Urteil des OVG Saarland vom 29.05.2006

OVG Saarlouis: russische föderation, staatsgebiet, gefährdung, auflage, amt, polizist, ausländerrecht, ausreise, abweisung, rückführung

OVG Saarlouis Beschluß vom 29.5.2006, 3 Q 1/06
Inländische Fluchtalternative für Tschetschenen
Leitsätze
Der 3. Senat des OVG des Saarlandes hält an der Rechtsprechung des 2. Senats ( etwa
Entscheidung vom 23.6.2005 - 2 R 4/04 - ) fest, wonach Staatsangehörigen der
Russischen Föderation tschetschenischer Volkszugehörigkeit grundsätzlich eine zumutbare
inländische Fluchtalternative offensteht
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 18. März 2005 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des
Saarlandes – 12 K 117/04.A – wird zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Antragsverfahrens hat der Kläger
zu tragen.
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren im
zweiten Rechtszug wird abgelehnt.
Gründe
Dem Antrag des im Jahre 2002 in die Bundesrepublik Deutschland eingereisten Klägers, der
Staatsangehöriger der russischen Föderation tschetschenischer Volkszugehörigkeit ist, auf
Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 18.3.2005, mit dem das Verwaltungsgericht
seine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Bestehens von
Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 bis 7 AufenthaltsG abgewiesen hat, kann nicht
entsprochen werden.
Das Vorbringen des Klägers in der Begründung seines Zulassungsantrages, das den
gerichtlichen Prüfungsumfang in dem vorliegenden Verfahren begrenzt, rechtfertigt nicht
die erstrebte Berufungszulassung wegen der geltend gemachten grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG).
Soweit der Kläger die Frage als grundsätzlich bedeutsam aufwirft, ob tschetschenische
Volkszugehörige als solche in der russischen Föderation einer Verfolgung ausgesetzt sind,
ist diese Frage in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes
geklärt,
hierzu Entscheidungen vom 23.6.2005 – 2 R 4/04 -, 2 R 17/03 -, - 2 R 16/03 - und - 2 R
11/03 – sowie vom 21.4.2005 – 2 Q 46/04 -.
Dort ist ausgeführt, dass eine landesweite Kollektivverfolgung aller tschetschenischen
Volkszugehörigen im (gesamten) Staatsgebiet der Russischen Föderation bei Anlegung der
hierzu in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten strengen Maßstäbe
ungeachtet der sich im Gefolge von Terroranschlägen in der jüngeren Vergangenheit
verschärfenden Spannungen und Vorbehalte nicht festgestellt werden kann. Insofern lasse
sich nach dem vorliegenden Auskunftsmaterial weder ein staatliches (russisches)
Verfolgungsprogramm mit dem Ziel einer physischen Vernichtung und/oder der
gewaltsamen Vertreibung aller Tschetschenen aus dem Staatsgebiet nachweisen, noch
ließen bekannt gewordene Einzelverfolgungsmaßnahmen mit Blick auf die zahlenmäßige
Größe der die bei weitem größte der im Nordkaukasus beheimateten Ethnien stellenden
Volksgruppe der Tschetschenen die Feststellung einer die Annahme einer landesweiten
Gruppenverfolgung gebietenden Verfolgungsdichte zu.
Ob bezogen auf das Territorium von Tschetschenien das Vorliegen der genannten
Voraussetzungen für die Annahme einer „regionalen Gruppenverfolgung“ anzunehmen ist,
bleibt in den zitierten Entscheidungen offen. Selbst bei Anlegung des in der Rechtsprechung
für die Fälle der so genannten Vorverfolgung im Heimatland entwickelten „herabgestuften“
Prognosemaßstabs für die Feststellung einer Rückkehrgefährdung stehe aber nach der o.g.
Rechtsprechung den aus Tschetschenien stammenden Bürgern der Russischen Föderation
Rechtsprechung den aus Tschetschenien stammenden Bürgern der Russischen Föderation
russischer Volkzugehörigkeit aber auch ethnischen Tschetschenen in anderen Regionen der
Russischen Föderation eine auch unter wirtschaftlichen Aspekten zumutbare für die
Betroffenen tatsächlich erreichbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung, die mit
Blick auf den im Flüchtlingsrecht geltenden Grundsatz der Subsidiarität des Schutze vor
politischer Verfolgung im Zufluchtsstaat, hier in der Bundesrepublik Deutschland, einen
Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling nach § 60 Abs. 1 AufenthaltsG ausschließe.
Auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthaltsG könnten nicht angenommen werden. Insoweit sei, was die
Geltendmachung einer Gefährdung durch die allgemeine wirtschaftliche Versorgungslage
angehe, zusätzlich die vom Bundesgesetzgeber beibehaltene Sperrwirkung nach den §§ 60
Abs. 7 Satz 2, 60a AufenthaltsG für die Berücksichtigungsfähigkeit von so genannten
Allgemeingefahren für die Bevölkerung oder auch nur Bevölkerungsgruppen im
Herkunftsstaat zu beachten. Darüber hinausgehende humanitäre Gesichtspunkte, wie sie
beispielsweise den Empfehlungen verschiedener Menschenrechtsgruppen, gegenwärtig auf
eine Rückführung von tschetschenischen Volkszugehörigen in die Russische Föderation zu
verzichten, zugrunde lägen, habe der Bundesgesetzgeber danach auch am Maßstab des
Verfassungsrechts in zulässiger Weise den hierfür zuständigen politischen
Entscheidungsträgern überantwortet.
Der mittlerweile für das Herkunftsland des Klägers zuständig gewordene 3. Senat schließt
sich, da durchgreifende gegenteilige Erkenntnisse bislang nicht vorliegen, dieser
überzeugend begründeten Auffassung an. Der Durchführung eines weiteren
Berufungsverfahrens vor dem OVG des Saarlandes zur Klärung der bezeichneten
Grundsatzfrage bedarf es mithin nicht.
Soweit der Kläger meint, es sei grundsätzlich klärungsbedürftig, ob frühere Angehörige der
Sicherheitskräfte der tschetschenischen Republik Itschkerija einer Gruppenverfolgung
ausgesetzt sind, rechtfertigt dies ebenfalls die begehrte Rechtsmittelzulassung nicht. Denn
das Verwaltungsgericht hat die Abweisung des Begehrens des Klägers in erster Linie darauf
gestützt, dass dessen Vortrag wegen nicht nachvollziehbarer und sich in wesentlicher
Hinsicht widersprechender Angaben im Verwaltungs- und Klageverfahren unglaubhaft sei
und dies im Einzelnen, teilweise unter Bezugnahme auf diesbezügliche Ausführungen in
dem angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 20.4.2004 dargelegt. Es gelangt
zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass dem Kläger, der sein Amt als einfacher Polizist
bereits 3 Jahre vor der Ausreise aufgegeben habe, das mit Blick auf seine Gefährdung
wegen Polizeidiensttätigkeit vorgetragene Verfolgungsschicksal nicht abgenommen werden
kann.
Hiervon ausgehend stellt sich die von dem Kläger als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete
Frage bereits deshalb nicht, weil sie von dem insoweit maßgeblichen rechtlichen Ansatz
des Verwaltungsgerichts her nicht entscheidungserheblich ist
vgl. zum Beispiel Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 78 AsylVfG Rdnr. 16; Marx,
AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 78 Rdnr. 153; Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, § 78
Rdnr. 153 m.w.N. 169; siehe etwa auch Beschluss des Senats vom 5.5.2006 – 3 Q 22/06
-.
Von einer weiteren Begründung der Nichtzulassungsentscheidung wird abgesehen (§ 78
Abs. 5 Satz 1 AsylVfG).
Für die erstrebte Rechtsmittelzulassung ist nach allem kein Raum.
Aus vorstehendem ergibt sich, dass die beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für
das zweitinstanzliche Verfahren mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten
Rechtsverfolgung zu versagen (§§ 166 VwGO, 114 ZPO) ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.