Urteil des OVG Saarland vom 29.11.2005

OVG Saarlouis: staatsvertrag, hochschule, qualifikation, präsidium, vorschlag, sug, ermächtigung, anhörung, bekanntgabe, chancengleichheit

OVG Saarlouis Beschluß vom 29.11.2005, 3 W 19/05
Anspruch auf Zulassung zum Studium der Humanmedizin innerhalb der Kapazität
(Hochschulquote).
Leitsätze
1. Zur Frage, ob eine Hochschulordnung zur Regelung des Verfahrens für die Vergabe
zulassungsbeschränkter Studienplätze (hier im Studiengang Humanmedizin) im Rahmen
der so genannten Hochschulquote den Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes genügt,
wenn zwar die gesetzlich vorgegebenen Auswahlkriterien übernommen werden, die
Festlegung, welche dieser Kriterien bei den Auswahlentscheidungen in den einzelnen
Studiengängen Anwendung finden sollen, aber dem Präsidium übertragen wird, das diese
auf Vorschlag der jeweiligen Fakultät und nach Anhörung des Senats vorzunehmen hat.
2. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand spricht alles dafür, dass Studienplätze im
Studienfach Humanmedizin im Rahmen der Hochschulquote rechtsfehlerfrei nach dem
Grad der Qualifikation vergeben werden dürfen.
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20. Oktober 2005 – 1 F
22/05 – ist wirkungslos.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Nachdem die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt
erklärt haben, ist es in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO
einzustellen und gemäß den §§ 92 Abs. 3, 173 VwGO, 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO (analog) die
Wirkungslosigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung auszusprechen. Außerdem hat das
Gericht auf der Grundlage von § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen
Sach- und Streitstandes über die Verfahrenskosten zu entscheiden. Diese der
Antragstellerin aufzuerlegen, entspricht billigem Ermessen im Sinne der letztgenannten
Vorschrift. Denn auch nach dem bis zur Erledigung erreichten Stand des
Beschwerdeverfahrens spricht alles dafür, dass sie weder mit ihrem Antrag auf vorläufige
Zuweisung eines Studienplatzes im ersten Fachsemester Humanmedizin für das
Wintersemester 2005/2006 innerhalb der festgesetzten Kapazität noch mit ihrem
Begehren Erfolg gehabt hätte, der Antragsgegnerin vorläufig aufzugeben, über die
Zuweisung eines Studienplatzes im ersten Fachsemester Humanmedizin für das
Wintersemester 2005/2006 innerhalb der festgesetzten Kapazität an sie neu zu
entscheiden.
Allerdings ist vorliegend in der Tat die Frage aufzuwerfen, ob die von der Antragsgegnerin in
ihrer „Ordnung für das Hochschulauswahlverfahren der in das zentrale Verfahren
einbezogenen Studiengänge an der Universität des Saarlandes“ – im folgenden:
Auswahlordnung – vom 16.2.2005 (Dienstblatt der Hochschulen des Saarlandes 2005, S.
222) getroffene Regelung des Auswahlverfahrens für die Vergabe derjenigen Studienplätze,
die gemäß § 2 a Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Ratifizierung des Staatsvertrages über die
Vergabe von Studienplätzen vom 24.6.1999 in der Fassung vom 16.2.2000 – G
Staatsvertrag – nach dem Ergebnis eines von der Hochschule durchzuführenden
Auswahlverfahrens durch die Hochschule vergeben werden – Hochschulquote -, den
Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes genügt. Zwar legt § 2 a Abs. 3 Satz 1 G
