Urteil des OVG Saarland vom 23.01.2003

OVG Saarlouis: rückgriff, durchschnitt, offenkundig, ausnahmefall, vergleich, konkurrenz, zukunft, sicherheit, zulage, vorrang

OVG Saarlouis Beschluß vom 23.1.2003, 1 W 30/02
Personalratsmitglied; Beurteilung; Fortschreibung; Freistellung; Beurteilungsmaßstab
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Antragsgegner zur Last.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 8.591,99 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10.
Oktober 2002 - 12 F 38/02 - ist zulässig (§§ 146, 147 VwGO); sie bleibt jedoch in der
Sache ohne Erfolg.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht dem Antragsgegner einstweilen - § 123 Abs. 1
VwGO - untersagt, dem Beigeladenen vor dem Antragsteller ein Amt der
Besoldungsgruppe A 9 mit Zulage zu übertragen.
Auch unter Einbeziehung der im Rahmen des Beschwerdevorbringens vom Antragsgegner
für die zugunsten des Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung ergänzend
angeführten Gründe ist hinreichend wahrscheinlich, daß damit dem Anspruch des
Antragstellers auf rechtsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung auf die
ausgeschriebene Stelle nicht Genüge getan ist.
Der Antragsgegner geht danach unverändert davon aus, daß die aktuellen, zum
Beurteilungsstichtag 31.10.2001 erstellten dienstlichen Beurteilungen im Verhältnis von
Antragsteller und Beigeladenem keinen beförderungsrelevanten Unterschied aufweisen, so
daß unter Rückgriff auf die Leistungsentwicklung dem Beigeladenen der Vorrang
einzuräumen sei, weil bei ihm bereits im Jahr 1997 eine "sehr gute" Leistung anzunehmen
gewesen sei, während die Leistung des Antragstellers zu diesem Zeitpunkt (lediglich) mit
"gut" beurteilt worden sei.
Beide vom Antragsgegner auswahlbezogen angeführten Gründe, nämlich aktueller
Leistungsgleichstand und bessere Leistungsentwicklung des Beigeladenen, sind nach dem
derzeitigen Sach- und Streitstand rechtlich nicht haltbar und deshalb nicht geeignet, die
Bevorzugung des Beigeladenen für das Zulageamt vor dem Antragsteller zu begründen.
Unstreitig ist, daß der Antragsteller zum Beurteilungsstichtag 31.10.2001 mit der
Gesamtnote "sehr gut - 13 Punkte" beurteilt wurde, wobei ihm bei allen 15
Einzelmerkmalen die höchste Wertungsstufe "weit überdurchschnittlich" zuerkannt worden
ist. Ausgehend von der - hier nicht zu problematisierenden - Handhabung des
Antragsgegners, wonach beförderungsbezogen bei übereinstimmenden Noten und
Punktzahlen vorrangig auf die 15 in dem Beurteilungsformular bewerteten Kriterien
abgestellt wird
vgl. dazu Schriftsatz vom 24.6.2002, Seite 4,
kann indes nicht nachvollzogen werden, wieso der Antragsgegner auch dem im
Beurteilungszeitraum personalvertretungsrechtlich freigestellten Beigeladenen die
Gesamtnote "sehr gut - 13 Punkte" sowie eine Bewertung aller 15 Einzelmerkmale mit
"weit überdurchschnittlich" zuerkannt hat.
Im Ausgangspunkt zutreffend ist die Auffassung des Antragsgegners, daß Beamte, die
Aufgaben und Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnehmen, wegen dieser
Tätigkeit insbesondere in ihrem beruflichen Aufstieg nicht benachteiligt, aber auch nicht
begünstigt werden dürfen (§ 8 SPersVG). § 45 Abs. 6 SPersVG bestimmt dann weiter, daß
vom Dienst freigestellte Mitglieder des Personalrats in ihrer beruflichen Entwicklung so zu
behandeln sind, als wäre eine Freistellung nicht erfolgt. Um diesem Gebot nachzukommen,
muß die dienstliche Beurteilung, die über das betreffende Personalratsmitglied zuletzt vor
dessen Freistellung gefertigt wurde, sachgerecht fortgeschrieben werden. Dabei durfte der
Antragsgegner bei dem u.a. als Mitglied des Hauptpersonalrats vom Dienst freigestellten
Beigeladenen eine Leistungsentwicklung unterstellen, wie sie sich voraussichtlich ergeben
hätte, wäre er nicht freigestellt gewesen. Das ist sachgerecht grundsätzlich dadurch
möglich, daß die letzte planmäßige dienstliche Beurteilung des Beigeladenen in Anlehnung
an den Werdegang vergleichbarer Beamten fortgeschrieben wird
vgl. u.a. Beschlüsse des Senats vom 25.8.1992 - 1 W 44/92 -, NVwZ-RR 1993, 310 =
SKZ 1993, 41 = RiA 1993, 208 = ZBR 1993, 130 (Leitsatz), und vom 23.3.1995 - 1 W
74/94 -, NVwZ-RR 1995, 407 = IÖD 1996, 48 (Leitsatz).
Klar ist, und davon geht auch der Antragsgegner inzwischen aus, daß die zu den beiden
Beurteilungsstichtagen 31.12.1997 und 31.10.2001 für den vom Dienst freigestellten
Beigeladenen erstellten "Befähigungsbeurteilungen" dem Gebot der Fortschreibung der
zum Beurteilungsstichtag 1.6.1994 zuletzt gefertigten Regelbeurteilung, die die Leistungen
des Beigeladenen ab dem Zeitraum 21.8.1990 bewertete und mit der Gesamtnote "gut -
12 Punkte" abschloß, nicht gerecht werden. Diese beiden Befähigungsbeurteilungen
erhalten auch nicht dadurch nachträglich Gewicht, daß der Antragsgegner unter Rückgriff
auf ihre verbalen Aussagen und unter Hinweis auf die allein wegen Nichtvorhandenseins
einer zusätzlichen Planstelle zum Beförderungstermin 1.4.2001 nicht bereits zu diesem
Zeitpunkt realisierte Beförderung des Beigeladenen jeweils eine Gesamtnote von "sehr gut
- 13 Punkte" zugunsten des Beigeladenen reklamiert. Indem er den Beigeladenen mit den
zum 1.4.2001 beförderten Kollegen, die allesamt eine aktuelle Beurteilung von "sehr gut -
13 Punkte" aufzuweisen hatten, leistungsmäßig gleichstellt, unterstellt er ein Faktum, das
mittels der erwähnten Fortschreibung der zum 1.6.1994 gefertigten Regelbeurteilung erst
noch zu beweisen und nach den von der Rechtsprechung und dem Schrifttum aufgestellten
Grundsätzen für eine sachgerechte Fortschreibung der letzten vor der Freistellung vom
Dienst gefertigten dienstlichen Beurteilung zu belegen wäre. Dieser Fortschreibung wird die
Annahme des Antragsgegners, wie sie in der Beschwerdebegründung vom 13.11.2002
zum Ausdruck kommt und die mit der Feststellung abschließt (Seite 8), der Beigeladene
hätte Ende 1997 "zumindest" ebenfalls mit "sehr gut- 13 Punkte" beurteilt werden
müssen, wobei 15 x die Wertung "weit überdurchschnittlich vorzunehmen gewesen wäre",
nicht gerecht. Zwar führt der Antragsgegner darin drei Vergleichsbeamte an, die - wie der
Antragsteller - zum Beurteilungsstichtag 1.6.1994 mit "gut - 12 Punkte" beurteilt worden
waren, wobei der Beamte R bei den Einzelmerkmalen 8 x "weit überdurchschnittlich" und 7
x "überdurchschnittlich", der Beamte S insoweit 6 x "weit überdurchschnittlich" und 9 x
"überdurchschnittlich" und schließlich der Beamte K 7 x "weit überdurchschnittlich" und 8 x
"überdurchschnittlich" erhalten hatte. Nicht zu beanstanden ist sodann die weitere
Feststellung des Antragsgegners, der Beigeladene sei zum damaligen Zeitpunkt bereits
besser beurteilt gewesen als die genannten drei Vergleichsbeamten, da seine Beurteilung 9
x die Bewertung "weit überdurchschnittlich" und 3 x "überdurchschnittlich" aufgewiesen
habe. Nicht mehr nachvollziehbar ist dann jedoch die Schlußfolgerung des Antragsgegners
(Seite 7 des Schriftsatzes vom 13.11.2002), der Beigeladene, der bereits 1994 vor diesen
drei Beamten rangiert habe, hätte, wenn er wegen seiner Personalratsfunktion nicht
freigestellt worden wäre, "im Hinblick auf seine in der Befähigungsbeurteilung ihm
attestierten Anlagen und Fähigkeiten mit Sicherheit zumindest die gleiche Entwicklung
genommen, wie der nunmehr vergleichsweise bestbeurteilte Herr K ", dem zum Stichtag
31.12.1997 die Gesamtnote "sehr gut - 13 Punkte" und bei allen 15 Einzelmerkmalen die
