Urteil des OVG Saarland vom 16.03.2011

OVG Saarlouis: auslandsvertretung, konstitutive wirkung, ausstellung, aufenthaltserlaubnis, ausländer, familie, reisepass, algerien, meinung, vorführung

OVG Saarlouis Beschluß vom 16.3.2011, 2 A 25/10
Ausweisung und Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis - keine
Fiktionswirkung bei irrtümlich ausgestellter Fiktionsbescheinigung - zumutbare
Anstrengungen bei der Beschaffung von Identitätspapieren
Leitsätze
1. Eine - irrtümlich ausgestellte - Fiktionsbescheinigung vermag keine Fiktionswirkung nach
§ 81 Abs. 4 AufenthG auszulösen.
2. Zum - unberechtigten - Vorwurf einer Voreingenommenheit des erstinstanzlichen
Gerichts.
3. Von einem Ausländer können gesteigerte Anstrengungen bei der Beschaffung von
Identitätspapieren mit Blick auf seine Passpflicht nach § 3 Abs. 1 AufenthG und seine
Mitwirkungspflicht nach § 48 Abs. 3 AufenthG verlangt werden. Dazu gehört auch - soweit
erforderlich - die Abgabe einer Erklärung, dass er zur freiwilligen Ausreise bereit sei, wenn
von einer solchen Erklärung die Ausstellung eines Reiseausweises abhängig gemacht wird
oder sie zu einer schnelleren Ausstellung des Papiers führt; auf einen eventuell
entgegenstehenden inneren Willen des Ausländers kommt es nicht an.
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Saarlandes vom 16. Dezember 2009 – 10 K 330/09 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 10.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
Der fristgerecht gestellte und auch ansonsten zulässige Antrag des Klägers auf Zulassung
der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16.12.2009 – 2 A 330/09 -,
mit dem seine gegen den Bescheid des Beklagten vom 29.10.2008 (Ausweisung und
Versagung der beantragten Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.3.2009 gerichtete Klage abgewiesen wurde,
hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der
Richtigkeit der Entscheidung (§ 124 II Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtsache (§ 124 II Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
Der Kläger hat seinen Zulassungsantrag im Wesentlichen damit begründet, dass er sich
mit Blick auf die ergangene Ausweisungsverfügung entgegen der Ansicht des
Verwaltungsgerichts auf § 56 I 1 Nr. 2 AufenthG berufen könne. Die Behörde habe mit der
Ausstellung der Fiktionsbescheinigung einen Rechtsschein dahingehend gesetzt, dass sein
Aufenthalt als erlaubt gelte, wie aus der Bescheinigung selbst zu ersehen sei. Dies könne
aus der entscheidenden Adressatensicht nur so verstanden werden, dass er sich weiterhin
erlaubt in Deutschland aufhalten dürfe. Dieser Rechtsschein könne nicht im Nachhinein
dadurch beseitigt werden, dass der Beklagte die Erteilung der Bescheinigung als
Behördenirrtum bezeichnet habe. Dieser hätte schließlich die Bescheinigung unverzüglich
einziehen und dem Kläger eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung
erteilen können. „Nach dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns in
Verbindung mit dem Vertrauensschutzgrundsatz“ sei die Ansicht des Verwaltungsgerichts,
dass die Fiktionsbescheinigung keine konstitutive Wirkung haben könne und lediglich
Beweiszwecken diene, falsch. Davon ausgehend erfülle er die 5-Jahres-Frist des § 56 I 1 Nr.
2 AufenthG, so dass es bei der vorzunehmenden Überprüfung, ob die Ausweisung aus
schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geboten wäre, auf Art.
