftrag gegeben und die erforderliche Vermessung zwischenzeitlich auch ordnungsgemäß
durchgeführt worden sei. Sie – die Beigeladene - habe daher alles aus ihrer Sicht für die
Teilung Erforderliche getan.
Der Antragsteller verteidigt die angefochtene Entscheidung. Hier werde ein
Hinterliegergrundstück geschaffen, das mit der Gebietstypik nicht das Geringste zu tun
habe. Es werde auch „bestritten“, dass eine Teilung des Grundstücks so gestaltet werden
könne, dass die beiden Gebäude bauordnungsrechtlich, insbesondere mit Blick auf die
notwendigen Abstandsflächen, legal seien. Gegen die „Abmahnung“ (gemeint wohl:
Abmarkung) sei seinerseits Widerspruch erhoben worden. Der Beigeladenen gehe es um
die Schaffung vollendeter Tatsachen. Die Teilbarkeit von Eigentum könne keine
Auswirkungen auf den öffentlich-rechtlichen Charakter einer Festsetzung im Bebauungsplan
haben. Die Familienheimklausel sei im Sinne der erstinstanzlichen Entscheidung zu
verstehen, nicht eingehalten und vermittle ihm – dem Antragsteller – nachbarliche
Abwehransprüche gegen das Vorhaben.
Die Antragsgegnerin hat sich das Vorbringen der Beigeladenen zu eigen gemacht und
ferner ebenfalls darauf hingewiesen, dass im Umfeld des Vorhabens mehrere
Mehrfamilienhäuser mit teilweise deutlich mehr als zwei Wohnungen ausgeführt und auch
so genehmigt worden seien.
II. Die gemäß § 146 VwGO statthafte Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss
des Verwaltungsgerichts vom 30.9.2005 – 5 F 24/05 –, durch den dem Antrag auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die
Baugenehmigung vom 27.1.2004 für den „Neubau von 2 Zweifamilienhäusern mit je 1
PKW-Garage“ entsprochen und die Antragsgegnerin zur Einstellung der Bauarbeiten
verpflichtet wurde, ist begründet. Die nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den gerichtlichen
Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren bestimmende Beschwerdebegründung gebietet
eine abweichende Beurteilung des Eilrechtsschutzbegehrens des Antragstellers.
In derartigen Antragsverfahren nach den §§ 80a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1
VwGO ist Entscheidungskriterium für die Verwaltungsgerichte die mit den
Erkenntnismöglichkeiten des Eilverfahrens zu prognostizierende Erfolgsaussicht des jeweils
„in der Hauptsache“ eingelegten Nachbarrechtsbehelfs. Entscheidend ist daher die Frage
des Vorliegens einer für den Erfolg des Nachbarwiderspruchs oder gegebenenfalls einer
anschließenden Anfechtungsklage des Antragstellers unabdingbaren Verletzung seinem
Schutz dienender Vorschriften des öffentlichen Rechts nach Maßgabe der im Zeitpunkt der
Erteilung der umstrittenen Baugenehmigung noch geltenden §§ 77 Abs. 1 Satz 1, 67 Abs.
2 LBO 1996 durch die Baugenehmigung (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Lassen sich die
Erfolgsaussichten im Aussetzungsverfahren aufgrund der verfahrensformbedingt
eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten nicht abschließend positiv beurteilen, so ist für
eine Anordnung der kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
VwGO, 212a Abs. 1 BauGB) ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung eines
Nachbarrechtsbehelfs gegen eine Baugenehmigung nur Raum, wenn die überschlägige
Rechtskontrolle zumindest gewichtige Zweifel an der nachbarrechtlichen Unbedenklichkeit
der angefochtenen Genehmigung ergibt. Davon kann nach dem Ergebnis des
Beschwerdeverfahrens nicht ausgegangen werden.
