Urteil des OVG Saarland vom 08.03.2007

OVG Saarlouis: bebauungsplan, satzung, grundstück, stadtrat, eigentümer, sicherheit, juristische person, grünfläche, wohngebäude, frieden

OVG Saarlouis Urteil vom 8.3.2007, 2 N 2/06
Normenkontrolle; Bebauungsplan; Rechtsschutzinteresse; Festsetzung einer privaten
Grünfläche; Abwägungsfehler Normenkontrollklage eines Grundstückseigentümers gegen
die Festsetzung einer privaten Grünfläche im Bebauungsplan
Leitsätze
Einzelfall eines Normenkontrollantrags eines Eigentümers eines im Plangebiet eines
Bebauungsplans gelegenen Hausgrundstücks, durch den im rückwärtigen Bereich der
betroffenen Grundstücke unter fehlerhafter Abwägung privater Anliegerinteressen eine
private Grünfläche festgesetzt wurde.
Tenor
Die am 10.2.2004 beschlossene und am 18.2.2004 bekannt gemachte Satzung über den
Bebauungsplan Nr. ....03.00 „Kstraße - A W“ wird für unwirksam erklärt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gültigkeit des am 10.2.2004 als Satzung beschlossenen
und am 18.2.2004 ortsüblich bekannt gemachten Bebauungsplans Nr. ....03.00 "Kstraße –
A W", Flur 3, Gemarkung Kr im Stadtteil Klarenthal der Antragsgegnerin.
Der Geltungsbereich der Satzung umfasst ca. 1,3 ha. Das Plangebiet wird im Nordwesten
durch die südliche Straßenseite der Kstraße vor den Grundstücken mit den Hausnummern
22 bis 34 (Parzellen Nrn. 2/4, 3/1, 3/7, 128/3, 355/3, 3/2 und 4/1), im Nordosten durch
die Grenze der Parzelle Nr. 4/1 (Kstraße 34) zum Wohngebiet „A W“, im Süden durch den
Waldweg entlang der südlichen Begrenzung der Parzellen Nrn. 2/4, 3/1, 3/7, 128/3, 355/3,
3/2 und 4/1 sowie im Südwesten durch die südwestlichen Grenzen der Parzellen Nrn. 1/29
und 2/4 begrenzt; der Geltungsbereich ist in der Planzeichnung der Satzung dargestellt.
Das Plangebiet selbst umfasst 7 bebaute Grundstücke mit 5 freistehenden Gebäuden und
einem Doppelhaus entlang der Kstraße. An die bebaute Zone schließen sich rückwärtig
unbebaute Gartenflächen an, die in ihrer Tiefe von 20 m (Haus Nr. 22) bis 95 m (Haus Nr.
34) variieren. Der größte Teil dieser Grünzone wird als Garten- und Grünfläche genutzt. Im
rückwärtigen Bereich der Grundstücke A-Straße und 32 befindet sich eine nicht mehr
genutzte private Tennisanlage. Die bauliche Umgebung wird durch eine 1- bis 2-
geschossige Bebauung entlang der Kstraße, der Straße „A W“ sowie der Hstraße geprägt.
Der Antragsteller ist Eigentümer des im Plangebiet belegenen Hausgrundstücks A-Straße
(Parzelle Nr. 355/3 - von ihm überwiegend als Nr. 365/3 bezeichnet -). Bereits im Jahre
2001 hatte er eine Bauvoranfrage wegen des Neubaus von 6 Wohnhäusern im
rückwärtigen Grundstücksbereich der Parzellen 4/1, 3/2 und „365/3“ an die
Antragsgegnerin gerichtet, der ausweislich eines Vermerks vom 16.10.2001 von dieser als
unzulässig angesehen wurde. Mit Schreiben vom 18.1.2002 hatte der Antragsteller dann
beantragt, ein Bebauungsplanverfahren zur Aufstellung eines vorhabenbezogenen
Bebauungsplanes für den Bereich der Parzellen 4/1, 3/2 und „365/3“, Flur 3 für eine
Bebauung mit mehreren Wohnhäusern einzuleiten und mit ihm einen entsprechenden
Durchführungsvertrag abzuschließen.