6 I GG, Art. 8 I EMRK ankomme. Dies sei vorliegend offensichtlich nicht der Fall. Sei somit
die Begründung für die verwaltungsgerichtliche Annahme, er genieße keinen besonderen
Ausweisungsschutz, fehlerhaft, spreche zumindest eine Vermutung dafür, dass auch
bezüglich des Entscheidungsergebnisses ernstliche Zweifel bestünden. Daraus ergebe sich
zwangsläufig, dass sich der Kläger entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts darauf
berufen könne, dass der Ausweisungsgrund mit Blick auf die ihm am 18.11.2004 erteilte
Aufenthaltsbefugnis und „durch den Verlängerungsantrag“, der Fiktionswirkung entfaltet
habe, verbraucht sei. Schließlich begründeten auch – bedenklich formulierte – Erwägungen
des Verwaltungsgerichts (S. 20 des Urteilsum-drucks) ernstliche Zweifel an der Richtigkeit
der ergangenen erstinstanzlichen Entscheidung. Denn das Verwaltungsgericht unterstelle
dem Kläger und seiner Familie, mit dem Generalkonsulat zum Schaden der Bundesrepublik
Deutschland („kollusiv“) gehandelt zu haben. Da es für eine solche im Zusammenwirken
mit dem algerischen Generalkonsulat begangene Straftat nicht die geringsten objektiven
Anhaltspunkte gebe, seien „ermessensfremde Motive“ in die damit grob
ermessensfehlerhaft werdende Entscheidung eingeflossen. Gerade die Formulierung (S. 21
1. Abs., letzter HS des Urteilsumdrucks), die Ausstellung eines Reisepasses sei mit
vorgefasster Meinung abgelehnt worden, spreche deutlich für eine Voreingenommenheit
der Kammer. Im Übrigen verkenne die Kammer die völkerrechtliche Funktion der Botschaft
bzw. des Generalkonsulates der Republik Algerien, die immer noch völlig autark
entscheiden könne, wem sie einen Reisepass ausstelle. Sie habe zu akzeptieren, dass das
allein zuständige Generalkonsulat in Bonn dem Kläger trotz Vorführung keinen Reisepass
ausgestellt habe und auch nicht ausstellen werde. Daher habe er es im Sinne des § 25 V 1
AufenthG nicht zu vertreten, dass er nicht ausreisen könne. Dass das Gericht vom
gewünschten Ergebnis her argumentiere, zeige die Aussage, dass er ohnehin keinen
Anspruch gemäß dieser Vorschrift habe, da er zumutbare Anforderungen zur Beseitigung
des Ausreisehindernisses nicht erfüllt habe. Wenn ihm trotz Vorführung kein Reisepass
ausgestellt werde, sei es ihm objektiv unmöglich, noch weitere Anstrengungen zur
Passbeschaffung anzustellen. Schließlich seien die Anforderungen, die die Kammer „im
Hinblick auf das gewünschte Ergebnis“ stelle, auch überhöht. Einem Ausländer, der als
„Kleinstkind“ in die Bundesrepublik eingereist sei und demzufolge wohl generell den
gleichen Schutz wie ein Unionsbürger genieße, könne nicht angesonnen werden, mit allen
Mitteln auf seine Auslandsvertretung einzuwirken, dass diese ihm endlich einen Pass
ausstelle. Es sei doch völlig nachvollziehbar, dass der Kläger absolut keine Bezüge zu
Algerien habe, da er mit drei Jahren dieses Land verlassen habe. Dies hätten sowohl der
Beklagte als auch das Gericht verkannt und stattdessen ständig seine Straftaten in den
Vordergrund gestellt, ohne Art. 8 I EMRK bedeutungsangemessen anzuwenden. Die
Berufung sei darüber hinaus auch gemäß § 124 II Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergebe sich daraus, dass die generelle
Problematik, ob die Weigerung der Auslandsvertretung, einen Reisepass für einen ihrer
Staatsangehörigen auszustellen, für sich allein gesehen schon ausreiche, um von einer
Unzumutbarkeit im Sinne des § 25 V 1 AufenthG auszugehen, oder ob der Ausländer sich
trotz dieser definitiven Weigerung weiterhin bei seiner Auslandsvertretung um einen Pass
bemühen müsse. Wenn die Auslandsvertretung eine Passausstellung ablehne, sei dies vom
Ausländer ebenso wie von der Ausländerbehörde hinzunehmen, weil sie dies in Kenntnis
der Person des Ausländers und der Umstände, insbesondere auch in Kenntnis eines
Rücknahmeübereinkommens zwischen Algerien und Deutschland getan habe. Ein Vorgehen
gegen eine nachweisbare Ablehnung – wie bei dem Kläger - könne dem Ausländer nicht
zugemutet werden. Anders liege der Fall, wenn die Auslandsvertretung nur untätig bleibe.