Eine solche ernstzunehmende Möglichkeit des Vorliegens einer Verletzung subjektiver
Nachbarrechte des Antragstellers durch die streitige Baugenehmigung wurde vom
Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss unter Hinweis auf die Nichtbeachtung
der im Textteil des Bebauungsplans „G/Teilplan 1“ unter Nr. 12 enthaltenen
„Familienheimklausel“ und sich hieraus voraussichtlich ergebender nachbarlicher
Abwehrrechte des Antragstellers bejaht, da sowohl der Begriff des Eigenheims als auch
derjenige des Wohneigenheims nach § 9 II. WoBauG die Errichtung (nur) einer solchen
Anlage auf einem Grundstück umfasse. Diese Interpretation der Festsetzung erscheint
nicht unproblematisch. Insoweit wurde die Befugnis der Gemeinden zur Beschränkung der
Zahl der Wohnungen je Wohngebäude in § 3 Abs. 4 BauNVO 1962/68 überwiegend als
abschließende Konkretisierung der Festsetzungsmöglichkeit für „Familienheime“ in § 9 Abs.
1 Nr. 1g) BBauG beziehungsweise – seit der Novelle 1976 entsprechend - in § 9 Abs. 1 Nr.
6 BBauG angesehen. Die Vorschrift ließ weitergehende planerische Anordnungen der
angenommenen Art, bezogen also auf die Errichtung auf nur einem Grundstück, jedenfalls
nicht zu. Die bisherige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes betraf
ersichtlich ausschließlich die Frage der Zulässigkeit der Errichtung von Mehrfamilienhäusern
auf einem einzigen von derartigen Ausweisungen betroffenen Grundstück.
Die Richtigkeit des angegriffenen Beschlusses in diesem Punkt bedarf aber aus Anlass der
Entscheidung über die Beschwerde der Beigeladenen keiner abschließenden Betrachtung
mehr. Zum einen ist alleiniger Beurteilungsgegenstand des Nachbarrechtsbehelfs das in
der Baugenehmigung beziehungsweise in den diese inhaltlich konkretisierenden
genehmigten Bauvorlagen dargestellte Bauvorhaben. Das gilt auch für die sich aus dem
Lageplan ergebenden Grenzverläufe (§§ 3 Abs. 3 Nr. 3 BauVorlVO 1996/2004). Zum
anderen ist eine inhaltliche Änderung der Genehmigungsentscheidung durch so genannte
Tekturgenehmigungen im Verlaufe des Nachbarrechtsbehelfsverfahrens, und daher
insbesondere auch im Beschwerdeverfahren gegen stattgebende
Aussetzungsentscheidungen des Verwaltungsgerichts, zu berücksichtigen. Das hat zur
Folge, dass nach der zwischenzeitlich vom Antragsgegner auf Antrag der Beigeladenen
zugelassenen „Tektur“ der Pläne „zum Bauschein Nr. 268/03“ von einer Teilung der
bisherigen Parzelle Nr. 97/8 und der Errichtung der beiden Gebäude auf getrennten
Parzellen auszugehen ist, ohne dass es – mit Blick auf die erwähnte Maßgeblichkeit der
Pläne – für die vorliegende Entscheidung darauf ankäme, ob die Teilung katastermäßig
bereits vollzogen wurde oder noch aussteht. Entscheidend ist vielmehr, ob die
Genehmigung mit dem Inhalt, den sie durch die genannte Tektur erhalten hat – wie
eingangs ausgeführt – zumindest gewichtigen Zweifeln hinsichtlich ihrer nachbarrechtlichen
Unbedenklichkeit unterliegt. Das ist zu verneinen. Dass sich ein solcher
Nachbarrechtsverstoß nicht – zumindest nicht mehr – aus der im einschlägigen
Bebauungsplan enthaltenen Festsetzung über die Zulässigkeit (nur) von „Familienheimen“
ergibt, folgt ohne weiteres aus dem zuvor Gesagten. Die beiden genehmigten Gebäude
weisen nicht mehr als (je) zwei Wohnungen auf.