höchste Wertungsstufe "weit überdurchschnittlich" zuerkannt worden war. Diese fiktive
Beurteilungsfortschreibung beruht auf einem unzutreffenden Fortschreibungsmaßstab. Mit
der hypothetischen Frage, wie sich die Leistungen des Beigeladenen voraussichtlich
entwickelt hätten, wenn er nicht als örtlicher Personalratsvorsitzender und Mitglied des
Hauptpersonalrats vom Dienst freigestellt gewesen wäre, hat der Antragsgegner den
Gegenstand der fiktiven Beurteilungsfortschreibung in wesentlicher Hinsicht verkannt. Ihr
Bezugsmaßstab sind keine hypothetischen, auf der Grundlage eines fiktiven Maßstabs zu
messenden Leistungen, sondern es geht um die Projektion des konkreten, in der letzten
regulären dienstlichen Beurteilung des Beamten festgehaltenen Leistungsbildes in die
Zukunft. Der hierbei unter Berücksichtigung eines fortschreitenden Erfahrungszugewinnes
sich ergebende Leistungsstand ist auf dem Hintergrund der Fortentwicklung der
allgemeinen Beurteilungsmaßstäbe in Beziehung zu setzen zu der bei vergleichbar
leistungsstarken Beamten zu verzeichnenden Beurteilungsentwicklung
vgl. zu alldem u.a. OVG Koblenz, Beschluß vom 2.7.1999, ZBR 2001, 222 = DÖV 2000,
165 = IÖD 2000, 92 = RiA 2000, 151.
Diesen Anforderungen wird die über den Beigeladenen erstellte Beurteilungsfortschreibung,
die sich ausgehend von einer unzulässigen Befähigungsbeurteilung und den darin
attestierten Anlagen und Fähigkeiten einseitig und geradezu willkürlich an dem zum
31.12.1997 bestbeurteilten Beamten K orientiert, offenkundig nicht gerecht. Zu
berücksichtigen ist nämlich, wie sich die dienstliche Beurteilung einer Vergleichsgruppe im
Durchschnitt während des fraglichen Zeitraumes entwickelt hat, und das schließt es aus,
einen Ausnahmefall zum Maßstab zu erheben
vgl. dazu u.a. Beschluß des Senats vom 23.3.1995 - 1 W 74/94 - (Seite 5), NVwZ-RR
1995, 407, sowie Urteil des Senats vom 8.6.1995 - 1 R 26/94 -, dokumentiert bei Juris.
Neben dem Beamten K gehören zu der vom Antragsgegner gebildeten Vergleichsgruppe,
wie bereits erwähnt, auch die Beamten R und S . Deren zum Beurteilungsstichtag
31.12.1997 ebenfalls mit der Gesamtnote "sehr gut - 13 Punkte" abschließenden
dienstlichen Beurteilungen weisen bei den 15 Einzelmerkmalen 11 x (R) bzw. 12 x (S) die
höchste Wertungsstufe "weit überdurchschnittlich" auf. Ein Vergleich auf arithmetischer
Grundlage (höchste Wertungsstufe "weit überdurchschnittlich = 1 und zweithöchste
Wertungsstufe "überdurchschnittlich" = 2) führt zu den Gesamtnoten 1,00 (K), 1,20 (S)
und 1,26 (R) und ergibt eine statistische Durchschnittsnote von 1,15, die wiederum in
Einzelmerkmalen ausgedrückt allenfalls eine Bewertung von 13 Einzelmerkmalen mit der
höchsten Bewertungsstufe "weit überdurchschnittlich" rechtfertigen würde. Möglicherweise
hätte eine weitere Fortschreibung dieser fiktiven, auf den Beurteilungsstichtag 31.12.1997
bezogenen Beurteilung des Beigeladenen zum Beurteilungsstichtag 31.10.2001 zu einer
(fiktiven) Bewertung aller 15 Einzelmerkmale mit "weit überdurchschnittlich" führen können
allerdings ist es nicht erforderlich, daß für jeden Beurteilungszeitraum eine fiktive
Beurteilung erstellt wird, vgl. dazu Beschlüsse des Senats vom 25.8.1992 - 1 W 44/92 -,
a.a.O., und vom 23.3.1995 - 1 W 73/94 -, Seite 8.
Das aber kann vom Senat nicht festgestellt werden, da der Antragsgegner eine fiktive
Fortschreibung der letzten regulären dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen zum
Beurteilungsstichtag 31.10.2001 ebenfalls nicht sachgerecht vorgenommen hat. Seine
Annahme, es müsse zugunsten des Beigeladenen bis Oktober 2001 "zumindest eine gleich
bleibende dienstliche Leistung unterstellt werden", so daß dieser zum Beförderungstermin
1.4.2002 mit der Gesamtnote "sehr gut - 13 Punkte" und der Bewertung aller 15
Einzelmerkmale mit "weit überdurchschnittlich" exakt die gleiche aktuelle dienstliche
Beurteilung wie der Antragsteller aufgewiesen hätte (Seite 8 unten und Seite 9 oben der
Beschwerdebegründung vom 13.11.2002), geht von der - wie dargelegt - unzutreffenden
Feststellung aus, dem Beigeladenen habe bereits zum 31.12.1997 diese Höchstbewertung
zuerkannt werden müssen.
Kann nach alldem bereits aufgrund der bisher vom Antragsgegner praktizierten
Fortschreibung der letzten regulären dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen nicht davon
ausgegangen werden, daß diesem zum 1.4.2002 auf der Grundlage der vom
Antragsgegner aufgestellten Auswahlkriterien ein Beförderungsvorrang vor dem
Antragsteller zukommt, so kann im weiteren dahingestellt bleiben, ob die vom
Antragsgegner für die Fortschreibung herangezogene Vergleichsgruppe, die sich auf die
Beamten K , S und R beschränkt, den Kriterien genügt, die für ein sachgerechtes Bilden
von Vergleichsgruppen gewahrt sein müssen. Das könnte deshalb zweifelhaft sein, weil der
Antragsgegner im Ausgangspunkt auf diejenigen Amtsinspektoren im JVD abgestellt hat, die
zum Beförderungstermin 1.4.2001 um ein Zulageamt miteinander in Konkurrenz standen.
Das waren neben fünf aktuell "sehr gut - 13 Punkte" beurteilten Beamten zusammen mit
dem Antragsteller weitere acht Beamte, die zum 31.12.1997 mit "gut - 12 Punkte"
beurteilt waren (vgl. Seite 4 oben der Beschwerdebegründung vom 13.11.2002). Es
drängt sich geradezu auf, auch diese Beamten bei der Fortschreibung der dienstlichen
Beurteilung des Beigeladenen mit in den Blick zu nehmen, da es einer gewissen
Mindestzahl von Vergleichsgruppenangehörigen bedarf, um zu einem einigermaßen
gesicherten Fundament zu gelangen
vgl. dazu Schnellenbach, "Nachzeichnung des fiktiven beruflichen Werdegangs freigestellter
beamteter Personalratsmitglieder", ZfPR 2002, 51 (55 f. ).
Das hätte es dann zwar nicht ausgeschlossen, auf einer zweiten Stufe einen Teil dieser
Beamten aus der Vergleichsgruppe herauszunehmen, weil sich ihr dienstlicher Werdegang
insbesondere unter Berücksichtigung der bis 1994 von ihnen wahrgenommenen
Funktionen von demjenigen des Beigeladenen unterschied. Ohne entsprechende
Darlegungen seitens des Antragsgegners ist es für den Senat jedenfalls nicht ersichtlich,
warum nur die genannten drei Beamten für die Nachzeichnung des fiktiven beruflichen
Werdegangs des Beigeladenen berücksichtigt wurden.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 25 Abs. 2, 20 Abs. 3, 14, 13 Abs. 1, 13 Abs.
1 und 4 Satz 2 GKG.
Dieser Beschluß ist nicht anfechtbar.