Die Antragsbegründung rechtfertigt zunächst nicht die Zulassung der Berufung gemäß §
124 II Nr. 1 VwGO, denn an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen
keine ernstlichen Zweifel.
Zunächst kann sich der Kläger hinsichtlich der angefochtenen Ausweisungsverfügung nicht
mit Erfolg auf besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 I 1 Nr. 2 AufenthG berufen, denn
er erfüllt nicht dessen Tatbestandsvoraussetzung eines mindestens fünfjährigen
rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet. Wie sowohl das Verwaltungsgericht als auch
der Beklagte zutreffend festgestellt haben, war der Aufenthalt des Klägers nur während
der bis zum 17.11.2006 bestehenden Gültigkeit der ihm am 18.11.2004 erteilten, ab
1.1.2005 als Aufenthaltserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltsbefugnis rechtmäßig. Sein erst
zwei Monate nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis beim Beklagten eingegangener
zwei Monate nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis beim Beklagten eingegangener
Verlängerungsantrag vom 12.1.2007 konnte, worauf der Senat bereits in seinem im
Beschwerdeverfahren ergangenen Beschluss vom 30.6.2009 - 2 B 366/09 – hingewiesen
hat, ebenso wie die irrtümlich vom Beklagten ausgestellte Fiktionsbescheinigung, die als
solche nur Beweiszwecken dient, aber keine konstitutive Wirkung haben kann, keine
Fiktionswirkung im Sinne des § 81 IV AufenthG auslösen. Zu der Fiktionswirkung hat das
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 30.3.2010 – 1 C 6/09 -, BVerwGE 136,
211) ausgeführt, dass Sinn und Zweck der neuge-stalteten Fiktionswirkung in dieser
Vorschrift gewesen sei, der Neuordnung des Arbeitsgenehmigungsrechts durch das
Zuwanderungsgesetz gerecht zu werden. Da nunmehr nach § 4 III 1 AufenthG Ausländer
eine Erwerbstätigkeit nur ausüben dürften, wenn der Aufenthaltstitel sie dazu berechtige,
sei es zwingend erforderlich gewesen, die bisher über das gesonderte
Arbeitsgenehmigungsrecht mögliche Fortsetzung der Erwerbstätigkeit während eines noch
ungeklärten Anspruchs auf Verlängerung oder Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis
durch eine fiktive Aufrechterhaltung des Aufenthaltstitels sicherzustellen (für die Dauer des
Antragsverfahrens bei der Ausländerbehörde in § 81 IV AufenthG, für das Widerspruchs-
und Klageverfahren in § 84 II 2 AufenthG). Dass darüber hinaus durch § 81 IV AufenthG
auch die aufenthaltsrechtlichen Verfestigungsmöglichkeiten – unabhängig von der
materiellen Rechtslage – hätten grundlegend umgestaltet und verbessert werden sollen,
sei dagegen nicht ersichtlich. Vielmehr spreche alles dafür, dass die Fortbestandsfiktion -
ebenso wie nach § 69 III AuslG 1990 - nur vorläufigen Charakter bis zur Entscheidung der
Ausländerbehörde haben und sich auf die Beurteilung des materiellen Anspruchs auf
Verlängerung oder Neuerteilung eines anderen Aufenthaltstitels nicht auswirken sollte.