Der Stadtrat der Antragsgegnerin beschloss daraufhin am 19.3.2002 die Aufstellung des
vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. ....03.00 "Wohngebiet verlängerte Hstraße" für
das jetzige Plangebiet; der Beschluss wurde am 27.3.2002 – zusammen mit der
Änderungsabsicht des Stadtverbandes für den Flächennutzungsplan - ortsüblich bekannt
gemacht. Aufgrund des Beschlusses des Stadtrates fand eine „vorgezogene
Bürgerbeteiligung“ statt, bei der an den Plänen für eine weitere Bebauung des Plangebietes
Kritik geäußert wurde.
Mit Schreiben vom 16.6.2002 zog der Antragsteller seinen Antrag vom 18.1.2002 zurück
und beantragte die Einstellung des Bebauungsplanverfahrens, weil „wegen
Verfahrensfehlern vor Gericht kein haltbares Ergebnis zu erwarten“ sei.
Am 29.10.2002 beschloss der Stadtrat der Antragsgegnerin die Aufstellung des
Bebauungsplans Nr. ....03.00 „Kstraße – A W“; der Beschluss wurde am 6.11.2002
ortsüblich bekanntgemacht.
Nach Beteiligung der Träger öffentlicher Belange und der verwaltungsinternen Stellen
beschloss der Stadtrat der Antragsgegnerin am 7.10.2003 die öffentliche Auslegung des
Bebauungsplan-Entwurfs, die nach ortsüblicher Bekanntmachung vom 6.11. bis 8.12.2003
erfolgte.
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 8.12.2003 erhob der Antragsteller
gegen den Bebauungsplan-Entwurf Einwendungen.
Der Stadtrat der Antragsgegnerin entschied am 10.2.2004 über die Stellungnahmen der
Träger öffentlicher Belange und der verwaltungsinternen Stellen sowie über die während
der Offenlage vorgebrachten Anregungen gemäß Verwaltungsvorlage und beschloss den
Bebauungsplan Nr. ....03.00 "Kstraße – A W" mit Begründung als Satzung.
Die Satzung setzt in der Planzeichnung entlang der Kstraße als Art der baulichen Nutzung
ein reines Wohngebiet (WR) mit einem 35 m tiefen Grundstücksstreifen als überbaubare
Grundstücksfläche (Ausnahme wegen geringerer Grundstückstiefe: Grundstück Kstraße 22
mit 24 m) hinter einer 5 m tiefen Vorgartenzone, die alle vorhandenen Wohngebäude
einschließlich ihrer rückwärtigen Erweiterungen vollständig umfasst, fest. Die rückwärtigen
Gartenbereiche der Grundstücke werden als private Grünfläche festgesetzt, die von
Bebauung freizuhalten ist. Nach den textlichen Festsetzungen sind im reinen Wohngebiet
Läden und nicht störende Handwerksbetriebe, die zur Deckung des täglichen Bedarfs für
die Bewohner des Gebietes dienen, nach § 3 III BauNVO ausnahmsweise zulässig; die
übrigen nach § 3 III BauNVO ausnahmsweise zulässigen Nutzungen sind ausgeschlossen.
Alle übrigen planungsrechtlichen Zulässigkeitskriterien, insbesondere das Maß der baulichen
Nutzung und die Bauweise richten sich nach § 34 I BauGB.
In dem im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Satzung bestehenden
Flächennutzungsplan ist der als „private Grünfläche“ festgesetzte Teil des Planbereichs als
„Grünfläche mit der Zweckbestimmung Sportplatz“ ausgewiesen (1Vgl. Bl. 31, 47f. der
Verwaltungsakten) .
In der Begründung zur Satzung (2Stand 2004) ist ausgeführt, das im Flächennutzungsplan
enthaltene Sportplatzsymbol, das auf eine öffentliche Sporteinrichtung hindeute, stelle
keine umsetzbare Planungsvorgabe dar, sondern beruhe eher auf einem Missverständnis,
da weder eine öffentliche Tennisanlage noch eine andere Lärm erzeugende
Sportplatznutzung an dieser Stelle auf einem Privatgrundstück genehmigungs- oder
durchsetzungsfähig wäre. Eine Flächen-nutzungsplanänderung zur Beseitigung eines
irrtümlich in den Plan aufgenommenen fehlerhaften Symbols sei nicht erforderlich. Der
Landschaftsplan stimme mit den Zielsetzungen des Bebauungsplans voll überein.