Staatsvertrag in seinen Nummern 1-5 insgesamt fünf alternative Kriterien fest, nach denen
die Auswahlentscheidung getroffen werden kann, und ermächtigt in seiner Nummer 6 die
Hochschule ferner dazu, der Auswahlentscheidung eine Verbindung der fünf
Einzelmaßstäbe zugrunde zu legen. Außerdem bestimmt § 2 a Abs. 3 Satz 2 G
Staatsvertrag, dass die Hochschule dem Grad der Qualifikation des Studienbewerbers
maßgeblichen Einfluss geben muss. Auch ist es hiervon ausgehend wohl unbedenklich, dass
die Antragsgegnerin sich den Kriterienkatalog des § 2 a Abs. 3 Satz 1 G Staatsvertrag
einschließlich der Regelung des Satzes 2 dieser Vorschrift in § 2 Auswahlordnung im
wesentlichen unverändert zu eigen gemacht hat. Fraglich ist jedoch, ob es mit § 2 a Abs. 4
Satz 1 G Staatsvertrag, wonach die Hochschule die Einzelheiten des Auswahlverfahrens,
insbesondere die Entscheidung über die Auswahlkriterien, durch Ordnung zu regeln hat und
mit den Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes (Wesentlichkeitsgrundsatz) zu
vereinbaren ist, dass die Entscheidung, welche der in § 2 Satz 1 Auswahlordnung
aufgeführten Auswahlkriterien konkret für die einzelnen Studiengänge gelten sollen, auf
Vorschlag der jeweiligen Fakultäten vom Präsidium nach Anhörung des Senats getroffen
wird (§ 4 Abs. 1 Auswahlordnung). Für die Rechtmäßigkeit dieser Regelung ließe sich
anführen, dass die Entscheidungskriterien immerhin rechtsatzmäßig vorgegeben sind und
der Senat der Antragsgegnerin als Ordnungsgeber (§ 19 Abs. 1 SUG) an der Entscheidung
über die Festlegung der Kriterien beteiligt ist. Auf der anderen Seite stellt die Bestimmung
der Zulassungskriterien ein wesentliches Element des Zulassungsverfahrens dar, das nach
der von der Antragsgegnerin gewählten Lösung letztlich der Verwaltung (§ 15 Abs. 5 SUG)
vorbehalten bleibt. Der hier eröffnete Gestaltungsbereich wird insbesondere in Fällen
deutlich, in denen wie bei der Antragsgegnerin offenbar im Studiengang Pharmazie siehe
die im Internet veröffentlichten Hinweise der Antragsgegnerin zur Hochschulquote bei ZVS-
Studiengängen von der Ermächtigung des § 2 Satz 1 Nr. 6 Auswahlordnung Gebrauch
gemacht wird und die Auswahl nach einer Kombination – gewichteter – Kriterien des § 2
Satz 1 Nr. 1-5 Auswahlordnung erfolgt vgl. in diesem Zusammenhang zum Beispiel OVG
Hamburg, Beschluss vom 26.11.1986 – OVG Bs I 67/86 – DVBl. 1987, 316, 318, das eine
Regelung betreffend die Vergabe von Stellen für Rechtsreferendare unter anderem deshalb
für unzureichend erachtet hatte, weil sie keine Aussage darüber enthielt, mit welcher
Gewichtung die Auswahlkriterien Berücksichtigung finden sollten.
Hinzu kommt vorliegend, dass die Auswahlordnung offenbar nicht einmal die förmliche
Bekanntgabe der festgelegten Auswahlkriterien vorsieht und auch hinsichtlich der in § 8
Abs. 1 Auswahlanordnung angesprochenen Anlage, in der diejenigen Studiengänge
aufgeführt sein sollen, in denen die Zentralstelle mit der Durchführung des
Auswahlverfahrens beauftragt ist und die der Bekanntmachung der Auswahlordnung im
Dienstblatt der Hochschulen des Saarlandes nicht beigegeben war, letztlich offen bleibt, ob
es sich um einen vom Senat mit beschlossenen Normbestandteil handelt oder ob auch
diese Anlage, worauf § 4 Abs. 1 Satz 2 Auswahlordnung hindeutet, vom Präsidium erstellt
wird.
