Urteil des OVG Saarland vom 14.05.2008
OVG Saarlouis: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, entziehung, psychologisches gutachten, ärztliches gutachten, kokain, fahreignung, cannabis, entziehen, gleichbehandlung
OVG Saarlouis Beschluß vom 14.5.2008, 1 B 191/08
Entziehung der Fahrerlaubnis bei einmaligem Konsum so genannter harter Drogen (hier:
Kokain); Streitwert bei Entziehung von mehreren Fahrerlaubnisklassen
Leitsätze
Bereits die einmalige Einnahme so genannter harter Drogen schließt im Regelfall die
Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus.
In diesen Fällen ist die Fahrerlaubnis, soweit keine die Regelannahme entkräftigenden
Umstände vorliegen, ohne weitere Begutachtung zu entziehen.
Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis für mehrere Klassen richtet sich der Streitwert
grundsätzlich nach dem im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit
empfohlenen Ansatz für die höchstbewertete Klasse. Im Falle der Entziehung einer
Fahrerlaubnis "für alle Klassen bis C1E" ist der Auffangwert für die Klasse C1 um den
halben Auffangwert für die nicht selbständig erteilte, mit der Klasse C1 verbundene Klasse
E zu erhöhen.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 1.
April 2008 - 10 L 147/08 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und in Abänderung des vorgenannten
Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes auch für das erstinstanzliche
Verfahren auf 3.750,-- EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde gegen den im Tenor genannten Beschluss des
Verwaltungsgerichts des Saarlandes, mit dem der Antrag des Antragstellers auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die für sofort
vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Bescheid des Antragsgegners
vom 15.01.2008 abgelehnt worden ist, ist nicht begründet.
Die von dem Antragsteller in der Beschwerdebegründung vom 30.04.2008 dargelegten
Gründe, die allein der Senat zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben keine
Veranlassung, die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern.
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung schließt bereits der einmalige
Konsum so genannter harten Drogen, zu denen Kokain gehört, im Regelfall die Eignung
zum Führen von Kraftfahrzeugen aus. Dies ergibt sich aus Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV.
Dort ist der Erfahrungssatz zum Rechtssatz erhoben, dass die Einnahme von
Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes regelmäßig die Fahreignung
ausschließt. Wie die in Ziffer 9.2 der Anlage 4 zur FeV allein für Cannabis vorgenommene
Differenzierung zwischen regelmäßiger und gelegentlicher Einnahme zeigt, gilt Ziffer 9.1 für
jeglichen Fall der Einnahme eines anderen Betäubungsmittels als Cannabis
so schon OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 30.03.2006 - 1 W
8/06 - und vom 22.12.2004 - 1 W 42/04 -, ebenso Hamburgisches
OVG, Beschlüsse vom 20.11.2007 - 3 So 147/06 -, NJW 2008,
1465, und vom 24.01.2007 - 3 Bs 300/06 -, und Bayerischer VGH,
Beschluss vom 21.12.2006 - 11 Cs 06.1264 -, die beiden zuletzt
genannten Beschlüsse zitiert nach Juris.
Diese Systematik spricht auch gegen die in der Beschwerde vertretene Ansicht, unter
„Einnahme“ sei ein gegenwärtig anhaltendes und in die Zukunft zielendes
Konsumverhalten zu verstehen. Sowohl der Begriff „Einnahme“ als auch der Begriff
„Konsum“ umfassen dem Wortsinn nach auch das einmalige Zusichnehmen von
Betäubungsmitteln. Der Verordnungsgeber stellt in Ziffer 9.1 der Anlage 4 im Hinblick auf
harte Drogen - anders als bei Cannabis - allein auf die Einnahme als solche und nicht auf
deren Häufigkeit ab. Die hierin zum Ausdruck kommende Strenge ist in der Aufnahme des
jeweiligen Betäubungsmittels in den Katalog des Betäubungsmittelgesetzes begründet, die
wegen der besonderen Gefährlichkeit im Falle der Einnahme erfolgt ist
vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 24.01.2007, a.a.O..
Die Fehlhaltung und die Willensschwäche, die zum Drogenkonsum führt, und der damit
einhergehende Kontrollverlust sind die Gründe, aus denen der Verordnungsgeber in Ziffer
9.1 der Anlage 4 zur FeV bei harten Drogen generell und bereits bei einmaliger Einnahme
von fehlender Fahreignung ausgeht. So sind beispielsweise für die Wirkung von Kokain eine
Verminderung der Kritikfähigkeit sowie des Vorsichts- und Sorgfaltsverhaltens, gepaart mit
Euphorie, gesteigertem Antrieb und Gefühlen von Dominanz und Überlegenheit
charakteristisch
vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 21.12.2006, a.a.O. mit
entsprechendem Nachweis.
Bereits die einmalige Einnahme von Kokain hat demnach den Verlust der Fahreignung zur
Folge, weil sie zu einer signifikanten Erhöhung der Straßenverkehrsgefährdung führt.