Unter "Anlass und Ziele der Planung" ist in der Begründung zum Bebauungsplan im
Wesentlichen die Entwicklung der in der Folge der Bauanfrage und des Antrags auf
Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens des Antragstellers zur Ausweisung von
Wohnbauland dargestellt und ausgeführt, dass eine – bloße -Verfahrenseinstellung "keine
Gewähr dafür geboten (hätte), dass zu einem späteren Zeitpunkt die gleichen
Bebauungsabsichten nicht erneut vorgelegt worden wären, die gleichen Widerstände
seitens der betroffenen Nachbarn mobilisiert und zur gleichen Unruhe in diesem
Wohngebiet geführt hätten". Die ursprüngliche Zielsetzung des Bebauungsplanverfahrens
sei deshalb geändert worden, um den sozialen Frieden innerhalb des Wohnquartiers zu
gewährleisten. Nach dem eindeutigen Willen des Stadtrates solle eine bauliche Verdichtung
des Siedlungsgefüges durch Bebauung der rückwärtigen Gartenbereiche der Grundstücke
an der Kstraße unterbunden und die Wohnruhe und Sicherheit in den zum Teil sehr
schmalen und ohne Bürgersteig ausgebauten Seitenstraßen "A W" und "Hstraße"
gewährleistet werden. Eine Erschließung weiterer Baugrundstücke über die Straße A W und
eine Verlängerung der Hstraße solle es nicht geben, die Wohnruhe und Sicherheit auf den
Straßen sollten nicht durch zusätzliche Verkehre belastet bzw. gefährdet werden. Die
städtebauliche Struktur dieses Baugebiets solle in ihrer gegenwärtigen Form erhalten und
nicht durch ein Bauen in zweiter Reihe auf einigen wenigen Einzelgrundstücken verändert
werden. Eine maßvolle Erweiterung der bestehenden Gebäude im Rahmen dessen, was
sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge, sei jedoch möglich, allerdings nicht in
den rückwärtigen, als private Grünflächen ausgewiesenen Grundstücksbereichen. Diese
geänderte Zielsetzung diene dem Grundsatz der Bauleitplanung, eine dem Wohl der
Allgemeinheit entsprechende sozialgerechte Bodennutzung zu gewährleisten. Dabei seien
die öffentlichen Belange der "allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse und
die Sicherheit der Wohnbevölkerung", der "Wohnbedürfnisse der Bevölkerung und die
Bevölkerungsentwicklung" und der "Erhaltung vorhandener Ortsteile" zur Wahrung des
sozialen Friedens besonders hoch gewichtet worden. Die heutige Bebauungs- und
Erschließungsstruktur sei dadurch geprägt, dass pro Baugrundstück jeweils nur ein
straßenrandbezogenes Wohngebäude errichtet und ein Bauen in zweiter Reihe bislang an
keiner Stelle realisiert worden sei, während dies bei Ausweisung weiterer Baugrundstücke
nicht nur in Bezug auf die bauinteressierten Eigentümer an der Kstraße, sondern auch für
die Anlieger westlich der Straße A W geschehen werde. Mit der Änderung der Planungsziele
sei eine Umbenennung des Bebauungsplanverfahrens erforderlich geworden.
Der Satzungsbeschluss wurde am 18.2.2004 ortsüblich bekannt gemacht.
Am 14.2.2006 ist der Normenkontrollantrag des Antragstellers bei Gericht eingegangen. Er
macht geltend, der Bebauungsplan sei unwirksam. Der Bebauungsplan verstoße gegen § 1
III und VI BauGB. Erforderlich sei ein Bebauungsplan, wenn ihm eine planerische Konzeption
der Gemeinde zugrunde liege. Die getroffenen Festsetzungen müssten in ihrer eigentlichen
Zielsetzung gewollt und erforderlich und nicht nur vorgeschoben sein, um einen Bauwunsch
zu durchkreuzen oder private Interessen zu befriedigen. Die Planung der Antragsgegnerin
erschöpfe sich darin, die Bebaubarkeit seines Grundstücks zu verhindern, ohne dass
sachliche städtebauliche Gründe hierfür bestünden. Sie sei widersprüchlich und ohne
planerische Konzeption, wie schon aus der Tatsache zu ersehen sei, dass der Stadtrat
zunächst am 18.8.2002 beschlossen habe, den Bau von 6 Einfamilienhäusern durch die
Änderung des Bebauungsplans Nr. ....03.00 "Wohngebiet verlängerte Hstraße" zuzulassen,
und nun eine bauliche Verdichtung unterbunden werden solle; außerdem sei in dem
ursprünglichen Planverfahren die vorhandene Erschließung als ausreichend angesehen
worden. Es fehle daher an ernsthaft verfolgten städtebaulichen Zielvorstellungen für das
Grundstück des Antragstellers. Die Planung beruhe auf sachfremden Argumenten und sei
als Änderungsplanung unzulässig. Als Ziel werde nur die Wahrung des sozialen Friedens
innerhalb des Wohnquartiers, eines privaten Belangs, angegeben. Es sei nicht ersichtlich,
dass dieser Belang mit dem Eingriff in sein - des Antragstellers - Eigentum in Abwägung
gebracht bzw. dass überhaupt eine Abwägung vorgenommen worden sei. Durch den
Bebauungsplan werde der Inhalt seines Grundeigentums ausgestaltet. Da die Möglichkeit
bestehe, dass eine entsprechende planerische Ausgestaltung rechtswidrig sei, komme eine
Verletzung seines Grundrechts aus Art. 14 GG in Betracht.
Der Antragsteller beantragt,
den am 10.2.2004 vom Stadtrat der Antragsgegnerin als
Satzung beschlossenen Bebauungsplan Nr. 220.03.00
„Kstraße - A W“, bekannt gemacht am 18.2.2004, für
unwirksam zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dem Antragsteller fehle das erforderliche Rechtschutzinteresse für
seinen Antrag, da die von ihm beabsichtigte Bebauung auch im Falle der Nichtigerklärung
des Bebauungsplans nicht realisierbar sei. Auch die Errichtung nur eines Wohngebäudes im
fraglichen Bereich scheitere daran, dass es sich als Bauvorhaben in zweiter Reihe nicht
einfüge, keinerlei Vorbild habe und nicht genehmigungsfähig sei. Dies sei ihm auch
seinerzeit durch das Planungsamt erklärt worden. Hinzu komme, dass einer Realisierung
des vom Antragsteller vorgestellten Projektes die dafür erforderliche Unterschreitung der
zum Waldgebiet einzuhaltenden Abstandsflächen entgegen stünden. Daran ändere auch
ein in der Vergangenheit erteilter Bauvorbescheid von 1985 für das Grundstück Parzelle Nr.
4/1 (Bauvoranfrage S) nichts, da dieser wegen des Zeitablaufs weggefallen und ein
weiterer Vorbescheid nicht erteilt worden sei. Zwar sei richtig, dass maßgeblich auf
Betreiben des Antragstellers beabsichtigt gewesen sei, ein Wohngebiet im Anschluss an die
bereits ausgebaute Wstraße auszuweisen. Im Rahmen des Abwägungsprozesses auf der
Grundlage von Bedenken und Anregungen hätten sich massive Kritikpunkte an der
beabsichtigten Planung eines Wohngebietes ergeben; auch der Antragsteller selbst habe
Verfahrenseinstellung beantragt. Nach der vehement geführten Diskussion habe im Sinne
einer geordneten planerischen Festschreibung des bauplanungsrechtlich Zulässigen eine
Beruhigung der Situation erfolgen sollen. Die Änderung des Plankonzeptes angesichts der
massiven Einwendungen betroffener Anlieger sei keine Verhinderungsplanung. Der
Antragsteller habe keinen Anspruch auf eine Planung, die ihm die Verwirklichung seiner
Bauabsichten ermögliche.
Der Senat hat am 7.3.2007 eine Ortsbesichtigung durchgeführt; wegen des Ergebnisses
wird auf die Niederschrift verwiesen.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten 2 N 2/06 und
der beigezogenen Verwaltungsunterlagen (1 Aktenordner zur Planaufstellung) Bezug
genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Der Normenkontrollantrag des Antragstellers hat Erfolg.
Der Antragsteller ist antragsbefugt im Sinne des § 47 II 1 VwGO. Danach kann den Antrag
jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Vorschrift oder
deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu
werden. Der Antragsteller, Eigentümer des Anwesens A-Straße in A-Stadt-K (Flur 3,
Parzelle 355/3), macht geltend, dass sein Eigentum durch den Bebauungsplan eine
rechtswidrige Gestaltung erfährt, die eine ökonomische Nutzung des Grundstücks durch
Bauvorhaben im rückwärtigen Bereich verhindere. Da er sich somit als Eigentümer eines im
Geltungsbereich der umstrittenen Satzung gelegenen Grundstücks gegen eine
bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft, ist seine
Antragsbefugnis auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(3StRspr des BVerwG, vgl. Beschluss vom 7.7.1997 – 4 BN 11/97 -, BauR 1997, 972,
m.w.N.; Urteil vom 10.3.1998 – 4 CN 6/97 -, BauR 1998, 740) zu bejahen.
Auch das für den Antrag des Antragstellers erforderliche Rechtschutzinteresse liegt vor.
Dem Zulässigkeitserfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses ist schon genügt, wenn sich
nicht ausschließen lässt, dass die gerichtliche Entscheidung für den Rechtsschutzsuchenden
ggf. von Nutzen sein kann. (4BVerwG, Urteil vom 10.3.1998 – 4 CN 6/97 -, BauR 1998,
740, m.w.N.) Es fehlt, wenn der Eigentümer seinem Ziel, das Grundstück baulich zu
nutzen, selbst dann auf unabsehbare Zeit nicht näherkommen kann, wenn der
Bebauungsplan für nichtig bzw. unwirksam erklärt wird. (5BVerwG, Beschluss vom
25.5.1993 – 4 NB 50.92 -, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 79) Unschädlich ist aber, wenn
ein Antragsteller seinem eigentlichen Ziel, für sein Grundstück die Nutzung festzusetzen,
die seinen Vorstellungen entspricht, nicht allein dadurch näher kommt, dass der
Bebauungsplan für nichtig bzw. unwirksam erklärt wird. Hiervon ausgehend kann der
Auffassung der Antragsgegnerin, der Antrag sei „unnütz“, weil der Antragsteller auch im
Falle der Unwirksamkeit des Bebauungsplans mangels Einfügens im Sinne des § 34 BauGB
nicht im Innenbereich in zweiter Reihe hinter seinem Wohnhaus bauen dürfe, nicht gefolgt
werden. Denn es kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass
der Antragsteller im Falle der Unwirksamkeit der angefochtenen Satzung angesichts der
konkreten Innenbereichssituation und einer denkbaren städtebaulichen Entwicklung der
Umgebung ein Bauvorhaben auf seinem Grundstück verwirklichen könnte.
Der Normenkontrollantrag ist am 14.2.2006 und damit rechtzeitig innerhalb der durch die
Schlussbekanntmachung der angegriffenen Satzung am 18.2.2004 in Lauf gesetzten
Zwei-Jahres-Frist des § 47 II 1 VwGO in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung (6Zur
Änderung vgl. Art. 3 Nr. 1 a und Art. 4 des Gesetzes zur Erleichterung von
Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21.12.2006 (BGBl. I S. 3316))
bei Gericht eingegangen.
Der somit zulässige Normenkontrollantrag ist auch begründet. Der Bebauungsplan leidet an
einem Mangel, der seine Unwirksamkeit zur Folge hat. Er verstößt gegen das Gebot, die
von der Planung betroffenen öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und
untereinander gerecht abzuwägen, das in § 1 VI BauGB (Das BauGB findet in der Fassung
der Bekanntmachung vom 27.8.1997 (BGBl. I S. 1818) Anwendung.) seinen gesetzlichen
Niederschlag gefunden hat und Ausdruck, aber auch Schranke der planerischen
Gestaltungsfreiheit der Gemeinde ist. Dieses Abwägungsgebot, dessen Anforderungen -
wie das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung (8Vgl. etwa BVerwG,
Urteile vom 1.11.1974 – IV C 38.71 -, BVerwGE 47, 144 = BRS 37 Nr. 17, und vom
5.7.1974 – IV C 50.72 -, BVerwGE 45, 309 = BRS 28 Nr. 4) hervorhebt - sowohl den
Abwägungsvorgang als auch das Abwägungsergebnis betreffen, verlangt, dass eine
Abwägung überhaupt stattfindet, dass in sie an Belangen eingestellt wird, was nach Lage
der Dinge in sie eingestellt werden muss, dass die Bedeutung der betroffenen Belange
nicht verkannt wird und dass der Ausgleich zwischen ihnen nicht in einer Weise
vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis
steht. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Einhaltung der rechtlichen Anforderungen des
Abwägungsgebots ist somit der den Gemeinden zustehende planerische
Gestaltungsspielraum (§ 2 I 1 BauGB) zu respektieren. Die Gerichte sind nicht befugt,
eigene Vorstellungen über die planerische Gestaltung und Problembewältigung an die Stelle
der von der Gemeinde getroffenen Entscheidungen zu setzen oder deren Abwägung nur
deshalb zu beanstanden, weil sie andere Lösungen für besser oder sachdienlicher halten.
Die gerichtliche Kontrolle hat sich auf die Frage zu beschränken, ob bei der Abwägung
selbst und bei dem auf ihr basierenden Ergebnis die Grenzen planerischer
Gestaltungsfreiheit beachtet wurden.
Hiervon ausgehend ist festzustellen, dass der Stadtrat der Antragsgegnerin vorliegend die
widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange nicht entsprechend ihrer Gewichtigkeit
bei der abschließenden Abwägung abgewogen hat. Da er über die „Stellungnahmen der
Träger öffentlicher Belange und der verwaltungsinternen Stellen sowie über die während
der Offenlage vorgebrachten Anregungen“ ausweislich des Auszugs aus der Niederschrift
über die Sitzung vom 10.2.2004 „gemäß Verwaltungsvorlage“ entschieden und den
Bebauungsplan mit Begründung als Satzung beschlossen hat (9Bl. 337 ff.) , ergeben sich
die Grundlagen der Abwägung und im Rahmen der Abwägung abgewogenen Belange aus
der Verwaltungsvorlage Drucksache Nr. 0020/04 vom 14.1.2004 samt Anlagen sowie der
Begründung zum Bebauungsplan.
Ausweislich der Begründung zum Bebauungsplan hat die Antragsgegnerin insbesondere als
öffentliche Belange die "allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse und die
Sicherheit der Wohnbevölkerung" (§ 1 V 2 Nr. 1 BauGB), "Wohnbedürfnisse der
Bevölkerung und die Bevölkerungsentwicklung" (§ 1 V 2 Nr. 2 BauGB) sowie die "Erhaltung
vorhandener Ortsteile" (§ 1 V 2 Nr. 4 BauGB) berücksichtigt. (10Bl. 341 f.) Außerdem geht
aus der Verwaltungsvorlage hervor, dass der Planinhalt maßgeblich vom Ergebnis des im
Rahmen des Bebauungsplanverfahrens „Wohngebiet verlängerte Hstraße“ - in Rede stand
die Schaffung von 6 bis 10 neuen Bauplätzen für eine Bebauung mit
Einfamilienwohnhäusern in Form von freistehenden Einzel- oder Doppelhäusern (11Vgl.
ortsübliche Bekanntmachung der vorgezogenen Bürgerbeteiligung zur Änderung des
Flächennutzungsplans und Aufstellung des Bebauungsplans "Wohngebiet verlängerte
Hstraße", Bl. 31 Verwaltungsunterlagen) – durchgeführten Erörterungstermins bestimmt
wurde. In diesem Termin hatte sich die Mehrheit der anwesenden Anlieger und Nachbarn
gegen jegliche Bebauung der vorgesehenen Fläche ausgesprochen. Es wurde deutlich, dass
die Anlieger zum einen ein erhöhtes Verkehrsaufkommen befürchteten, zum anderen
vortrugen, die geplante Bebauung rücke zu nah an die bestehenden Häuser heran, was zu
einer Verringerung der Wohnqualität und zu einem erheblichen Wertverlust der
Bestandsimmobilien führen werde. Auch ein im Rahmen dieses Erörterungstermins
entwickelter Vorschlag der Verwaltung einer neuen reduzierten Bebauungsalternative mit
lediglich drei neuen Baugrundstücken und Wohnhäusern sei überwiegend mit Ablehnung
aufgenommen worden. Die Mehrheit habe für die absolute „Null-Lösung“ plädiert. Daher sei
aufgrund dieses Ergebnisses der vorgezogenen Bürgerbeteiligung und der im Anschluss
daran eingegangenen Stellungnahmen und Einwendungen klar erkennbar gewesen, dass
jeder Planung für eine zusätzliche Wohnbebauung an dieser Stelle starker Widerstand
seitens der betroffenen Nachbarn entgegengebracht würde. Da – wie sich sowohl aus der
genannten Vorlage als auch aus der Begründung zum Bebauungsplan ergibt – eine danach
vom Antragsteller unter dem 16.6.2002 beantragte Einstellung des
Bebauungsplanverfahrens, dessen Einleitung er selbst beantragt hatte, keine Gewähr dafür
geboten hätte, dass zu einem späteren Zeitpunkt nicht wiederum Bebauungsabsichten
geäußert worden wären, die die gleichen Widerstände seitens der betroffenen Nachbarn
mobilisiert und zur gleichen Unruhe in diesem Wohngebiet geführt hätten, änderte der
Stadtrat der Antragsgegnerin die ursprüngliche Zielsetzung des Bebauungsplanverfahrens,
„um den sozialen Frieden innerhalb dieses Wohnquartiers zu gewährleisten“. Ziel wurde
daher nunmehr, eine bauliche Verdichtung des Siedlungsgefüges durch Bebauung der
rückwärtigen Gartenbereiche der Grundstücke an der Kstraße zu unterbinden und die
Wohnruhe und Sicherheit in den zum Teil sehr schmalen und ohne Bürgersteig
ausgebauten Seitenstraßen A W und Hstraße zu gewährleisten. Eine Erschließung über
diese Straßen sollte es in diesem ruhigen Wohnbereich nicht geben, die Wohnruhe und
Sicherheit auf den Straßen „nicht durch zusätzliche Verkehre belastet bzw. gefährdet
werden, die städtebauliche Struktur dieses Baugebiets in ihrer gegenwärtigen Form
erhalten und nicht durch ein Bauen in zweiter Reihe auf einigen wenigen
Einzelgrundstücken verändert werden. Die heutige Bebauungs- und Erschließungsstruktur
sei dadurch geprägt, dass pro Baugrundstück jeweils nur ein einziges
straßenrandbezogenes Wohngebäude errichtet worden sei, während es ein Bauen in
zweiter Reihe bislang an keiner Stelle gebe. Genau dies würde aber nach Ansicht des
Stadtrates der Antragsgegnerin bei "Ausweisung" weiterer Grundstücke geschehen.
Die daraus ersichtliche Abwägung der dargelegten privaten Belange der „Anlieger“, die
auch zu den von der Antragsgegnerin hervorgehobenen öffentlichen Belangen im Sinne des
§ 1 V 2 Nrn. 1, 2 und 4 BauGB zum Ausdruck kommen, mit den gegenläufigen privaten
Belangen von Grundstückseigentümern im Plangebiet an einer Bebauung des rückwärtigen
Teils ihres jeweiligen Grundstücks im Sinne des Planentwurfs ist offensichtlich fehlerhaft,
denn sie beruht auf einer Verkennung der bauplanungsrechtlichen Qualität jedenfalls des im
Plangebiet gelegenen Grundstücks Parzelle Nr. 4/1 (Kstraße 34) und der sich daraus
ergebenden Bedeutung der durch Art. 14 I GG grundgesetzlich geschützten privaten
Belange seiner Eigentümer.
Dieses Grundstück ist auch im rückwärtigen Bereich offensichtlich dem Innenbereich im
Sinne des § 34 BauGB zuzurechnen, da es mit diesem Teil nicht nur unmittelbar an
Bebauung, sondern auch an den Straßenkörper der Straße A W angrenzt und – wie auch
ein an der Grundstücksgrenze zur Straße befindliches Tor verdeutlicht - von dieser
erschlossen wird. Für diesen Teil der Parzelle Nr. 4/1, für den bereits 1985 ein positiver
Bauvorbescheid erteilt worden war, kann die Bebaubarkeit nicht unter Hinweis darauf, ein
Bauen in zweiter Reihe sei unzulässig, da es dies bislang an keiner Stelle gebe, verneint
werden. Denn eine Bebauung im rückwärtigen Teil des Grundstücks wäre kein Bauen in
zweiter Reihe, da hierfür auf die erschließende Straße, also die Straße A W, und nicht auf
die Kstraße abzustellen wäre; eine die Straße A W auf diesem Grundstück als "Riegel"
abschließende Bebauung etwa wäre eine Straßenrandbebauung im Sinne der
Argumentation der Antragsgegnerin. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass in
diesem Fall die Parzelle Nr. 4/1 mit zwei Häusern bebaut wäre, denn die Eigentümer
hätten ohnehin die Möglichkeit einer Teilung des Grundstücks gemäß § 19 BauGB und
Schaffung eines eigenständigen Grundstücks im hinteren Bereich des jetzigen Grundstücks.
Diese offensichtliche Baulandqualität des Grundstücks Parzelle Nr. 4/1 hat der Stadtrat der
Antragsgegnerin jedenfalls nicht entsprechend der Bedeutung der sich hieraus ergebenden
Belange seiner Eigentümer mit den gegenläufigen Belangen der "Anlieger" abgewogen.
Die Aufhebung der – nicht berücksichtigten - Bebaubarkeit dieses Grundstücks durch den
Bebauungsplan lässt sich zudem nicht mit der Wohnruhe und Sicherheit der anderen
Anlieger der Straße A W und Hstraße rechtfertigen. Zulässig sind im Innenbereich ohnehin
nur Vorhaben, die den Vorgaben des § 34 BauGB Rechnung tragen. Dies schließt es
grundsätzlich aus, dass die Anlieger durch neue zulässige Bebauung in unzumutbarer
Weise belastet werden. Dafür, dass durch eine solche angemessene, sich einfügende
Bebauung der Straßenverkehr in der Umgebung in nennenswertem Umfang ansteigen und
die Wohnruhe der Anlieger unzumutbar stören würde, spricht nichts. Auch wenn die
erschließende verkehrsberuhigte Straße A W sehr schmal ist und nur auf einer Straßenseite
einen nicht erhöhten Bürgersteig hat, kann daher eine ernsthafte Gefährdung der
Sicherheit der Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden. Dass von einer solchen
Wohnnutzung unzumutbare Störungen ausgehen könnten, ist ebenfalls nicht anzunehmen.
Schließlich hat auch der Stadtrat der Antragsgegnerin sich nicht auf konkrete
Feststellungen, die die Annahme zu befürchtender unzumutbarer Beeinträchtigungen
rechtfertigten, gestützt. Soweit in der "Vorgezogenen Bürgerbeteiligung" von Anliegerseite
die Befürchtung geäußert worden war, dass die Bebauung zu nahe an die – angrenzende -
Bebauung der Straße A W rücken würde, ist zu sehen, dass eine bauordnungsrechtlichen
Vorschriften entsprechende Bebauung grundsätzlich zulässig ist und größenmäßigen
Gegebenheiten des nachbarlichen Grundstücks nicht Rechnung tragen muss. Insgesamt ist
nichts dafür ersichtlich, dass den Anliegern insbesondere "westlich der Straße A W" ohne
die angefochtene Satzung - den "sozialen Frieden im Wohnquartier" begründet in Frage
stellende - Beeinträchtigungen drohten, die es rechtfertigen könnten, dass die Eigentümer
der Kstraße 34 ihr Grundstück nur noch als private Grünfläche nutzen dürften.
Insgesamt ist daher festzustellen, dass von der Antragsgegnerin die Grenzen planerischer
Gestaltungsfreiheit bei der abschließenden Abwägung und bei dem auf ihr basierenden
Ergebnis nicht beachtet wurden.
Der Normenkontrollantrag musste daher Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 II VwGO).
Beschluss
Der Streitwert für das Normenkontrollverfahren wird auf 25.000,- EUR festgesetzt (§ 52 I
GKG 2004; vgl. bereits die vorläufige Festsetzung durch Beschluss vom 20.3.2006 – 2 N
2/06-).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.