Denn ein Antragsteller solle durch die verspätete Entscheidung über seinen Antrag nicht
schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als wenn die Behörde alsbald
entschieden hätte. Daher habe auch die Fiktion nach § 81 IV AufenthG
besitzstandswahrende, nicht aber rechtsbegründende Wirkung. Steht danach eine –
tatsächliche - fiktive Fortgeltung einer Aufenthaltserlaubnis dem Besitz der
Aufenthaltserlaubnis nur dann gleich, wenn dem Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt
auch ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zusteht (BVerwG, Urteil vom
16.11.2010 – 1 C 21/09 -, juris) , konnte die dem Kläger wegen nicht bestehender
Fiktionswirkung zu Unrecht ausgestellte Fiktionsbescheinigung – entgegen seiner Meinung –
erst recht nicht wegen eines von ihrer bloßen Existenz ausgehenden „Rechtsscheins“
rechtsbegründend sein. Somit ist auf den Kläger § 56 I 2 AufenthG, wonach Ausländer im
Sinne des Satzes 1 dieser Vorschrift nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden, nicht anwendbar.
Der Zulassungsantrag des Klägers kann ferner, soweit er wohl über die Ausweisung hinaus
von einem „Verbrauch“ der Ausweisungsgründe (vgl. § 5 I Nr. 2 AufenthG) auch mit Blick
auf die begehrte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausgeht, keinen Erfolg haben. Zwar
ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Ausweisungsgründe – zumal in Form eines
Erlaubnisversagungsgrundes – in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes
einem Ausländer nur dann und solange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch
„aktuell“ und nicht „verbraucht“ sind bzw. die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung
nicht ausdrücklich oder konkludent „verzichtet“ hat. (BVerwG, Urteil vom 15.3.2005 – 1 C
26.03 -, BVerwGE 123, 114, m.z.w.N.) Von einem solchen Fall ist vorliegend indes
auszugehen. Der Kläger ist, nachdem er mit Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom
14.9.2004 (Bl. 35 Ausländerakte) zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten,
die auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden war, im
Zusammenhang mit der Erteilung der Aufenthaltsbefugnis am 18.11.2004 am
23.11.2004 ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass eine erneute Straffälligkeit eine
Ausweisung bzw. Rücknahme der Aufenthaltsbefugnis bzw. Versagung einer Verlängerung
des Aufenthaltstitels zur Folge haben könne. (Bl. 52 Ausländerakte) Danach wurde er mit
weiterem Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 16.12.2004 - wegen vor der Belehrung
liegender Delikte – unter Einbeziehung der früheren Verurteilung zu einer Jugendstrafe von
einem Jahr und fünf Monaten, die auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde,
verurteilt. Unter Einbeziehung dieser beiden Verurteilungen wurde der Kläger schließlich
durch Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 14.9.2006 (Bl. 148 Ausländerakte) wegen in
den Jahren 2005 und 2006 begangener weiterer Straftaten – u.a. räuberischer Erpressung
in zwei Fällen - zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach
diesen Verurteilungen beantragte der Kläger sodann – nach Ablauf seiner
Aufenthaltserlaubnis am 17.11.2006 – mit Schreiben vom 12.1.2007 die Verlängerung
seines Aufenthaltstitels, die der Beklagte schließlich nach einer Anhörung des Klägers mit
Bescheid vom 29.10.2008 abgelehnt hat. Da die dem Kläger am 19.1.2007 erteilte
Fiktionsbescheinigung mangels bestehender Fiktionswirkung nach dem Vorstehenden nicht
nur ins Leere ging, sondern auch unter Vertrauensaspekten ohne Bedeutung war, hat der
Beklagte nichts unternommen, was dem Kläger hätte berechtigten Anlass geben können,
auf die aufenthaltsrechtliche Folgenlosigkeit seiner kriminellen Handlungen zu vertrauen. Ein
Verbrauch von Ausweisungsgründen ist daher nicht feststellbar.
Die Zulassung der Berufung ist auch nicht wegen der Rüge des Klägers gerechtfertigt, die
erkennende Kammer sei bei Erlass der angefochtenen Entscheidung ausweislich ihrer
Ausführungen über ein Zusammenwirken des Klägers, seiner Familie und des
Generalkonsulats voreingenommen gewesen. Der Begründung der angefochtenen
Entscheidung vermag der Senat auch unter Berücksichtigung der hierzu gegebenen
Begründung des Klägers keine ernsthaften Anhaltspunkte für eine erstinstanzliche
Befangenheit zu entnehmen.
Der Kläger beanstandet Ausführungen, die im Rahmen der Prüfung des
Verwaltungsgerichts, ob die Erlangung von Reisepapieren durch die Auslandsvertretung für
den Kläger überhaupt noch möglich und auch zumutbar ist, erfolgt sind. Dabei hat das
Gericht zunächst dargelegt, dass auch weiterhin eine Dokumentenbeschaffung möglich sei
(S. 20 des Urteilsumdrucks, dritter Absatz). Es hat danach ausgeführt, dass sich daran
auch für den Fall nichts ändere, dass die algerische Auslandsvertretung – eventuell im
Rahmen eines „kollusiven“ Zusammenwirkens mit der Familie des Klägers – die
Ausstellung eines Reisepapiers für den Kläger ablehne, um dessen Rückführung ins
Heimatland zu verhindern, denn auch bei einer solchen Fallkonstellation lägen die
Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 V
AufenthG nicht vor.
Zunächst ist die Annahme des Klägers, mit dem Wort „kollusiv“ werde eine Straftat
unterstellt, ohne weitere Darlegung nicht nachvollziehbar, denn dieser Begriff ist nicht nur
im Strafrecht, sondern auch im Zivilrecht und darüber hinaus auch umgangssprachlich als
Ableitung von „kolludieren“, das „im geheimen Einverständnis stehen“ (Vgl. etwa Duden,
Die deutsche Rechtschreibung, 2000) bedeutet, gebräuchlich. Dafür, dass das Gericht das
Wort in einem anderen als in seiner umgangssprachlichen Bedeutung verwenden wollte,
sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Dass es in seiner Entscheidung das Verhalten der
Auslandsvertretung mit deutlichen Worten kritisiert und – wie die angegebenen Belegstellen
zeigen – sowohl auf eine Verhinderungsabsicht des Generalkonsulats als auch eine
Beteiligung der Familie des Klägers hingewiesen hat, ist indes in der Sache nicht zu
beanstanden und weist auch nicht auf eine Voreingenommenheit der Kammer hin. Zum
einen steht die Vertragswidrigkeit der Vorgehensweise des Generalkonsulats fest. Denn die
Auslandsvertretung ist, worauf das Auswärtige Amt in seiner Verbalnote vom 10.7.2009
auch hingewiesen hat, gemäß Art. 1 III des deutsch- algerischen
Rückübernahmeabkommens verpflichtet, nach Vorlage einer Kopie des Reisepasses ein
Passersatzpapier auszustellen. Hiergegen hat das Generalkonsulat nach Aktenlage klar
verstoßen. Zum anderen ist auch eine vom Verwaltungsgericht in Betracht gezogene
Beteiligung der Familie des Klägers nach Aktenlage keineswegs fernliegend; sie drängt sich
vielmehr auf.
Unstreitig hatten Vater und Schwester A des Klägers bereits am 8.4.2009 beim
algerischen Generalkonsulat vorgesprochen, um den Reisepass der Letztgenannten
verlängern zu lassen. Bei dieser Gelegenheit haben beide ausweislich der eidesstattlichen
Versicherung des Vaters vom 9.4.2009 (Bl. 407 Ausländerakte) „ganz offen“ über die
persönliche Situation des Klägers und seiner Familie mit Frau A gesprochen. Zur Sprache
seien die Abschiebehaft, in der sich der Kläger zu dieser Zeit befunden habe, ferner seine
Verlobung mit einer Deutschen und die Eheschließungsabsicht gekommen. Schließlich
hätten sie gefragt, ob ihm nicht ein Pass oder ein Laissez-Passer ausgestellt werden könne,
damit er „wenigstens aus der Haft entlassen werden“ könne. Dies habe Frau A abgelehnt,
weil er bereits mit drei Jahren nach Deutschland übergesiedelt und hier aufgewachsen sei,
sich in Algerien keine Familie mehr befinde, vielmehr Eltern, Geschwister und „alle anderen
Verwandten“ im Bundesgebiet lebten, er seine deutsche Verlobte heiraten wolle und seine
Familie mit gesicherten Aufenthaltsrechten seit langer Zeit und absehbar bis zu ihrem
Lebensende in Deutschland lebe. Da er in Deutschland seine Ausbildung gemacht habe, sei
er verpflichtet, dies durch Arbeitsleistung in Deutschland zu vergelten. Dass diese
vorgetragene dezidierte Begründung der Frau A auf der Unterrichtung durch die Familie des
Klägers beruhte, lässt sich schon daraus schließen, dass etwa der Aufenthaltsort „aller
anderen Verwandten“ im Generalkonsulat sicherlich nicht aktenkundig ist, nur für eine
Integration des Klägers in Deutschland sprechende Aspekte Erwähnung fanden, während -
als gravierend dagegen sprechende Umstände – u.a. seine Straffälligkeit und
Drogenabhängigkeit überhaupt nicht thematisiert wurden und seine „Ausbildung“, die
weder Schulabschluss noch Berufsausbildung aufweist, nur pauschal genannt wurde. Es
muss im gegebenen Zusammenhang auch als lebensfremd angesehen werden, dass Vater
und Schwester mit ihrer an Frau A gerichteten Frage ernsthaft die Ausstellung eines
Passes oder eines Laissez-Passer für den Kläger, damit er „wenigstens aus der
Abschiebehaft entlassen“ werden könne, hätten erreichen wollen. Dagegen spricht schon
mit Gewicht die Tatsache, dass er in diesem Falle sofort hätte abgeschoben werden
können, woran offensichtlich weder der Kläger noch seine Familie interessiert sind.
Vielmehr konnte diese Frage vor dem Hintergrund der zuvor erteilten Informationen der
Sache nach nur als Anregung oder Bitte an Frau A verstanden werden, diese Abschiebung
mit Blick auf die behauptete Integration des Klägers nicht durch die Erteilung eines
Reisedokuments zu ermöglichen. Angesichts der auf den erteilten Informationen
beruhenden Antwort der Frau A liegt es daher nahe, von einem stillschweigenden
„Zusammenwirken“ der Handelnden auszugehen; diese naheliegende Annahme wird auch
durch die Geschehnisse in der Folge gestützt.
Allerdings bedeutete für den Kläger die vorgenannte Erklärung der Frau A noch keine
endgültige Verweigerung der Ausstellung eines Reisepapiers durch die Auslandsvertretung.