Auch ansonsten ergeben sich insbesondere unter Berücksichtigung des weiteren
Vorbringens des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren keine durchgreifenden
Anhaltspunkte dafür, dass das von der Antragsgegnerin zugelassene Bauvorhaben gegen
dem Schutz des Antragstellers dienende Vorschriften aus dem Prüfungskatalog des
vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach § 67 Abs. 2 LBO 1996 verstößt. Der
Antragsteller leitet in der Antragsbegründung eine Verletzung seiner Rechte vor allem aus
einer Nichtbeachtung für das Bauvorhaben des Beigeladenen geltender
bauplanungsrechtlicher Anforderungen (§ 67 Abs. 2 Nr. 1 LBO 1996) ab.
Eine Missachtung nachbarschützender Festsetzungen des Bebauungsplans, von dessen
Wirksamkeit mangels evidenter Gültigkeitsmängel zumindest im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren auszugehen ist, kann nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nicht
angenommen werden. Insbesondere für die von dem Antragsteller als verletzt gerügten
Festsetzungen über das zulässige Maß der baulichen Nutzung (§ 16 BauNVO), hier
insbesondere der „Grundflächenzahl“, beziehungsweise der nach dem Befreiungsbescheid
der Antragsgegnerin vom 13.10.2005 überschrittenen Geschossflächenzahl oder auch
bezogen auf die im neuesten Schriftsatz seitens des Antragstellers mit Blick auf das 2.
Obergeschoss ebenfalls als nicht eingehalten angesehene Festsetzung der
Vollgeschosszahl besteht – anders als in Ansehung der Bestimmung der jeweils zulässigen
Art baulicher Nutzung – keine bundesrechtliche Bindung der Gemeinden im Sinne einer
Pflicht zu nachbarschützender Ausgestaltung. Daher kann aus einer Nichtbeachtung solcher
Festsetzungen nur dann ein subjektives nachbarliches Abwehrrecht gegen ein Bauvorhaben
hergeleitet werden, wenn dem jeweiligen Bebauungsplan (§ 10 BauGB) ein ausdrücklich
erklärter oder zumindest aus den Planunterlagen oder der Planzeichnung unzweifelhaft
erkennbarer dahingehender Regelungswille der Gemeinde entnommen werden kann. Dafür
geben hier weder die Planzeichnung noch die zugehörige Begründung etwas her. In
letzterer wird lediglich feststellend ausgeführt, dass das Maß der baulichen Nutzung durch
die im Plan festgesetzten Geschoss-, Grundflächen- und Geschossflächenzahlen bestimmt
werde. Diese Formulierung lässt nicht darauf schließen, dass die Satzungsgeberin über
allgemein städtebauliche Zielsetzungen hinaus im Einzelfall auch die Rechtsstellung von
Grundstücksnachbarn zu deren Gunsten mitgestalten wollte.
Vor diesem Hintergrund spielt es für den Ausgang des vorliegenden Nachbarstreits keine
Rolle, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung (§ 31 Abs. 2
BauGB) von der Einhaltung der Festsetzung der festgesetzten Geschossflächenzahl
vorlagen. Betrifft ein Befreiungserfordernis nicht nachbarschützende Festsetzungen eines
Bebauungsplans, so kann sich ein nachbarlicher Abwehranspruch (allenfalls) über das
Gebot nachbarlicher Rücksichtnahme in entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 1
BauNVO unter Berücksichtigung der Interessenbewertung des § 31 Abs. 2 BauGB ergeben.
Eine rechtliche „Aufwertung“ der Nachbarposition lässt sich daher über diesen „Umweg“
nicht begründen.
