Urteil des OVG Saarland vom 07.07.2006

OVG Saarlouis: entschuldigung, verspätung, beweisantrag, prozessrecht, ergänzung, arbeitsantritt, präsenz, unterlassen, entziehen, hindernis

OVG Saarlouis Beschluß vom 7.7.2006, 3 Q 8/06
Zur Frage eines Gehörsverstosses bei Anwendung des § 87b VwGO
Leitsätze
In Präklusionsverfahren nach § 87 b VwGO gilt der absolute Verzögerungsbegriff.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 16. Juni 2005 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes
– 11 K 135/05.A – wird zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Antragsverfahrens hat der Kläger
zu tragen.
Gründe
Dem Antrag des im Jahre 2004 in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Klägers, der
chinesischer Staatsangehöriger ist, auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom
16.6.2005, mit dem das Verwaltungsgericht seine Klage auf Verpflichtung der Beklagten
zur Feststellung des Bestehens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 bis Abs. 7
AufenthaltsG abgewiesen hat, kann nicht entsprochen werden.
Das Vorbringen des Klägers in der Begründung seines Zulassungsantrages, das den
gerichtlichen Prüfungsumfang in dem vorliegenden Verfahren begrenzt, rechtfertigt nicht
die erstrebte Berufungszulassung wegen des geltend gemachten qualifizierten
Verfahrensverstoßes (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO).
Insoweit bemängelt der Kläger, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht seinen in der
mündlichen Verhandlung vom 16.6.2005 gestellten Beweisantrag
„Der Kläger hat mit C.T. und seinem Sohn an der Schlägerei vom 21.05.2004
teilgenommen und wurde danach von der Polizei gesucht. Herr C. und Sohn
wurden verhaftet und zwischenzeitlich verurteilt.
Dies kann durch den Vater C. A., Stuttgart bestätigt werden, der aufgrund
seiner Kontakte mit seiner Mutter und Verwandten des Herrn C. über diese
Vorgänge informiert worden ist. Insofern beantrage ich, den Vater des Klägers
als Zeugen zu vernehmen.“
als verspätet nach § 87 b Abs. 3 VwGO zurückgewiesen. Die erstinstanzliche Begründung
hierfür erscheine unzutreffend, weil keine ausreichende Abwägung zwischen der
Verzögerung des Verfahrens und der Bedeutung des Asylgrundrechts im Hinblick auf den
Kläger erfolgt sei. Bei einer Verfahrensdauer von – nur – ca. 6 Monaten hätte eine positive
Entscheidung über eine Vernehmung des in Stuttgart wohnhaften Vaters des Klägers nur
eine kurze Verzögerung bewirkt. Auch seien nicht alle übrigen Voraussetzungen des § 87 b
Abs. 2 und 3 VwGO gegeben. Dem Gericht sei am 14.6.2006 telefonisch von der
Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgeteilt worden, dass der Vater des Klägers, der
als Zeuge in der Sitzung präsent sein sollte, aus beruflichen Gründen dies nicht
bewerkstelligen könne. Er habe erst kürzlich eine Arbeit angetreten und könne ohne ein
offizielles Schreiben oder eine informelle Mitteilung seitens des Gerichts ohne Risiko des
Arbeitsplatzverlustes nicht seiner Arbeit fernbleiben. Das Gericht habe eine „Art
Vorladungsschreiben“ abgelehnt und sich dahingehend geäußert, dass ein neuer Termin
bestimmt werden würde, falls der Vater als Zeuge benötigt würde. Der ablehnenden
Begründung lasse sich aber nicht entnehmen, ob es auf die Zeugenaussage ankomme.
Mit diesem Vorbringen ist eine Gehörsrüge im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG
hinreichend dargelegt
siehe in diesem Zusammenhang auch Kopp, VwGO, 14. Auflage § 87 b Rdnr.
14, wonach eine nach Meinung der Partei zu Unrecht erfolgte Zurückweisung
eines Beweismittels nur mit dem Zulassungsantrag nach § 124 a VwGO bzw. §
eines Beweismittels nur mit dem Zulassungsantrag nach § 124 a VwGO bzw. §
78 AsylVfG angegriffen werden kann,
sie erweist sich jedoch nicht als begründet.
Der durch Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gewährleistete Anspruch auf Gewährung
rechtlichen Gehörs verpflichtet das angerufene Gericht dazu, das tatsächliche und
rechtliche Vorbringen sowie Anträge beziehungsweise Beweisanregungen zur Kenntnis zu
nehmen und in Erwägung zu ziehen.
Die Prozessbeteiligten sind insbesondere befugt, Anträge zu stellen. Erhebliche
Beweisanträge müssen vom Gericht berücksichtigt werden, über in der mündlichen
Verhandlung gestellte Anträge ist ausdrücklich durch Beschluss zu befinden. Die nähere
Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist jedoch den einzelnen Verfahrensordnungen
überlassen. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt daher keinen Schutz dagegen, dass das Gericht
das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des materiellen oder formellen Rechts
unberücksichtigt lässt. Der Gesetzgeber kann das rechtliche Gehör auch im Interesse der
Verfahrensbeschleunigung durch Präklusionsvorschriften begrenzen. Allerdings müssen
solche Vorschriften wegen der einschneidenden Folgen, die sie für die säumige
Prozesspartei nach sich ziehen, strengen Ausnahmecharakter haben. Dieser ist jedenfalls
dann gewahrt, wenn die betroffene Partei ausreichend Gelegenheit hatte, sich in den ihr
wichtigen Punkten zur Sache zu äußern, dies aber aus von ihr zu vertretenden Gründen
versäumt hat
hierzu etwa Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 1985 – 1
BvR 876/84 -, BVerfGE 69, 145, 148 f.; siehe auch Hess. VGH, Beschluss vom
7.10.2005 – 2 UZ 1598/04.A -, zitiert nach Juris.
Diesen Anforderungen genügen die Vorschriften des 87 b VwGO, auf die die
Zurückweisung des Beweisantrags ausweislich der in die Verhandlungsniederschrift
aufgenommen Begründung des Verwaltungsgerichts gestützt ist. Liegen indes die
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 87 b VwGO nicht vor, greift auch die
Präklusionswirkung nicht. Wenn unter diesen Umständen ein Gericht das Vorbringen einer
Partei gleichwohl nicht zulässt oder einen erheblichen Beweisantrag zurückweist, obwohl
die Voraussetzungen der Präklusionsvorschrift nicht gegeben sind, wird das rechtliche
Gehör in einer vom Gesetz nicht mehr gedeckten Weise eingeschränkt und liegt damit ein
Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor
hierzu etwa Beschluss des Hess. VGH vom 28. August 1997 – 12 UZ
1381/96.A – zitiert nach Juris; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, §
87 b Rdnr. 16.
Gerichtlich voll nachprüfbar sind allerdings nur die Fragen, ob der Beteiligte über die Folgen
einer Fristversäumung nicht hinreichend gemäß Abs. 3 Nr. 3 belehrt und ob die Verspätung
nach Abs. 3 Nr. 2 nicht genügend entschuldigt ist. Die Frage, ob die Zulassung des
Vorbringens beziehungsweise die positive Entscheidung über das beantragte Beweismittel
die Erledigung des Rechtsstreits im Sinne von Nr. 1 verzögert hätte, unterliegt angesichts
des weit gefassten Wortlauts des § 87 b Abs. 3 Nr. 1 VwGO („nach der freien Auffassung
des Gerichts“) der Beurteilung des Rechtsmittelgerichts nur daraufhin, ob diese Auffassung
des Gerichts im Zeitpunkt der Zurückweisung als verspätet vertretbar und nicht durch
sachfremde Erwägungen bestimmt war; erforderlich ist mithin – lediglich – eine plausible
Prognose
hierzu Kopp, a.a.O., Rdnrn. 11, 14; siehe auch zur vergleichbaren Problematik
hinsichtlich außerhalb von Präklusionsvorschriften abgelehnter Beweisanträge die
Entscheidungen des OVG Lüneburg vom 3.5.2005 – 7 LA 300/04 -, zitiert nach
Juris sowie des OVG des Saarlandes vom 29.11.2005 – 2 Q 41/04 – und vom
29.6.2006 – 3 Q 3/06 -, wonach eine Gehörsrüge nur dann Erfolg haben kann,
wenn die Ablehnung des Antrags im Prozessrecht unter keinem denkbaren
Gesichtspunkt mehr eine Stütze im Prozessrecht findet sich das Gericht mit
dem Vorbringen eines Beteiligten in völlig unzulänglicher Form
auseinandergesetzt hat und die Ablehnung des Beweisersuchens daher
erkennbar willkürlich erscheint.
Hier ist in der Ladung vom 17.3.2005 zur mündlichen Verhandlung vom 16.6.2005, der
Prozessbevollmächtigten des Klägers zugegangen am 24.3.2003, eine hinlängliche
Fristsetzung (bis zum 1.6.2005) der Aufforderung und ordnungsgemäße Belehrung über
die Folgen verspäteten Vortrages nach § 87 b Abs. 1 VwGO erfolgt. Von einer
hinreichenden Entschuldigung im Sinne des § 87 b Abs. 3 Nr. 2 VwGO kann aufgrund der
konkreten Fallumstände hingegen nicht ausgegangen werden. Für die Frage, ob die
Verspätung des Vorbringens „genügend entschuldigt“ ist, können die für
Wiedereinsetzungsgründe gemäß § 60 Abs. 1 VwGO entwickelten Grundsätze
entsprechend herangezogen werden; insbesondere treffen auch für die Einhaltung von
Präklusionsfristen nach § 87 b VwGO den Rechtsanwalt die selben strengen Anforderungen
wie für Rechtsmittelfristen
hierzu BVerwG, Beschluss vom 6.4.2000 – 9 B 50/00 -, NVwZ 2000, 1042 ff.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 31.5.2005 „in Ergänzung der
Klagebegründung und zur Vorbereitung des Termins“ die Nachreichung von Erklärungen
des (in Deutschland lebenden) Bruders und der Großmutter des Klägers angekündigt sowie
die Vorlage eines Urteils des Amtsgerichts W. vom 14.4.2000 sowie einer
Entlassungsmitteilung vom 16.3.2003 „behauptet“, diese Urkunden jedoch erst mit am
3.6.2005 eingereichten Schreiben tatsächlich vorgelegt. Von einer in Betracht kommenden
Beweisaufnahme beziehungsweise Zeugenbenennung des Vaters ist – immerhin knapp
etwas über 2 Wochen vor Sitzungstermin und am letzten Tag der Frist – nicht die Rede.
Wenn die Prozessbevollmächtigte dann erst am 14.6.2005, mithin 2 Tage vor dem
Sitzungstermin telefonisch mitteilt, der als im Termin als präsent vorgesehene Zeuge, zu
dessen Erscheinen sie laut ihrem dem Zulassungsantrag beigefügten Schreiben vom
13.7.2005 dem Kläger (zunächst) mehrfach vergeblich geraten habe, da dieser auf dem
erst kürzlich erfolgten Arbeitsantritt des Vaters hingewiesen habe, ist dies nicht als
genügende Entschuldigung zu bewerten. So ist insbesondere nicht nachvollziehbar
dargelegt, weshalb dieses Hindernis erst nach der fast neunwöchigen Fristsetzung bis zum
1.6.2005 entstanden sein soll oder aus welchen sonstigen Gründen eine frühere
Benennung nicht hatte erfolgen können. Die angekündigten Erklärungen des Bruders und
der Großmutter wurden im Übrigen gleichfalls nicht nachgereicht und es ist auch nicht
nachvollziehbar, warum nicht zumindestens eine (evtl. eidesstattliche) schriftliche Erklärung
des Vaters zur Terminsvorbereitung hätte früher eingereicht werden können.
Was die erstinstanzlich angenommene Verzögerung des Rechtsstreits angeht, gilt der
absolute Verzögerungsbegriff. Es kommt – abgesehen von hier nicht vorliegenden
Ausnahmefällen - darauf an, ob (nach plausibler Einschätzung) bei Zulassung des
Vorbringens beziehungsweise des Beweismittels der Rechtsstreit länger dauern würde als
im Falle seiner Zurückweisung
hierzu Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, a.a.O., Rdnr. 12; OVG des
Saarlandes Beschluss vom 29.11.2005 – 2 Q 41/04 -.
Dass das hier der Fall gewesen wäre, weil der benannte Zeuge – worauf das
Verwaltungsgericht auch in seinem Ablehnungsbeschluss hinweist – nicht im Termin
präsent war und mithin erst ein erneuter Termin unter Zeugenladung hätte anberaumt
werden müssen, unterliegt keinen Zweifeln.
Anhaltspunkte, dass die Zurückweisung des Beweisantrages nach Vorliegen der
tatbestandlichen Zurückweisungsvoraussetzungen unter Überschreitung des dem Gericht
insoweit durch § 87 b Abs. 3 VwGO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens erfolgt
wäre, sind nicht ersichtlich. Die Ausübung des Ermessens muss ohne weiteres erkennbar
oder nachvollziehbar dargelegt sein. Entsprechend dem auf Verfahrenskonzentration und
Verfahrensbeschleunigung gerichteten Zweck des § 87 b VwGO kann sich die Begründung
für die Zurückweisung unentschuldigt verspäteten, zu einer Verfahrensverzögerung
führenden neuen Vorbringens gegebenenfalls schon aus der Darlegung ergeben, dass die
tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 87 b VwGO vorliegen.
Die Anforderungen an eine ausreichende Begründung entziehen sich insoweit einer
generellen Festlegung und hängen vielmehr von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles
ab
hierzu BVerwG, Beschluss vom 6.4.2000, a.a.O..
Hieran gemessen ist die Begründung der Zurückweisung, die sich auf das Unterlassen der
(rechtzeitigen) Zeugenbenennung trotz Hinweises nach § 87 b VwGO, die mangelnde
Präsenz des jetzt erst benannten Zeugen am Gerichtsort, und die unter Berücksichtigung
der Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichts im Beschluss vom 27.3.2000 – 9 B
518.99 – nach freier Überzeugung des Gerichts zu prognostizierende
Verfahrensverzögerung stützt, auch angesichts der relativ kurzen Dauer des Verfahrens
über Abschiebungshindernisse nach AufenthG noch tragfähig.
Für die erstrebte Rechtsmittelzulassung ist nach allem kein Raum.
Der Zulassungsantrag ist daher mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b
AsylVfG zurückzuweisen.
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.