Ausgehend hiervon kann sich der Antragsteller nicht mit Erfolg darauf berufen, es liege eine
ungerechtfertigte Gleichbehandlung zwischen Personen wie ihm, die lediglich einmal Kokain
zu sich genommen hätten, und solchen Personen mit einem regelmäßigen
Konsumverhalten bzw. einer Abhängigkeit vor. Diese Gleichbehandlung findet ihren
rechtfertigenden Grund in der Gefährlichkeit der Einnahme harter Drogen. Es ist jederzeit
möglich, dass der Betreffende im Zustand drogenbedingt reduzierter Steuerungsfähigkeit
am Straßenverkehr teilnimmt. Der damit einhergehenden Straßenverkehrsgefährdung kann
wirksam nur durch eine Entziehung der Fahrerlaubnis begegnet werden. Dem in Art. 20
Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird dadurch Genüge getan,
dass die Bewertung der fehlenden Fahreignung bei Einnahme von Betäubungsmitteln nach
dem Betäubungsmittelgesetz (ausgenommen Cannabis) nach der Vorbemerkung 3 der
Anlage 4 zur FeV nur für den Regelfall gilt
vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 21.12.2006, a.a.O..
Soweit der Antragsteller in der Beschwerde geltend macht, es sei versäumt worden, ein
Gutachten nach der Vorbemerkung 2 der Anlage 4 zur FeV einzuholen, vermag sich der
Senat dem nicht anzuschließen. Diese Vorbemerkung bezieht sich generalisierend auf
sämtliche in der Anlage 4 zur FeV aufgeführten "Krankheiten, Mängel", wesentlich daher
auch auf die dort aufgezählten Krankheiten einschließlich psychischer Störungen und hat
diejenigen Fälle im Blick, in denen die beschriebenen Mängel nicht eindeutig feststehen,
sondern erst durch ärztliche oder medizinisch-psychologische Gutachten festgestellt
werden müssen, wenn nämlich Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die
Eignung begründen (§§ 11 Abs. 2, 13, 14, 46 Abs. 3 FeV). Das meint die Vorbemerkung 2
zur Anlage 4 FeV, wenn darin ausgeführt wird, Grundlage der Beurteilung, ob im Einzelfall
Eignung oder bedingte Eignung vorliegt, sei in der Regel ein ärztliches Gutachten (§ 11 Abs.
2 Satz 3 FeV), in besonderen Fällen ein medizinisch-psychologisches Gutachten (§ 11 Abs.
3) oder ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den
Kraftfahrzeugverkehr (§ 11 Abs. 4 FeV). Steht aber der in der Anlage 4 beschriebene
Mangel fest, dann hat sich der Fahrerlaubnisinhaber als ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen erwiesen und ihm ist die Fahrerlaubnis ohne Anordnung der
Gutachtenbeibringung zu entziehen (§§ 11 Abs. 7, 46 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV)
so schon OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 30.03.2006 - 1 W
8/06 - und vom 22.12.2004 - 1 W 42/04 -; ebenso Hamburgisches
OVG, Beschluss vom 24.01.2007 - 3 Bs 300/06 -, zitiert nach juris,
und Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 16.06.2003 - 12 ME
172/03 -, ZfS 2003, 476; anderer Ansicht (damit allerdings - soweit
ersichtlich - allein stehend in der obergerichtlichen Rechtsprechung)
Hessischer VGH, Beschluss vom 14.01.2002 - 2 TG 3008/01 -, ZfS
2002, 599.
Schließt mithin bereits der einmalige Konsum von so genannten harten Drogen wie Kokain
im Regelfall die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus, so ist in diesen Fällen die
Fahrerlaubnis auf der Grundlage der §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m.
Ziffer 9.1 der Anlage 4 zu dieser Verordnung ohne weitere Begutachtung zu entziehen.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass im Falle des Antragstellers
keine die Regelannahme entkräftigenden Umstände vorliegen.
Die vom Verwaltungsgericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO zu Lasten des
Antragstellers vorgenommene Interessenabwägung ist vor dem Hintergrund der mit großer
Wahrscheinlichkeit rechtmäßigen Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Bescheid des
Antragsgegners vom 15.01.2008 unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr
angesichts der hohen Bedeutung der Sicherheit des Straßenverkehrs auch unter
Berücksichtigung dessen, dass der Antragsteller seinem Vorbringen zufolge als
Berufskraftfahrer auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist, nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Streitwert wird gemäß den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 GKG unter
Berücksichtigung der Empfehlungen in den Nrn. 1.5, 46.5 und 46.8 des Streitwertkatalogs
für die Verwaltungsgerichtsbarkeit
Fassung 7/2004, abgedruckt u.a. in NVwZ 2004, 1327 ff.,
auf 3.750,-- EUR festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Senats richtet sich der
Streitwert bei der Entziehung der Fahrerlaubnis für mehrere Klassen - der Antragsteller
besitzt die Fahrerlaubnis für alle Klassen bis C1E - nach dem in dem genannten Katalog
empfohlenen Ansatz für die höchstbewertete Klasse
vgl. Beschlüsse vom 26.02.2008 - 1 B 18/08 -, vom 09.02.2007 - 1
W 48/06 - und vom 01.08.2005 - 1 Q 2/05 -.
Daher ist zunächst der Auffangwert für die Klasse C1 zugrunde zu legen. Dieser Wert ist
zusätzlich um den halben Auffangwert für die nicht selbständig erteilte, sondern mit der
Klasse C1 verbundene Klasse E zu erhöhen
vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 08.03.2006 - 12 ME
8/06 -, zitiert nach Juris.
Der sich daraus ergebende Betrag von 7.500,-- EUR ist für das Eilverfahren zu halbieren.
Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Festsetzung für das erstinstanzliche
Verfahren ist entsprechend anzupassen (§ 63 Abs. 3 GKG).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.