Einer abschließenden Entscheidung über die von der Antragstellerin unter dem
Gesichtspunkt des Gesetzesvorbehalts vorgebrachten Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit
des Auswahlverfahrens bei der so genannten Hochschulquote bedarf es indes nicht. Zum
einen ist im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO kein Raum für die
Beantwortung schwieriger Rechtsfragen. Zum anderen spricht auch dann, wenn sich die
unter dem Gesichtspunkt des Gesetzesvorbehaltes vorgebrachten Einwände der
Antragstellerin als berechtigt erwiesen hätten, nichts dafür, dass sie den nach dem Haupt-
oder nach dem Hilfsantrag erhobenen Anordnungsanspruch gehabt hätte. Das
Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf abgestellt, dass die
Antragstellerin einen Zulassungs- beziehungsweise Neubescheidungsanspruch weder
dargetan noch glaubhaft gemacht hat. Demgegenüber lässt sich zunächst nicht mit Erfolg
einwenden, auch bei Anträgen auf Zulassung zum Studium außerhalb der Kapazität werde
von dem Studienbewerber nicht verlangt, dass er eine Auswahlentscheidung zu seinen
Gunsten darlegt. Anders als Streitigkeiten, in denen um eine Zulassung auf
„verschwiegene“ Studienplätze außerhalb der Kapazität gestritten wird, ist die vorliegende
Konstellation dadurch gekennzeichnet, dass eine Auswahlentscheidung unter den
Studienbewerbern, die sich um eine Zulassung im Rahmen der Hochschulquote beworben
haben, nach den von der Antragsgegnerin angewendeten Kriterien bereits getroffen und
die Hochschulquote demnach ausgeschöpft ist. Mit dem Begehren, innerhalb der Kapazität
zugelassen zu werden, tritt die Antragstellerin demnach gewissermaßen in Konkurrenz zu
den von der Antragsgegnerin beziehungsweise von der ZVS im Auftrag der
Antragsgegnerin ausgewählten Bewerbern. Voraussetzung für den Erfolg ihres Begehrens
dürfte mithin zumindest im Regelfall sein, dass es ihr gelingt, einen der ausgewählten
Bewerber gleichsam „zu verdrängen“. Das rechtfertigt es, von ihr zu verlangen, dass sie
Umstände darlegt, die mit Gewicht dafür sprechen, dass sie ohne den von ihr
Umstände darlegt, die mit Gewicht dafür sprechen, dass sie ohne den von ihr
beanstandeten Rechtsfehler des Auswahlverfahrens zum Zuge gekommen wäre, auch
wenn – wie zuzugeben ist – die Anforderungen in diesem Punkt nicht überspannt werden
dürfen, zumal ihr über die Verhältnisse der anderen Studienplatzbewerber naturgemäß
nichts bekannt ist. Vorliegend sind solche Umstände indes weder dargetan noch sonst
erkennbar. Soweit die Antragstellerin in materieller Hinsicht beanstandet, dass die
Studienplätze im Rahmen der Hochschulquote im Studienfach Humanmedizin ausschließlich
nach dem Grad der Qualifikation vergeben werden, und geltend macht, diese Regelung
verletze das Gebot der Chancengleichheit zum Nachteil derjenigen zulassungsberechtigten
Bewerber, die nicht zu den Abiturbesten gehörten, ist zu bemerken, dass das von der
Antragsgegnerin gewählte Kriterium in der gesetzlichen Ermächtigung des § 2 a Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 G Staatsvertrag ausdrücklich vorgesehen ist und ihm nach Satz 2 diese
Bestimmung sogar maßgebliche Bedeutung beigemessen werden muss. Es liegt
keineswegs auf der Hand, dass dadurch zum Nachteil der Antragstellerin und anderer
Bewerber, die nicht zu den Abiturbesten gehören, gegen Art. 3 GG und/oder Art. 12 GG
verstoßen wird, da die Möglichkeit, nach anderen Kriterien zum Zuge zu kommen, im
Rahmen der „Vorabquoten“ nach den §§ 32 Abs. 2 HRG, 6 Abs. 1 und 2 VergabeVO ZVS
und der Wartezeitregelung der §§ 2 a Abs. 1 Nr. 2 G Staatsvertrag, 6 Abs. 5 VergabeVO
ZVS besteht. Nach dem derzeitigen Stand ist daher davon auszugehen, dass die
Antragsgegnerin sich in materiell-rechtlicher Hinsicht rechtsfehlerfrei für eine Auswahl nach
dem Grad der Qualifikation entscheiden durfte. Selbst wenn die von der Antragsgegnerin
getroffene Auswahlregelung den Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes nicht genügen
sollte, spricht demnach derzeit alles dafür, dass die materiell-rechtlich wohl nicht zu
beanstandende Handhabung der Auswahlentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit
und zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Antragsgegnerin nicht zuletzt auch mit Blick
auf das Gebot einer erschöpfenden Nutzung der Ausbildungskapazität für eine
Übergangszeit hinzunehmen wäre vgl. zum Beispiel BVerwG, Urteile vom 18.2.1980 – VII C
93.77 – zitiert nach Juris – und vom 27.11.1981 – 7 C 57/79 – E 64, 238.
Selbst wenn der Antragsgegnerin keine Übergangszeit zuzubilligen wäre, deutet nichts
darauf hin, dass im Falle der Unwirksamkeit der Auswahlregelung unter dem Gesichtspunkt
des Gesetzesvorbehaltes die eventuelle Inanspruchnahme einer richterlichen
Notkompetenz zu einer Auswahlentscheidung nach anderen, der Antragstellerin
günstigeren Kriterien geführt hätte.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1, 63 Abs. 2
GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.