Urteil des OVG Saarland vom 17.10.2006

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OVG Saarlouis Beschluß vom 17.10.2006, 2 Q 25/06
Zur Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs 5 AufenthG 2004
Leitsätze
Ob ein kranker Ausländer nach einer Rückkehr in seine Heimat (hier: Kosovo) dort auf eine
ausreichende Behandlungsmöglichkeit zurückgreifen kann, stellt eine andere Frage dar, die
bei ehemaligen Asylbewerbern wegen der Bindungswirkung der Entscheidung des
Bundesamts zum Fehlen zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse (§ 53 Abs. 6 AuslG,
heute entsprechend: § 60 Abs. 7 AufenthG) einer eigenständigen Beurteilung durch die
Ausländerbehörde entzogen ist.
Das Gehörsgebot schützt einen Verfahrensbeteiligten nicht vor jeder nach seiner Meinung
unrichtigen Ablehnung eines von ihm in mündlicher Verhandlung gestellten Beweisantrags.
Vielmehr kann eine Verletzung des Prozessgrundrechts (Art. 103 Abs. 1 GG) erst dann
angenommen werden, wenn die Ablehnung des Antrags unter keinem denkbaren
Gesichtspunkt mehr eine Stütze im Prozessrecht findet, sich das Gericht mit dem
Vorbringen eines Beteiligten in völlig unzulänglicher Form auseinandergesetzt hat und die
Ablehnung des Beweisersuchens daher erkennbar willkürlich erscheint.
Der Begriff der Ausreise in § 25 Abs. 5 AufenhtG entspricht demjenigen in § 25 Abs. 3
AufenthG. Ein Ausreisehindernis in dem Sinne liegt nicht vor, wenn zwar eine Abschiebung
des Ausländers nicht möglich ist, seine freiwillige Ausreise indes in Betracht kommt und
individuell zumutbar erscheint. Eine Ausreise ist im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG
daher erst dann aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn sowohl einer Abschiebung des
Ausländers als auch der freiwilligen Ausreise rechtliche Hindernisse entgegenstehen, die
eine Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen.
Von einer abgeschlossenen "gelungenen" Integration eines Ausländers in die
Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines
rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK
("Privatleben") ist, kann nicht bereits deswegen ausgegangen werden, weil dieser sich eine
bestimmte Zeit im Aufnahmeland aufgehalten haben. Eine Aufenthaltsbeendigung kann
vielmehr nur dann einen konventionswidrigen Eingriff in das "Privatleben" im Verständnis
des Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren)
Aufenthalts über "starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte" zum
"Aufnahmestaat" verfügt, so dass er aufgrund der Gesamtentwicklung "faktisch zu einem
Inländer" geworden ist, dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem
Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings
nicht mehr zugemutet werden kann.
Hierbei kann keine isolierte Betrachtung allein des Integrationsgrades von ganz
beziehungsweise weit überwiegend in Deutschland aufgewachsenen minderjährigen
Kindern vorgenommen werden, um einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu begründen, da bei ihnen von einer darüber hinaus zu
fordernden (eigenen) dauerhaften wirtschaftlichen Integration in aller Regel nicht
ausgegangen werden kann. Insofern sind die tatsächlichen und rechtlichen
Lebensverhältnisse der unterhaltspflichtigen Eltern in den Blick zu nehmen.
Die Anwendbarkeit des § 37 AufenthG setzt bereits begrifflich („Wiederkehr“) und nach
dem eindeutigen Wortlaut im Tatbestand eine vorherige „Ausreise“ des Ausländers voraus.
Tenor
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 3. Mai 2006 - 10 K 94/05 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens tragen die Kläger.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 25.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Kläger sind albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo und wenden sich gegen die
Versagung von Aufenthaltserlaubnissen für die Bundesrepublik Deutschland durch den
Beklagten. Die Kläger zu 1) und 2) sind Eheleute; bei den Klägern zu 3) bis 5) handelt es
sich um gemeinsame Kinder.