Dies ergibt sich aus dem Telefonanruf des Herrn Y vom 20.4.2009, bei dem dieser einem
Mitarbeiter des Beklagten erklärte, es würde für den Kläger zwar kein Passersatzdokument
ausgestellt, die Ausstellung eines Reisepasses sei indes im Rahmen seiner persönlichen
Vorsprache möglich (Bl. 292 Ausländerakte) . Überraschenderweise erklärte dann aber ein
Mitarbeiter des Generalkonsulats bei der darauf hin erfolgten Vorführung des Klägers am
29.4.2009 im Generalkonsulat, bei dessen Eintreffen dessen Familienangehörige und
Verlobte im dortigen Wartebereich anwesend waren, dem Mitarbeiter des Beklagten
ausweislich seines Vermerks vom 30.4.2009 (Bl. 328 Ausländerakte) „bereits nach kurzer
Zeit in einem kurzen Gespräch“, dass für den Kläger kein Passersatzpapier ausgestellt
würde und für das Generalkonsulat dieser Fall abgeschlossen sei; auf Einwände hinsichtlich
der Ausreiseverpflichtung des Betroffenen und Voraussetzungen für die Ausstellung eines
Passersatzdokuments gemäß Rückübernahmeabkommen sei er nicht eingegangen. Diese
überraschende Erklärung, die in krassem Widerspruch zum Inhalt des Telefonats vom
20.4.2009 stand, legt einen Zusammenhang mit dem Erscheinen der Familie zur
Vorführung des Klägers nahe, dessen Sinn wohl darin bestand, insbesondere die im
Generalkonsulat auch tatsächlich wiederum anwesende Frau A – sei es ausdrücklich oder
durch ihre bloße Anwesenheit – an ihre die familiäre Interessenlage betreffenden
Darlegungen zu erinnern. Inwiefern die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die
Ablehnung der Erteilung eines Reisepapiers auf einer „vorgefassten Meinung“ des
Generalkonsulats beruhe, - selbst wenn sie falsch sein sollte - eine Voreingenommenheit
der Kammer, wie der Kläger meint, belegen soll, erschließt sich angesichts dieses
Geschehensablaufs nicht.
Soweit das Verwaltungsgericht u.a. unter Hinweis auf die Verbalnote der Botschaft der
demokratischen Volksrepublik Algerien vom 8.10.2009 (Bl. 645 Ausländerakte) ausführt,
dass die Auslandsvertretung „nicht nur die – ersichtlich fehlerhafte – Rechtsauffassung des
Klägers vollständig übernommen, sondern zudem nicht beachtet“ habe, dass die Prüfung
der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach
deutschem Recht nicht deren Sache sei, sondern in die Zuständigkeit der deutschen
Behörden und Gerichte falle, kann der Kläger hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, die
Auslandsvertretung könne immer noch völlig autark entscheiden, wem sie einen Reisepass
ausstelle, und die Ausländerbehörde habe dies zu akzeptieren. Insofern verkennt er
wiederum, dass das Verhalten der algerischen Auslandsvertretung nicht mit dem deutsch-
algerischen Rückübernahmeabkommen vereinbar ist und es in diesem Rahmen nicht
darauf ankommen kann, ob sie einen ausreisepflichtigen Staatsangehörigen als „gut
darauf ankommen kann, ob sie einen ausreisepflichtigen Staatsangehörigen als „gut
integriert“ ansieht.
Im Übrigen bedeutet die in der vorgenannten Verbalnote geäußerte Bitte der algerischen
Auslandsvertretung um eine nochmalige Prüfung der Situation des Klägers in der Sache,
dass damit keine endgültige – vertragswidrige – Ablehnung der Erteilung eines
Reisedokuments erfolgte und entgegen der Meinung des Klägers keineswegs feststeht,
dass für ihn ein unabsehbar andauerndes objektives Ausreisehindernis besteht.
Soweit der Kläger beanstandet, dass ihm vom Verwaltungsgericht zur Last gelegt wurde,
selbst nicht aktiv auf die Ausstellung eines Passes oder Passersatzpapiers hingewirkt und
daher gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen zu haben, hat er sich mit keinem der
konkreten Vorhalte des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt, sondern sich vielmehr
darauf beschränkt, diese Ausführungen lediglich unsubstantiiert als überhöhte
Anforderungen und eine Argumentation „vom gewünschten Ergebnis her“ zu bezeichnen.
Soweit der Kläger schließlich meint, dass ihm nicht angesonnen werden könne, „mit allen
Mitteln auf seine Auslandsvertretung einzuwirken, damit diese ihm endlich einen Pass
ausstellt“, ist darauf hinzuweisen, dass gerade bei der Beschaffung von Identitätspapieren
von ihm mit Blick auf seine Passpflicht nach § 3 I AufenthG und seine Mitwirkungspflicht
nach § 48 III AufenthG gesteigerte Anstrengungen verlangt werden können. Dazu gehört
auch, soweit erforderlich, die Abgabe einer Erklärung, dass er zur freiwilligen Ausreise
bereit sei, wenn von einer solchen Erklärung die Ausstellung des Reisepapiers abhängig
gemacht wird oder sie zu einer deutlich schnelleren Ausstellung des Papiers führt. Auf einen
eventuell entgegenstehenden inneren Willen des Ausländers kommt es insofern nicht an.
Eine solche Freiwilligkeitserklärung ist einem ausreisepflichtigen Ausländer grundsätzlich
zumutbar. (BVerwG, Urteil vom 10.11.2009 – 1 C 19.08 -, BVerwGE 135, 219)
Der Kläger kann auch nicht den gleichen Schutz wie ein Unionsbürger einfordern, denn eine
vergleichbare Rechtsstellung kommt ihm offensichtlich nicht zu. Er beruft sich im
Wesentlichen auf seinen langjährigen - aber nur während zwei Jahren rechtmäßigen -
Aufenthalt im Bundesgebiet und fehlende Bezüge zu seinem Heimatland und wendet sich
dagegen, dass seine Straftaten sowohl vom Beklagten als auch vom Verwaltungsgericht in
den Vordergrund gestellt wurden. Dabei will er nicht zur Kenntnis nehmen, dass gerade
diese Straftaten zusammen mit seinem unbewältigtem Drogenproblem, fehlendem
Schulabschluss, fehlender Berufsausbildung und wirtschaftlicher Integration belegen, dass
es ihm trotz offensichtlich guter Deutsch-Kenntnisse und langjährigem Aufenthalt nicht
gelungen ist, in Deutschland Fuß zu fassen. Im Übrigen kann insoweit auf die zutreffenden
Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen werden.
Eine Zulassung der Berufung ist auch nicht mit Blick auf § 124 II Nr. 3 VwGO gerechtfertigt,
denn der Rechtssache kommt entgegen der Meinung des Klägers keine grundsätzliche
Bedeutung zu.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine für die
Berufungsentscheidung erhebliche, klärungsfähige und klärungsbedürftige, insbesondere
höchst- oder obergerichtlich nicht (hinreichend) geklärte Frage allgemeiner,
fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder ihrer Fortentwicklung der berufungsgerichtlichen Klärung bedarf.
Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Die vom Kläger sinngemäß
aufgeworfene Frage, ob die Weigerung der Auslandsvertretung, einen Reisepass für einen
ihrer Staatsangehörigen auszustellen, für sich allein gesehen schon ausreiche, um von
einer „Unzumutbarkeit im Sinne des § 25 V 1 AufenthG“ auszugehen, oder ob der
Ausländer sich trotz dieser definitiven Weigerung weiterhin bei seiner Auslandsvertretung
um einen Pass bemühen müsse, ist nicht grundsätzlich klärungsfähig. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist über die
Zumutbarkeit der einem Ausländer obliegenden Handlungen zur Beseitigung eines
Ausreisehindernisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden
(BVerwG, Beschluss vom 15.6.2006 – 1 B 54/06 -, Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr.
4) .
Im Übrigen kann nach dem Vorstehenden, insbesondere der Verbalnote der algerischen
Botschaft vorliegend nicht von einer „definitiven Weigerung“ der Auslandsvertretung
ausgegangen werden, zumal sich der Kläger bisher nicht selbst um einen Reisepass zur
freiwilligen Ausreise in sein Heimatland bemüht hat.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 II VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre
Grundlage in den §§ 63 II, 52 I, 47 GKG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar.