Urteil des OVG Saarland vom 10.06.2010

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OVG Saarlouis Beschluß vom 10.6.2010, 1 A 88/10
Einbürgerung; Vorstrafen; Härtefall
Leitsätze
1. Ist ein Ausländer mehrfach wegen rechtswidriger Taten zu Geld- und Freiheitsstrafen
verurteilt worden und resultiert daraus nach der "Umrechnungsformel" des § 12 a Abs. 1
S. 2 StAG eine Gesamtfreiheitsstrafe von 16 Monaten, so liegt keine nur geringfügige
Überschreitung des Rahmens nach § 12 a Abs. 1 S. 1 und 2 StAG vor.
2. § 12 a Abs. 1 S. 1 und 2 StAG findet auch im Rahmen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG
unmittelbare Anwendung.
3. Eine besondere Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG liegt nur vor, wenn die Härte durch
atypische Umstände des Einzelfalls bedingt ist und durch eine Einbürgerung vermieden oder
zumindest entscheidend abgemildert würde.
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung
vom 9. Februar 2010 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 2 K
530/09 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger. Er lebt seit dem Jahre 2000 in der
Bundesrepublik Deutschland. Am 17.4.2003 heiratete er eine deutsche Staatsangehörige.
Die am 23.1.2004 geborene Tochter besitzt ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit.
Der Kläger ist wegen Urkundenfälschung, Verletzung der Buchführungspflicht und
mehrfachen Betrugs vorbestraft (vgl. im Einzelnen die Auflistung auf S. 3/4 des
erstinstanzlichen Urteils). Zuletzt verurteilte ihn das Amtsgericht Nürnberg am 13.9.2007
wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt
wurde. Die Bewährungsfrist endet am 12.9.2010.
Den am 10.1.2008 gestellten Einbürgerungsantrag des Klägers wies der Beklagte durch
Bescheid vom 12.5.2009 mit Blick auf dessen Vorstrafen zurück. Die anschließende Klage
hat das Verwaltungsgericht durch aufgrund mündlicher Verhandlung vom 9.2.2010
ergangenes Urteil abgewiesen. Dagegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung
der Berufung.
II.
Der Berufungszulassungsantrag ist zulässig, aber unbegründet. Die in der
Antragsbegründung vom 16.4.2010 angeführten Gründe, die allein der Senat zu prüfen
hat (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO), geben keine Veranlassung, die Berufung gegen das
Urteil vom 9.2.2010 zuzulassen. Insbesondere ergeben sich daraus im Verständnis des §
124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Verwaltungsgericht die
Klage zu Recht abgewiesen hat, ohne dass eine Frage von besonderer rechtlicher und/oder
tatsächlicher Schwierigkeit oder von grundsätzlicher Bedeutung zu beantworten wäre (§
124 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 VwGO).
a) Ein Anspruch des Klägers auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG scheitert an seinen
Vorstrafen. Das ist in dem angegriffenen Urteil - ausgehend von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5
StAG - unter ausführlicher Würdigung sowohl der Unbeachtlichkeitsschwelle des § 12 a
Abs. 1 Sätze 1 und 2 StAG als auch der Nichtberücksichtigungsregelung des § 12 a Abs. 1
Satz 3 StAG dargelegt. Nach der „Umrechnungsformel“ des § 12 a Abs. 1 Satz 2 StAG
ergeben die weiterhin berücksichtigungsfähigen Vorstrafen des Klägers eine Freiheitsstrafe
von insgesamt 16 Monaten. Dass damit die bei drei Monaten liegende „Bagatellgrenze“
des § 12 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG mehr als nur „geringfügig“ überschritten ist, liegt auf
der Hand. Ergänzende Ausführungen sind nicht veranlasst.
b) Eine Kann-Einbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG scheitert - auch bei der nach Auffassung
des Senats
ebenso Marx in StAR - Gemeinschaftskommentar - Stand: April 2010
-, § 8 Rdnrn. 93 und 95/96, und Nr. 8.1.1.2 Abs. 2 der Vorläufigen
Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern - VAH -
vom 17.4.2009, abgedruckt in StAR - Gemeinschaftskommentar, VII-
3; a.A. Berlit, Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht durch das
EU-Richtlinienumsetzungsgesetz, InfAuslR 2007, 457 (465),
schon vom Wortlaut der Bestimmung her („bei der Einbürgerung“) gebotenen
unmittelbaren Anwendung des § 12 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 StAG - ebenfalls an den
Vorstrafen des Klägers (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG).
Allerdings eröffnet § 8 Abs. 2 StAG die Möglichkeit („kann“), im Einzelfall von der
Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG „aus Gründen des öffentlichen Interesses oder
zur Vermeidung einer besonderen Härte abzusehen“. Darauf, dass entgegen der
Auffassung des Verwaltungsgerichts ein solcher Härtefall vorliegt, zielt ersichtlich die
Begründung des Berufungszulassungsantrags des Klägers. Dem kann indes nicht gefolgt
werden.
Zustimmung verdient allerdings die Auffassung, dass § 8 Abs. 2 StAG auch nach der
gebotenen unmittelbaren Anwendung des § 12 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 StAG „einen
Restbestand an Flexibilität in Bezug auf das Unbescholtenheitserfordernis gewährt“
so die Formulierung bei Berlit, a.a.O., S. 465, linke Spalte unten,
das allerdings durch das Merkmal der Vermeidung einer besonderen Härte „tatbestandlich
gebunden“ ist
so Berlit, a.a.O., rechte Spalte oben.
Dieses Tatbestandsmerkmal ist, wie der Kontext, in dem es steht, und die
gesetzgeberische Entscheidung, die § 12 a Abs. 1 Sätze 1 bis 3 StAG enthält, belegen, eng
auszulegen. Deshalb fällt an dieser Stelle - erneut - das beträchtliche Maß ins Gewicht, in
dem die Vorstrafen des Klägers die „Bagatellgrenze“ des § 12 a Abs. 1 Satz 1 StAG
überschreiten. Hinzu kommt, dass die aus der letzten Vorstrafe resultierende
Bewährungszeit noch nicht abgelaufen ist (vgl. § 12 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG). Ob dies
allein bereits ausreicht, eine Anwendung des § 8 Abs. 2 StAG auszuschließen
so die Verwaltungspraxis; kritisch dazu Marx, a.a.O., § 8 Rdnr. 104,
liegt zwar nahe, lässt der Senat aber ebenso wie das Verwaltungsgericht letztlich offen.
Den Ausschlag gibt jedenfalls, dass die in § 8 Abs. 2 StAG geforderte „besondere Härte“
durch atypische Umstände des Einzelfalls bedingt und zudem gerade durch die
Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen sein muss, also - mit anderen Worten -
durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest entscheidend abgemildert würde
so die einschlägige Rechtsprechung, u.a. HessVGH, Beschluss vom
21.10.2008 - 5 A 1820/08.Z -, juris Rdnr. 5; VGH Baden-
Württemberg, Urteil vom 9.10.2009 - 13 S 1609/09 -, juris Rdnr.
45, und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.6.2009 - 5 M
30.08 -, juris Rdnr. 2.
Daran fehlt es hier selbst unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers. Ganz in den
Vordergrund stellt dieser in seinem Schriftsatz vom 16.4.2010, seine im Irak lebenden
Eltern und Verwandten akzeptierten seine europäische Ehefrau nicht und bedrohten
deshalb sowohl sein Leben als auch das seiner Ehefrau und seiner Tochter, wobei in
diesem Zusammenhang auch der christliche Glaube seiner Ehefrau eine Rolle spiele. Was
an dieser Problematik eine Einbürgerung des Klägers ändern würde, erschließt sich dem
Senat nicht und wird vom Kläger auch nicht aufgezeigt. Dessen weiter ins Feld geführten,
ebenfalls nicht näher konkretisierten Schwierigkeiten bei der Ausübung seines
selbständigen Gewerbes dürften ihre Ursache zumindest ganz überwiegend in seinen
zahlreichen gewerbebezogenen Vorstrafen, weniger dagegen in seiner Staatsangehörigkeit
haben. Was das dann noch angesprochene Misstrauen beziehungsweise Vorurteil gegen
ihn wegen von Irakern ausgehenden Terrorgefahren anlangt, dürfte Anknüpfungspunkt
hierfür eher ein möglicherweise fremdländisches Aussehen als seine sich nicht ohne
Weiteres erschließende Staatsangehörigkeit sein. Vor allem aber trifft das Argument des
Verwaltungsgerichts zu, dass die angeführten Umstände eine Vielzahl anderer
Einbürgerungsbewerber in gleicher Weise treffen und deshalb ungeeignet sind, gerade den
Fall des Klägers zu einem besonderen Härtefall zu machen, in dem trotz der Zahl und des
Gewichtes seiner Vorstrafen durch Einbürgerung Abhilfe zu schaffen wäre.
c) Aus der Sonderregelung des § 9 StAG über die Einbürgerung von mit Deutschen
verheirateten Ausländern kann der Kläger ebenfalls nichts zu seinen Gunsten herleiten.
Diese Bestimmung verstärkt lediglich für den darin genannten Personenkreis den Kann-
Anspruch des § 8 Abs. 1 StAG zu einem Soll-Anspruch, setzt dabei aber voraus, dass die
Voraussetzungen des § 8 StAG erfüllt sind. Gerade daran fehlt es indes fallbezogen.
d) Schließlich ist es nicht Aufgabe des Senats, im vorliegenden Zusammenhang den
Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem der Kläger frühestens eingebürgert werden kann.
Vielmehr genügt an dieser Stelle die Feststellung, dass sich jedenfalls derzeit eine
Einbürgerung verbietet.
Nach allem ist der Zulassungsantrag zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung rechtfertigt sich aus den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 3
GKG in Verbindung mit der Empfehlung Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.