Die Kläger zu 1) bis 3) reisten im Jahr 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ein
unmittelbar nach der Einreise eingeleitetes (erstes) Asylverfahren, in das auch der
inzwischen in Deutschland geborene Kläger zu 4) einbezogen worden war, blieb – ebenso
wie ein Folgeverfahren - erfolglos.
Auf einen für den 1996 in A-Stadt geborenen Kläger zu 5) gestellten Antrag hin wurde das
Bundesamt vom Verwaltungsgericht verpflichtet, diesen als Asylberechtigten
anzuerkennen. Der entsprechende Anerkennungsbescheid wurde vom Bundesamt im
Dezember 2000 widerrufen. Rechtsbehelfe hiergegen blieben ebenso ohne Erfolg wie ein
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen den im Jahr
2004 erfolgten Widerruf der Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu 5).
Mit Schreiben vom 14.12.2004 stellten die Kläger nicht näher begründete Anträge auf
Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen, die der Beklagte mit Bescheid vom 11.5.2005
ablehnte. In der Begründung heißt es nach einem Hinweis auf die nunmehrige
Einschlägigkeit allein des § 25 Abs. 5 AufenthG, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
komme nicht in Betracht, da der Erfüllung der bestehenden Ausreisepflichten der Kläger
weder rechtliche noch tatsächliche Hindernisse entgegenstünden.
Den dagegen erhobenen Widerspruch der Kläger wies der Beklagte durch
Widerspruchsbescheid vom 4.10.2005 zurück. Hierin ist unter anderem ausgeführt, die
Kläger bedürften zur Rückkehr in den Kosovo keiner von der serbisch-montenegrinischen
Vertretung in Deutschland ausgestellter Nationalpässe. Die Staatsgewalt im Kosovo werde
faktisch von der UNMIK ausgeübt. Rückkehr und Zwangsrückführungen seien mit dem so
genannten „EU-Laissez-Passer“ jederzeit möglich. Im Übrigen hätten sich die Kläger
spätestens seit dem Widerruf der Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu 5) auf eine Rückkehr
in die Heimat einstellen können und müssen.
Mit der dagegen erhobenen Klage haben die Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, bei
der Frage der Ausreisemöglichkeit sei auch die subjektive Zumutbarkeit in die Betrachtung
einzustellen, in deren Rahmen wiederum sämtliche schutzwürdigen Belange des
betroffenen Ausländers zu berücksichtigen seien. In ihrem Fall sei auf den langjährigen
Aufenthalt und die damit erfolgte Integration in hiesige Lebensverhältnisse hinzuweisen.
Eine Unzumutbarkeit der Ausreise ergebe sich im Fall des Klägers zu 1) auch aus der bei
ihm inzwischen festgestellten endogenen paranoid-halluzinatorischen Psychose.
Einen von den Klägern in der mündlichen Verhandlung am 3.5.2006 gestellten
Beweisantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis
der Tatsache, dass eine Abschiebung des Klägers zu 1) bei diesem zu einer „akuten
psychischen Dekompensation“ und damit zu „schweren gesundheitlichen Schäden“ führen
würde, hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die fehlende
Entscheidungserheblichkeit abgelehnt. Ein Abschiebungshindernis reiche nicht aus, um eine
Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG festzustellen, da die
Vorschrift „weiterhin die Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise voraussetze“.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 3.5.2006 abgewiesen. In den
Entscheidungsgründen heißt es, eine Ausreise sei nur dann im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz
1 AufenthG unmöglich, wenn sowohl die freiwillige Ausreise als auch eine zwangsweise
Rückführung nicht möglich sei. Das sei bei den Klägern nicht der Fall. Soweit der Kläger zu
1) sich darauf berufe, dass er an einer im Kosovo nicht behandelbaren Psychose leide,
mache er zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse geltend, über die allein das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, nicht dagegen der Beklagte, zu befinden habe.
Eine durch die Erkrankung bedingte Reiseunfähigkeit sei nicht nachgewiesen. Ob die
Zumutbarkeit der Ausreise trotz fehlender Anknüpfung im Gesetzeswortlaut zu
berücksichtigen sei, sei fraglich. Das könne sich im Lichte der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 Abs. 1 EMRK ergeben, setze aber
jedenfalls eine vollständige Integration der Kläger in das hiesige wirtschaftlich-kulturelle und
gesellschaftliche Leben im Sinne einer „Verwurzelung“ voraus. Die liege bei den Klägern
nicht vor. Nach dem Gesamtvorbringen und dem persönlichen Eindruck in der mündlichen
Verhandlung könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger, die ihre Duldungen
seit Jahren allein von dem Kläger zu 5) abgeleitet hätten, besonders schutzwürdige
Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland entwickelt hätten. Dabei sei
schwerpunktmäßig auf die Kläger zu 1) und 2) abzustellen, die sich trotz entsprechenden
Bemühens wirtschaftlich und beruflich nicht in die hiesigen Lebensverhältnisse hätten
eingliedern können, was unerlässliches Merkmal für eine erfolgreiche Integration sei. Sie
bezögen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Langjähriger Aufenthalt sowie
zufrieden stellende schulische Leistungen und Sprachkenntnisse der Kläger zu 3) bis 5)
genügten nicht, um die fehlenden wirtschaftlichen Integrationsleistungen zu kompensieren.
Ungeachtet der unterschiedlichen Lebensverhältnisse und Sozialstandards sei den Klägern
eine Rückkehr und Wiedereingliederung in den Familienverband im Kosovo möglich.
Gegen dieses Urteil haben die Kläger die Zulassung der Berufung beantragt.
II.
Der Antrag der Kläger, die in der Antragsschrift erstmals und nicht nachvollziehbar als
„bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige“ bezeichnet werden, auf Zulassung der
Berufung (§§ 124a Abs. 4, 124 Abs. 1 VwGO) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
vom 3.5.2006 – 10 K 94/05 -, mit dem ihre Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur
Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, hilfsweise auf Verpflichtung zur Neubescheidung,
abgewiesen wurde, muss erfolglos bleiben. Dem den gerichtlichen Prüfungsumfang mit
Blick auf das Darlegungserfordernis (§ 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO)
begrenzenden Antragsvorbringen im Schriftsatz vom 13.6.2006 kann das Vorliegen der
geltend gemachten Zulassungsgründe nicht entnommen werden. Dieses vermag weder
„ernstliche Zweifel“ an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr.
1 VwGO), in der ein Anspruch der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem
hier allenfalls in Betracht zu ziehenden § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG verneint wurde, zu
begründen, noch rechtfertigt es die Annahme eines Verfahrensfehlers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5
VwGO).
Zentraler Streitpunkt zwischen den Beteiligten ist die in § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG als
Anspruchsvoraussetzung genannte – von den Klägern geltend gemachte – unverschuldete
Unmöglichkeit der Ausreise auf absehbare Zeit. Eine solche hat das Verwaltungsgericht im
Falle der ausreisepflichtigen Kläger, insbesondere auch bei dem Kläger zu 1), zu Recht
verneint.
1. Das gilt zunächst, soweit die Kläger ein Vollstreckungshindernis aufgrund der
psychischen Erkrankung des Klägers zu 1) geltend machen und beanstanden, das
Verwaltungsgericht habe unzutreffend lediglich seine Reiseunfähigkeit hinterfragt (und
verneint). Ein Vollstreckungshindernis sei vielmehr auch zu bejahen, wenn die Abschiebung
eine konkrete Gefahr für den Gesundheitszustand des Ausländers bedeute, wie sie der
Kläger zu 1) geltend gemacht habe. Bei dem in einem vorgelegten Attest „vom
24.6.2006“ beschriebenen Krankheitsbild liege es auf der Hand, dass die Abschiebung als
solche für den Kläger zu 1) wegen „katastrophaler Auswirkungen auf seinen
Gesundheitszustand“ eine unzumutbare Belastung bedeuten würde. Eine Prüfung
inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse habe der Beklagte rechtsfehlerhaft
unterlassen.
Letzteres trifft nach dem Inhalt des angegriffenen Urteils nicht zu. Das Verwaltungsgericht
hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Reiseunfähigkeit des Klägers zu 1) „der
Sache nach ein von dem Beklagten zu berücksichtigendes inlandsbezogenes
Abschiebungshindernis darstellen könnte“. Es hat indes einen entsprechenden Nachweis
durch die von den Klägern vorgelegten Atteste verneint. Dies kann nach dem Inhalt des von
den Klägern im Zulassungsantrag angesprochenen, bei den Akten befindlichen Attests vom
26.4.2006 nachvollzogen werden. Darin wird unter Schilderung zahlreicher Symptome
zunächst über einen stationären Aufenthalt des an einer „endogenen paranoid-
halluzinatorischen Psychose“ erkrankten Klägers zu 1) berichtet, bevor darauf hingewiesen
wird, dass unter einer Therapie mit dem Medikament Clozapin damals eine für seine
Entlassung ausreichende Symptomreduktion bei dem Patienten erzielt werden konnte.
Entsprechendes gilt nach dem Bericht für einen nach seiner Entlassung im März 2006
erlittenen Rückfall in Form einer akuten „Exazerbation der psychotischen Symptomatik“
nach „erneuter Eindosierung“ mit dem genannten Medikament, allerdings mit der Folge
eines „schwer depressiven Bildes mit Freudlosigkeit, Antriebsminderung und
lebensüberdrüssigen Gedanken“. Bezogen auf den Ausstellungszeitpunkt des Attests (April
2006) wurde eine „dringende stationäre Behandlungsnotwendigkeit“ genannt und weiter
ausgeführt, dass „bei ausreichender Stabilisierung aus ärztlicher Sicht zur weiteren
Stabilisierung und Prävention einer erneuten Exazerbation der psychotischen Symptomatik
… eine anschließende teilstationäre Behandlung zur langsamen, schrittweisen
Belastungssteigerung indiziert“ sei.
Es ist nicht ersichtlich, inwieweit dieses Krankheitsbild eine (freiwillige) Ausreise des Klägers
zu 1) mit seiner Familie dauerhaft unmöglich machen sollte. Ob und inwieweit der Kläger
zu 1) nach einer Wiedereinreise in seine Heimat (Kosovo) dort auf eine ausreichende
Behandlungsmöglichkeit zurückgreifen kann, stellt eine andere Frage dar, die wegen der
bereits vom Verwaltungsgericht angesprochenen Bindungswirkung der Entscheidung des
Bundesamts zum Fehlen zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse (§ 53 Abs. 6 AuslG,
heute entsprechend: § 60 Abs. 7 AufenthG) in seinem Fall einer eigenständigen Beurteilung
durch den Beklagten und damit auch durch den Senat im Rahmen des vorliegenden
Rechtsstreits entzogen ist.
2. Soweit die Kläger eine Verletzung des Gebots zur Gewährung rechtlichen Gehörs vor
Beweisantrags
124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), rechtfertigt das ebenfalls nicht die begehrte
Rechtsmittelzulassung. Sie führen dazu aus, in Fällen der vorliegenden Art, in denen eine
schwere Erkrankung des Ausländers ein rechtliches oder tatsächliches
Abschiebungshindernis darstelle, dürfe dieser nicht auf die Möglichkeit einer freiwilligen
Ausreise verwiesen werden. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte
bestätigt, dass dem Kläger zu 1) bei einer Abschiebung schwerer gesundheitlicher Schaden
drohe. Ob dieses Ausreisehindernis dauerhaft bestehe oder vorübergehend sei, sei erst im
Anschluss zu klären.
Dass das Verwaltungsgericht die unstreitige psychische Erkrankung des Klägers zu 1) zur
Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung „erwogen“ und damit insoweit
rechtliches Gehör gewährt hat, ergibt sich klar aus der angegriffenen Entscheidung. Was
die unter dem Aspekt eingewandte förmliche Zurückweisung des in der mündlichen
Verhandlung am 3.5.2006 gestellten Beweisantrags anbelangt, lässt sich der insoweit
reklamierte Verfahrensverstoß ebenfalls nicht feststellen. Das Gehörsgebot schützt einen
Verfahrensbeteiligten nicht vor jeder nach seiner Meinung unrichtigen Ablehnung eines von
ihm in mündlicher Verhandlung gestellten Beweisantrags. Vielmehr kann eine Verletzung
des Prozessgrundrechts (Art. 103 Abs. 1 GG) erst dann angenommen werden, wenn die
Ablehnung des Antrags unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr eine Stütze im
Prozessrecht findet, sich das Gericht mit dem Vorbringen eines Beteiligten in völlig
unzulänglicher Form auseinandergesetzt hat und die Ablehnung des Beweisersuchens
daher erkennbar willkürlich erscheint.
Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Der im Sitzungsprotokoll des
Verwaltungsgerichts wiedergegebene Beweisantrag der Kläger auf Einholung eines
medizinischen Sachverständigengutachtens bezog sich nach dem eindeutigen Wortlaut
ausschließlich darauf, dass „eine zwangsweise Abschiebung“ bei dem Kläger zu 1) zu einer
akuten psychischen Dekompensation und zu einem schweren gesundheitlichen Schaden
führen würde. Das Verwaltungsgericht hat in der Begründung für die Ablehnung des
Antrags zu Recht ausgeführt, dass die Bejahung dieser Beweisfrage für die Annahme eines
unverschuldeten, dauerhaften Ausreisehindernisses im Verständnis des § 25 Abs. 5
AufenthG nicht ausgereicht hätte, da sie die Frage offen ließe, ob dem Kläger eine
freiwillige Ausreise ohne die für den Fall der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung
behaupteten schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen möglich ist.
Der Begriff der Ausreise entspricht demjenigen in § 25 Abs. 3 AufenthG. Ein
Ausreisehindernis in dem Sinne liegt nicht vor, wenn zwar eine Abschiebung des Ausländers
nicht möglich ist, seine freiwillige Ausreise indes in Betracht kommt und individuell
zumutbar erscheint. Da die Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise und damit eine in dem
Sinne umfassende Reiseunfähigkeit für die Anerkennung eines inlandsbezogenen
Abschiebungshindernisses im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG beziehungsweise die
Bejahung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf seiner Grundlage
zusätzlich erforderlich ist, hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag zumindest noch
vertretbar als „nicht entscheidungserheblich“ erachtet und abgelehnt. Hierin kann jedenfalls
noch keine nach den vorgenannten allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen
„willkürliche“ Ablehnung erblickt werden. Auf die so begründete Ablehnung ihres
Beweisantrags haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung ausweislich der
Sitzungsniederschrift im Übrigen nicht reagiert.
3. Im Ergebnis nichts anderes gilt, soweit die Kläger als rechtsfehlerhaft beanstanden, dass
das Verwaltungsgericht die Frage, ob die Unzumutbarkeit der Ausreise ein
ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG darstellt, unter
Hinweis auf das Fehlen einer gelungenen Integration in die deutschen Lebensverhältnisse
offen gelassen habe. Dabei sei – so ihr Vorbringen - eine Integration der Kläger zu 3) bis 5)
zu Unrecht in Abhängigkeit zu derjenigen ihrer Eltern, der Kläger zu 1) und 2), beurteilt
worden. Die „Unverhältnismäßigkeit der Rückkehrverpflichtung“ sei aber für jeden Kläger
gesondert zu prüfen. Falsch sei auch der Verweis darauf, dass die Kläger zu 1) und 2)
bisher kein regelmäßiges Erwerbseinkommen erwirtschaftet hätten, zumal der Kläger zu 1)
mehrfach erfolglos eine Arbeitserlaubnis beantragt habe. Insbesondere hinsichtlich des 15
Jahre alten Klägers zu 3) hätte das Verwaltungsgericht einen rechtmäßigen Aufenthalt von
mehr als 8 Jahren und den über 6 Jahre langen Schulbesuch im Bundesgebiet zu
berücksichtigen gehabt, so dass ihm das Recht auf Wiederkehr nach § 37 AufenthG
einzuräumen gewesen sei.
Auch unter dem Aspekt ergeben sich keine „ernstlichen Zweifel“ an der Richtigkeit der
erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Inwieweit das
Verwaltungsgericht allgemein zu Recht die Frage offen gelassen hat, ob die Zumutbarkeit
der Ausreise im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG in die Betrachtung einzustellen ist,
bedarf aus Anlass vorliegenden Falles keiner Vertiefung. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ist eine Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG
aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn sowohl einer Abschiebung des Ausländers als
auch der freiwilligen Ausreise rechtliche Hindernisse entgegenstehen, die eine Ausreise
ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen.
In dem angegriffenen Urteil ist aber jedenfalls überzeugend dargelegt, dass im Falle der
Kläger von einer abgeschlossenen „gelungenen“ Integration in die Lebensverhältnisse in
Deutschland, die auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte (EGMR) Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen
Abschiebungshindernisses auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK („Privatleben“) ist,
nicht gesprochen werden kann.Der EGMR geht insoweit zwar von einem weiten Begriff des
„Privatlebens“ aus, dessen Schutzbereich auch das „Recht auf Entwicklung einer Person“
sowie das Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu
entwickeln und damit letztlich die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts – hier
Deutschland – „gewachsenen Bindungen“, umfasst. Allerdings darf die Vorschrift nicht so
ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein eine gegebenenfalls auch zwangsweise
Aufenthaltsbeendigung bei Ausländern bereits deswegen, weil diese sich eine bestimmte
Zeit im Aufnahmeland aufgehalten haben. Eine Aufenthaltsbeendigung kann vielmehr nur
dann einen konventionswidrigen Eingriff in das „Privatleben“ im Verständnis des Art. 8 Abs.
1 EMRK darstellen, wenn der Ausländer aufgrund seines (längeren) Aufenthalts über
„starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Kontakte“ zum „Aufnahmestaat“ verfügt,
so dass er aufgrund der Gesamtentwicklung „faktisch zu einem Inländer“ geworden ist,
dem wegen der Besonderheiten seines Falles ein Leben in dem Staat seiner
Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug (mehr) hat, schlechterdings nicht mehr
zugemutet werden kann.
Das Verwaltungsgericht, das zugunsten der Kläger die Beachtlichkeit des
Zumutbarkeitsgedankens im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG unterstellt hat, hat eine
Unzumutbarkeit der Ausreise in ihrem Fall nach diesen Kriterien überzeugend verneint.
Insoweit kann auf die Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen
werden. Entgegen der Ansicht der Kläger kann keine isolierte Betrachtung allein des
Integrationsgrades der ganz beziehungsweise weit überwiegend in Deutschland
aufgewachsenen minderjährigen Kläger zu 3) bis 5) vorgenommen werden, um einen
Anspruch der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu
begründen. Das ergibt sich bereits daraus, dass ungeachtet einer im Einzelfall
festzustellenden persönlichen Integration, beispielsweise sprachlich oder in das deutsche
Schulsystem, von einer darüber hinaus zu fordernden (eigenen) dauerhaften
wirtschaftlichen Integration minderjähriger Ausländer in aller Regel – wie hier - nicht
ausgegangen werden kann. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen,
dass insofern die tatsächlichen und rechtlichen Lebensverhältnisse der unterhaltspflichtigen
Eltern in den Blick zu nehmen sind und von daher einen Anspruch auch der Kläger zu 3) bis
5) zu Recht verneint.
Eines Eingehens auf Ansprüche des Klägers zu 5) aus dem § 37 AufenthG bedarf es
entgegen der Ansicht der Kläger nicht. Diese Vorschrift setzt bereits begrifflich
(„Wiederkehr“) und nach dem eindeutigen Wortlaut im Tatbestand eine vorherige
„Ausreise“ des Ausländers voraus.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 ZPO. Die
Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 GKG,
wobei für jeden der (fünf) Kläger der so genannte Auffangwert in Ansatz zu bringen ist.
Der Beschluss ist unanfechtbar.