Hinsichtlich ihrer Relevanz für die subjektive Rechtsposition des Nachbarn gilt
Entsprechendes für die Frage der Einhaltung der hier im Wege von Baugrenzenfestlegung
vorgenommenen Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche (§ 23 BauNVO) und die
insoweit zugelassene „Überschreitung der vorderen und rückseitigen Baugrenze durch die
Balkone“. Auch die Festsetzung von Baugrenzen nach § 23 Abs. 3 BauNVO entfaltet
regelmäßig allein städtebauliche Wirkungen. Sie begründet kein für die Anerkennung
subjektiver Abwehransprüche privater Dritter gegen ein Bauvorhaben bedeutsames
(gegenseitiges) Austauschverhältnis unter den Eigentümern von derartigen planerischen
Festsetzungen betroffener Grundstücke. Ergänzend sei erwähnt, dass es sich vorliegend –
da keine seitlichen Baugrenzen festgesetzt wurden - nur um eine Überschreitung einer
vorderen beziehungsweise einer rückwärtigen Baugrenze handeln kann, die notwendig
keine zusätzliche bauliche Annäherung an das seitlich anschließende Grundstück des
Antragstellers beinhaltet. Die fraglichen „über Eck“ angeordneten Balkone im ersten
Obergeschoss vollziehen in diese Richtung die durch die Gebäudeaußenwand vorgegebene
Flucht nach und führen daher nicht zu einem weiteren Herantreten des Gebäudes an die
gemeinsame Grenze. Unter dem Aspekt spricht daher gegenwärtig ebenfalls nichts für
einen nachbarlichen Abwehranspruch des Antragstellers.
Ein solcher könnte sich davon ausgehend in bauplanungsrechtlicher Hinsicht allenfalls unter
dem Gesichtspunkt des Gebots nachbarlicher Rücksichtnahme ergeben, das für qualifiziert
beplante Bereiche dem § 15 BauNVO entnommen wird und eine gegenseitige
Interessenabwägung unter Zumutbarkeits- und Billigkeitsgesichtspunkten erfordert. Die
Annahme einer Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens gegenüber dem Antragsteller und
damit eine subjektive Rechtsverletzung seinerseits erscheint zumindest sehr
unwahrscheinlich, wenngleich eine abschließende Beurteilung dieser Frage regelmäßig nicht
ohne Verschaffung eines Eindrucks von der Situation vor Ort möglich ist. Auch wenn mit
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon auszugehen ist, dass eine
Verletzung des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots grundsätzlich unter den
Gesichtspunkten des „Einmauerns“ beziehungsweise der von dem Antragsteller geltend
gemachten „erdrückenden Wirkung“ mit Blick auf den Umfang eines Bauvorhabens selbst
dann rechtlich nicht generell ausgeschlossen ist, wenn – was der Antragsteller auch im
Beschwerdeverfahren nicht in Abrede stellt - die landesrechtlichen Vorschriften über die
Grenzabstände, die eine ausreichende Belichtung von Nachbargrundstücken sicherstellen
und der Wahrung des Nachbarfriedens dienen sollen, eingehalten sind, so kann dies jedoch
nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Das Vorliegen einer solchen Sondersituation ist
hier nach Aktenlage zumindest unwahrscheinlich.
Die Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen für die Wahrung der ausreichenden
Belichtung eines Grundstücks fällt grundsätzlich in den Risiko- und Verantwortungsbereich
des Eigentümers, und die sich diesbezüglich aus der eigenen Grundstücks- und
Bebauungssituation ergebenden Defizite können nicht auf den Bauherrn durch
Einschränkung der Bebauungsmöglichkeiten eines Nachbargrundstücks verlagert werden.
Dass dem Eigentümer eines Grundstücks in der Ortslage kein Anspruch auf eine
„unverbaute“ Aussicht oder – was die auf der dem Anwesen des Antragstellers
zugewandten Seite des Bauvorhabens geplanten Balkone und Terrassen angeht - auf eine
generelle Vermeidung der Schaffung von Einsichtsmöglichkeiten auf sein Grundstück
zusteht, bedarf keiner Vertiefung. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots lässt sich
ferner nicht aus der Anzahl der zu schaffenden Wohnungen herleiten. Schließlich gibt es
keinen allgemeinen Grundsatz des Inhalts, dass der Einzelne einen Anspruch darauf hat,
vor jeglicher Wertminderung seines Grundstückes als Folge der Ausnutzung der einem
Dritten erteilten Baugenehmigung bewahrt zu werden. Insgesamt erscheint auch eine
Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers wegen eines Verstoßes gegen das Gebot
nachbarlicher Rücksichtnahme daher fern liegend, zumal die Parzelle Nr. 97/8 nach
Aktenlage bereits früher mit einem größeren, von der Bautiefe vollständig hinter dem
Wohnhaus des Antragstellers befindlichen und sogar unmittelbar mit dem Giebel auf der
gemeinsamen Grenze stehenden Haus bebaut gewesen ist.
Es gehört schließlich nach dem eingangs Gesagten sicher nicht zu den Aufgaben eines
privaten Nachbarn, allgemein über die Einhaltung des öffentlichen Baurechts zu „wachen“
und jegliche Realisierung rechtswidriger Bauvorhaben in der Nachbarschaft zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund kann es vorliegend entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht
entscheidend sein, ob nach der vorgesehenen Grundstücksteilung beziehungsweise der
neuen Grenzziehung im Bereich der zwischen den beiden Häusern liegenden Garagen im
Verhältnis der Anlagen untereinander die erforderlichen Abstandsflächen freigehalten
werden beziehungsweise, ob hinsichtlich der im Bescheid der Antragsgegnerin vom
13.10.2005 angesprochenen geringfügigen Überdeckung der Abstandsflächen „A 8“ um
0,10 m (§§ 6 Abs. 3 LBO 1996, 7 Abs. 3 LBO 2004) die objektiven Voraussetzungen für
die Zulassung einer Abweichung (§ 68 LBO 2004) vorlagen oder nicht. Ein irgendwie
gearteter Bezug dieser vor den vom Grundstück des Antragstellers abgewandten
Garageneinfahrten befindlichen Abstandsflächen zu seiner subjektiven Rechtsstellung bleibt
unerfindlich. Dass die notwendigen Abstandsflächen in Richtung auf die gemeinsame
Grenze der privaten Beteiligten nicht auf den Baugrundstücken lägen oder die von der
Beigeladenen errechneten Abstandserfordernisse am Maßstab des § 6 Abs. 5 LBO 1996
beziehungsweise des § 7 Abs. 5 LBO 2004 insoweit unzureichend wären, wird vom
Antragsteller selbst nicht geltend gemacht.
Muss daher insgesamt das Aussetzungsbegehren des Antragstellers erfolglos bleiben, so
ist für die von ihm weiter begehrte Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Einstellung der
Bauarbeiten (§ 81 Abs. 1 LBO 2004) kein Raum. Eine von der Genehmigung abweichende
Ausführung des Vorhabens macht der Antragsteller nicht geltend. Zweifel an der
Ernsthaftigkeit der Absicht der Beigeladenen zur Teilung des Grundstücks bestehen nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO. Für einen Ausspruch nach §
162 Abs. 3 VwGO mit Blick auf die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im
erstinstanzlichen Verfahren bestand keine Veranlassung. Sie hatte beim
Verwaltungsgericht keinen Antrag gestellt und damit keine Kostenrisiken übernommen (§
154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3, 52 Abs. 1,
47 GKG. Dabei ist für das auf die Wohnbaugenehmigung bezogene
Drittanfechtungsbegehren des Antragstellers in Anlehnung an die Teilziffer 9.7.1. des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Hauptsache ein Wert in Höhe
von 7.500,- EUR in Ansatz zu bringen, der für das Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes zu halbieren war.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar.